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Ein Széchenyi-Nachkomme: Alexander von Schönburg

11. Dezember 2021 Magyar Nemzet ein Interview mit Alexander von Schönburg 

„Man muss gleichzeitig ein Konservativer und ein Zukunftsvisionär, sowie ein Technologieförderer sein – das ist, meiner Meinung nach, der einzig gangbare Weg. Ungarn kann so ein Land sein, deshalb fürchtet man sich vor Orbán, weil er nicht nach der Pfeife Brüssels tanzt”, sagte Alexander von Schönburg, Schriftsteller und Journalist, Redaktionsmitglied und Hauptredakteur bei der BILD-Zeitung in Deutschland, direkter Nachkomme von István Széchenyi. Wir unterhielten uns über seinem Ur-Urgroßvater István, über die Kettenbrücke, über die ungarische und europäische Politik, und warum man den „Glaubensstreit” nicht umgehen sollte.

– Wir begrüßten uns mit „Jó napot kívánok”. Wieweit sprechen Sie ungarisch?

Ich halte es für die größte Schmach meines Lebens, dass ich Ungarisch nicht beherrsche. Ich kann nur ein klein bisschen. Obwohl das für mich sehr nützlich wäre, denn ich könnte diese Sprache überall auf der Welt als geheime Sprache gebrauchen. Meine Mutter, Beatrix Széchenyi ist Ungarin, die ungarische Kultur spielte also immer eine wichtige Rolle in meinem Leben. Mein Vater, Joachim Graf von Schönburg-Glauchau war ein deutscher Adelige, aber aus Liebe zu meiner Mutter lernte er Ungarisch und sprach die Sprache ganz gut. Auch meine Schwester sprechen die Sprache, aber mich hat man sie nicht erlernen lassen … Aber István Széchenyi eignete sich die ungarische Sprache auch erst im erwachsenen Alter richtig an. Also es gibt noch Hoffnung.

Hat das damit etwas zu tun, dass Sie in Somalia geboren worden sind? Ich denke, nicht viele Grafen werden in Mogadishu geboren. Wie kommt es dazu?

Meine Eltern lernten sich 1956 einander kennen, beide meldeten sich bei dem Malteser Hilfsdienst, damit sie die vor der kommunistischen Vergeltung flüchtenden Ungarn helfen. Mein Vater war in einer leitenden Position, er erblickte meine Mutter und verliebte sich sofort. Auch mein Vater war ein Flüchtling, die Kommunisten nahmen die gesamten Besitztümer der Familie weg, denn sie befanden sich in Ostdeutschland. Er zählte zu den Klassenfeinden, deshalb flüchtete er nach Österreich, denn wenn die Sowjets ihn erwischt hätten, dann wäre wahrscheinlich Sibirien die letzte Station seines Lebens. In den 1950-er Jahren nahm er an der Arbeit von antikommunistischen Gruppen in West-Berlin teil, in den 60-er Jahren bekam er von der deutschen Regierung den Auftrag, im Rahmen eines Entwicklungsprogramms Radiokanäle in Afrika, in Somalia und Umgebung auszubauen. 1969 bin ich dort geboren, aber wir mussten noch in diesem Jahr das Land verlassen, denn eine, von den Sowjets unterstützte Regierung verwies die westlichen Staatsangehörige des Landes. Deshalb pflege ich zu sagen, dass der Kommunismus bei meiner Geburt und an meiner Wiege Mithilfe geleistet hat.

Sie sind Schriftsteller, Journalist. Auf Ungarisch können wir nur ein einziges ihrer Bücher lesen: „Die Kunst des stilvollen Verarmens/ Wie man ohne Geld reich wird.“ Sie haben oft erzählt, dass sie in Armut aufgewachsen sind. Wie erlebte man diese Armut?

