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Die Ungarn schützen? Vor wem und wovor?

11. Januar 2022 Magyar Hírlap von IRÉN RAB

Professor Timothy Ash versuchte sich einen Weg durch die Menge zu bahnen. Man hatte ihm gesagt, dass die Oppositionskoalition an der Einmündung der Andrássy-Allee eine feierliche Kundgebung abhalten würde, und als er die Menschenmenge sah, dachte er zunächst, dass er angekommen war. Das Seltsame war allerdings, dass aus den Lautsprechern die Stimme Viktor Orbáns ertönte und er keine europäischen Flaggen sah. Das ist nicht das, was er erwartet hatte. Obwohl er kein Ungarisch versteht, meinte er eine Abrechnung mit Brüssel herauszuhören, das fand er sofort empörend, da dieses „hybride Regime“ in Ungarn sich doch vom Geld aus Brüssel finanzieren lässt. Die Menge öffnete sich friedlich vor ihm, er bahnte sich seinen Weg über den Platz, musste dort noch den zahlreichen in Doppelreihen geparkten Bussen ausweichen, die Orbáns Anhänger zu der Massenveranstaltung transportierten. Er hätte nicht mal versehentlich das Wort „Friedensmarsch“ (wie diese Veranstaltung genannt wird) in den Mund genommen.

Der Professor war erleichtert, als er das andere Ende der Allee erreichte. Obwohl die Menschenansammlung hier viel kleiner war, wehten hier die Fahnen mit den goldenen Sternen und mit Regenbogenfarben, und er konnte endlich den Mann, Péter Marki-Zay beobachten und treffen, wegen dem er nach Budapest gereist war. Er fand den großen, gut gekleideten, weitgereisten, sprachgewandten, kraftvollen Mann sehr sympathisch.

Endlich hat man einen echten Kandidaten, den christlich-konservativen Bürgermeister mit sieben Kindern, der alles verkörpert, was Viktor Orbán vorgibt zu sein und der die Wahlstrategie des Orbán-Regimes entzaubern wird.

Der populistischen Regierungspartei ist der Wind aus den Segeln genommen worden! Er ist wohl derjenige, mit dem die Opposition eine realistische Chance hat, im Frühjahr zu gewinnen, auch wenn die Wahlen ganz sicher nicht frei und fair sein werden, meinte Professor Ash.

Er hat für den britischen Guardian über seine Erfahrungen in Budapest berichtet, dort wurde sein Bericht von allen seriösen Presseorganen aufgegriffen und weiterverbreitet. Der für Brüssel angenehme Vasallen-Kandidat für das ungarische Premierministeramt befindet sich ja gerade im Aufbau. Ich beneide die Hintergrundbaumeister nicht, Márki Zay ist bereits der zweite oder dritte Kandidat, an dem sie herumbasteln, in die europäische Öffentlichkeit bringen und bekannt machen müssen. Sein Bild soll auf den Titelseiten erscheinen, man soll über ihn sprechen, es spielt keine Rolle, dass er der Bürgermeister einer kleinen Stadt mit einem unaussprechlichen Namen im tiefen ungarischen Flachland ist! Obwohl die längere Version der Stadt (Hódmezővásárhely-Kutasipuszta) unter der Boomer-Generation gut bekannt ist. Die Boomer denken oft an Piroschka und stellen sich uns Ungarn so vor, wie wir in diesem berühmten Film waren: ein einfaches, ehrliches, fleißiges Volk der Bediensteten.

Im Frühjahr 2019 war Hódmezővásárhely übrigens in der Welt der internationalen Zusammenarbeit ein Versuchslabor und keine spontane Selbstorganisation. Das Modell verwendet eine unbekannte politische Figur, einen Schläferagenten, den fast alle für einen unabhängigen Zivilisten halten, wenn er auf der Bildfläche erscheint. Das erfolgreiche Hódmezővásárhely-Modell wurde nicht nur bei den Kommunalwahlen 2019 angewendet. Die extrem ausgeweitete Linkskoalition (von Linksaußen bis Rechtsaußen) hat sich auch in anderen europäischen Ländern zu einem erfolgreichen Modell für den Sieg über starke mitte-rechts Kandidaten entwickelt. Ich kann mich nur wundern und staunen,

wie absurd es ist, dass Parteien freiwillig ihre Identität aufgeben, nur um an die Macht zu kommen,

wobei sie dabei gerade die politischen Methoden längst vergangener Koalitionszeiten aufwärmen. Könnte das Ziel darin bestehen, eine vom Zeitgeist durchdrungene globalistische Volksfront, der Hufeisentheorie ähnlich, aufzubauen?

