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Kruzifix

18. Februar, 2021 Magyar Hírlap von IRÉN RAB

Vor einem Vierteljahrhundert wandten sich progressive Eltern ans deutsche Bundesverfassungsgericht. Sie beantragten, dass das Gremium der roten Talare prüfen möge, ob es den Behörden erlaubt sei, das Aufhängen von Kreuzen in den Bildungseinrichtungen verbindlich vorzuschreiben. Damals hing nämlich das Kreuz in den Schulen über der Tafel, in vielen Fällen sogar ein Kruzifix. Ich selbst habe es bei meinen Schulbesuchen in Deutschland gesehen und dabei daran gedacht, dass wir früher während des Unterrichts auf das Weizenkranzwappen der Ungarischen Volksrepublik starren durften. In höhergestellten Institutionen lächelte uns das Bild des Genossen Lenin an, ergänzt von seinen Zitaten, welche für die Erziehung des sozialistischen Menschentypus unerlässlich waren. Hätte jemand nur versucht, sich darüber zu beschweren! Wir lernten lieber die Technik, nichts zu bemerken, obwohl die Symbole ständig dort hingen.

In Deutschland geriet das Kreuz 1995 ins Kreuzfeuer, und in seinem fast einstimmigen „Kruzifix“-Urteil erklärte das Verfassungsgericht, dass das Aufhängen des Kreuzes gegen Artikel 4 des Grundgesetzes, also die Religionsfreiheit, verstoße. Öffentliche Schulen können nicht zum Kreuz verpflichtet werden. Die progressiven Eltern waren beruhigt, dass die christliche Kirche ihre Kinder nicht umgarnen wird! Damals waren die Progressiven noch in der Minderheit und unter den Bayern zum Beispiel gab es kaum jemand von ihnen. In Bayern war es für die Schule legal, den Religionsunterricht von Kindern in Form von Seminaren sogar Gebeten, Gottesdiensten und christlichen Symbolen zu unterstützen, das Kreuz sollte an den Wänden jedes Klassenzimmers hängen.

Das Kruzifix-Urteil löste einen großen Aufschrei aus. Die Bayern sahen darin einen Angriff auf ihr traditionelles Weltbild, interpretierten das Urteil so, dass Kreuze ab sofort überall verboten und sie damit ihrer Identität geraubt werden. Solche Einschränkungen gab es das letzte Mal während der Nazi-Diktatur! Sie gingen auf die Straße, forderten die Aufhebung des Urteils und sammelten mehrere Hunderttausend Unterschriften. Die bayerische Partei, die CSU, ermunterte den Widerstand und ihr damaliger Ministerpräsident Edmund Stoiber stellte sogar fest, dass die Rechte von Minderheiten zu sehr toleriert würden, obwohl es eher aufs Lebensgefühl der schweigenden Mehrheit wirklich ankomme, darauf, dass sie sich in ihrem eigenen Land heimisch fühlen sollten. Im selben Jahr stellte der bayerische Gesetzgeber fest, dass „der historische und kulturelle Charakter Bayerns erfordert, dass das Kreuz in jedem Klassenzimmer hängt. Der Wille der Mehrheit muss berücksichtigt werden.“ So ist es geschehen. Der Schulleiter muss das Kreuz nur dann entfernen, wenn es das Empfinden von Eltern, Schülern oder Lehrern verletzt und Protest dagegen angemeldet wird. In letzter Zeit übrigens immer häufiger.

Nun, wenn es kein Kruzifix wäre, sondern bloss ein einfaches Kreuz, dann sollte es kein Problem darstellen, dann haben wir es mit einer Art kulturellem Symbol zu tun. Schließlich sei das Kreuz ebenso Teil der bayerischen Identität wie das Bier oder das Dirndl, es habe keine religiösen Inhalte, behaupten die Politiker. Auch Ministerpräsident Markus Söder hängte in München in seinem Amt persönlich ein großes Kreuz auf, um zu zeigen, dass dort kein religiöses Symbol, sondern eine Art bayerische Identität an der Wand hängt. Religiöse Menschen sehen das anders. Das Kreuz ist für sie religiöses Symbol, eine Darstellung des Leidens und der Macht Christi und muss daher geschützt werden. Nach Ansicht der Gläubigen degradiert das politische Narrativ das Kreuz zum Volkstracht, als gehörte es zu den anderen Reliquien ins Museum.

