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Nationale Volksfront

Der Oppositionsbund „In Einheit für Ungarn“

25. März 2022 Magyar Hírlap von IRÉN RAB

Ich gehöre noch zu der Generation, die bei den Wahlen in den Genuss des Zusammenschlußes aller Klassen und Schichten der ungarischen Gesellschaft kam. Dank der Kommunisten, genauer gesagt der von ihnen gegründeten Nationalen Volksfront. In diesem Zusammenschluß stellten sich die (von der sozialistischen Einheitspartei MSZMP geschaffenen) Massenorganisationen hinter dieselbe Partei. Es gab keine Hasskampagne, ja nicht einmal eine Kampagne, weil es dafür keinen Bedarf gab.

Es gab keine Parteien, es gab eine Einheitsfront!

Auf dem Wahlzettel stand der Name eines einzigen Kandidaten, es gab kein Zögern, den Stimmzettel musste man einfach in die Wahlurne werfen. Als das Kádár-System sich stabil genug fühlte, wurde es ermöglicht, zwischen zwei Kandidaten, statt einem zu wählen, natürlich wurden beide von der sozialistischen Nationalen Einheitsfront gestellt. Die Nominierung erfolgte auf sehr demokratische Weise, man konnte auch eine Person nominieren, die kein Parteimitglied war, die einzige Bedingung war jedoch, dass die betreffende Person das Programm der Nationalen Volksfront übernommen hatte.

Die Welt außerhalb war erstaunt über diese disziplinierte Einheit in der lustigsten Baracke hinter dem Eisernen Vorhang:

bei 98% Teilnahme stimmten 99% für die Kandidaten der Nationalen Volksfront.

Die Wahlbeteiligung wurde auf demokratische Art zwar nur wärmstens empfohlen, aber wehe, hätte jemand versucht, außen vor zu bleiben, den Individualisten zu spielen! Man ging zu ihm nach Hause, holte ihn ins Wahllokal zur Urne und er wurde nachher schikaniert, weil er ein Volksfeind sei. Nach der Wende wurde die Nationale Volksfront aufgelöst und durch eine Demokratische Koalition (!) ersetzt.

Kurzum, die Linke hat eine Tradition im Zusammenschluß in einer Einheitsfront. Daran habe ich auch vor einem guten Jahr gedacht, als die sechs Oppositionsparteien – von den Faschisten bis zu den Kommunisten – ein Kooperationsabkommen über eine gemeinsame Liste, über gemeinsame Kandidaten geschlossen haben.

Die Vereinbarung der Parteien wurde durch eine Studie des Idea-Meinungsforschungsinstituts gut vorbereitet, die ergab, dass die Wähler die gemeinsame Oppositionsliste und eine Vereinbarung über gemeinsame Oppositionskandidaten bevorzugen. Idea misst seine Forschung auf dem Boden der linksliberalen Ideen, nach ihrem eigenen Credo folgen sie nicht dem Gebot der Objektivität.

Ende 2020 hat man diese auf Orbánhass basierende Koalition als Weihnachtsgeschenk für sich selbst ausgedacht. Damals verbreitete sich die Nachricht in ganz Europa: Endlich, endlich, es gibt eine Chance, Viktor Orbán abzulösen!

Die westlichen Medien begrüßten diese politische Großtat und listeten die demokratischen Miniparteien, die alleine größtenteils nicht mal die parlamentarische Hürde überspringen könnten, als ob sie die breiten Schichten der Gesellschaft (sprich eine echte nationale Front) repräsentieren könnten,

aber zu der Zeit hätte dafür höchstens die extrem rechte Jobbik-Partei getaugt. Diese Partei wurde natürlich geflissentlich übersehen, oder als rechte Volkspartei betitelt. Und es begann in der ach so fortschrittlichen westlichen Welt die Unterstützung der Bildung einer neuen Oppositionskoalition, einer neuen ungarischen Volksfront.

