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Ungarn: Eine europäische Schicksalswahl

3. April 2022 Achgut.com von KRISZTINA KOENEN

An diesem Sonntag, am 3. April, wird in Ungarn ein neues Parlament gewählt. Zur Wahl steht die bürgerlich-konservative Partei Fidesz des Viktor Orbán im Bündnis mit der Christlich-Demokratischen Volkspartei KNDP, gegen sie tritt ein von sechs Oppositionsparteien gebildetes Wahlbündnis nebst einigen Kleinstparteien an. 

Ungarn ist ein kleines, bevölkerungsmäßig und geographisch eher unbedeutendes Land mit knapp zehn Millionen Einwohnern auf 94.000 Quadratkilometern. Was dort geschieht, ist für den Fortgang der Welt in der Regel uninteressant.

Und doch wird das Ergebnis dieser Wahl, nämlich ob Viktor Orbán nach drei Legislaturperioden weiter wird regieren können, enorme Auswirkungen nicht nur für Ungarn, sondern auch für den Westen Europas haben.

Es geht nicht allein darum, ob mit Fidesz eine konservative Partei weiterhin an der Macht bleibt. Es geht vor allem darum, ob der wortgewaltigste und machtpolitisch versierte Kritiker des westlichen Universalismus, Viktor Orbán, sich weiterhin von der gleichen Position aus Gehör verschaffen kann. Wenn nicht, wird Ungarn voraussichtlich in den europäischen Mainstream eingegliedert, und deren bis auf die konservativen Polen lückenlose Vorherrschaft kann für die nächste Zeit als gesichert gelten.

Die Fidesz-Partei (Verband der jungen Demokraten) und ihr Vorsitzender Orbán regieren seit 2010. Sie übernahmen damals die Regierung von den völlig heruntergewirtschafteten Sozialisten, der Nachfolgepartei der ungarischen KP, und ihrem in Auflösung begriffenen linksliberalen Koalitionspartner SZDSZ. Das Land stand am Rande einer Katastrophe, die Wirtschaft konnte sich nicht vom Zusammenbruch der Staatswirtschaft und der wilden Privatisierung erholen. Armut grassierte und der Staatsbankrott drohte, sollten EU und IWF nicht Gnade walten lassen. Moralisch sah es nicht besser aus, Pessimismus und Resignation herrschten, die Enttäuschung über Marktwirtschaft und Demokratie war riesengroß und weit verbreitet. Orbán gewann diese erste Wahl, weil die Wählerschaft glaubte, alles sei besser, als so weiterzumachen wie bis dahin.

Die nächste Wahl 2014 gewann er wieder mit einer Zweidrittelmehrheit, aber dieses Mal aufgrund der Zustimmung zu seiner Politik, und dieses Ergebnis konnte er 2018 noch einmal wiederholen.

Wirtschaftlich ging es nach einigen anfänglich harten Jahren aufwärts, 2021 waren die Bruttolöhne fast doppelt so hoch wie 2010, der gesetzliche Mindestlohn war 2022 fast das Dreifache von 2010. Wahrscheinlich haben die Ungarn noch nie einen so anhaltenden Aufschwung und eine solche weit verbreitete Prosperität erlebt wie in den letzten zehn Jahren. Das war keine Prosperität auf Pump, wer unabhängig sein will, darf sich nicht verschulden – das war in dieser Zeit eine der orbánschen Prinzipien.

2015 war Orbáns endgültiges coming out

Schon 2010 hatte Orbán klargemacht, dass für ihn eine weitere kritiklose Befolgung der Zielsetzungen und Handlungsweisen des Westens, insbesondere der gesinnungsethisch begründeten Politik der EU nicht in Frage kam. 2015 war das Jahr seines endgültigem coming out. Ungarn und Orbán selbst hätten gewiss ruhigere Tage erleben können, hätte er die Aufnahme von islamischen und afrikanischen Migranten unter der Hand nur sabotiert und sonst den Mund gehalten. Jetzt aber widersprach er zusammen mit Polen offen der deutschen und der EU-Migrationspolitik.

Es sei das Recht eines jeden Landes, selbst zu entscheiden, wer auf seinem Territorium leben dürfe, deswegen würde Ungarn niemals der von Merkel verlangten Umverteilung von Migranten zustimmen.

