Die Regenbogenkoalition (DK, Jobbik, LMP, MSZP, Momentum, Párbeszéd) Bildquelle: Azonnali
19. Mai 2021 Magyar Hírlap, von IRÉN RAB
Es war einmal in Ungarn eine rechtsextreme Partei, über deren Provokationen sich halb Europa den Mund zerrissen hat.
Sie selbst sahen sich natürlich keinesfalls als Extremisten, sie wollten einfach eine gerechte Gesellschaft auf christlicher, nationaler Basis. Sie waren jung, unbelastet vom bolschewistischen Erbe oder der Last des (kompromittierten, ungarischen) Liberalismus der Nachwendezeit. Die Jobbik-Bewegung für Ungarn wurde von der Jobbik-Jugendgemeinschaft gegründet, einer Jugendorganisation von Universitäts- und Hochschulstudenten.
Damals – es war 2003 – schien die Welt der ungarischen Universitäten noch von einer eher konservativen, christlichen und patriotischen Weltanschauung beherrscht zu sein. (Oder von der für die Jugend typischen ewig oppositionellen, immer etwas anderes wollenden Haltung. Nicht zu vergessen, nach den Wahlen 2002 wurde Ungarn von einer linken MSZP-SZDSZ-Koalition regiert!)
Die Partei, die sich selbst als Bewegung bezeichnete, schuf sich bald eine paramilitärische Organisation, die Ungarische Garde zur geistigen und körperlichen Selbstverteidigung der Ungarn, die in eleganten Uniformen vor dem Präsidentenpalast und in Romasiedlungen paradierte. Auch ihr Parteichef trug im Parlament eine Garde-Weste, vielleicht als Provokation, vielleicht um die Aufmerksamkeit der Medien zu erregen.
Es gab dann auch viel Aufmerksamkeit europaweit, die deutsche Presse warnte ständig vor dem Aufstieg der ungarischen Rechtsextremen, und die dortigen Zeitungen faselten von antisemitistischem und antiziganistischem Gedankengut und zeigten auf ihren Titelseiten die Gardisten, die den ungarischen Nazis, den Pfeilkreuzlern ähnelten. Die Roma-Morde bewiesen dann die reale Existenz der rechtsextremen Bedrohung.
Letzteres kam für die Deutschen gerade recht, denn zu diesem Zeitpunkt wurde dort öffentlich bekannt, dass die neonazistische Untergrundbewegung (NSU) eine Reihe von fremdenfeindlichen Straftaten begangen hatte. In den frühen 2000er Jahren gab es in Deutschland neun Morde an Migranten und weitere dreiundvierzig Mordversuche mit ähnlichen Motiven.
Die Deutschen hatten nicht wirklich Angst um uns, sondern wollten die Aufmerksamkeit von ihren eigenen innenpolitischen Problemen ablenken.
So sehr wollten sie sich und uns ablenken, dass sie sogar Geld locker machten, um einen Film – Csak a szél, (Just the Wind) – über die Roma-Morde in Ungarn zu drehen. Der politisch motivierte Künstlerfilm wurde auf der Berlinale 2012 mit dem Großen Preis der Jury und dem Friedenspreis von Amnesty International ausgezeichnet. Die ungarische Botschaft in Berlin organisierte während des Festivals öffentliche Gespräche mit Roma-Politikern. Zoltán Balog, Lívia Járóka und andere Experten des Themas versuchten auf Deutsch als auch auf Englisch ohne Dolmetscher, aber ziemlich erfolglos zu erklären, dass die Garde längst rechtskräftig aufgelöst sei.
Sie präsentierten vergeblich die ungarische Roma-Strategie (welche auch für die Europäische Union ausgearbeitet wurde), aber die Berliner – wie auch die Brüsseler – wollten das alles nicht hören. Es blieb der Topos eines antisemitistischen und romafeindlichen Ungarns im Raum erhalten.
