19. November 2022 Látószög.blog von MÁRTON BÉKÉS
Jede „Farbrevolution“ verwirklicht lokal ein globales Drehbuch, dieses Rezept wird von Zeit zu Zeit auch in Ungarn anzuwenden versucht. Das Thema „Farbrevolution“ steht ständig auf der politischen Agenda der ungarischen Oppositionellen. Zu letzteren gehören nicht nur „zivile“ Aktivisten oder Parteien innerhalb und außerhalb des Parlaments, sondern auch Nichtregierungsorganisationen (NRO-s oder NGO-s), die aus dem Ausland größtenteils durch George Soros finanziert werden, die Medien, die ebenfalls durch Soros-Zuwendungen und staatliche Subventionen aus den USA, den Niederlanden und Deutschland unterhalten werden, und „unabhängige“ Plattformen im Bereich der Geisteswissenschaften (Hochschulen, Universitäten, Theater) sowie eine Vielzahl von sog. Rechtschutzorganisationen.
Die anfängliche Begeisterung in ihren Kreisen für den „arabischen Frühling“ wurde kaum zehn Jahre später durch die wiederholte Ausrufung einer Art „asiatischer Frühling“ ersetzt, einschließlich einer zweiten „Regenschirmrevolution“, wie in Hongkong, einer Kombination von Protesten, wie in Thailand und der Krise in Myanmar. Die Proteste und die Filme des diesjährigen Internationalen Dokumentarfilmfestivals Budapest zum Thema Hongkong wurden mit Spannung erwartet, ein zur Opposition gehörender Journalist verlautbarte sogar, dass „es interessant ist zu sehen, wie ähnlich solche Demonstrationen in Hongkong oder Budapest erscheinen, uns sind solche Bilder während der Universitätsbesetzungen begegnet“. Es gab auch einen persönlichen Kontakt mit einem in Hongkong lebenden ungarischen Aktivisten, im Übrigen Mitarbeiter von Tilos Rádió, Autor der Zeitung Magyar Narancs (oppositionelle Medien in Ungarn), der auch an der Mahnwache, also der Besetzung der Universität für Theater- und Filmkunst (SZFE) in Budapest 2020 teilgenommen hat.
Die Begeisterung mancher oppositioneller Medienplattformen für die „Samtrevolution“ in Armenien in 2018 führte dazu, dass sie dies als Blaupause für den heimischen Gebrauch empfohlen hatten. Das Thema der weißrussischen Proteste in der zweiten Jahreshälfte 2020 wurde eindeutig von der Partei Momentum aufgegriffen, sie organisierte eine Solidaritätsdemonstration und einer ihrer EU-Parlamentsabgeordneten hat sich auf spektakuläre Weise die Sache zu eigen gemacht, indem er mal beim Parlament, mal vor der Botschaft von Weissrussland demonstrierte. Auch die turbulenten Unruhen in Kasachstan Anfang 2022 wurden weithin befürwortet und in einen unmittelbaren geopolitischen Zusammenhang gestellt. Dazu passte auch die nach den Protesten gegen die Fudan-Investition (Chinesische Universität in Planung) in Budapest entstandene primitive Anti-China-Stimmung, ergänzt durch die bereits erwähnte Unterstützung der Demonstrationen in Hongkong, oder die Unterstützung für die Freilassung des in Russland rechtskräftig verurteilten Alexej Nawalny; an diesem letztgenannten Protest nahmen gerade drei Demonstranten teil.
Die Dramaturgie der „farbigen Revolutionen“ wurde bei den regierungsfeindlichen Protesten in Ungarn wiederholt eingesetzt.
Angefangen bei der Demonstration gegen die sog. „Internet-Steuer“ im Oktober 2014, bei der sich das Spektakel der „Regenschirm-Revolution“ in Hongkong mit hochgehaltenen Telefonen mit einigen Wochen Verspätung wiederholte, bis hin zur Demonstration gegen die sog. „lex CEU“ im April 2017, bei der selbst die Organisatoren nicht leugneten (im Gegenteil), dass sie zu einem internationalen Netzwerk gehören, und dann die Ausschreitungen Ende 2018 vor dem Parlament und dem Fernsehgebäude, gegen das sog. „Antisklavereigesetz“, die den Massendemonstrationen in Belgrad, Prag und Bratislava im folgenden Jahr unheimlich ähnelten, bis hin zur Protestwelle im Herbst 2020, deren Höhepunkt die Besetzung des SZFE-Gebäudes (Theater-Uni) war. Was die Symbolik und die Organisation betrifft, so wirkte es, wie eine Generalprobe für eine „Farbrevolution“, die buchstäblich in Theaterkreisen vorbereitet wurde.