Und er beließ es nicht bei der Migration, er griff immer offener den westlichen progressivistischen und universalistischen Liberalismus an. Dieser hätte die Demokratie erobert und besetzt und lasse keine andere politische Richtung gelten, insbesondere richte er sich gegen die nationale Identität, den Erhalt der Tradition und der nationalen Kultur. Er widersprach ebenso offen der Genderideologie und lehnte den Automatismus zum „ever closer union“ in der EU grundsätzlich ab. 

Das konnte die EU nicht zulassen. Es folgten permanente Anfeindungen, oft weit unterhalb der Gürtellinie, die Behauptung, Ungarn sei eine Diktatur, in der es weder Medien- noch Redefreiheit herrsche, der EuGH führte aufwändige und nervenzehrende Anklagen gegen das Land, die EU finanzierte und unterstützte direkt gegen den ungarischen Staat gerichteten NGO, und

ständig wurde die – unwahre – Behauptung wiederholt, Ungarn sei kein Rechtsstaat und drohte, keine EU-Unterstützungen mehr an Ungarn auszuzahlen.

Doch Orbán hielt mit weitgehender Unterstützung der Bürger an seiner Linie fest. Gerade durch sein selbstbewusstes Auftreten gegen die Zumutungen der sich immer imperialer gebärdenden EU gewannen viele ungarische Bürger selbst wieder Zuversicht und Selbstbewusstsein.

Wenn eingangs behauptet wurde, dass der Ausgang dieser Wahl weit über die Grenzen Ungarns hinaus eine Bedeutung hat, so ist es Orbáns öffentlich artikulierte, konservative Prinzipienfestigkeit, die dafür verantwortlich ist.

Kaum einer konnte bisher von einer durch Wahlen bestätigte Regierungsposition aus den woken Universalismus, der mit wenigen Ausnahmen inzwischen den ganzen Westen erobert hat, so konsequent und öffentlichkeitswirksam angreifen.

Die Opposition bedient den woken Universalismus und unterwirft sich der EU-Führung

Nun ist Orbán bei all seinen Verdiensten kein Politiker ohne Fehl und Tadel. Jede Regierung, auch die beste auf Erden, braucht eine Opposition, um ihre Entscheidungen in Frage zu stellen und neue Wege aufzuzeigen. Orbán macht bei all seinen Verdiensten auch schwerwiegende Fehler: Er lässt es zumindest zu, dass Unterstützer der Fidesz Partei aus dieser Tatsache wirtschaftliche Vorteile ziehen und sich bereichern, er verlässt sich in vielen Fällen lieber auf den Staat, statt Angelegenheiten vom Markt oder der Gesellschaft regeln zu lassen, und er hat in der letzten Zeit die Staatsverschuldung durch Wahlgeschenke wieder erheblich höher werden lassen. Sein Versuch, den Druck der EU dadurch zu konterkarieren, dass er sich wirtschaftlich Russland zugewandt hat, könnte sich durch den Ukraine-Krieg im Nachhinein als Fehler erweisen. Das wären lohnende Felder für eine Opposition, die ihre Aufgabe ernst nimmt. Doch die Opposition, die an diesem Sonntag Orbán herausfordern wird, wird dieser Aufgabe nicht gerecht.

Die vereinigte ungarische Opposition ist ein Wahlzusammenschluss von sechs Parteien. Bei den vorigen Wahlen 2018 war die stärkste unter ihnen die nationalsozialistische Jobbik (Die Rechten) mit 19,6 Prozent, danach kam ein Zusammenschluss zwischen den postkommunistischen Sozialdemokraten und einer grünen Partei, Párbeszéd (Dialog), mit 11,9 Prozent, gefolgt von der LMP, einer noch grüneren Partei mit 7 Prozent, Schlusslicht war die Demokratische Koalition (DK) des ehemaligen sozialistischen Ministerpräsidenten Ferenc Gyurcsány mit 5,3 Prozent. Der sechste Teilnehmer, die aktionistische Partei Momentum, schaffte es mit drei Prozent nicht ins Parlament. Die Zahlen zeigen schon, warum das mühsam ausgehandelte Bündnis der Sechs notwendig war

Nur gemeinsam, mit gemeinsamen Kandidaten kann sich die Opposition Chancen ausrechnen, gegen die Koalition von Fidesz und KNDP gewinnen zu können.  

Leider muss man sagen, dass allein die nationalsozialistische Jobbik eine Partei ist, die auf ungarischem Boden gewachsen ist.

