30. Januar 2022 von GERHARD PAPKE
Am 3. April werden die Ungarn ein neues Parlament wählen, wie alle vier Jahre. Seitdem Ungarn 1989 seine Freiheit zurückgewinnen und sich eine demokratische Verfassung geben konnte, hat es übrigens noch nie vorgezogene Neuwahlen gegeben. Trotz mehrfacher Regierungswechsel war und ist die ungarische Demokratie bemerkenswert stabil.
Wenn die Ungarn eine andere Regierung wollen, wählen sie die alte bei regulären Wahlen ab. Chaotische politische Verhältnisse, wie etwa in Italien, sind den Ungarn fremd. Jetzt werden die ungarischen Wähler wieder entscheiden, als freies, souveränes Volk. Sie brauchen dafür keinenNachhilfeunterricht aus dem Ausland.
EU-Kommission setzt auf die ungarische Opposition
In Westeuropa, vor allem in Brüssel, sieht man das allerdings ganz anders. Die EU-Kommission baut seit Monaten größtmöglichen Druck gegen Ungarn auf, etwa durch die gezielte Zurückhaltung von Finanzmitteln aus dem Corona-Wiederaufbaufonds. Während insbesondere in südeuropäische Länder bereits Milliardenbeträge geflossen sind, gehen die Ungarn bislang komplett leer aus. Man setzt darauf, damit die ungarische Opposition zu stärken.
Auch deutsche Abgeordnete des Europäischen Parlaments erklären ganz offen, dass sie einen Regierungswechsel in Ungarn erhoffen. Unvergessen ist die Ansage des niederländischen Regierungschefs Mark Rutte aus dem vergangenen Sommer: „Wir wollen Ungarn in die Knie zwingen.“ Wie arrogant, wie unhistorisch, wie antieuropäisch muss man sein, um ein befreundetes europäisches Kulturvolk so zu behandeln?
Armutszeugnis für professionellen Journalismus
In den deutschsprachigen Medien wird die Tonlage gegen Ungarn seit Wochen wieder erkennbar schärfer. Teilweise ist es ein Armutszeugnis für professionellen Journalismus, wie selektiv dabei vorgegangen wird. Warum soll man sich auch die Mühe machen, die tatsächliche Vielfalt der ungarischen Presselandschaft abzubilden? Das könnte ja schließlich den Vorwurf unterdrückter Meinungsfreiheit in Ungarn ad absurdum führen. Warum soll man darüber berichten, mit welchen antisemitischen Ausfällen sich immer noch aktive Vertreter des rechtsradikalen Jobbik hervorgetan haben? Schließlich gehören sie ja jetzt zur bunten Anti-Orbán-Parteienallianz. Und das sind doch die Guten, oder nicht?
Es muss jeden überzeugten Europäer alarmieren, in welchem Maße die Europäische Union ihren inneren Kompass verloren hat. Die europäische Zusammenarbeit hat sich aus den Trümmerndes Zweiten Weltkriegs organisch entwickelt, als freiwilliges Miteinander souveräner Staaten, zum Wohle aller. Die Ungarn, die sich seit tausend Jahren als Teil Europas fühlen, sind der EU wie auch der NATO voller Freude beigetreten.
Fehlender Respekt
Sie konnten erwarten, dass man ihnen mit Respekt und auf Augenhöhe begegnet. Sie konnten erwarten, dass man ihre Traditionen, ihre Einstellung zur Familie und ihren Wunsch nach Selbstbestimmung achtet. Jetzt erleben sie, dass ihnen ein linkes und linksliberales Establishment von Brüssel aus vorschreiben will, wie sie zu leben haben und ihre Kinder erziehen sollen. Das ist leider keine Übertreibung. Die Debatte über das ungarische Kinderschutzgesetz zeigt es.
Die Absicht der neuen deutschen Ampel-Regierung, ihr Modell für die Umgestaltung der deutschen Gesellschaft in die ganze EU zu exportieren, droht diese Fehlentwicklung weiter zu verschärfen. Aber Länder wie Ungarn wollen keinen deutschen Kulturimperialismus. Sie wollen selber über ihre Zukunft entscheiden. Und genau das werden sie auch bei der Wahl am 3. April zum Ausdruck bringen. Mark Rutte wird eine Enttäuschung erleben. Die Ungarn lassen sich nicht in die Knie zwingen. Und das ist ein Segen für ganz Europa.
Der Autor, Dr. Gerhard Papke ist Präsident der Deutsch-Ungarischen Gesellschaft in der Bundesrepublik Deutschland.
Der Gastkommentar von Dr. Gerhard Papke erschien zuerst in der BUDAPESTER ZEITUNG