SUBVERSIONSDREHBÜCHER
An der Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert stellte sich für die Arbeiterbewegung auf der politischen Ebene, die weit über die rein organisatorischen Dinge hinausging, die wichtige Frage, ob die meisten ökonomischen Kämpfe der gefestigten westlichen Sozialdemokratie nicht doch eine Akzeptanz oder gar eine Unterstützung der bürgerlich-kapitalistischen Ordnung darstellten und ob nicht stattdessen die direkte Aktion, der politische Terror oder der bewaffnete Aufstand, wie es uns die Anarchisten gelehrt hatten, effektiver wären. Und wenn ja, wie kann das revolutionäre Bewusstsein in die Köpfe des Proletariats gebracht werden? Lenin schrieb zu dieser Frage eine erhellende, umfangreiche Broschüre („Was tun?“ 1902), in der er sowohl sozialdemokratischen Konformismus als auch Hitzköpfigkeit (Aufstand, Attentat) ablehnte und der Arbeiterbewegung in Russland einen Ausweg aus Fraktionskämpfen und sektiererischen Auseinandersetzungen bot. Er schreibt: „Wir lehnen den sofortigen Aufruf zum Angriff ab […] und fordern, dass alle Kräfte eingesetzt werden, um ein stehendes Heer zu sammeln, zu organisieren und zu mobilisieren.“
Die leninistische Strategie hielt es für zweckmäßig, einerseits ein Netzwerk von Berufsrevolutionären zu schaffen und andererseits eine nationale Zeitung unter ihre Kontrolle zu bringen, da die Massen nur durch eine „jeden einzelnen erreichende, allumfassende Agitation“ erreicht und gewonnen werden konnten. Seiner Ansicht nach würde dies
„die spontane zerstörerische Kraft der Massen mit der bewussten zerstörerischen Kraft der Revolutionäre zusammenbringen und verschmelzen“.
In diesem Sinne ist die Partei nichts anderes als „die Avantgarde der Revolutionäre“, und die Zeitung ist eine Mobilisierungswaffe in ihren Händen. Auf dieser Grundlage gab Lenin seine berühmte Parole aus: „Gebt uns eine Organisation von Revolutionären, und wir werden Russland auf den Kopf stellen!“ Nicht mehr als fünfzehn Jahre nach der Veröffentlichung des Textes geschah es: 1917 ergriffen die Bolschewiki durch einen Staatsstreich die Macht.
Die Taktik der Avantgarde und die Kommunikationskampagne haben sich als jahrhundertealte Methode erwiesen. Die Aufgabe der „zivilen“ Revolutionäre besteht darin, in mehreren Etappen eine revolutionäre Situation zu schaffen:
- Infiltration, d.h. die Bildung von Vorhutgruppen (Aktivisten, Medien, NGO, politische Parteien);
- dann Etablierung (Vernetzung, Information externer Akteure, parlamentarische Präsenz);
- schließlich Durchbruch (Beeinflussung der Gerichte, Gewinnung der politischen Macht).
Dieses Szenario ist auch in Ungarn nicht unbekannt, zumal die schriftlichen Fassungen in ungarischer Sprache mit viel Gefühl für Tempo auch auf Ungarisch nacheinander veröffentlicht wurden.
Alinsky in 1971 veröffentlichtes bahnbrechendes Werk Rules for Radicals (Regeln für Radikale) ist auf Ungarisch sogar in zwei Ausgaben erschienen. Zunächst 1988 unter dem Titel Kleiner Leitfaden für Radikale, herausgegeben von der kommunistischen KISZ-Leitung der Fakultät für Maschinenbau der Technischen Universität Budapest, später 1999 unter dem Titel Das Alphabet des Organisierens der zivilen Kräfte. Die Wahl des letztgenannten Titels war ein klares Zeichen dafür, dass
das Putschvirus an der Schwelle zum 21. Jahrhundert seinen Träger gewechselt hatte: zivile Aktivisten statt revolutionärer Avantgarde.