Um auf die Jobbik zurückzukommen: Die Partei erhielt bei den Wahlen 2014 ein Fünftel der Stimmen, und obwohl das in Bezug auf die Parlamentssitze genau die Hälfte ergab, nämlich zehn Prozent, herrschte in deutschen Kreisen dennoch große Verbitterung. Was wird mit Ungarn, gar mit Europa passieren, wenn dort die extreme Rechte erstarkt? Später hörten sie dann auf, sich um Jobbik zu sorgen, weil sie merkten, dass nicht sie, sondern vielmehr Viktor Orbán zu fürchten ist, der den Mut hatte, im nationalen Interesse den unvernünftigen und immer unverständlicheren Entscheidungen der Europäischen Union beherzt entgegenzutreten: erst mit seiner unorthodoxen Wirtschaftspolitik, dann seiner Haltung während der Migrationskrise und jetzt durch den Umgang mit der Pandemie. Früher oder später wird es immer klar, dass er sich auf dem richtigen Weg befindet.
In ihm hat die kultivierte, demokratische westliche Welt den gemeinsamen Feind, den sie suchte, gefunden.
Hierzulande wurde dann die Jobbik-Partei als Volkspartei mit „ungarischem Herzen, gesundem Menschenverstand und sauberen Händen“ immer mehr beschönigt, immer lieblicher dargestellt. Mit dem Geld von Orbáns Feind, Lajos Simicska und der Unterstützung vom Ágnes Hellers liberalen Philosophen-Kreis erwartete man 2014 einen großen Sieg, einen Regierungswechsel unter Führung eben dieser Jobbik-Partei, aber dazu ist es nicht gekommen. Der niedliche Parteichef ist weg, Herr Simicska hat sein Medienimperium veräussert und er ist von der Bildfläche verschwunden. Bereits am nächsten Tag war in der deutschen Presse zu lesen, dass der Sieg Orbáns die ungarische Pressefreiheit weiter ausgehöhlt hätte und noch mehr große Medien geschlossen worden seien. Niemand interessierte, dass der Eigentümer sich selbst enttäuscht aus dem Medienmarkt zurückzog und die Zeitungen Magyar Nemzet und Heti Válasz, sowie Hír TV und Lánchíd Rádió ihrem Schicksal überließ, wir erinnern uns vielleicht noch daran. Wir kennen auch die darauf folgenden internen Auseinandersetzungen und die Spaltung der Jobbik-Partei.
Es wäre sinnvoll, sich an diese Dinge zu erinnern, denn in letzter Zeit ist Kolomán Brenner, der Jobbik-Stratege und parlamentarische Vize-Vorsitzende, immer häufiger Gast in der deutschen Presse, wo er die Menschen für Jobbik begeistern möchte. Er hat es einfach, denn Brenner ist im Zivilleben Germanist, habilitierter Privatdozent an der Eötvös-Universität, wo er den Ruf eines strengen Lehrers besaß. Er hat kein Problem damit, Kontakte zu knüpfen oder mit deutschen Journalisten und Politikern in ihrer Muttersprache zu kommunizieren. Er kann auch Programme schreiben, wie zum Beispiel das neueste Jobbik-Programm. Mutatis mutandis stimmte die ursprünglich EU-feindliche Partei bereits 2009 für ein Europa der Nationen. Später ging sie noch weiter und sucht nun nach gemeinsamen Interessen, einer gemeinsamen europäischen Strategie für die globalen Herausforderungen und die Möglichkeit der Zusammenarbeit.
In Ungarn hat Jobbik mit allen linken Parteien zusammen ein gemeinsames Ziel: Viktor Orbán um jeden Preis zu besiegen. Die Antwort auf die Herausforderung in Ungarn ist die gemeinsame Strategie und Zusammenarbeit mit allen.
