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Was können wir gegen das falsche Ungarnbild tun, das von einigen Medien in Deutschland vermittelt wird?

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2021. FEBRUÁR 17. Mathias Corvinus Collegium von BENCE BAUER

Ein großer Teil der Medien in Deutschland wird oft kritisiert, negativ über Ungarn zu berichten und nichts hieran ändern zu wollen. Es gibt viele tagespolitische Themen, bei denen keine neutrale Analyse der ungarischen Situation gefunden werden kann. Was kann ein möglicher Lösungsweg sein, ist das Problem wirklich so groß? In diesem Artikel versuche ich, mithilfe von Beispielen einige Lösungen vorzuschlagen und auch mögliche Auswege zu präsentieren.

In den letzten Jahren ist zu beobachten, dass einzelne deutsche Presseorgane über Ereignisse in Ungarn einseitig und nicht objektiv berichteten. Der erste große „Schlager“ war das Mediengesetz, über dessen Hintergrund und Bedingungen nicht ausführlich berichtet wurde, sondern – wie wir heute schon wissen – der neuen Medienbehörde Zensur unterstellt wurde. Im Falle der Annahme des neuen Grundgesetzes wurde die Präambel, die auch das Christentum erwähnt, an den Pranger gestellt, obwohl Ungarn das einzige neu beigetretene EU-Mitglied war (ausgenommen Lettland, das seine alte Verfassung wiederbelebt hat), das sich anlässlich der politischen Wende kein neues Grundgesetz gegeben hatte.

Die Kritik umfasste, dass die Bevölkerung nicht mittels eines Referendums beteiligt wurde – als wenn nur dies das Unterpfand der Demokratie in einer repräsentativen Demokratie wäre. Hinzu kommt die Unkenntnis der Geschichte, als einige aus Deutschland in der Tat zurückfragten, was denn das Problem mit der Jahreszahl 1949 (das Jahr der alten Verfassung) wäre, denn in jenem Jahr wurde doch Konrad Adenauer zum Bundeskanzler gewählt. Jenes Jahr war also ein schönes, eine wichtige  Station des Neuanfangs nach dem Zeiten Weltkrieg. Kurz und gut wollten die Medien nicht objektiv informieren, sondern eine Erzählung über die ungarischen Ereignisse spinnen, während die Tatsachen ausgelassen wurden und Kontexte in einem zumindest halbwahren Zusammenhang präsentiert wurden. Diese lange Liste – angefangen von der Migrationspolitik bis zur Reform des Wahlrechts – ließe sich beliebig fortsetzen. Zu den meisten Themen hat die deutliche Mehrheit der Medien in Deutschland negativ geschrieben und auch nicht einmal versucht, die historischen Besonderheiten, das öffentliche Leben und die politische Kultur von Ungarn zu verstehen.Im Jahr 2020 hat der deutsche öffentlich-rechtliche Fernsehsender ZDF den Dokumentarfilm „Hallo, Herr Diktator” gesendet, der Anfang Februar 2021 im gebührenfinanzierten deutsch-französischen Kanal ARTE wiederholt wurde.

Das einzige Ziel des „Dokumentarfilms“ war, Ungarn als eine unterentwickelte „Bananenrepublik“ darzustellen. Die prominentesten Personen der ungarischen Linken sowie Journalisten, die seit Jahrzehnten im Ausland leben und ob einer Regierungsnähe kaum bezichtigt werden können, hatten dabei mitgewirkt, wie z.B. Paul Lendvai. Trotzdem sind die ungarischen Interviewpartner ganz klein neben dem eigentlichen Star, dem deutschen grünen EU-Politiker Daniel Freund, der sich im Rahmen seines „geheimen“ Einsatzes mit dem Taxi durch Budapest brausend an unterschiedlichen Orten durch Berichte von „glaubhaften“ linken Politikern davon überzeugt hat, wie furchtbar das Leben in Ungarn sei – falls überhaupt eine Opposition von seinen politischen Gegnern ein wirklich objektives Bild zeichnen kann.