Alinsky selbst schreibt im Vorwort seines Buches, dass die Gruppe der „jungen Radikalen“ die „heutige Avantgarde“, die „neue Generation der Revolutionäre“ sei. Er unterbreitete ihnen Vorschläge im Sinne eines „radikalen Pragmatismus“ – er riet dazu, „innerhalb des Systems“ mit einem umfassenden Reformprozess zu beginnen, der im Laufe der Vorbereitungsarbeiten langsam in einen revolutionären Wandel münden sollte. „Die Methodik hierfür ist wie folgt. […] Es muss eine Atmosphäre geschaffen werden, in der die Notwendigkeit von Veränderungen zwar nicht leidenschaftlich gewünscht, aber auch nicht in Frage gestellt wird.“
Die Revolution ist also lediglich eine Frage der Organisation.
Basierend auf seinen Erfahrungen in Belgrad mit Otpor!, die er 1999-2000 leitete, und auch als Lehrplan für das von ihm gegründete Zentrum für angewandte gewaltfreie Aktionen und Strategien (CANVAS), veröffentlichte Srđa Popović 2015 ein Buch, das zwei Jahre später in Ungarn erschien (Leitfaden für die Revolution, 2017). Das Buch wurde vom Autor selbst auf Einladung der von Márton Gulyás geleiteten Gemeinsames Land Bewegung in Budapest vorgestellt. In einem Interview mit ihm sagte er, dass er „erwartet, von Aktivisten in Budapest angesprochen und um Rat gefragt zu werden, wie man gewaltfreie Protestbewegungen organisiert“, während sein Übersetzer bereits verlautbarte, dass „wir wissen, dass das Buch viele aufstrebende Politiker in Ungarn erreicht hat“.
Dieser Revolutionsführer ist zu einem beliebten Lesebuch für oppositionelle Aktivisten in Ungarn geworden. Signierte Exemplare tauchen auf den Facebook-Seiten von Politikern und Straßenkämpfern gleichermaßen auf. Die Recherchen von Magyar Idők ergaben auch, dass
zur gleichen Zeit, als das Buch veröffentlicht wurde, im Kunbábony-Zentrum der Stiftung Ziviles Kollégium Trainings für zivilen Ungehorsam stattfanden.
Die Schulungen und Leseseminare der „Ziviles Kollegium Stiftung“ zeigten ihre Wirkung, denn in der zweiten Hälfte der 2010er Jahre machten alle Oppositionsgruppen aller Couleur (CEU-Protestler, Nerd-Shirts, Stadtwäldchen-Verteidiger) regen Gebrauch von Popovićs Erkenntnissen.
Die ehrlicheren unter ihnen machen daraus keinen Hehl, einige haben auch den gar nicht so versteckten amerikanischen Faden bemerkt. So erinnert sich der linke Anarchist Gergely „Nefelejcs“ Varga an den Vorabend der Wahlen 2018 unter konspirativen Gesichtspunkten. „Wir waren mitten in den CEU-Demonstrationen, vor einer Parlamentswahl, Márton Gulyás gründete diese neue Organisation und startete das Medienunternehmen und den Internetsender PARTIZÁN […] Zu dieser Zeit wurde der Leitfaden für die Revolution, das Handbuch über das ordnungwidrige Verhalten der Brigade, die Milosevic stürzte, populär. […] Ein paar Dinge wurden bei dieser Geschichte vergessen, wie z.B.: wie viel ausländische – insbesondere amerikanische – Unterstützung sie brauchten, und dass der Anführer von Otpor!, Popovich, konkret für Stratfor, also für eine Abteilung der CIA arbeitete. […] Wir hatten auch zwei Leute von seiner Organisation zu Gast, um Schulungen durchzuführen.“
Das mittlere Element in der chronologischen Reihenfolge der Revolutionsszenarien, d.h. das ursprünglich 1993 verfasste Werk von Gene Sharp, ist seit 2020 auf Ungarisch erhältlich (Von der Diktatur in die Demokratie), in dem es in der Fußnote des Übersetzers heißt, dass „Ungarn […] mit seiner schwindenden Demokratie nur noch ein „teilweise freies Land ist“, mehr noch, sogar eine Diktatur“. Diese Aussage entspricht ziemlich dem ideologischen Narrativ der EU-Erpressung und der in der Wissenschaft vorherrschenden regime-tipologisierenden Semantik (Diktatur, Hybridregime, Mafia-Staat, Wahl-Autokratie).
