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Ein Netzwerk der Verdorbenheit

4. September, 2021, Magyar Nemzet von TAMÁS FRICZ

Die Ursache für das Erstarken des gestürzten Ministerpräsidenten, Ferenc Gyurcsánys ist die Schwäche der linken Opposition.

Der große Tag ist gekommen: die Oppositionsparteien haben die personifizierte Namensliste ihrer Kandidaten zu der von ihnen organisierten Vorwahl abgegeben bzw. die Namen des von ihnen benannten Anwärter zum Ministerpräsidentenanwärter. Auf Grund dessen hat sich herausgestellt, dass die Partei von Ferenc Gyurcsány, die Demokratische Koalition (DK), in den meisten Wahlbezirken an den Start geht, insgesamt in 60 Bezirken. Das bedeutet 55% der 106 Wahlkreise und sie führt damit die Liste der Linksparteien an; sie wird gefolgt von der Partei Monumentum mit 55, von der Jobbik-Partei mit 47, von der Új Világ Néppárt (Neue Welt Volkspartei) mit 22, von der Párbeszéd (Partei der Diskussion) mit 10 und MSZP (Sozialistische Partei Ungarns, ehemalige Kommunisten) mit 9 Kandidaten.

Die führende Rolle von Gyurcsány wird dadurch gestärkt, dass die Linksparteien eine übergreifende Vereinbarung mit der rechtsnationalistischen Partei JOBBIK geschlossen haben – als natürliche Verbündete -, wodurch beide ihre Kandidaten in 31 Wahlkreisen gegenseitig unterstützen.

Und dann haben wir noch von der Ehefrau Gyurcsánys, Klára Dobrev nicht gesprochen, die als Ministerpräsidentenanwärterin in den Farben der DK in den Ring steigt.

Also meine Damen und Herren, schauen sie sich dieses Wunder an:

mit diesem abscheulichen politischen – und wirtschaftspolitischen! – Hintergrund, wie Ferenc Gyurcsány ihn hat, ist er in der Lage, sich und seine Partei zu einer zentralen Rolle zu verhelfen

und darin acht-neun Monate vor den Parlamentswahlen zu behaupten. Bei solchen Gelegenheiten pflegt man zu fragen: wo liegt dein Geheimnis, mein Freund?

Wirklich, wo liegt das Geheimnis von Gyurcsány, wie konnte diese oben geschilderte Schande im politischen Leben von Ungarn passieren? Um erneut auf der Grundlage meiner (früheren) Behauptung festzustellen, dass das linke Parteispektrum folgenlos agieren kann – was der Wahrheit entspricht –, befinden wir uns viel zu sehr im Allgemeinen.

Ich sehe konkret drei Gründe für die Herrschaft von Gyurcsány.

Erstens: Gyurcsány hat schnell erkannt, dass er zwei ernstzunehmende Rivalen in den Reihen der Opposition hätte, nämlich das Monumentum und die Jobbik. Von dieser Tatsache ausgehend und die Lage dieser beiden Parteien einschätzend, hat er versucht, sie mit zwei unterschiedlichen, taktischen Maßnahmen zu unterdrücken. Er erkannte, die Jobbik hätte sich selbst dermaßen kompromittierte, dass diese Partei ihre radikale, hauptsächlich in der Provinz lebende Basis infolge ihrer Programmverwässerung verlor, also konnte sie keinen anderen Weg aus dem Nichts nehmen, als dass sie sich mit dem Erzfeind verband – nämlich mit ihm.

Die Begegnung des Nationalsozialismus und des Kommunismus ist eine alte Erfindung der Geschichte,

also los – und wie wir es am Endergebnis sehen, das ist dem Lügner von Őszöd auch gelungen.

Im Gegensatz dazu sah unser Ferenc, dass das von András Fekete-Győr führende Monumentum ein anderes Kaliber hätte:diese Leute waren eine Zeit lang populärer als die DK, man musste sie ernst nehmen, weil diese Partei der Ruinenkneipen ein sehr starkes, weitverzweigtes Netz in Westeuropa und in den Vereinigten Staaten hat. Es war klar erkennbar, dass das Momentum nicht so leicht wie die Jobbik gefügig gemacht werden kann, denn schließlich ist sie eine stärkere und auch international unterstützte Partei, daher bürdete sich die Partei Gyurcsánys lieber das Abstandhalten, gegebenenfalls die Konfrontation auf, wobei er als routinierter und schlauer Politiker immer als Sieger aus den Auseinandersetzungen hervorging.

So unterdrückte er die beiden, eine wahre Konkurrenz bedeutenden Parteien, die anderen kleinen Parteien konnte er zum Frühstück verspeisen,

denn die MSZP ist schon längst nichts anderes als die erzwungene Genossenschaft einiger, sich in das zivile Leben nicht zurückziehen wollenden, ihre Lebensgrundlage dadurch sichernden Politiker. Von der LMP (Grünen) und Párbeszéd lohnt sich wegen ihrer Bedeutungslosigkeit gar nicht zu sprechen.