Von da an waren wir ein wenig skeptisch, was dabei herauskommen würde. Neue Leute, neue Politik? Denn überall tauchten die gleichen alten Gesichter wieder auf, wie nach der Wahl des Oberbürgermeisters von Budapest 2019. Diese Gesichter sind äußerst bemüht, wieder in die Nähe des Geldhahns zurückzukehren, von dem sie 12 Jahre lang verbannt worden sind.

Zwölf Jahre hätten ausgereicht, um eine neue Partei aufzubauen, eine Massenbasis zu schaffen, den politischen Nachwuchs auszubilden und ein umfassendes Regierungsprogramm zu entwickeln. Um Glaubwürdigkeit zu erreichen.

Stattdessen gingen die Genossen in den Untergrund und schlachteten sich gegenseitig ab. Die sozialistische Nachfolgepartei MSZP hat sich bis zur Unkenntlichkeit genullt, die Jobbik zerfiel in mehrere Teile, die LMP, gegründet als Hoffnung vieler Menschen, landete samt ihrer Nachfolgeparteien in der Versenkung. Die Momentum-Partei hat schnell entlarvt, wie viel Wert sie wirklich darstellt. Nur die DK, die Gyurcsány-Partei, lebt und ist gesund, obwohl sie keinen glaubwürdigen Politiker hervorbringen kann.

Wenn dieser Sechsparteienzusammenschluß nicht wäre, würden die meisten von ihnen nicht einmal im Parlament sitzen können.

Deswegen war die Zusammenarbeit und das gemeinsame Erstellen von Listen ein Geschenk für sich selbst. Für sie zählen weder die Partei noch ihre moralisch ähnlich gestellten Wähler, sondern ihr eigener Lebensunterhalt, für den sie sich bei ihren Anhängern mit niveauloser Performance im Parlament bedanken.

Lassen Sie uns ein wenig moralisieren! Ich frage mich manchmal, was passieren würde, wenn ich ein engagierter stark rechts eingestellter Wähler wäre. Ich müsste in diesem Fall in meinem Bezirk einen pummeligen Momentum-Kandidaten wählen, der nicht mal die Jahre seiner Schulbildung zusammenzählen kann, denn meine Partei hat sich in der nationalen Front mit den anderen fünf Parteien auf ihn geeinigt. Ich sollte für einen Momentum-Kandidaten stimmen, der meinen Lebenstraum von der Möglichkeit der Ausrichtung der Olympischen Spiele in Budapest verhindert hatte. Oder

ich wäre ein sozial engagierter Urlinker und sollte jetzt, weil meine Partei es so will, für einen Rechtsextremisten stimmen?

Reden wir gar nicht erst über die Wahlliste dieser Zusammenarbeit! Ich weiß, eine Reihe von Absprachen, ein langer und harter Kampf um die Sitze, und wenn man sich die Reihenfolge ansieht, viele Gesichter von ihnen würde ich nicht gerne im Parlament sehen.

Wir reden hierzulande über berufslose Berufspolitiker, aber im Westen, in den entwickelten Demokratien, wird das natürlich ganz anders gesehen. Denn dort findet der eigentliche Wählerbetrug statt, – sagt ein deutscher Freund von mir, der mit vielen anderen für die Liberalen gestimmt hat. Die Liberalen haben ihre Wähler getäuscht und sind in eine Koalition mit den Grünen und Sozialdemokraten eingestiegen, und jetzt machen sie im Bundestag vollkommen prinzipienlose Politik.

Wie viel schöner ist dieses neue ungarische Modell, das im Voraus sagt, was wir erwarten können. Nichts Gutes.