Ich mochte den Ausdruck „ein verarmter Adlige“ nie, denn das klingt so, als ob wir unser Geld, die Ländereien aus Leichtsinn oder durch das Kartenspiel verloren hätten. Aber davon kann nicht die Rede sein! Die Kommunisten konfiszierten unser Vermögen, aber mir fällt kein einziger Moment ein, wann sich meine Eltern darüber beklagt hätten. Mir gereichte es zum Vorteil, dass ich in dem Bewusstsein aufgewachsen bin: egal wieviel man besitzt, morgen kann man alles verlieren. Das ist ein nützliches Wissen im Westen, denn die Menschen leben dort in dem Glauben, dass so etwas nicht geschehen kann, sie haben damit keine Erfahrung.

Sie meinen, der Wohlstand wäre ein natürlicher Zustand, eine Gabe, aber wir wissen genau, dass das sich schnell ändern kann.

Das Buch handelt unter anderem auch davon, dass man auch aus wenig Geld auskommen kann, ein wenig mit Augenzwinkern natürlich, da mit meiner Familie alles Schlechte geschehen war, wir aber trotzdem glücklich waren. Von hier aus kämpfte ich mich nach oben, und brachte, wenn auch nicht zum Reichtum, aber doch zum Wohlstand. Unlängst erschien mein Buch mit dem Titel „Der grüne Hedonist“, in dem ich die Erscheinung der Ökoideologie untersuche.

– Wenn man ihre Artikel, Interviews liest, erscheint das Bild eines konservativen, katholischen Menschen. Wenn ich es richtig sehen, der Name ist Verpflichtung?

Ich stamme aus einer sehr internationalen Familie. Mein Vater ist Deutscher, seine Mutter war Polin, meine Mutter ist Ungarin, ihre Mutter war Russin. Ich wuchs in Afrika, England und Deutschland auf. Ich bin kein Nationalist, aber ich glaube daran, dass der Mensch irgendwohin hingehören muss. Zuerst natürlich zu seiner Familie, dann zu seinem Dorf, zu seiner Heimatstadt, dann zu seinem Land. Europa allein ist viel zu abstrakt dazu, dass sie eine Identität geben könnte.

Wenn ich es also richtig verstehe, für Sie waren ihre ungarischen Wurzeln wichtig.

Seit meiner Kindheit komme ich nach Ungarn, wir waren oft in Sopron und Nagycenk, ich erinnere mich gut an die kommunistischen Zeiten. Von unseren direkten Verwandten blieb nur Zsigmond Széchenyi (der große Afrikajäger und Schriftsteller) in Ungarn, aber er starb bereits 1967. Als ich in den 80-er Jahren in Ungarn war, kam ich bei meinen Verwandten, der Familie Nyáry unter, sie lebten zu acht in einer Zwei-Zimmer-Wohnung,

die Mitglieder des alten Adels wurden nämlich um ihr letztes gebracht.

Aber ich ging hinauf in die Burg, in die Széchényi-Nationalbibliothek, damit ich das Tagebuch von István Széchenyi lese, denn er schrieb das auf Deutsch, aber in deutscher Sprache wurde es nicht herausgegeben.

Hat Sie ihr ungarischer Ur-Urgroßvater so sehr interessiert?

Natürlich, István Széchenyi spielte eine sehr große Rolle in der Geschichte unserer Familie. Wir haben viele Porträts vom ihm, und wenn meine Mutter mich sehr loben wollte, dann sagte sie mir, „du bist genauso wie István!” Selbstverständlich sehe ich ihm keineswegs ähnlich, aber innerhalb der Familie galt dieser Ausspruch als höchstmögliches Lob. Was mir aber nie gefallen hat, dass ich in meiner Brieftasche Banknoten mit dem Konterfei von Kossuth tragen musste (er lacht). Seither sind sie, wenn ich es richtig weiß, nicht mehr in Gebrauch.

