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Provokantes Ungarn

Das drittgrößte Parlamentsgebäude der Welt (gebaut 1885-1904) ist selbst eine Provokation von einem kleinen Land.

11. August 2021 von IRÉN RAB

Ein amerikanisches Fernsehteam mit seinem Starreporter aus der progressiven westlichen Welt findet sich in Ungarn ein, und interessiert sich überhaupt nicht für das Wehklagen der prominenten ungarischen Oppositionellen. Er trifft sich nicht mit den Vertretern der von der Open Society finanzierten Transparency und Amnesty International, besucht nicht die angeblich illegal arbeitenden, sich unabhängig nennenden ungarischen Redaktionen und besucht nicht den Budapester Brückenkopf der nach Wien geflohenen amerikanischen Universität, der CEU. Er interessiert sich weder für die bittere Armut in Ungarn, noch für die karitativen Obdachlosen-Aktionen der von der staatlichen Kirchenunterstützung ausgeschlossenen Iványi-Bruderschaft. Nicht mal der hyperpassive Budapester Oberbürgermeister wird zu den (pandemiebedingten) Zuschusskürzungen oder den fortschrittlichen grünen Programmen der Hauptstadt befragt. Er könnte sich wenigstens die Klagen der in US-amerikanischen Trainingskursen geschulten und fließend Englisch sprechenden Aktivisten und Politiker über die Orbán-Diktatur anhören, aber nicht mal das.

Tucker Carlson, der Moderator der meistgesehenen amerikanischen Fernsehsendung „Tonight“ von Fox News,

wollte eher wissen, warum der ungarische Ministerpräsident von den amerikanischen Medien verteufelt und warum dort die Nachricht verbreitet wird, dass Viktor Orbán und sein Regime systematisch am Abbau der Demokratie arbeiten würden?

Stimmt es, dass die Regierungspartei 90 % der Medien kontrolliert, dass Unternehmen entweder der Zentrallinie folgen oder mit Repressalien rechnen müssen und dass die leitenden Funktionäre der Fidesz-Partei auf mysteriöse Weise reich geworden sind? Stimmt es, dass die Wahlen in Ungarn manipuliert werden? Er wollte das alles mit eigenen Augen sehen und nicht nur vom Hörensagen erfahren.

Er besuchte die Südgrenze, sah sich das Grenzschutzsystem an, traf die Grenzschutzbeamten und unterhielt sich mit ihnen. Die europäische Migration sei keine Bagatelle, schlussfolgerte er und verwandelte die Menge der illegalen Grenzgänger sofort in US-Dimensionen. Das wurde dann eine ziemlich beeindruckende Zahl: Als hätten im Jahr 2015 über 33 Millionen Migranten die Grenze zwischen den USA und Mexiko über- und das Land durchquert.  

Tucker Carlson hat sich persönlich über das ungarische Pandemiemanagement informiert, und zwar nicht von einem dahergelaufenen Hausarzt, sondern gestützt auf offizielle Daten aus offiziellen Quellen. Allein schon deswegen, weil Ungarn nach den neuesten WHO-Daten bei der Durchimpfung und dem Seuchenmanagement weltweit an dritter Stelle steht. Wir haben die leeren Stadien bei den Olympischen Spielen in Tokio gesehen und sie mit den vollen Tribünen der Puskás-Arena während der Fußball-Europameisterschaft verglichen. Letzteres wäre ohne eine erfolgreiche Pandemiebekämpfung nicht zu bewerkstelligen gewesen, ebenso wenig wie die Normalisierung des alltäglichen Lebens und ein fröhliches sommerliches Treiben am Plattensee, auch wenn die vereinte ungarische Opposition sich krampfhaft bemüht, ständig das Gegenteil zu behaupten.

Carlson fuhr auch nach Esztergom zum MCC-Fest und hielt dort eine Rede.

