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Etwas kultivierter bitte!

10. Februar 2022 Magyar Hírlap von IRÉN RAB

Etwas kultivierter bitte! – forderte der erfahrene ATV-Moderator einen Teilnehmer der sog. Tranzit-Debatte (Open-Air Diskussionsveranstaltung am Plattensee) auf. Diese Bemerkung löste große Heiterkeit im Publikum aus. Es war Spätsommer, die Bucht von Tihany in Dunst gehüllt, in der Ferne weiße Segel zu erahnen. Alle Teilnehmer der Thinktanks, von den Oppositions- und Regierungspolitikern bis hin zu Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens, waren in der Lage, ihre Ansichten dem tatsächlich ernsthaft interessierten Publikum mit der Lässigkeit des Balaton-Urlaubsfeelings, aber auch mit der erforderlichen Professionalität und Kultur zu präsentieren. Unser Held war

der Einzige, der in seinem zugeknöpften dunklen Anzug mit dem blauen Band am Revers auf seinem Sitz feierlich hin und her wetzte.

Seine Ernsthaftigkeit unterstrich er mit einem Schreibblock, auf dem er gelegentlich einige herum-schweifende Gedanken notierte.

Es war das einzige Mal, dass sich ein Politiker der Regierungspartei, der arglose István Hollik, zu einer Diskussion mit Péter Márki-Zay, dem (damals noch) Kandidaten für die Kandidatur fürs Amt des Ministerpräsidenten unten der Regenbogen-Opposition, stellte.

Damals dachte niemand, dass mit diesem Typen einfach nicht diskutiert werden kann. Nicht, weil er etwa Recht hätte, sondern weil ihm alles, aber auch alles fehlt, was für eine zivilisierte Kommunikation dringend notwendig wäre.

Er verfügt über einen ziemlich eng begrenzten Wortschatz mit ausschliesslich negativen Konnotationen (lügt, stehlt, raubt aus, korrupt, feige, kriminell, Dieb, Parteisoldat, Agent, Propagandist, usw.), der von einem, aus der Tiefe der Seele kommenden unvorstellbaren Hass getrieben wird.

Er besitzt dazu das – uns aus dem Narrativ der Opposition vertraute –  verleumderische faktenlose Argumentationssystem und er trägt es gebetsmühlenartig in einer schnellen Monotonie vor: (Ungarn ist das ärmste und korrupteste Land; die ungebremste parteistaatliche Macht hat das Gesundheitssystem ausgeraubt und es für ihre eigenen Interessen verhökert; die den jungen Menschen wurde die Zukunft genommen, Zehntausende von Ungarn sind an Covid gestorben usw.) Der Regime-Wechsel der vereinten Opposition von Rechtsradikalen bis zum Linksradikalen würde die helikopterfliegende und yachtfahrende Fidesz-Politelite zur Rechenschaft ziehen, die ganze Schmarotzerherde verscheuchen und den lang ersehnten sozialen Frieden und Gerechtigkeit verwirklichen. Er habe eine lange Liste von Fidesz-Verbrechen, behauptet er, und daran habe ich keinen Zweifel. Ich kann mir sehr gut vorstellen, dass er sich die politischen Plattitüden seiner Verbündeten, ihre Parlamentsreden und die Schlagzeilen der Oppositionspresse fleißig notiert und sie dann kritiklos und ohne weitere Überprüfung auswendig lernt. So wie es ihm bei seiner politischen Fortbildung beigebracht wurde.

Wie ein kommunistischer Agitator, der Fachwissen und Kompetenz durch Aggression und Drohungen ersetzt.

Das Publikum hat sich bei dieser Tranzit-Debatte köstlich amüsiert, es war wie eine Farce. Eine Farce, in der der Protagonist erst einen Unsinn und dann das Gegenteil davon behauptet und gefragt werden muss, welche von seinen beiden widersprüchlichen Aussagen nun wahr sein sollte. Er merkt nicht mal, dass er wegen seines sinnlosen Geredes verspottet wird. Er beschimpft jeden unflätig, der die Welt anders sieht als er. Er muss gewarnt werden, dass die Ankündigung einer Liste von „Blutrichtern“ wirklich nur eine Sache von Diktaturen ist, ebenso wie der Plan der Opposition, die Verfassung mit einfacher Mehrheit zu ändern. Und was dann? Was ist dann mit der viel gepriesenen Rechtsstaatlichkeit?

In der Tranzit-Debatte hat dieser Bürgermeister einer Kleinstadt bereits sein wahres Gesicht aufblitzen lassen. Wie vom Regisseur vorgegeben, wollte er den Eindruck eines seriösen, konservativen Menschen erwecken – daher der dunkle Anzug mit der Krawatte in der Hitze und die Notizen, – der christlich und rechts ist und das sogar schon vor der Fidesz, sogar vor Viktor Orbán gewesen sein soll. Ich würde ihm ein wenig widersprechen, was das Christliche betrifft, denn man wird als Christ geboren oder nicht, und man wird nicht Christ, indem man sich einbildet, der Messias selbst zu sein.