– Ja, nicht mehr. Aber 2009 kam das Bild der Kettenbrücke auf die 200-Forint-Münze. Die Angelegenheit der Brücke zählt heutzutage zu den heißen Themen in dem ungarischen öffentlichen Leben, denn ihr Zustand wird von Tag zu Tag schlechter, sie ist durch Rost angegriffen

Irgendwann las ich, dass große Diskussionen dem Bau der Brücke vorausgingen, und die Gegner des Széchenyi-Plans sie lieber aus Stein erbauen wollten, denn sie hielten die Idee meines Ur-urgroßvaters für gefährlich. Er aber wollte als ein damaliger sog. „tech-freak“ nur die neuste Technologie anwenden.Ich könnte ironisch sagen, dass Széchenyis Gegner doch recht hatten, und man hätte die Brücke doch aus Stein erbauen sollen. Aber dann wäre sie nicht zum Symbol der Nation geworden! Das war damals die Spitzentechnologie der Zeit, so etwas wie heute das autonome Fahren eines Autos, damals konnten nur die Engländer so etwas erschaffen.

Die Brücke muss man wieder herstellen, man darf sie nicht verkommen lassen, weil sie das Symbol vom modernen Ungarn ist, und es erinnert uns daran, dass die Blütezeit Ungarns mit dem Einlass neuer Technologien begann.

Emotional fühle ich mich sehr mit der Brücke verbunden, es ist schmerzlich, dass ihr Zustand so ist. Wenn es anders nicht geht, dann schlage ich vor, dass man aus allgemeinen Spenden die Erneuerung bewerkstelligt, und jeder eine Bestätigung bekommen soll, dass er seinen Obolus zu der Wiederherstellung geleistet hat. Und wenn es gar nicht anders geht, dann sollte man einen Brückenzoll kassieren, wie in schönen alten Zeiten. Die Brücke gehört jedem, dem ganzen ungarischen Volk.

– Die Hauptstadtführung macht aus anderen Sachen eine öffentliche Angelegenheit: Gergely Karácsony, der Oberbürgermeister, ließ  – das erste Mal in der Geschichte des Rathauses – die Regenbogenfahne auf dem Gebäude der Stadtverwaltung hissen.

Ich habe keine Probleme mit der Regenbogenfahne, während der Geschichte wurden die Homosexuellen wirklich verfolgt, in Deutschland wurde Homosexualität noch in den 70-er Jahren in der Kategorie des Straftatbestandes geführt. Ich verstehe, wenn diese Menschen ihre heutige Freiheit feiern wollen. Aber was geschieht, wenn Starbucks, Apple, Coca-Cola oder irgendein anderer Multi oder staatliche Einrichtung die Regenbogenfahne aufhängt? Sie üben einen sehr großen moralischen Druck auf die Menschen aus, weil sie damit einflüstern, dass du ein Außenseiter bist, wenn du damit nicht einverstanden bist, und die Geschichte wird früher oder später dogmatisch. Ein berühmter, mir bekannter, deutscher Model erzählte mir, dass alle seine Kollegen in Sachen „Black Lives Matter“ in den öffentlichen Medien Stellung bezogen haben, er aber nicht mitmachte, weil er sagte, dass er sich nicht mit der Politik beschäftige. Das verstehe ich, aber was ist, wenn man nach einem Jahr dich wieder vornimmt und von dir Rechenschaft verlangt, warum du diese Sache nicht unterstützt hast?

In der westlichen Gesellschaft führt heutzutage zur gesellschaftlichen oder politischen Vernichtung, wenn du gegen sie Stellung beziehst,

aber wenn du gar nichts sagst, dann kann es genauso dazu führen. Wir sind heute so weit gekommen, wenn du die Regenbogenfahne nicht schwenkst, dann kannst du ein Problem bekommen. Das erinnert an die Welt von George Orwell, in der jeder genauso denkt wie alle anderen, und das ist ein Unheil.

Wenn ich es richtig wahrnehme, ist diese Heftigkeit eine Széchenyi-Eigenschaft?   