Ganz zu schweigen davon, dass in der eineinhalbstündigen Sendung nur eine regierungsnahe Person in Gestalt von Zoltán Kovács erscheint, dessen Ausführungen in einer Art und Weise zusammengeschnitten wurden, dass diese zur Thematik der Sendung passen. Ähnliches hat sich vor einigen Wochen mit dem Autor dieses Artikels zugetan: Das Deutschlandradio hat mit ihm ein halbstündiges Interview gemacht, von dem nur ein sehr kurzes Zitat eingeschnitten wurde. In den übrigen Teilen der Reportage sind ausschließlich nur regierungskritische Töne zu hören. Wäre das also die ausgeglichene Berichterstattung?

Vor einigen Wochen ist eine längere Reportage über die ungarische Familienpolitik in der Süddeutschen Zeitung erschienen. In dieser wird eine der Interviewpartner, namentlich Fruzsina Skrabski, die auch international anerkannt ist und sich zum Thema der ungarischen Familienpolitik positiv äußert, dergestalt beschrieben, als ob sie in einem veralteten Film mitspielend mit ihrem überkommenen und archaischen Familienbild eine dunkle Vergangenheit vertreten würde.  Aber sie ist nur der Auffassung, dass die traditionelle Familie am besten für die Kinder sei. Die Wahrheit ist, dass man kaum eine glaubwürdigere Person in Ungarn finden kann, die sich in der Familienpolitik besser auskennt. Das Wesentliche der ungarischen Familienpolitik ist ja gerade, dass jeder so viele Kinder haben kann, wie man möchte.

Der Staat zwingt die jungen Leute nicht, Kinder zu bekommen, sondern eröffnet ihnen Möglichkeiten und Chancen, dass ein Wunschkind zur Welt kommen kann. Es scheint so, dass diese Argumentation für die Journalistin nicht überzeugend genug war. Fruzsina Skrabski war nach dem Erscheinen des Artikels gezwungen, in einer in den ungarischen Medien publizierten Reaktion ihren Standpunkt darzulegen. Dies ist ein glühendes Beispiel dafür, dass einige sich mit Ungarn beschäftigende Artikel in einigen Medien nach einer vorher festgelegten Narrative verfasst werden. Komplexe Zwischentöne werden aus der Berichterstattung einfach herausgelassen.

Man kann diese und auch ähnliche Beispiele länglich aufzählen, aber darauf verzichte ich. Seit vielen Jahren beobachte ich die Publizistik in den deutschen Medien und mittlerweile wundere ich mich über gar nichts mehr. Es ist nicht nur traurig, dass man mit einer vorher dargelegten Konzeption Ungarn in einem schlechten Licht darstellen will, sondern auch die Tatsache, dass die objektive, auf Informationen basierende Berichterstattung vom Aussterben bedroht ist. Man kann immer wieder beobachten, dass die Korrespondenten von echten Nachforschungen absehen, ihre Informationen nur noch zusammengoogeln und auf Halbwahrheiten bauende Artikel verfasst werden.

So kam es auch vor, dass in den genannten Medien dieselben „Ungarnexperten“ zu Wort kommen und die von einigen wenigen beflissenen Akteuren wie Paul Lendvai geleitete Narrationen zur Geltung kommt. Diese Prozesse verstärken sich gegenseitig und so können und wollen nur wenige gegen die herrschende Windrichtung anschreiben. In den letzten Jahren gab es unter den großen Themen des Landes kaum welche, über die die ausländischen Medien glaubwürdig, facettenreich und den Hintergrund entsprechend würdigend berichtet hätten. Wäre aber nicht genau dies die Rolle der Medien? Denn die Medien – wie der Name auch sagt – sind dazu berufen, zwischen der Nachricht und dem Leser zu vermitteln, die Nachricht, das Ereignis objektiv und umfassend darzustellen, so dass sich der Nachrichtenkonsument über die aktuellen Geschehnisse selbst eine Meinung bilden möge.Eine Lösung wäre, die Foren zu finden, in denen bezüglich einer Sachfrage kritische und unterstützende Meinungen erscheinen können. Hier muss nicht unbedingt an politische Akteure gedacht werden und daran, ob diese Akteure eine Partei oder eine Bewegung unterstützen oder eben nicht.

Es sind Foren, die offen sind für Objektivität und es sind Orte, wo man sich ernsthaft dafür interessiert, was in Ungarn vor sich geht. Dies kann sich nicht nur auf der Ebene der Medien ereignen, sondern auch in den anderen Bereichen des öffentlichen Lebens.