Ich selbst würde mich auch nicht zu einer Diskussion mit ihm hinsetzen, denn mit einer aggressiven und arroganten Person kann man nicht diskutieren.

Auch in dieser einzigen Debatte konnte er sich nicht beherrschen, er fiel den anderen ständig ins Wort, lobte, schimpfte, lenkte ab, spuckte Hass und natürlich war nicht einmal die Hälfte von dem, was er behauptete, wahr. In seinen Worten ausgedrückt: Er hat fortlaufend gelogen. Als István Hollik ihn mit Zahlen und Fakten konfrontierte, wurde er zunehmend gereizt, sein Gesicht und seine hochgezogene Stirn verrieten seine mit Mühe und Not unterdrückte Erregung. Dann rief er, wie in der Kneipe, den sich über ihn amüsierenden Zuschauern zu: Komme raus, wer ein Problem mit ihm habe, solle am Mikrofon mit ihm streiten, dort solle er mutig sein!

Im Ernst, ich hätte damals nicht gedacht, dass dieser politische Abenteurer der Kandidat der Oppositionskoalition für das Amt des Ministerpräsidenten werden würde.

Manchmal frage ich mich, was den Oberbürgermeister von Budapest, Gergely Karácsony, dazu bewogen hat, sich aus diesem Wettbewerb zurückzuziehen, welche Art von Deal oder Gewalt im Hintergrund ablief, der den Oberbürgermeister plötzlich dazu brachte, seine Meinung zu ändern? Wer, wie und warum hat sich in den Ausgang der Vorwahlen eingemischt? Wie konnten diejenigen, die für ihn gestimmt haben, darunter viele gebildete, intelligente Menschen, glauben, dass Márki-Zay für die Führung geeignet ist? Haben sie sich vorgestellt, wie dieser Mann als Premierminister sein würde, wie er uns Ungarn im In- und Ausland repräsentieren würde? Wie würde er im Europäischen Rat, in Berlin, Brüssel oder sogar in Moskau verhandeln?

Seitdem habe ich mir Márki-Zay noch einige Male live angehört, auf dem Land, in der Hauptstadt und in ungeschnittenen Sendungen, um mir aus eigener Erfahrung eine Meinung zu bilden.

Sein Repertoire an Hass hat sich in den letzten Monaten um einiges vergrößert, indem er sein Publikum rauf und runter beleidigt, verhöhnt und mit voller Entschlossenheit unsinnige Behauptungen aufstellt

(d.h. lügt wie gedruckt). Ich frage mich, wie viel die jeweils Anwesenden von dem oberflächlichen und falschen Wortschwall, der ihnen entgegengeschleudert wird, tatsächlich verstehen? Auf jeden Fall wendet er Gustave Le Bons jahrhundertealte These von der Massenpsychose an, bei der in einfache Botschaften verpackte Lügen so lange wiederholt werden, bis jeder sie glaubt. Le Bons Theorem wurde im Laufe der Zeit von vielen machthungrigen Politikern angewendet, und es hat sich immer bewährt. Man muss nur die Zielgruppe finden, Menschen, die aus irgendeinem Grund verletzt sind, Menschen, die neidisch auf andere sind, Menschen, die unzufrieden sind, und Menschen, die die Welt einfach schwarz sehen.

Márki-Zays aggressive, narzistische Persönlichkeit spricht zahlreiche Menschen an, sie sehen in diesem Mann das Bild, welches von ihm verbreitet wird: den familienorientierten, rechten christlichen Messias, der ihnen ein Ungarnland der Liebe und Gerechtigkeit bringen wird.

Andere sehen in ihm einen idiotischen Hochstapler, einen Amokläufer, eine tickende Zeitbombe, die rechtzeitig gestoppt werden sollte, bevor sie großes Unheil über das Land bringt.

Ich werde dabei immer wieder an Bertolt Brechts ewiges Meisterwerk „Der aufhaltsame Aufstieg des Arturo Ui“ erinnert. Ui, der schnauzbärtige Blumenkohlkönig von Chicago, ist zu Beginn des Stücks ein nervöser, aufgeregter Kerl, aber im Laufe der Geschichte, als seine Gangsterbande und damit seine Macht wächst, wird er immer selbstbewusster und gefährlicher. Es ist schade, dass diese symbolträchtige Geschichte derzeit nicht in ungarischen Theatern aufgeführt wird. Es wäre sehr lehrreich, weil sie auch eine aktuelle politische Botschaft besitzt.

Autorin, Dr. phil. Irén Rab ist Kulturhistorikerin

MAGYARUL: https://www.magyarhirlap.hu/velemeny/20220210-legyen-egy-kicsit-kulturalt

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