Die größte Streitigkeit, die István Széchenyi betraf, war die Diskussion um den Sprachgebrauch. Er kämpfte für das Recht, die ungarische Sprache zu gebrauchen, er sprach in der Nationalversammlung ungarisch, und in Wien missbilligte man das, denn es ist wohl bekannt,

dass die Sprache eine Macht bedeutet, schließlich denken wir durch die Sprache.

Wenn man den Menschen eine bestimmte Sprache verbietet bzw., dass sie diese Sprache sprechen, dann ist es so, als ob jemanden die Denkweise verbietet. Brüssel hat Bestrebungen in diese Richtung, obwohl es nicht erlaubt sein dürfte, die Europäer bzw. die ganze Welt zu einer „mainstream“-Sprache – und schon gar nicht zu einer solchen Denkweise – zu zwingen.

Als Journalist, als früherer und gegenwärtiger führender Redakteur von deutschen Zeitungen, was denken Sie, wie beurteilt man heute Ungarn im Westen?

Wenn ich betrachte, wie man heutzutage über Ungarn im Westen – hauptsächlich in Deutschland – denkt, dann sehe ich sehr viele Parallelen mit der Zeit von István Széchenyi. Die Leute um Metternich und die Wiener hielten Széchenyi für einen Radikalen, obwohl er einen Mittelweg eingeschlagener, modern denkender Mensch war, der für die Abschaffung der Adelsprivilegien und für die allgemeine Lastenverteilung kämpfte.

Man blickt heute auf  Viktor Orbán genauso und meint, er wäre ein Radikaler, wobei er offensichtlich ein liberaler Kulturkonservativer und dem Westen verpflichteter Politiker ist.

Obwohl er ein Teil des „neuen Reiches“ sein möchte, sehen Merkel und Co. in ihm den Radikalen. Auch Széchenyi glaubte an der modernen Technologie, er wollte Brücken, Eisenbahnen bauen und Ungarn zu einem modernen Staat umformen, aber er war ein Kulturkonservativer.

Wenn wir schon bei dem Kulturkonservatismus sind: wie ich sehe, habe Sie auf der Hülle Ihres Telefons ein Heiligenbild. Ich denke, nicht zufällig.

Das ist kein Wunder, schließlich sind wir eine sehr katholische Familie – in der Person von György Széchenyi (1592-1695) haben wir sogar einen Kardinal dem Land gegeben. Ich als Katholik schätze Orbán in erster Linie für seine Familienpolitik. Aber neben allen anderen Tatsachen muss man erkennen, dass Ungarn ein sehr modernes Land ist, denn im Landkreis Zala wird mit Hilfe staatlicher Gelder eine Art „Silikon Valley” gebaut, und es hat eine sehr weit entwickelte Autoindustrie vom Weltniveau. Das ist heute nach meiner Meinung der einzig begehbarer Weg:

sowohl ein Konservativer, als auch ein Zukunftsvisionär, aufgeschlossen für die modernen Technologien zu sein. Möglicherweise fürchtet man Orbán deshalb,

weil er nicht nach der Pfeife Brüssels tanzt, und er nicht bereit ist, von der Idee der Nation und der Grenzen abzuweichen.

Meistens bezeichnet man ihn als Diktator, man etikettiert ihn mit allerlei negativen Eigenschaften, wie man es auch mit dem Land tut. Michael Roth,der sozialdemokratische Staatssekretär in Außenamt äußerte, dass eine der Hauptursachen für die Anwendung des Paragraphen 7 gegen Ungarn der Antisemitismus wäre.

Das ist Blödsinn, denn Fidesz ist eine liberal-konservative Partei, wie kann man behaupten, dass sie antisemitisch wäre?

Die westliche Wahrnehmung über Ungarn ist voll mit negativer Propaganda und negativen Stereotypen.

Man sagt im Westen, dass Orbán probiere, die Medien einzuverleiben, aber der größte und meist geschaute Sender in Ungarn der deutsche RTL-Kanal ist.