Möglicherweise müsste man sich über den kulturell begründeten, nachgiebigeren Ansatz freuen. In den aufgeklärteren nördlichen oder östlichen Bundesländern sieht es nämlich ganz anders aus. In Berlin zum Beispiel verbannte die rot-rote Stadtverwaltung 2005 sämtliche religiösen Symbole nicht nur aus den Schulen, sondern für immer aus allen Bereichen des öffentlichen Dienstes. Nicht nur die Darstellung des Kreuzes, sondern auch die Verwendung eines religiösen Symbols bei den Mitarbeitern wurden verboten. „Im Dienst dürfen religiöse oder weltanschauliche Symbole und Kleidungsstücke nicht getragen werden“, so der Berliner Senat. Es ist nun verständlich, warum die sog. objektiv-unabhängige ungarische Presse, welche streng dem westlichen Muster folgt, Chefamtsärztin Müller für ihr Kreuz am Hals kritisiert und die Religionen diffamierenden Karikaturisten hochleben ließ.

Denken wir nicht eine Sekunde, dass dieses so genannte Neutralitätsgesetz die sich ausbreitenden Muslime in günstigere Lage brächte. Das Gesetz wurde von Atheisten formuliert, von denen wir wissen, dass sie gar keinen Gott anerkennen. Die Verbannung der Religion aus dem öffentlichen Leben bringt sie in eine günstigere Lage, und nationale Statistiken zeigen ihren Aufstieg. Vor 75 Jahren erklärten sich 95 Prozent der Bevölkerung des Nachkriegsdeutschlands christlich, 2019 nur noch 52 Prozent. Der stetige Rückgang beschleunigt sich stetig, sogar in der Größenordnung von einer Million pro Jahr. Noch deprimierender ist die Zahl der aktiv religiös Praktizierenden, da nur ein Bruchteil der Christen regelmäßig in die Kirche geht. Die Einwanderung erhöht zwar den Anteil der Muslime in der Gesellschaft, aber die Bedrohung fürs Christentum bedeuten eher diejenigen, die den Glauben verlassen. Sie treten aus der Kirche aus, taufen ihre Kinder nicht, und dann entscheidet das Kind, wenn er aufwächst, welche Religion und welches Geschlecht es haben will. Heute sind 39 Prozent der deutschen Bevölkerung religionslos, etwa 30 Millionen Menschen, und die Zahl steigt jedes Jahr um die Zahl der Menschen, welche die christlichen Kirchen verlassen. Denn Muslime verlassen den Islam nämlich nicht.

Erst zehn Jahre ist es her, dass Kanzlerin Merkel das Recht auf Multikulturalismus vor der deutschen Jugend in Frage stellte. Die politische Botschaft ist jetzt eine ganz andere, weil die deutsche Gesellschaft multikulturell geworden ist, mit einer Vielzahl von Religionen und pluralistischer Weltsicht. Die Vielfalt ist schön, – sagen sie – , wenn sich verschiedene Kulturen gegenseitig bereichern. Ja, ich würde zustimmen, aber nicht mit Selbstaufgabe von der einen Seite und intoleranter Aggression von der anderen. Dass diejenigen, die nicht mit uns, gleich gegen uns sind.

Die deutsche Wiedervereinigung war vom Standpunkt der Religion aus betrachtet schädlich. Zwei Drittel der Menschen ohne Glauben sind Ostdeutsche, dort wurde die Ausrottung der Religion bereits von den Kommunisten vorangetrieben. Für die Westler ist diese Erfahrung unbekannt, sie steigen freiwillig in den Zug des progressiven Liberalismus ein. Sie erkennen nicht, dass das Ziel das gleiche ist: weg von den traditionellen Werten, Glauben, Nation, identitätswahrenden Bräuchen.     

Übersetzt von Andrea Martin  

https://www.magyarhirlap.hu/velemeny/20210212-krucifix

Foto: Foto: FRANK BOXLER/ ASSOCIATED PRESS
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