Alle anderen Parteien haben Programme, in denen die EU-Richtlinien sklavisch übernommen und die universalistischen Rezepte der woken Weltveränderer geistlos kopiert werden. Diese Parteien können sogar nur bestehen, weil sie zu großen Teilen aus dem Ausland politisch unterstützt und über die mit ihnen verflochtenen NGO finanziert werden. 

In ihrem mühsam ausgehandelten gemeinsamen Programm findet sich neben all den geplanten staatlichen Regulierungen und Wohltaten auch der Plan einer neuen Verfassung. Sie soll als Dank die Verpflichtung zur ewigen EU- und Nato-Mitgliedschaft enthalten, ebenso 

die „Verpflichtung Ungarns“, „das immer engere Zusammenwachsen der Völker Europas anzustreben, sowie die gemeinsamen Werte der EU zu verwirklichen“.

Sie ist eine Kapitulations- und Unterwerfungserklärung gegenüber der universalistischen Ideologie, der EU und den Mächtigen der westlichen Welt. Zugleich sollen alle Bestimmungen aus der Verfassung getilgt werden, die das „gegenwärtige Regime ideologisch und strukturell untermauern“. Da die Opposition – mit einigem Realismus – nicht damit rechnet, die verfassungsgebende Zweidrittelmehrheit zu gewinnen,

will sie die Änderung durch eine Volksabstimmung vollziehen, was einem Putsch gleichkäme.

Starke Einmischung aus dem Ausland auf der Seite der Opposition

Die EU, die weltweiten Aktivisten wie der Milliardär George Soros haben diese Parteien im Vorfeld der Wahlen mit beispiellosem Einsatz unterstützt. Sogar auf der New-Yorker Times Square ließ ein amerikanischer actionfordemocracy.com genannter Verein eine riesige Anzeige laufen mit folgendem Text: 

  „help Hungarians use their strongest weapon – democracy is under attac – take action now“ (https://www.youtube.com/watch?v=yIMbc3K0Jm4).

Dem Verein gehören Persönlichkeiten wie Francis Fukuyama, Timothy Garton Ash, Anne Applebaum und der ehemalige Nato-General Wesley Clark an – man kann sagen, die Creme der ideologischen Führung des westlichen Universalismus. Offensichtlich aus dem englischsprachigen Ausland, weil in schlecht aus dem Englischen übersetztem Ungarisch, und

absolut illegal haben etwa zwei Millionen ungarische Bürger SMS-Aufforderungen auf ihr Mobiltelefon erhalten, bei den Wahlen für die Opposition zu stimmen.

Man könnte die Aufzählung endlos fortführen: Der ukrainische Ministerpräsident Zelensky hat die Zeit gefunden, mit der Opposition zu paktieren, um deren Wahlsieg zu fördern und Ungarn mit der Parole „kein Öl für Blut“ in den Krieg hineinzuziehen. Oder Donald Tusk, ehemaliger polnischer Ministerpräsident und ehemaliger Vorsitzender des Europarates und der EVP: Der Mann war sich nicht zu schade, mit dem Anführer der antisemitischen und rassistischen Partei Jobbik vor Fotografen in Budapest zu posieren. 

Die OSZE veranstaltet auf Verlangen der Opposition, die Orbán ohne Beweise unterstellt, die Wahlen fälschen zu wollen, eine vollständige Wahlbeobachtung wie sie bisher nur in Ländern wie Aserbaidschan oder Kasachstan üblich war. Bemerkenswert dabei ist, dass sich weder OSZE, noch die New-Yorker Linken ein Problem darin sehen, sich mit erklärten Antisemiten und Rassisten zu verbünden, nur um Orbán zu stürzen. 

Wie zur Zeit, einen Tag vor der Wahl, die Chancen der beiden Seiten stehen ist schwer zu sagen. Es gibt keine ausgesprochene Wechselstimmung, zumal die Bemühung der ungarischen Regierung, sich aus dem Ukraine-Krieg herauszuhalten auf große Zustimmung stößt. Es gibt aber ein Nörgeln und Murren, ein Kokettieren mit etwas Neuem, wie immer, wenn es den städtischen Eliten gut geht. Die meisten Meinungsforschungsinstitute rechnen vorsichtig mit einem Sieg von Fidesz und Orbán. Ob es wieder für eine Zweidrittelmehrheit reicht, gilt als unwahrscheinlich. Das ist aber auch gut so, denn etwas mehr Gegenwind könnte nicht schaden. Ob der freilich aus der richtigen Richtung kommt, ist mehr als fraglich.