Ich könnte zahlreiche Beispiele erwähnen, warum es von größter Bedeutung ist, dass über ein Ereignis des öffentlichen Lebens in Ungarn objektiv geschrieben oder gesprochen wird und wie diesbezüglich positive und unerwartete Reaktionen kommen. Diese beginnen meistens: „Ich wusste gar nicht…“, „Warum schreiben die Medien darüber nicht…“ oder „Hätte ich nur vorher davon gehört“. So gesehen kann jeder für die Objektivität der Berichterstattung sorgen, der ein Netzwerk, Freunde oder Bekannte hat.

Ungarn wird von einem durchschnittlichen Deutschen viel positiver betrachtet, wie man anhand der Berichterstattung vermuten würde. Beispielsweise lohnt es sich, die Kommentare unter den vielen ungarnkritischen Artikeln durchzulesen. Es scheint so, als ob der Journalist und sein Leser auf verschiedenen Planeten lebten. Es ist aber wichtig, das sich in den intellektuellen Debatten zeigende Ungarnbild zu beobachten und alle Akteure, die wirken können und wollen.

Es gibt aber erfrischende Beispiele, und sogar nicht wenige. Der Präsident der Deutsch-Ungarischen Gesellschaft in der Bundesrepublik Deutschland, ein ehemals führender Politiker der Regierungspartei FDP in Nordrhein-Westfalen, Dr. Gerhard Papke, kommuniziert offen über Ungarn  – überraschend auf seinem Twitter-Kanal. Aus der Anzahl der Shares und Interaktionen wird offenbar, dass die für uns natürlichen Tatsachen für das deutsche öffentliche Leben in vielen Fällen ganz neu sind. So hat Papke über das stille Gedenken des Ministerpräsidenten gepostet, der am 19. Januar 2021 am 75. Gedenktag der Verschleppung und Vertreibung der Ungarndeutschen einen Kranz niederlegte. Papkes Eintrag wurde innerhalb von 48 Stunden von 50.000 Lesern gelesen, viele User haben bemängelt, dass die deutschen Medien über diese schöne Geste und selbst über den institutionalisierten Gedenktag gar nicht berichtet hätten – diesen gibt es übrigens seit 2013.

Die neunte Änderung des Grundgesetzes wurde von Papke damit kommentiert, dass diese eine Wertenentscheidung sei, die zu respektieren sei – dieser Kommentar wurde von 250.000 Menschen gelesen. Aber wir könnten auch die in den letzten Tagen gegründete Website „Ungarnreal“ erwähnen, die versucht, dem deutschen Publikum objektive Informationen auf Deutsch zu darzureichen. Außerdem ist Ungarn Heute ein wichtiges Nachrichtenportal, das von vielen Deutschen gelesen wird und ausgezeichnete Artikel publiziert – wie auch die Budapester Zeitung. Die beruflichen und freundschaftlichen Initiativen, die Städtepartnerschaften sowie die akademischen und wissenschaftlichen Beziehungen können auch nicht fehlen, ferner die Foren der Politischen Stiftungen, wo die über Ungarn ein wahres Bild Zeichnenden die Mehrheit darstellen.Die oben genannten positiven Beispiele zeigen auch, dass wir in Deutschland zahlreiche Freunde und Verbündete haben. Man muss sie nur finden, mit ihnen in Kontakt treten und die vorhandenen Beziehungen müssen in vielen Bereichen und auf vielen Ebenen so gut wie möglich gepflegt werden.

Diese Kontakte werden diejenigen sein, die gegen die falschen Informationen das Wort ergreifen und die Objektivität in ihrer Umgebung einfordern. Man muss über Ungarn nicht einseitig positiv schreiben, die objektive Information an sich ist schon Gold wert!

In diesem Sinne ist es unerlässlich, den Redaktionen Briefe zu schreiben, in denen wir den Vorwürfen entgegentreten und ein objektiveres Bild über ein Thema darlegen. Das ist aber eine lange und minuziöse Arbeit, trotzdem lohnt es sich. Viele tun so und ihre Briefe werden immer wieder veröffentlicht. Nicht nur der oben genannte Dr. Gerhard Papke schreibt regelmäßig den deutschen Zeitungen, unter anderem der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, sondern auch z.B. die Deutsch-Ungarische Juristenvereinigung mit ihrem Vorsitzenden Dr. Csaba Láng.