Wenn es Ihnen möglich ist, sagen Sie das auch denjenigen, die die negative Propaganda verbreiten, oder lohnt es sich nicht sich auf Streitigkeiten einzulassen?

Ich bin Journalist, wohne in Berlin, wo die großen zeitgenössischen Diskussionen stattfinden. Ich fühle mich dazu berufen, dass ich über diese schreibe und dass ich auch die andere Seite der Medaille zeige. Es bedeutet viel Arbeit, denn die Menschen mögen ihre eigenen Stereotypen. Aber bei den Diskussionen zu bleiben: ich meine, es wäre sehr wichtig, nicht davor zu flüchten.

Ich liebe an den Ungarn, dass ihr Selbstvertrauen sehr groß ist.

Ich erzähle darüber einen Witz, den ich noch von meiner Mutter gehört habe. „Ein Ungar geht ins Geschäft und will einen Erdglobus kaufen. Der Verkäufer zeigt ihm einen, und der Ungar fragt erzürnt, wo man auf diesem Ungarn finden könnte? Der Verkäufer zeigt auf einen kleinen Punkt, bitte, da ist das Land. Der Ungar teilt ihm daraufhin empört mit: nein, nein, ich will eins, wo nur Ungarn drauf ist!“Mit einem Wort, ich liebe diese Art von intuitivem Selbstvertrauen, diese Art Mentalität, wo ein Ungar stünde, da wäre der Mittelpunkt der Welt. Diese Attitüde ist großartig, sie gibt einem viel Kraft, aber sie hat viele Schattenseiten.

Die Ungarn sagen meist, dass man sie „in Berlin, Brüssel sowieso nicht mag, wir sollten sie vergessen, man muss sich nicht mit ihnen beschäftigen, sie verstehen uns nicht, es hat keinen Sinn, mit ihnen zu diskutieren, sie sind sowieso blöd, wir sollten uns lieber um unsere eigenen Sachen kümmern.“ Glauben Sie mir, diese Mentalität führt in eine Sackgasse! Jetzt, wo Groß-Britannien aus der EU ausgetreten ist, kippte das Gleichgewicht noch mehr. Die Briten sind modern, aber kulturell eher konservativ, mit ihrem Austritt entfernte sich eine wichtige konservative Stimme aus der europäischen Gemeinschaft. Für die Franzosen und Deutschen kam das jedoch gelegen.

Aber wer wird so die konservativen Werte verteidigen? Wir müssen die Diskussion annehmen, zum Beispiel über die Familien, denn jemand muss doch das althergebrachte Familienmodell verteidigen.

Was in England als normal gilt, kann in Holland schon als ketzerisch angesehen werden, denn wenn du sagst, dass eine Familie aus Mann, Frau und Kind bestehe, kannst du sogar im Gefängnis landen, schließlich ist das ihrer Ansicht nach schon eine Hassrede.

Vielleicht lassen wir uns eben deshalb nicht auf Diskussionen ein, denn wir meinen, es gibt niemanden, mit dem man diskutieren könnte. Wenn du einen abweichenden Standpunkt von dem liberalen vertrittst, bekommst du im Westen sofort die Bezeichnung „Faschist“ oder etwas Ähnliches. Sehe ich das verkehrt?

Schon deshalb muss man diskutieren, weil man nicht nur über die Qualität des Brotes, über Import-Export zu einem Konsens kommen muss, sondern auch über grundlegende moralische Fragen. In der westlichen Welt verherrlicht man heutzutage die Homosexualität als eine moderne Lebensweise, und damit habe ich auch kein Problem, weil jeder macht, was er für richtig hält, aber als Konservativer müssen wir in die Diskussion eintreten, dass wir damit nicht einverstanden sind. Wir müssen argumentieren, wir müssen sagen, dass wir zwar all das tolerieren würden, aber der grundlegendste Baustein eines Staates, einer Gesellschaft die traditionelle, stabile Familie sei. Daraufhin entgegnen uns die anderen, dass sich viele scheiden lassen, was der Wahrheit entspricht, aber

wir müssen den gewünschten Zustand finden, wir müssen einen moralischen Maßstab errichten, mit dessen Hilfe wir uns definieren können.