Das Mathias-Corvinus-Collegium ist das größte Talentzentrum des Landes, seine Existenz liegt im nationalen Interesse

und das stößt den anti-ungarischen Kräften ziemlich sauer auf. Hier wird die konservative Elite ausgebildet! – klagen sie – und deswegen wurde es von der Orbán-Regierung saftig unterstützt. Doch die inzwischen ein Vierteljahrhundert alte Institution ist privat gegründet worden und erhielt erst im vergangenen Jahr durch einen Parlamentsbeschluss eine Kapitalspritze und Aktien aus dem Staatsvermögen. Um die ungarische Kultur und Talente unabhängig von den Beschlüssen der jeweils aktuellen Regierung fördern zu können.

Carlson hatte ein Exklusivinterview mit Viktor Orbán gemacht, jeder konnte das korrekte Englisch des Premierministers hören, so dass das einzige, was zu kritisieren war, seine Aussprache gewesen ist. Ich möchte hinzufügen, dass ein sechsmonatiges Oxford-Stipendium als Erwachsener bei weitem nicht ausreicht, um eine einwandfreie Aussprache einer Fremdsprache zu erlernen. Paul Lendvai, „der scharfsinnigste Osteuropakenner“, zerrt auch nach fünfundsechzig Jahren in Wien mit seinem brutalen ungarischen Akzent an den Ohren und Nerven der österreichischen Fernsehzuschauer.

Tucker Carlson war täglich auf Fox News Live zu sehen.

Von der Terrasse des Matild-Palastes im Stadtzentrum aus war die Pracht von Pest gut sichtbar, die schönen Gebäude, die beleuchtete Donaupromenade, alles, was uns Ungarn so stolz auf unsere Hauptstadt macht. Carlson war auch von den Wundern der Hauptstadt beeindruckt: „Ästhetische Gebäude heben die Stimmung der Menschen, im Gegensatz zu entmenschlichenden Glaskolossen.“ (Als ich das erste Mal aus New York nach Hause kam, verbrachte ich eine Woche in der Ruhe der Andrássy Allee: Geräumig, ruhig und vor allem menschlich).

„Great Show tonight!“ kommentierten die amerikanischen Zuschauer, „Ungarn ist ein großartiges Land“, „Hut ab“, und ähnliche Kommentare waren nach den Beiträgen des Reporters und von Fox News zu sehen. „Ungarn ist für die westliche Öffentlichkeit zum Symbol geworden“, schrieb ausgerechnet „444“, das linksliberale ungarische Portal, das seinen Lesern bisher einhämmerte, dass Viktor Orbán und durch ihn auch Ungarn in den Augen der westlichen Welt völlig isoliert und abgewertet dastehen. Es muss für sie sehr schwer zu schlucken gewesen sein,

dass statt der Deutschen Welle nun ein (zugegebenermaßen konservativer) Fernsehsender aus Amerika in Ungarn dreht, und vom Land sichtlich begeistert ist.

Ihr Starreporter verglich die Situation mit derjenigen in seinem eigenen Land und stellte fest, dass die Waage auf Ungarns Seite kippt. In Ungarn herrscht Ordnung, Sauberkeit und Ruhe, jeder kann seine Meinung frei äußern, die Hälfte der Medien ist in den Händen der Opposition, und das Land wählt seine Regierung in freien, demokratischen, nicht gefälschten Wahlen. Carlson war anhand des Gesehenen von der dreimaligen Zweidrittelsmehrheit nicht überrascht.

Also muss das alles dort auf der linken Seite sehr schwierig zu verdauen sein. Denn der einwöchige Besuch war zu lang und zu umfangreich, als dass man ihn hätte totschweigen und die Resonanz in der amerikanischen Öffentlichkeit war zu gut, als dass man sie hätte ignorieren können. Die Herausforderung bestand also für sie darin, das Beste aus dieser Geschichte zu machen und das endlich positive Image des Landes ins Negative zu kehren.