Der Artikel erschien in Achgut.com https://www.achgut.com/artikel/ungarn_eine_europaeische_schicksalswahl

6 Kommentare

  1. Warum Orban der Bismarck Ungarns heute ist und der beste Europäer, könnt Ihr hier erfahren:

    UNGARN ÖSTERREICH UND KUK- VERM…Letzte Änderung: 02.02.2022
    Rainer Kaltenböck-Karow

    Veröffentlichung (Softcover)

    ISBN: 978-3-754901-88-5

  2. Ende gut, alles gut. Wir können heute abend beruhigt ins Bett gehen: Orban’s Partei hat die Wahl turmhoch gewonnen. Die einzige Frage blieb, ob es zum Zweidrittel reicht. Die Antwort ist um 1 Uhr 50 am 04.04. : höchstwahrscheinlich ja. Schade, dass die Gesichter der europäischen Führungskräfte heute früh nicht abgelichtet und veröffentlicht werden können….

  3. Sehr geehrte Frau Koenen,
    vielen Dank für Ihren ausgezeichneten Artikel. Er ist ein gutes Beispiel dafür, warum wir die Arbeiten der mutig agierenden, unabhängigen Autoren viel höher schätzen als die Beiträge der bekannten Berichterstatter großer Presseorgane. Diese Publizisten erliegen leicht dem Meinungsdiktat der Hauptströmung, teils aus Unkenntnis, teils infolge feiger Kompromisse. Vor dem Hintergrund der Ergebnisse der aktuellen Parlamentswahlen in Ungarn könnten diese Damen und Herren erkennen, dass sie in ihren Einschätzungen verkehrt liegen. Ob sie dafür fähig sind, ist es wohl eine andere Frage.

  4. Sehr geehrte Frau Koenen, nach zwei Tagen des Wahlsieges ist die Zeit für die Analyse da. Zuerst: Besser, als Sie hätte niemand die Vorgeschichte zusammenfassen können.
    Erlauben Sie mir bitte aber eine kurze Ergänzung:
    Sie schreiben : “ Orbán gewann diese erste Wahl, weil die Wählerschaft glaubte, alles sei besser, als so weiterzumachen wie bis dahin.“
    Zu den von Ihnen aufgezählten Gründen und Ursachen des Wahlsieges kamen noch einige Erreignisse:

    1. Die Rede des damaligen Ministerpresidenten in Balatonöszöd, die bisher nie gewesene Offenlegung einer Teufelsküche, wo nach eigener Zugabe von früh bis abend gelogen und gefälscht wurde. (Die Fälschungen der EU vorgelegten Staatshaushaltsbilanzen blieben _wie könnte es anders sein, wenn die Linken regieren – ohne Konsequenz…)

    2. Die beispiellose Polizeiterror-Attacke, die gegen die friedliche Grosskundgebung der FIDESZ-Anhänger geführt wurde, wo wahllos Frauen, Kinder, alte Leute, aber auch später neutrale Passanten, sogar aus Gastätten auf die Strasse gezehrte Leute brutal zusammengeschlagen, und viele sogar verschleppt worden sind.
    (Wie interressant, die Rechtsstaatlichkeit wurde damals von der EU nie bezweifelt…)

    3. Ein Grossteil der Wählerschaft hat auch nicht vergessen, wie sie in 2006 aufs Ohr gehauen wurden: Ende 2005 wurde die Mehrwertsteuer erheblich gesenkt mit der Begründung: die Wirtschaft boomt, die Haushaltszahlen sind so glänzend, dass diese Ergebnisse an die Bewölkerung weiterreichen werden können… Als diese Betrüger die Wahl gewonnen haben, nach paar Tagen wurde die Mwst. wieder auf 27 % erhoben, um die drohende Staatsbankrott wenigstens hinauszuzögern…

    Die jetztige Opposition wird hauptsächlich von solchen finsteren Figuren geleitet, die in den dunkelsten Jahren der ungarischen Geschichte nach 1990 das Land geführt haben. Wenn wir all das bedenken, erhebt sich überhaupt die Frage, warum die Mehrheit der Wähler – trotz Fehler der Orban-Regierung – diese Truppe nie wieder an die Macht helfen will?

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