Der Einfluss der Ideen der Revolutionsforcierung ist in Ungarn seit Mitte der 2010er Jahre unverkennbar.
Die für „Farbrevolutionen“ typischen Methoden sind seit 2018 besonders auffällig, sowohl in Bezug auf Straßentechniken (Verkehrsblockaden, O1G-Kampagne (vulgäre Beleidigung des Ministerpräsidenten), SZFE-Blockade, TV-Besetzung) als auch in Bezug auf der Volksfrontbildung. Diese Methode wird in vielen Nachbarländern angewandt: Occupy-Taktik, Blockade von Gebäuden, Besetzung des öffentlich-rechtlichen Fernsehens, gemeinsame Aktionen der Opposition. Zusätzlich zu den oben genannten Büchern wurde der internationale Wissenstransfer durch eine Reihe von Foren (Aktivistenplattform, NRO, Schulungen) erleichtert. Das Sommercamp, das im Sommer 2020 vor der Besetzung der Fachhochschule für Theaterwissenschaften organisiert wurde, befasste sich beispielsweise mit der Universitätsbesetzung von 2009 in Zagreb und beinhaltete einen Vortrag über gewaltlosen Widerstand. Während vor 2018 die Vorbereitung auf den „heißen Herbst“ auf der Agenda kleinerer Bewegungen (Studentisches Netzwerk, Milla, Solidarität) stand, wurde das Experimentieren danach koordinierter, organisierter und massenhafter, sogar von provokativen Aktionen begleitet .
ZIVILE STOSSTRUPPE
Es gibt auch inländische Vertreter der Techniken der „farbigen Revolutionen“, die sich mit ernsthafteren, sogar entwicklungsfördernden Aktivitäten als bloss mit einfacheren Adaptationen, beschäftigen. Dieses Netzwerk ist vor allem im sozialen Bereich tätig, seine Mitglieder kommen vornehmlich aus dem Bereich der Geisteswissenschaften, mit besonderem Interesse an den Problemen des Wohnens und Theaterlebens (wie der Gründer über die Führer der Sender Partizán sagt: „Unser Kontaktnetz entsteht zu einem großen Teil aus dem Kreis von Theaterleuten“). Sie sind in einer Reihe von Bürger-, Berufs- und Interessenvertretungsorganisationen aktiv, treten aber auch im Umfeld von linksgrünen Politikern, ihren Parteien und Bewegungen auf (Párbeszéd, Szikra). Ihr Kontaktnetz überschneidet sich mit Menschenrechts-, Pro-Migrations- und Rechtsschutz-NGOs auf der liberalen Seite (Amnesty, Helsinki, Shelter, TASZ, Transparency), aber sie haben auch die Finanzierung durch die Soros-Stiftung gemeinsam.
Unbedingt erwähnenswert ist auch das Buch „Ziviler Ungehorsam und gewaltfreier Widerstand“ (2016), herausgegeben von Bálint Misetics, Leiter der „Die Stadt gehört allen” (AVM) Bewegung, Berater des Budapester Oberbürgermeisters und Organisator zahlreicher Oppositionsbewegungen. Der Band ist ein hervorragend ausgewähltes, gut redigiertes, konzeptionelles Werkstattwerk, das sowohl auf Texte der Klassiker (Gandhi, Martin Luther King, Henry David Thoreau) als auch auf moderne liberale Theorien (Jürgen Habermas, John Rawls) zurückgreift und vier Arten von Instrumenten (ziviler Ungehorsam, direkte Aktion, Nicht-Kooperation, gewaltfreier Widerstand) benennt, darunter auch solche, die bereits von mehreren Organisationen (AVM, „Ich möchte lehren”- Bewegung) eingesetzt wurden. In der Einleitung der Textsammlung heißt es, dass sie speziell dafür konzipiert wurde, ihren Lesern „Ideen und Methoden – und vor allem Inspiration – zu bieten, die sie in der Praxis erfolgreich anwenden können“, denn „der Band wurde teilweise als Antwort auf den aktuellen Zustand des öffentlichen Lebens in unserem Land geschrieben“.
