17. Dezember 2022 Tichys Einblick von BORIS KÁLNOKY
In Brüssel gab es einen „Deal“ in der Frage der blockierten EU-Gelder für Ungarn. Liberale und Linke jubeln, Ungarn sei bestraft worden. In Wirklichkeit wird es wohl keine Sanktionen geben. Und in keinem Augenblick ging es um „Rechtsstaatlichkeit“.
Am Montag einigten sich die ständigen Vertreter der EU-Mitgliedsstaaten in Brüssel (Coreper) auf eine Lösung im epischen Kräftemessen zwischen Ungarn und der EU um „Rechtsstaatlichkeit“ und eingefrorene Gelder. Linke, Grüne und Liberale jubeln, Ungarn sei endlich hart gemaßregelt worden. Die Regierung von Viktor Orbán hingegen zeigte sich erfreut, dass es keine Sanktionen geben werde.
Ob Ungarn letztendlich wirklich alle ihm zustehenden Gelder erhalten oder aber bestraft wird, hängt von verschiedenen Faktoren ab. Vorerst hat es seine Interessen fast optimal durchsetzen können. Dem Land drohten 70 Prozent der ihm zustehenden Mittel aus dem Covid-Geldtopf der EU zu entfallen, wenn es nicht gelänge, die Vereinbarung über die Verwendung dieser Mittel bis Ende des Jahres zu unterschreiben. Es geht um 5,8 Milliarden Euro an einmaligen Zuwendungen, die nicht zurückgezahlt werden müssen. Vier Milliarden davon drohten unmittelbar verloren zu gehen.
Ungarns Plan für die Verwendung dieser Mittel wurde aber akzeptiert. Damit ist dieses Geld „gerettet“. Nun muss die EU noch quittieren, dass Ungarn 18 verschiedene Reformen, zu denen sich das Land verpflichtet hat, um rechtsstaatliche Standards und die Bekämpfung von Korruption zu stärken, auch zufriedenstellend umgesetzt hat. Das kann noch bis März dauern. Aber vorerst bleibt es durchaus denkbar, dass Ungarn diese Gelder in vollem Umfang erhalten wird.
Zum anderen ging es um die Gelder für Ungarn aus dem Kohäsionsfonds der EU für die laufende Haushaltsperiode. Die EU-Kommission hatte vorgeschlagen, 65 Prozent der Mittel für drei Programme aus diesem Topf einzufrieren. In der Coreper-Sitzung einigte man sich dann auf 55 Prozent. Statt 7,5 Milliarden Euro wird also „nur“ die Auszahlung von 6,3 Millarden Euro suspendiert. Auch da kann es gut sein, dass Ungarn am Ende die volle Summe dieser Gelder erhalten wird. Dafür muss es freilich innerhalb der nächsten zwei Jahre 27 sogenannte „Super-Meilensteine“ bei der Implementierung von rechtsstaatlichen Reformen zufriedenstellend erreichen.
Die EU bewies nebenbei allerdings, dass es ihr in dieser Sache nie um Rechtsstaatlichkeit ging. Die Frage der EU-Gelder für Ungarn wurde bewusst gekoppelt mit zwei anderen Themen, die zeigten, worum es wirklich ging: um den Ausbau einer transnationalen Weltordnung.
Das eine Thema war die geplante neue globale Mindeststeuer von 15 Prozent für Unternehmen. Ungarn hatte das aus Prinzip abgelehnt – wie auch Polen. Der Grund: Dies bedeute für Ungarn eine Steuererhöhung, was die Wettbewerbsfähigkeit des Landes mindern würde. Am Ende wurde der Konflikt elegant gelöst. Ungarn gab seine Zustimmung zur Mindeststeuer, nachdem es die Zusage erstreiten konnte, dass es seine eigene Unternehmenssteuer (nur 9 Prozent statt der geplanten 15 Prozent) nicht erhöhen müsse. Wie das? Man vereinbarte, dass die sowieso bestehende Gewerbesteuer der neuen Unternehmenssteuer angerechnet werde. Im Endeffekt bleibt für Ungarn also alles beim Alten.
Der andere Punkt war ein geplantes Hilfspaket von 18 Milliarden Euro für die Ukraine, finanziert über einen neuen Kredit der EU, der von den Mitgliedsstaaten garantiert werde. Ungarn vertrat hier die Position, dass es zwar das Geld geben möchte, aber weitere gemeinsame Schulden der EU als solche ablehnt. Denn das ist im Vertrag von Lissabon nicht vorgesehen, und galt bislang immer als Tabu. Dieses Tabu wurde allerdings erstmals gebrochen, als die EU ihr Covid-Rettungspaket über eine gemeinsame Schuldenaufnahme finanzierte. Das wurde damals als „einmalige“ Maßnahme verkauft. Der Ukraine-Kredit ist allerdings bereits der zweite Fall.
Der Verdacht liegt nahe, dass die EU – und die maßgebenden Staaten darin – immer mehr gemeinsame Schulden forcieren möchten, um die Mitgliedsstaaten immer abhängiger von den Brüsseler Institutionen zu machen.
Ungarn löste diesen Konflikt, indem es das Zugeständnis erzielen konnte, seinen Teil (187 Millionen Euro) direkt einzuzahlen, ohne neue Kreditaufnahme. Hätten alle Staaten das so gehandhabt, wären die 18 Milliarden Euro ohne neue Schulden zustande gekommen. Der politische Wille dazu fehlte.
In diesen Verhandlungen zeigte sich Ungarns immenser Wert für die EU: Nach dem Brexit ist es nun Ungarn, das als warnende Stimme konsequent gegen die schleichende Erschaffung eines europäischen Superstaates auftritt. Und vormacht, dass es auch einem kleinen Land gelingen kann, erfolgreiche Abwehrkämpfe zu führen, wenn es nur mutig und entschlossen genug agiert.
Autor, Boris Kálnoky ist Journalist, Leiter der Medienschule des Mathias Corvinus Collegiums Budapest
Dieser Artikel erschien zuerst beim Tichys Einblick
Bildquelle: LpB Infoportal östliches Europa