Früher einmal war die Jobbik enttäuscht über „den rapiden Verfall der Parteien, ihr ideologisches Taumeln, ihre Gesinnungslumperei, ihre Korruption, ihre Aushöhlung und die Tatsache, dass das politische Establishment in Fragen der nationalen Strategie regelmäßig gemeinsam gegen das ungarische Interesse stimmte„. Nun haben auch sie sich um einer einheitlichen Strategie willen für die ideologische Kehrtwende entschieden und sich mit den kommunistischen Nachfolgeparteien, den mit ihnen verbündeten extremistischen Liberalen und all jenen zusammengetan, die gerade sie zuvor selbst von der Macht entfernen wollten.
Hier zu Hause kratzen wir uns am Kopf über die makabren Augenblicke der oppositionellen Einigkeit, wenn zum Beispiel der Jobbik-Parteichef Jakab den Sozialistischen, der Gyurcsány Partei DK, den grünen LMP Politikern seine Unterstützung zusichert, während er Jobbik-Kandidaten zurückzieht. „Vorwärts Ági (MSZP), Márta (LMP), Laci (DK)“ usw.! – schreit er auf seine ungehobelte Art den Jubel der ungarischen Heiduken und Fußballfans, vorwärts zum Sieg!
Fragt er sich nicht, ob die Wähler mit rechter Identität damit überhaupt einverstanden seien?
Denn sie haben diese Partei einmal wegen ihrer eher rechtsnationalen Gesinnung gewählt, nicht um Ági, Márta, Laci Varjú und den Rest der Pseudodemokraten an die Macht zu hieven. Jakab glaubt, dass zwei Minuten Orwellscher Hass pro Tag ausreichen würden, um seine Wählerbasis gegen die diebischen Reichen und das Orbán-Regime aufzuwiegeln, so, dass diese Hasssucht das Kreuz auf dem Stimmzettel magnetisch anziehen wird.
Während Jakab zu Hause die für ihn vorgesehene, eher schäbige Rolle in der Regenbogen-Koalition spielt, versucht sein europakompatibler Parteikollege Kolomán Brenner die Westen weiß zu waschen und den Westen von der Notwendigkeit der oppositionellen Einheit zu überzeugen.
„Wir haben das kommunistische Einparteiensystem nicht besiegt, um in die Fänge eines korrupten, autokratischen Regimes zu geraten. Ungarns Wahlsystem macht es den Oppositionsparteien unmöglich, die Fidesz von der Macht zu entfernen“, sagt er, und das gefällt dort vor Ort allen. Und sie sind sehr schnell dabei, Brenner zu glauben, dass die heutige Jobbik nicht mehr die radikale, antisemitische, rassistische Partei ist, die sie einmal war, und jetzt die einzige Volkspartei Ungarns sei. Und er macht uns glauben, dass die Sechs-Parteien-Opposition – wie der oppositionelle runde Tisch zur Zeit der Wende 1989 – durch die innenpolitische Situation notwendig geworden sei.
Gibt es denn in der demokratischen Welt keinen moralischen Zweifel, ob ein Bündnis mit Jobbik von links überhaupt akzeptabel sei? (Zum besseren Verständnis: als ob in Deutschland die Grünen, die FDP, Die Linke und die SPD eine Wahlkoalition mit der AfD bilden würden, um die CDU-CSU Regierung gemeinsam aus der Macht zu entfernen.)
Wo ist links, wo ist rechts? Es gibt keine Richtung mehr, sang der Liedermacher Tamás Cseh zu Beginn der Wendezeit. In der Tat gibt es hier keine Richtung mehr, es gibt ein strategisches Ziel, die Niederlage von Viktor Orbán und die Machtergreifung um jeden Preis. Und dazu sind alle Mittel erlaubt, der Wählerwille kann ignoriert, die Regeln können außer Kraft gesetzt und die Wähler können getäuscht werden. Aber nur dann, wenn die Wähler es zulassen.
Autor, Dr. phil. Iren Rab ist Kulturhistorikerin
Übersetzung von Dr. Andrea Martin
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