In den 2010er Jahren haben sich in Ungarn eine Reihe von Gruppen gebildet, die in der Lage sind, sowohl organisatorisch als auch thematisch ein viel breiteres Spektrum an Menschen zu erreichen und zu mobilisieren als die schwache parlamentarische Oppositionspolitik.
Diese Gruppe von NGO, NGO-Plattformen, Stiftungen und Interessengruppen ist von der Finanzierung durch Soros beeinflusst und in vielerlei Hinsicht verbunden mit den Parteien der Grünlinken und mit den ausnahmslos pro-Soros-Parteien. In vielerlei Hinsicht ist sie mit den im achten Bezirk von Budapest angesiedelten Gemeinschaftsräumen der Neuen Linken (Aurora, Gólya, Patyolat) und mit alternativen (sozialistischen, genossenschaftlichen, grünen) linksintellektuellen Kreisen (Fordulat, Helyzet Workshop, Mérce, Gesellschaftstheoretisches Kollegium, Neue Gleichheit) verbunden. Außerdem sind personelle Überschneidungen mit der heimischen neofeministischen und LGBTQ-Szene erkennbar.
Die erste davon war der wiederholt erwähnte Human Platform Verein, der 2012 von der Krétakör Stiftung, einer Kultsekte in der alternativen Theaterwelt, gegründet und vom norwegischen NGO-Fonds unterstützt wurde. „Unsere Aufgabe ist die Interessenvertretung und die professionelle und zivile Kontrolle der Mächtigen in Fragen, die die Geisteswissenschaften betreffen“, heißt es in seinem Leitbild. Unter den Mitgliedern des Forums, in dem mehrere Berufsverbände zusammengeschlossen sind, finden sich eine Reihe bekannter Aktivistengruppen und linker Berufsverbände (Studentennetzwerk, Lehrernetzwerk, Demokratische Lehrergewerkschaft). Die Motivation des unabhängigen Theaters wird dadurch deutlich, dass die Grundidee zur Gründung der Organisation mit Márton Gulyás, dem damaligen Geschäftsführer von Krétakör, verbunden war, ebenso der bereits erwähnten Koordinatorin Adrienn Zubek, die damalige Geschäftsführerin von Stúdió K.
Der wichtigste kreative Kopf ist Márton Gulyás, der in einem freundlichen Porträt als „nicht in erster Linie auf den Sturz der Regierung, sondern auf die Sensibilisierung der Gesellschaft für die Notwendigkeit der Übernahme gemeinsamer Verantwortung“ bedacht beschrieben wurde. Er gründete 2017, fünf Jahre nach dem Humán-Platform, die Bewegung „Gemeinsames Land„. Sein Ziel war es, das nationale Wahlsystem zu ändern und, als dies nicht gelang, die koordinierte Kandidatur der Oppositionsparteien bei den Parlamentswahlen 2018 zu fördern, was teilweise auch erfolgreich war. Sein nächster großer und vollends gelungener Schritt war die Gründung des Medienunternehmens Partizán, das von Herbst 2018 bis Herbst 2022 eine rasante Entwicklung durchlief. Was die Unterstützung betrifft, so berichtet die „Partizán-Stiftung für die Produktion kritischer Inhalte“, dass „wir im Rahmen einer Einladungsausschreibung vom German Marshall Fund 15.000 USD und von The Foundation for Democracy and Pluralism 200.000 EUR erhalten haben“. Der Chefredakteur-Gründer fügt hinzu, dass die Finanzierung auch von der National Endowment for Democracy [NED] bereitgestellt wurde, die ihre weitere Unterstützung zugesagt hat. Die NED wurde vom US-Kongress ins Leben gerufen und setzt sich laut ihrer Website dafür ein, „die Reichweite demokratischer Institutionen im Ausland zu vergrößern, einschließlich politischer Parteien, Gewerkschaften, freier Märkte und Wirtschaftsorganisationen sowie einer lebendigen Zivilgesellschaft, die die Menschenrechte gewährleistet“.
