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Ungarn aus erster Hand

24. Februar 2022, Magyar Hírlap ein Interview mit IRÉN RAB von BENCE VARGA

Wenn wir andauernd hören, etwas sei schlecht, dann glauben wir das früher oder später, vor allem wenn wir keine Möglichkeit haben, uns ein eigenes Bild zu verschaffen”, erklärte die Kulturhistorikerin Irén Rab der Zeitung Magyar Hírlap gegenüber. Die Kulturhistorikerin und ständige Autorin der Zeitung startete vor einem Jahr ihre Webseite Ungarnreal – Ungarn aus erster Hand. „Ich möchte Menschen nicht überzeugen, sondern ansprechen. Mein Ziel ist, deutsche Leser mit der konservativen ungarischen Sichtweise vertraut zu machen, da in Deutschland ihrer Ansicht nach eine Menge Stereotype über das Land existieren.“Ich schreibe nie etwas nieder, das nicht aus glaubwürdiger Quelle stammt.“

Dr. Irén Rab, Gründungsredakteurin des Ungarnreals

Warum haben Sie begonnen zu schreiben?

– Ich möchte klarstellen, dass mich das journalistische Schreiben vorher nie gereizt hat. Früher erschienen von mir Artikel in wissenschaftlichen Zeitschriften und ich habe schriftlichen Ausdruck gelehrt, aber ich hatte nie wirklich Zeit, eigene Texte für eine breitere Öffentlichkeit zu verfassen. Bedingt durch die Migrationskrise im Jahr 2015 hatte ich zum ersten Mal das Gefühl, dass ich schreiben muss. Es war, als würde ich in zwei Welten leben.

Ich verfolgte die deutschen und die ungarischen Nachrichten und die Berichterstattung war vollkommen entgegengesetzt. Es existierte eine Wirklichkeit, doch über diese wurde in Ungarn und in Deutschland auf ganz unterschiedliche Weise informiert.

Also fing ich an, nach der dahinterstehenden Wahrheit zu suchen.

Und dann haben Sie ein Buch geschrieben.

– Daraus ist das Buch Helyzet van! (Migráció-szürreál) entstanden, das als eine Art privater Blog begonnen hatte, vor allem für mich selbst und meine Bekannten. Letztendlich ist ein Buch daraus geworden. Zu der Zeit wohnte ich noch in Deutschland, wo ich fünfzehn Jahre lang gelebt habe, bis ich vor fünf Jahren nach Ungarn zurückgezogen bin. Mir war aufgefallen, dass hier in Ungarn zwar lauter positive Stereotype über Deutschland existieren, doch als ich dort lebte und an der Universität Göttingen lehrte, sah ich, dass diese nicht unbedingt der Wirklichkeit entsprechen.

Und deswegen haben Sie Ungarnreal gestartet?

– Zum Teil ja. Doch ein anderer Aspekt war, dass auch die Deutschen Stereotype über uns erschaffen, allerdings sind diese negativ und werden noch dazu immer schlechter. Ich war der Meinung,

es kann nicht schaden, sie darüber aufzuklären, dass das Bild, das in den deutschen Medien über Ungarn verbreitet wird, nicht der Realität entspricht. Denn die meisten Deutschen sprechen kein Ungarisch,

was bedeutet, dass Informationen sie nur über einen Mittelmann erreichen. Und wir sehen ja, dass es nicht unbedingt die konservative Sichtweise ist, die sie erreicht. Das ist einfache Psychologie: Wenn wir andauernd hören, etwas sei schlecht, dann glauben wir das früher oder später, vor allem wenn wir keine Möglichkeit haben, uns ein eigenes Bild zu verschaffen. Deshalb habe ich vor genau einem Jahr, Anfang 2021, die Webseite Ungarnreal begonnen.

In einem Interview haben Sie gesagt, Ihnen sei bewusst, dass die meisten Menschen auch angesichts noch so nüchterner Gegenargumente nicht bereit sind, ihr Narrativ zu verändern. Warum haben Sie trotzdem diese Aufgabe auf sich genommen?

– Weil die deutsche Gesellschaft keine homogene Masse ist, in der alle Leute gleich sind. Es gibt viele, die die Welt anders sehen als die deutschen Mainstream-Medien. Wir bekommen nur deshalb leicht den Eindruck, die Deutschen seien sich einig, weil

die entgegengesetzten Meinungen keine Stimme haben. Dabei gibt es viele Deutsche, die nicht damit zufrieden sind, was in Deutschland in letzter Zeit passiert.

Dann versuchen Sie also nicht, andersdenkende Deutsche zu überzeugen.

– Ich möchte niemanden überzeugen. Ich mag diesen Ausdruck nicht. Meine Ansicht ist, dass jeder seine eigene Wahrheit hat und sich auch ruhig daran halten soll. Doch seine Meinung sollte man aufgrund der Kenntnis unterschiedlicher Standpunkte bilden und über so viel Informationen zum Thema wie möglich verfügen.