Vor Márki-Zay bastelten sie am Oberbürgermeister Karácsony herum, am großen, schlanken, hyper-passiven Kandidaten der Grünen. Umfragen im Sommer sahen ihn noch als den Mann, der Orbán schlagen könnte. Er sah wie eine echte Perspektive aus, ein regierungskritischer, grüner Politiker, der sich für Europa einsetzt, ein Mann von der Uni, der in der Lage sein soll, 99 Prozent der Ungarn, einschließlich prominenter Intellektueller, gegen das eine Prozent der Privilegierten zu vereinen. Ich weiß nicht, wie diese höhere mathematische Gleichung für eine – alles in allem maximal – 40-prozentige Bewegung aufgegangen ist. Wenn sie dort in der Welt wüssten, dass

die Partei des besagten Oberbürgermeisters in Prozenten gar nicht messbar ist, dass Márki-Zay gegenüber den selbstverliebten Parteien der bunten Koalition schwer verwundbar und ausgeliefert ist,

könnten die finanzierenden Instanzen sich überlegen, ob es sich wirklich lohnt, so viel Geld in die beiden zu stecken.

Es gab eine Zeit, in der der linke Teil der politischen Welt in Klára Dobrev die wahre Herausforderin des autoritären Orbán sah. Die fortschrittliche westliche Presse hat über Frau Klára alles Mögliche an Gutem und Schönem zusammengetragen. Als Frau sei sie eine echte sozialdemokratische Berufspolitikerin mit Führungserfahrung in der öffentlichen Verwaltung, in der Wirtschaft und in der europäischen Politik, und ihre bulgarische Herkunft sei ein Gewinn im Kampf für ein vereintes Europa. Sie könne gut mit verbalen Schlägen umgehen und sei an die brutalen Angriffe des Orbán-Regimes auf sie und ihre Familie gewöhnt.

Die westliche politische Elite – nennen wir sie einfach „Hintergrundmacht“ – hat bereits alles Mögliche versucht, um Viktor Orbán, der ihr im Weg steht, loszuwerden.

Vor vier Jahren zum Beispiel mit einer Kandidatin aus der NGO-Welt, wenn Sie sich an Bernadette Szél noch erinnern mögen. Damals glaubte die Ko-Vorsitzende der LMP, die erste Ministerpräsidentin Ungarns zu werden, und bereitete sich mit einer aus Steuergeld finanzierten Garderobe und Hunderttausenden von Forint an Friseurrechnungen auf die Wahl vor. Heutzutage ist sie kaum wiederzuerkennen, das ungeschminkte, anspruchslose NGO-Äußere ist ihr neues Image geworden. Sogar der rechtsextreme Jobbik-Führer, Gábor Vona mit der nationalistischen Weste wurde von den Internationalisten vorgeschlagen und von seinen rechtsextremen Sünden freigesprochen, unterstützt durch das linksliberale Spinoza-Publikum, dessen Zeremonienmeisterin die marxistische (?) Philosophin Ágnes Heller selbst gewesen war.

Sie sollten dort bei der Hintergrundmacht langsam begreifen, dass die Mehrheit der Ungarn niemals für linke Parteien stimmen wird, ganz gleich, mit welcher Regenbogenkoalition sie sich zu verkleiden versuchen.