Die Bewegung „Tanítanék„ („Ich möchte unterrichten“) wurde 2016 gegründet, und laut Origo wird aus den Finanzberichten ihrer Unterstützerin, der „Stiftung für akademische Freiheit”, aus den Jahren 2013 bis 2015 ,klar, dass ein Großteil ihrer Finanzierung von den Open Society Foundations [OSF], der Stiftung von George Soros, stammt“. Die Tanítanék-Bewegung ist Teil der 55 Mitglieder zählenden Zivilen Plattform für öffentliche Bildung, und delegiert in deren siebenköpfigen Vorstand zwei Mitglieder (Oliver Pilz und Katalin Törley), ihr Hochschulpartner ist das Lehrernetzwerk und ihre Website wird vom „Human Platform“ finanziert. Sie waren verantwortlich für den
Start des zivilen Ungehorsams im öffentlichen Bildungswesen im Herbst 2022, die mit einer Punkt für Punkt durchgespielten Strategie des gewaltlosen Widerstands organisiert wurde.
Einer der aktivsten Organisatoren sprach von einem „schockierenden landesweiten Widerstand“, bei dem „Tausende von Menschen zivilen Ungehorsam leisten werden“.
Éva Tessza Udvarhelyi ist ein wichtiges Mitglied der zivilen Kampftruppe, welche nicht nur an der Ausarbeitung des wissenschaftlichen Hintergrunds, sondern auch an der aktiven Organisation beteiligt ist. Belege für Ersteres finden sich in ihrem eigenen Werk (Die Wahrheit liegt auf der Strasse, 2014), in ihrem mit anderen gemeinsam verfassten Werk (Sprich mit uns, nicht über uns, 2016) und in der Reihe der gemeinsam herausgegebenen Bände (Die befreiende Kraft der Forschung, 2020; Mütter stehen auf und melden sich zu Wort, 2020). Letzteres spiegelt sich in ihrer nicht minder umfangreichen praktischen Arbeit der letzten zwanzig Jahre wider: Ab 2002 war sie Mitarbeiterin der OSF-geförderten Artemission Interkulturelle Stiftung, 2009 gründete sie gemeinsam mit Misetic die in ihrem Genre wegweisende AVM, und aktuell ist sie Direktorin der 2018 (anderswo heißt es 2014) gegründeten Schule des öffentlichen Lebens Stiftung. Letztere ist neben ihrer ständigen Partnerin, der Zivilkollegiumstiftung, die wichtigste Hüterin des Arsenals des zivilen Aktivismus im Inland (gewaltfreier Widerstand, direkte Aktionen, ziviler Ungehorsam, Partizipation, Streiks). Ihre progressive internationale Einbettung steht außer Frage: Sie ist CEU-Absolventin, Ashoka-Stipendiatin, Modulleiterin des Milestone Institute und nahm im Studienjahr 2020/21 am Obama-Scholar-Programm teil. Ihre ständige Mitarbeiterin Mariann Dósa, Soziologin, CEU-Absolventin und Aktivistin (AVM, School of Public Life), ist seit letztem Jahr Beraterin des britischen Justizministeriums.
POLITISCHE PHASE
Die Verbindung zwischen den linken Oppositionsparteien und der „zivilen“ Welt wird äusserst deutlich, wenn wir in einem Interview mit dem Leiter der „Schule des öffentlichen Lebens“ lesen, dass ab 2018 die Infrastruktur hinter den Parteien aufgebaut, sowie Wissen durch Schulungen vermittelt wurde und das Ergebnis war, dass „
die Opposition gegen Fidesz endlich den Stillstand durchbrechen konnte, und das ist nicht zuletzt ein Verdienst progressiver NGOs und Aktivisten. […]
Die Tatsache, dass so viele Leute in der Opposition wieder gelernt haben, Wahlkampf zu führen, dass die Vorwahlen stattgefunden haben, […] dass so viele Leute Stimmen ausgezählt haben, ist definitiv eine qualitative Verbesserung in der ungarischen Politik – und fast alles davon kam aus der Welt der Aktivisten.“ (Hervorhebung vom Autor.)