Zweitens dürfen wir die einfache Tatsache nicht vergessen, wenn wir das Geheimnis von Gyurcsány ergründen wollen, dass (es klingt ein wenig komisch, hier dieses Wort zu benutzen )

die Elite der anderen Oppositionsparteien durchweg aus zweit- und drittrangigen Politikern ohne Charisma besteht,

von den Politikern vor Ort gar nicht zu sprechen. (Mein Respekt für die Ausnahmen, falls welche geben sollten). Weder Péter Jakab (Jobbik), noch Fekete-Győr (Momentum), auch nicht Márki-Zay (Mindenki Magyarországa), oder Bertalan Tóth, Ágnes Kunhalmi (MSZP) und andere sind in der Lage, in die Fußstapfen Gyurcsánys zu treten und ein Bündnis oder Netzwerk aufzubauen, dessen Mittel-, Ausgangs- und Endpunkt sie als Person wären.

In der letzten Zeit wäre im Übrigen eine einzige Person in Frage gekommen, die die Rolle einer führenden Figur der Linken in Konkurrenz zu Gyurcsány hätte übernehmen können, nämlich László Botka, der Bürgermeister von Szeged. (Obwohl er – nach guter sozialistischer Sitte – auch nicht von dem Verdacht einiger Korruptionsfällen befreit war.) Botka kam zu Fall, und zwar deshalb, weil die Fäden von Gyurcsány da schon weit ins Zentrum der MSZP reichten, mit anderen Worten, sein Einfluss war damals schon innerhalb der sozialistischen Partei so stark, dass er den Sturz von Botka erreichen konnte, genauer gesagt, seinen Rücktritt von der Anwartschaft auf den Posten des Ministerpräsidenten.

Drittens kommen wir zu dem wichtigsten Geheimnis von Gyurcsány. Er hatte bereits vor seiner Zeit als Ministerpräsident bewusst und systematisch ein Netzwerk um sich herum in der sozialistischen Partei aufgebaut und den im Laufe der Jahre weiterentwickelte. Die Früchte davon erntet er auch jetzt. Dieser Ausbau des Netzwerkes erfolgte schon Anfang der 90-er Jahre, in der Ära der nationalen Regierungen Antall und Boross. als er das Regierungserholungsheim in Balatonöszöd mit Hilfe seines Freundes vom kommunistischen Jugendverband (KISZ), György Szilvásy erwerben konnte.

In den 90-er Jahren, in der Zeit der Privatisierung konnte er mit Hilfe seiner sozialistischen Familienbeziehungen als erfolgreicher Unternehmen ein beträchtliches Vermögen anhäufen,

und das war für ihn wichtig, weil er ab diesem Zeitpunkt die Leute in der MSZP nach Bedarf kaufen konnte. Sein Ziel war von Anfang an, solche Parteifunktionäre in Stellung zu bringen, von denen er alles wusste, auch ihre Geschichten aus der Vergangenheit, und ab da hielt er sie in der Hand, sie wurden zu seinen Gefangenen. Ihre Stellung, Position, Geld, Privilegien, all das hing nach dieser Zeit von Gyurcsány ab.

Gyurcsány baute dank seines wachsenden Vermögens bewusst in den 90-er und 2000-er Jahren ein Netzwerk bestehend aus den teils erpressbaren und teils abhängigen Menschen um sich herum aus, und parallel damit seinen wachsenden politischen Einfluss.

Dem verdankte er seinen Posten als Sportminister im Kabinett Medgyessy, und als die Position von Medgyessy zu wackeln begann, da aktivierte er ohne die geringsten Bedenken sein Netzwerk mit dem Ziel, dass die Sozialisten statt Péter Kiss ihn als neuen Ministerpräsidenten wählen. Und das erreichte er trotz der Tatsache, dass Péter Kiss einer großen Beliebtheit innerhalb der MSZP erfreute, die Parteimitglieder und selbst die Mehrheit der Parteiführungsriege hielten ihn für einen ehrbaren und begabten Politiker, aber der Sieger wurde doch Gyurcsány. Warum?  

Weil er sein Netzwerk aktivierte, dessen Mitglieder schon lang von ihm alimentiert wurden, und ihm vertrauten, dass er – falls er es schafft, Ministerpräsidenten zu werden – ihre Positionen weiter festigen wird.

Die Macht von Gyurcsány basiert also bis zum heutigen Tag auf diesen während der Jahrzehnte erreichten, persönlichen, oft nicht erkennbaren Verbindungsnetzwerken, die auch in der Zeit nach seinem Sturz bestehen blieben und auch während der 2010-er Jahre weiter funktionierten.

Zu all dem kommt das ausländische, internationale Beziehungssystem der Familie Gyurcsány-Dobrev.

Dieses überzeugt die von ihm abhängigen Mitglieder des mit ihm verbundenen Netzwerkes noch mehr davon, dass man in der Umgebung ihres Chefs genug Geld, Pferd, Waffen und was man sich so wünscht bekommen kann, und damit überwinden sie ihre Abneigung gegenüber den unannehmbaren und nicht zu rechtfertigenden politischen und wirtschaftlichen Aktivitäten von Gyurcsány. Mit einfachen Worten: sie haben keine andere Wahl als das blinde Befolgen ihres Führers, Mentors, Sponsors etc. durch dick und dünn. Sie sagen nicht: wenn wir Arbeit haben, dann haben wir alles, nein, sie sagen: wenn es den Gyurcsány gibt, dann gibt es alles.

Nun, das ist das wahre Geheimnis, das Geheimnis Gyurcsánys. Ein Netzwerk, das seinesgleichen bei den Linken sucht.

Der Autor, Dr. Tamás Fricz ist Politikwissenschaftler

Magyarul: https://magyarnemzet.hu/velemeny/2021/08/a-gyurcsany-fele-zullottseg-halozata

Deutsche Übersetzung von Dr. Gábor Bayor

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