Ich möchte die Menschen nicht überzeugen, sondern ansprechen. In meinen Artikeln mache ich eigentlich nichts anderes, als was ich als Lehrer getan habe.

Meinen Sie hiermit eine wissenschaftliche Herangehensweise?

– Auf gewisse Weise ja. Ich weiß, wie man die Deutschen ansprechen kann, ich weiß, wie man Informationen so präsentiert, dass sie für sie zugänglich sind. Das wissenschaftliche Denken ist in den Texten insofern präsent, dass ich nie etwas niederschreibe, das nicht aus glaubwürdiger Quelle stammt oder von mir überprüft wurde.

Was verstehen Sie unter dem Überprüfen?

– Wenn mir zum Beispiel ein früheres Ereignis einfällt, von dem ich das Gefühl habe, dass ich darüber schreiben muss, dann überprüfe ich jeden Aspekt dieses Gedanken. Viele sagen, ich hätte einen leichten Schreibstil. Doch hinter dieser Leichtigkeit steckt harte Recherchearbeit. Dass das an meinem Stil nicht zu sehen ist, freut mich allerdings.

Wie hat sich Ungarnreal in diesem einen Jahr entwickelt?

– Als ich die Idee dazu hatte, wusste ich noch nicht, wie das Format genau aussehen soll.

Heute nenne ich die Seite eher ein Magazin als einen Blog, denn neben politischen Berichten finden sich darin auch gesellschaftliche, geschichtliche oder kulturelle Artikel.

Ich veröffentliche all jene Inhalte, die für Deutsche aus anderen Quellen schwer zu erreichen sind, die positive und gehaltvolle Informationen über Ungarn vermitteln und die dabei helfen, nachzuvollziehen, weshalb die Mentalität der Ungarn anders ist.

Außerdem mag ich Texte, die die guten Seiten der deutsch-ungarischen Beziehungen präsentieren. Am Anfang hatte ich noch befürchtet, ich würde kaum etwas zu schreiben haben, doch mittlerweile stelle ich fast täglich einen neuen Artikel online und halte meine Leser in einem wöchentlichen Newsletter über die neuen Publikationen auf dem Laufenden. Ich betreibe die Seite alleine, aber ich habe viele freiwillige Helfer in Deutschland und Ungarn, die mich mit Ideen und Informationen versorgen oder wenn nötig Artikel übersetzen oder Korrektur lesen. Ich habe “eigene Autoren”, die explizit für Ungarnreal schreiben, aber auch schon ein paar “Medienpartner”.

Wissen Sie, wie viele Leser Sie haben?

– Ende Dezember habe ich eine Endabrechnung gemacht, zu dem Zeitpunkt waren mehr als

zweihundertachtzig Artikel online und ich hatte insgesamt zweihundertsiebzehntausend Leser, durchschnittlich achtzehntausend im Monat. Drei Viertel der Besucher der Seite waren aus dem Ausland

in absteigender Reihenfolge aus Deutschland, Österreich und der Schweiz, doch es gibt auch Leser in den USA und Kanada. Die meisten meiner Leser sind übrigens aus Berlin.

Dann können wir getrost behaupten, dass Sie es ins Zentrum geschafft haben. Wann werden Sie sagen, dass Sie zufrieden sind?

– Manchmal glaube ich, zufrieden bin ich erst, wenn ich jemandem den Ball abgeben kann. Die Seite beansprucht sehr viel Arbeit, aber solange ich Spaß daran habe und Sinn darin sehe, werde ich weitermachen.

Dr. phil. Irén Rab ist Gründungsredakteurin des Ungarnreals, des Magazins „Ungarn aus erster Hand“.

Foto: Róbert Hegedűs/Magyar Hírlap

MAGYARUL: https://www.magyarhirlap.hu/kultura/20220203-magyarorszag-elso-kezbol

2 Kommentare

  1. Die Idee finde ich sehr gut, denn ich hatte auch nur negative Sachen über Ungarn gehört (in der deutschen Presse), daher sehe ich per Internet die ungarischen Nachrichten und Kommentare an. Nun ja, es sind zwei verschiedene Welten in der Berichterstattung. Werde Ihre Seite immer wieder besuc
    hen.

  2. Seit April 2015 arbeite ich in Österreich und fand sehr schnell Kontakt zu hier arbeitenden Ungarn. Dabei stellte ich in der medialen deutschen Berichterstattung eben ein Mißverhältnis zu meinen ganz persönlichen positiven Eindrücken fest. Ich bereiste Ungarn kreuz und quer, erlernte die Sprache. Ich freue mich daher, eine weitere direkte Informationsquelle zu bekommen.

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