Linksliberale haben allerdings das Glück, die Kommunikationstechniken perfekt zu beherrschen und auch anwenden zu können. Diese Technik besteht darin, dass man, wenn Fakten, weil sie sich hartnäckig halten, nicht widerlegt werden können, einen scheinbaren Schlüsselsatz, einige Schlüsselwörter, die gesagt wurden oder hätten gesagt werden können, hervorzuheben. Man muss sie dann in ein anderes Licht rücken, in einen anderen Kontext hineingleiten lassen. „Das ist das Seltsamste, was ich je getan habe„, sagte Carlson, womit er alles Mögliche meinen konnte, aber der Journalist deutete an, dass der Amerikaner mit dem Satz sicherlich versuchte, seine inakzeptable Position zu entschuldigen. Außerdem muss man scheinbar mit allem einverstanden sein, man muss fast objektiv über das Ereignis berichten, aber

die Formulierung soll jede Situation, den Wahrheitsgehalt jeder Aussage in Frage stellen!

Gegebenenfalls mit qualifizierenden Adjektiven, einem widersprüchlichen Nebensatz, Anführungszeichen und natürlich dem ständigen Gebrauch des Konjunktivs, welcher die Möglichkeit einer Handlung, nicht aber deren Vollzug ausdrückt. Dann wird alles, was Carlson nicht gesagt hat, zum bunten Strauß gesammelt, und dabei vermutet, dass er das, was er weggelassen hat, absichtlich tat, weil das seine vorgefasste Meinung gestört hätte. So wird der Leser manipuliert, Carlson diskreditiert, und der Verdacht der Korruption erscheint sofort. Schließlich kann er von sich aus doch keine so gute Meinung von diesem Land haben! Orbán habe ihn wohl angestellt und wer weiß, wie viel Steuergelder er ihm bezahlt haben soll! So funktioniert es.

Selbst die deutschen Medien konnten die einwöchigen, öffentlichkeitswirksamen „Vor-Ort-Sendungen“ nicht totschweigen. Was können wir von ihnen anderes erwarten als das Übliche? Sie beschweren sich darüber, dass sich Fox News Viktor Orbán unterworfen habe, und sie sind verärgert darüber, dass

Carlson meint, von einem kleinen Land mit einer langen Geschichte wie Ungarn, die konservativen Traditionen der Werteerhaltung lernen zu müssen.

Denn die Ungarn haben gezeigt, wie man ein Land vor dem Auseinanderbrechen bewahren kann: Grenzen schließen, Menschen aus fremden Kulturen hinausbegleiten und ein traditionelles, auf dem Christentum basierendes Familienmodell fördern. Europa will das nicht, sagen die Deutschen, weil ihnen der Satz nicht gefällt, dass Europa von der EU und die EU von Deutschland regiert wird, und siehe da, sie geben wieder unaufgefordert eine Erklärung im Namen Europas ab.

Überhaupt, was ist das denn, dass ein amerikanischer Starreporter sein ganzes schauspielerisches Arsenal für Ungarn zum Einsatz bringt. Er ist energisch und offensiv, wenn er es sein muss, angenehm zufrieden, wenn er es sein muss, obendrauf lobt er ständig dieses „wunderbare Land und seine großartigen Menschen“. Und natürlich den Premierminister des Landes,

dessen Hauptanliegen ist, dass sich die hier lebenden Menschen sicher und wohl fühlen. Damit ihr Wohlstand und die Bevölkerung wachsen.

Es gibt keinen vergleichbaren Ort auf der Welt, sagt Carlson, und er dreht einen einstündigen Dokumentarfilm über das Land, der in ganz Amerika gezeigt werden soll. Ein Film über uns, über die die ganze Welt provozierenden Ungarn.

Autor, Dr. phil. Irén Rab ist Kulturhistorikerin

Deutsche Übersetzung von Dr. Andrea Martin

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