Ob wir die Promiskuität, die Homosexualität, die Mentalität, die alles erlaubt, als Maßstab ansehen, oder uns an etwas anderem im Leben orientieren müssen? Es ist nicht egal, was wir als Vorbild für die Gesellschaft hinstellen.

– Wenn Sie all das so erkennen, warum leben Sie in Berlin, in der Hauptstadt der Liberalität in Europa?

Deshalb, weil ich gern Widerstand leiste, es ist eine gute Sache, gegen den „mainstream“ zu kämpfen. In Wien könnte man bequem wohnen, in München würde ich auch nicht leben wollen, weil ich mit jedem einer Meinung wäre. Berlin ist interessant, da ist die Frontlinie des Kulturkampfes. Wenn ich die Familie verteidigen möchte, die wahre Diversität, die Meinungsfreiheit, dann ist mein Platz dort.

– Fürchten Sie nicht, dass man Sie „in Acht und Bann“ legt, wenn Sie einen viel zu „radikalen“ Ton befleißigen?

Heutzutage weiß man es nie, welche Konsequenzen das heute Gesagte hat. Wenn irgendjemand die Entscheidung trifft, dass ich radikal wäre, wenn sie mich verbannen, dann ist das kein Problem, ich kann jederzeit nach Budapest „flüchten“. Es wäre gar nicht so schlecht, ich würde auf dem Vörösmarty-Platz spazieren gehen, würde gut ungarisch sprechen lernen, ich würde Pörkölt essen und natürlich Krautnudeln, meine Lieblingsspeise.

– Mit Krautnudeln revoltieren? Das klingt ein wenig nach Spaß.

Doch ich denke im Ernst darüber nach. Vor kurzem war ich in Prag mit meiner Familie und wollte ein sehr gutes, traditionelles tschechisches Dessert essen. Ich habe in der Konditorei gefragt, ob sie Powidltascherl haben, aber sie sagten, so etwas haben sie nicht, dafür boten sie mir amerikanischen Käsekuchen an. Na, das nenne ich das Powidltascherl-Problem, weil es im Kleinen das Problem der Grenzen und des Nationalismus zeigt.

Die amerikanische Käsetorte von Prag ist ein Beispiel für den Multikulturalismus. Das pflegt man als Multikulturalismus zu bezeichnen, aber von den Rechten der europäischen ursprünglichen Bevölkerungsminderheiten nimmt die EU keine Kenntnis. Ist das nicht ein heuchlerisches Benehmen?

Wenn du von den Menschen das Gefühl irgendwo hinzugehören nimmst, dann ist das so, als ob du die Familie von ihnen nehmen würdest. Es herrscht ein kultureller Kampf, und wir können uns nicht erlauben, an der Diskussion nicht teilzunehmen. Aber das ist schwer, weil man bei vielen Menschen eine Gehirnwäsche vorgenommen hatte und ihnen glauben machte, dass die Grenzen und Nationen schlecht sind.

Der Multikulturalismus räumt mit der Kultur auf, denn wenn alles sich mit allem vermischt, dann bleibt gar keine Kultur mehr übrig.

Europa ist kein einheitlicher Block, ihre Herrlichkeit liegt gerade in ihrem Geflecht.  Man kann die Speisen mischen, eine österreichische Speise mit einer asiatischen verbinden, du kannst Sushi aus Pörkölt herstellen, aber was bleibt zum Schluss von dem Ganzen übrig? Die Diversität bedeutet, dass du die verschiedenen Meinungen tolerierst. Wenn das zum Thema der Diskussion wird, sage ich,

man könne viel von Ungarn lernen, denn hier gab es eine echte multikulturelle Gesellschaft: das Volk, das aus dem Osten kam, integrierte Deutsche und Slawen, aber die Kultur der Kumanen, Sachsen, Juden, Zigeuner und so weiter blieb erhalten.