Ihr Spitzenkandidat für das Amt des Ministerpräsidenten mit einem blauen Band am Revers ist fast das einzige neue Gesicht auf der Oppositionsseite. Mit Signalwirkung. Er war die einzige Person im Herbst, die in der nationalen Politik kaum bekannt war, so dass er sich und anderen einreden konnte, an Dinge und Werte zu glauben, die das rechte Lager vereinen sollen. Er glaubte, er sei der ungarische Messias. An ihm kann man am besten erkennen, dass die Opposition gar kein Programm hat, denn dann würde der Kandidat nicht tagtäglich in sich widersprüchlichen Unsinn reden, sondern wäre in der Lage, durch das Land zu reisen, das gemeinsame Programm zu kennen und zu präsentieren.

Das heutige Programm besteht darin, Fidesz zu verjagen, die Regierung zu verjagen, alle zur Rechenschaft ziehen, ins Gefängnis, weil ihre Wähler statt einer verantwortungsvollen Regierung genau das von ihnen erwarten. Von Hass motivierte Versprechungen.

Der Träger des blauen Bandes, der den Kampf gegen die Korruption verkündet, und seine Anhänger stören sich überhaupt nicht an den eigenen Korruptionsskandalen. Weder am milliardenschweren Korruptionsskandal von Katalin Cseh, noch an der Verwirrung um den Verkauf des Budapester Rathauses oder dem Parkgebührenskandal in Zugló (14. Budapester Bezirk). Sie stören sich nicht an den Veruntreuungsskandalen von Csaba Czeglédy, der auch mal im Gefängnis war,

da der Spitzenkandidat der Opposition, Péter Marki-Zay auf derselben Liste wie die Betroffenen kandidiert. Auf dieser Korruptionsliste: „In Einheit für Ungarn“.

Das blaue Band in einem politischen Kontext erinnert mich an das ominöse blaue Ticket. Diese besondere Wahlmanipulation im Jahr 1947, als junge wie ältere Genossen beseelt vom Versprechen der Freiheit, durchdrungen von Ideologien von Agitatoren, an einem schönen Spätsommertag auf die Lastwagenplateaus stiegen, um durch die „wackeligen Bezirke“ fahrend immer wieder die blaue Urkunde/Ticket/Stimmzettel abzuliefern, um dort auch wählen zu können. Bis heute ist nicht bekannt, wie viele gefälschte Stimmen und andere Unregelmäßigkeiten zum Sieg der Kommunistischen Partei führten. Zum Beispiel wurden sog. „Reaktionäre“, etwa eine halbe Million Wähler, aus dem Wählerverzeichnis gestrichen, rechtsgerichtete Politiker wurden des passiven Wahlrechts beraubt. Damals gab es noch keine OSZE, die Reinheit der Wahlen wurde von den hier stationierten sowjetischen Genossen und den Kommunisten unter der Führung der Kommunistischen Partei und der Kommunisten und unter der persönlichen Aufsicht von Minister László Rajk „gewährleistet“.  Sie haben keine Unregelmäßigkeiten gesehen, denn alles verlief nach Plan.

Wir kennen die Einzelheiten der Pläne der Großmächte für diese Wahl nicht, nur die Absicht: Viktor Orbán unter allen Umständen von der Macht zu verdrängen und der korrupten, mit heißen Nadeln zusammengenähten Opposition,

welche dann nach der Pfeife Brüssels tanzen wird, an die Macht zu verhelfen. Falls erforderlich Kriegstanz, falls erforderlich Selbstaufgabe, Ausverkauf, was auch immer der Kunde will. Sie wedeln bereits im Voraus mit hypothetischen, erfundenen Missbräuchen bei den Wahlen, schicken ihre Rechtsschützer mit den Blauen Tickets, die dann berichten werden, wie es von ihnen erwartet wird.

Jetzt muss man verdammt aufpassen. Es reicht nicht mehr aus, wie bisher, einfach ehrlich zu sein, man muss nach Außen auch als ehrlich erscheinen.

Autorin, Dr. phil. Irén Rab ist Kulturhistorikerin

Deutsche Übersetzung: Dr. Andrea Martin

MAGYARUL: https://www.magyarhirlap.hu/velemeny/20220401-hazafias-nepfront

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