Dafür ist die schlimme historische Erfahrung von Generationen zu tief und zu schmerzhaft verwurzelt. Würden sie hingegen die Popularität Viktor Orbáns bei den Ungarn anerkennen, sein Engagement für seine Nation nicht als reinen Populismus abtun und versuchen, die Gründe für seine Beliebtheit zu verstehen, würden sie vielleicht nicht ständig versuchen, von außen zu intervenieren. Sie würden den ungarischen Regierungschef nicht als Diktator bezeichnen, wie es heutzutage in den Hörsälen der Universitäten angeblich zu Bildungszwecken passiert. Ich konnte mich selbst davon überzeugen, als ein Professor einer renommierten deutschen Universität in einem Seminar über Rechtsstaatlichkeit und Diktatur den Studenten die großen Diktatoren unserer Zeit vorstellte: in der Gesellschaft von Putin, Erdogan, Bolsonaro

unseren Premierminister, der bei freien Wahlen dreimal zwei Drittel der Stimmen erreichte. Er wird als populistischer, korrupter Diktator gebrandmarkt, weil er sich den Globalisten in den Weg stellt.

Wenn man sich zum Beispiel auf die Schriften von Professor Ash verlässt, kann man leicht den klaren Blick verlieren. Denn in ihnen werden seine Aussagen über Ungarn als unbestreitbare Tatsachen dargestellt, welche die sich informieren wollenden westlichen Bürger zu Recht verunsichern. Wie kann die EU ein Land mit einer korrupten, illegitimen, illiberalen und antidemokratischen Regierung unter ihren Mitgliedern tolerieren, fragt man sich empört. Ein Mitgliedstaat, der nicht nur sich selbst schadet, sondern das Funktionieren der EU und des rechtsstaatlichen politischen Systems im Allgemeinen gefährdet? Der Professor erwartet von den unparteiischen EU-Beamten und dem Musterstaat der liberalen Demokratie, Deutschland und der neuen deutschen Regierung, dass sie sich für Ungarn einsetzen und es im Sinne der Demokratie verteidigen! 

Als Ungarin frage ich, vor wem oder wovor wir geschützt werden sollten? Vor uns selbst?!

Timothy Garton Ash ist Osteuropa-Experte, Professor für Europäische Studien an der Universität Oxford und wurde 2005 zu einem der 100 einflussreichsten Menschen der Welt gewählt. Wenn er etwas sagt, gilt es als Etalon, sowohl wegen Oxford als auch aufgrund seines Rufes. Er unterrichtet junge Menschen, die sich für europäische Studien interessieren. Er schreibt in der vermeintlich maßgeblichen westlichen Presse über Rechtsstaatlichkeit und europäische Werte. Was er schreibt, ist Referenzgrundlage, jedoch das, was er schreibt, und die Art und Weise, wie er es schreibt, ist nun mal reine linksliberale Propaganda. Ich kann mich nicht entscheiden, ob er der Erfinder des Vokabulars, der Technik der Verleumdung ohne Fakten ist, mit dem Ungarn fortlaufend diskreditiert wird, und das ist es auch, was die ungarische Opposition, wie Márki-Zay, immer wieder hastig nachplappern muss, so schnell, damit niemand Fragen stellen kann. Oder umgekehrt: werden diese bekannten Verdrehungen aus der Welt des Spätsozialismus zu Hause in Ungarn, auf irgendwelchen gemeinsamen Parteitreffen erfunden, um sie dann an ihre Genossen in Brüssel weiterzureichen?

Die Reden und Veranstaltungen von Márki-Zay spiegeln all dies regelmäßig wider:

die aus der kommunistischen Rhetorik wohl bekannte Stigmatisierung, die abscheulichen Angriffe der Propagandamaschine zur Diskreditierung der Menschen, die Hassrede und die Technik des Spottes und der Subversion.

Er spricht wie ein Wasserfall, er ist wirklich der Staubsaugervertreter, dem man den Staubsauger abkauft, um ihn endlich loszuwerden. Hinzu kommt sein aggressiver Präsentationsstil, die Kommunikationsunfähigkeit indem er den anderen ständig ins Wort fällt, und eine zunehmend sichtbare Persönlichkeitsstörung. Vielen Menschen gefällt es, wenn man den Prozentsatz beziffert, etwa zwei Millionen Ungarn. Aber das ist dann eher ein anderes, ein  sozial-pathologisches Symptom.

Autorin, Dr. phil. Irén Rab ist Kulturhistorikerin

Deutsche Übersetzung: Dr. Andrea Martin

MAGYARUL: https://www.magyarhirlap.hu/velemeny/20220113-kitol-mitol-kellene-megvedeni-a-magyarokat

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