Es lohnt sich, mit allen für uns wichtigen Akteuren in Kontakt zu treten, während wir einen unmittelbaren Kommunikationskanal offenhalten. Die Besonderheit der ungarischen Sprache, unsere Volksseele und unsere Denkweise erschweren es einem Ausländer sehr oft, ein Ereignis oder ein Geschehnis in Ungarn überhaupt zu verstehen. Wenn wir hier helfen können, alles, was bei uns passiert, in einen Kontext zu stellen, werden auch sie uns besser verstehen.

Diesem Ziel dient auch das Deutsch-Ungarische Institut für Europäische Zusammenarbeit am Mathias Corvinus Collegium. Wer in Zukunft unser Gast ist, Ungarn nur besucht und sich für unsere Arbeit interessiert oder gerne mittun möchte, dem können wir versichern, seine Fragen zu stellen und genug Informationen über jedweden Bereich des ungarischen Lebens und der Politik zu bekommen, um das „große“ Bild von Ungarn und von den Ungarn zu sehen. Damit können wir vielleicht auch dazu beitragen, dass eine realitätsbezogene Diskussion in den deutschen Medien über Ungarn entsteht, während die Anzahl der Ungarnexperten steigt. Dadurch können wir etwas gegen die falschen Berichterstattungen tun. Das ist ein langer und steiniger Weg, aber wir müssen uns auf diesen Weg machen, damit Ungarn im 21. Jahrhundert seinen verdienten Platz unter den Nationen von Europa einnehmen kann.

Der Autor ist der Direktor des Deutsch-Ungarischen Instituts für Europäische Zusammenarbeit am Mathias Corvinus Collegium.

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https://corvinak.hu/corvina/a-rossz-magyarorszag-keprol-a-nemet-mediaban-mit-tehetunk-ellene

Ein Kommentar

  1. Ein herzliches Dankeschön Herr Bauer für Ihren herzerfrischenden und klugen Artikel. Sicherlich ist es ein „langer und steiniger Weg“, den Sie vorschlagen zu betreten. Ermüdend ist er manchmal auch. Dennoch erfüllt uns oft ein gutes Gefühl, wenn wir das tun, was unser Gewissen diktierft.
    Ergänzend zu den Beispielen einer wenig willkommenen Art der Presseberichterstattung, diene ich hier mit einem weiteren merkwürdigen Fall. Ich übernehmne an dieser Stelle wortwörtlich den Text aus der Einführung zum DGAPbericht – „Ungarnin in den Medien 2010-2014“. (Abschlussbericht der Arbeitsgruppe Ungarn unter dem Vorsitz von Klaus von Dohnanyi. ) Auf diesen Bericht weise ich in meinem Beitrag „Rückblick auf die letzten 10 Jahre“ hin. Hier folgt der Text ohne Kommentar:
    „Auch der ungarische Literaturnobelpreisträger Imre Kertész beklagte sich, dass ein Journalist aus New York Times mit einem Interview im Jahr 2013 ein vorgefertigtes neagatives Ungarnbild untermauern wollte. Kertész erfüllte anscheinend nicht die Erwartungen des Journalisten, und als das Interview nicht veröffentlich wurde, kommentierte Kertész dies:“Er dachte, ich würde mich gegen Ungarn aussprechen oder Ungarn heute oder so. Und ich tat das nicht. Er war mit der Absicht gekommen, dass ich sagen würde, Ungarn sei heute eine Diktaatur, was es nicht ist. Wenn man schrfeiben kann, offen sprechen, offen abweichenden Meinung sein, sogar das Land verlassen kann, dann ist es absurd von einer Diktatur zu sprechen. Das habe ich gesagt. Ich bin nicht glücklich mit allem, was heute in Ungarn passiert, ich glaube aber nicht, dass es jemals eine Zeit gab, in der ich mit allem, was hier geschieht, glücklich war…. Und dieses Interview wurde nie veröffentlicht. Was ein Freund von mir sehr präzise als eine Art Zensur bezeichnete, wenn nämlich jemand eine Antwort gibt, die man nicht erwartet hatte und dann das (Interview) nicht veröffentlicht wird.“

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