Unlängst diskutierte ich mit einer linken, weiblichen, evangelischen Bischöfin in einer Fernsehsendung und ich habe ihr gesagt, wir müssten uns umarmen und uns darüber freuen, dass wir die Welt aus verschiedenen Blickwinkeln sehen. Sie rastete ganz aus. Und das beleuchtet die große Lüge der Liberalen, nämlich, dass sie ständig über Diversität sprechen, aber für sie gilt nur die eigene Wahrheit als absolut, und daneben dulden sie keine andere Meinung.

– Ein Teil davon ist auch, dass man Fidesz aus der Europäischen Volkspartei ausgeschlossen hat?

Es ist empörend, denn das stand im Gegensatz zu den Grundsätzen der EPP. Die Volkspartei wurde durch Kanzler Helmut Kohl groß gemacht, ich kannte ihn, ich machte öfters Interviews mit ihm, ich war auf seinem Begräbnis. Er war ein großer Bewunderer von Ungarn und Viktor Orbán, schließlich wusste er,

dass der Abriss des Eisernen Vorhanges und die deutsche Wiedervereinigung zu einem Großteil der Verdienst der Ungarn ist.

Er betrachtete die EPP als eine Parteifamilie, die gemeinsame konservative Werte vertritt, aber die Meinung der einzelnen Parteien könne von der Hauptmeinung abweichen, man müsste nicht über alles in gleicher Weise denken. Zu dem ursprünglichen Geist der Europäischen Volkspartei war dieser Prozess diametral. Ich betrachte die Entwicklung mit Sorge, weil die Holländer und Belgier zu den Tonangebern geworden sind, und ihre Denkweise eine vollkommen andere ist, wie die der Italiener, der Polen und der Ungarn. Wenn wir sie lassen zu bestimmen, dann wird viel Unglück über Europa kommen.

Warum?

Wenn du in Brüssel oder Aachen wohnst, im Rheingebiet, verstehst du natürlich nicht, was der Begriff Nation bedeutet, weil du gar nicht genau weißt, wo du eigentlich bist. Ein wenig in Frankreich, ein wenig in Deutschland, ein wenig überall, dann denkst du selbstverständlich: was für einen Sinn die Grenzen haben sollen?

Sie wollen von den Nationen nichts hören, weil sie gar nicht wissen, was die sind.

Zu gegenwärtigem Zeitpunkt gibt es darüber keine Diskussion, deshalb stehen ihre Chancen auf Gewinn. Wenn du nicht so denkst wie sie, stoßen sie dich einfach weg. Ich freue mich, dass es eine konservative Regierung in Polen und die Regierung Orbán in Ungarn gibt, das Problem ist aber, dass man diese Länder geringschätzt. Sie sagen, „ihr seid rückständig, aber wir sind geduldig, eines Tages werdet ihr so denken wie wir, also ihr sollt euch keine Sorgen machen, wir sind geduldig.“ Diese Art der Einstellung ist empörend!

Deshalb sagte ich, dass Ungarn gleichzeitig das konservativste und im Sinn der Technologie das am weitesten entwickelte Land in ganz Europa sein muss.

Wir können uns nicht erlauben, dass Brüssel und Den Haag das europäische Projekt aus der Spur bringt.

ALEXANDER VON SCHÖNBURG ist Schriftsteller und Journalist, Redaktionsmitglied und Hauptredakteur bei der BILD-Zeitung in Deutschland,

Das Interview wurde von Tamás Pataki für Magyar Nemzet geführt.

Übersetzt von Dr. Gábor Bayor

MAGYARUL: https://mno-old.mediaworks.hu/belfold/felhaboritja-a-lanchid-allapota-a-szechenyi-leszarmazottat-8592312/

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