Udvarhelyi, die dies alles erklärte, leitete die erfolgreiche Kampagne 2019 in Józsefváros im VIII. Budapester Bezirk, vom Patyolat aus, wo das Partizán-Studio in den ersten Tagen seinen Sitz hatte. (Nach dem Sieg der Linken wurde sie Leiterin des Büros für Bürgerbeteiligung im VIII. Bezirk. Wie sie sagt, „bauten die Kampagnen […] in ihrer Herangehensweise aufeinander auf, und beide hatten ihre Wurzeln in einer früheren Kampagne von 2017 […]“ – aber das ist keine linke Verschwörung, sondern Teil einer bewussten und effektiven Strategie. Ein gutes Beispiel für die Positionierung von Zivilisten in der Politik ist die Budapester Stadtverwaltung, die vom ehemaligen Párbeszéd Ko-Vorsitzenden Gergely Karácsony, dem Oberbürgermeister von Budapest, geleitet wird und in der mehrere Mitglieder der ungarischen regierungskritischen Gemeinschaft (András Jámbor, Benedek Jávor, Bálint Misetics) oder des internationalen progressiven Netzwerks (Dávid Dorosz, Dávid Korányi) Anstellung gefunden haben.
Es ist sicher kein Zufall, dass die meisten politischen Verbindungen über Párbeszéd hergestellt werden.
Nach den gescheiterten Wahlen wird auf der Oppositionsseite die Alinsky-Methode auffallend oft angewendet. Nach den Fiaskos von 2014, 2018 und 2022 standen Politiker der grünen Linken an der Spitze der Aktionen, sei es der ehemalige Vorsitzende von Együtt (Péter Juhász), Mitglieder der Párbeszéd-Fraktion (András Jámbor, Tímea Szabó, Bence Tordai) oder ehemalige LMP– und später Momentum-Mitglieder (Ákos Hadházy, Bernadett Szél). Nach dem dritten April hieß es, „Orbán hat große Angst vor Demonstrationen und Streiks, also davor, dass plötzlich viele Menschen sagen: Genug ist genug“, aber auch Veteranen meldeten sich zu Wort und sagten, dass
„es nicht möglich ist, die Fidesz in einer demokratischen Wahl abzusetzen, also muss sozialer Druck erzeugt werden […] das Ziel ist es, den zivilen Widerstand auf der Straße zu organisieren“,
und der gescheiterte Ministerpräsidentenkandidat drückte sich so aus, dass „von nun an statt Opposition Widerstand herrscht„.
Wie sich es sich herausstellte,
erhielt die erst wenige Monate vor den Parlamentswahlen 2022 gegründete, von Péter Márki-Zay geleitete Organisation „Alle für Ungarn (MMM) über den US-amerikanischen Sponsor „Aktion für Demokratie“ bis Juni 2022 etwa 1,8 Milliarden Forint (ca. 4,5 Millionen EUR), und nach Angaben des linken Kandidaten für das Amt des Ministerpräsidenten wurde das Geld – unter Verstoß gegen die geltenden Gesetze – an die oppositionellen Kandidaten ausgeteilt.
Er vermerkte, dass „es ein MMM-Konto gab. Es wurde für die Durchführung der zentralen Wahlkampagne verwendet. Natürlich gab es auch Kandidaten, die wir unterstützt haben“. Action for Democracy wird von Gergely Karácsonys New Yorker Berater für Stadtpolitik, Dávid Korányi, geleitet, und zu seinem Beirat gehören eine Reihe bekannter progressiver Intellektueller (Anne Applebaum, Timothy Garton Ash, Francis Fukuyama, Charles Gati, Kati Marton, Timothy Snyder), eine ehemalige Botschafterin in Budapest (Eleni Kounalakis) und der Bürgermeister von Warschau (Rafał Trzaskowski). Die Tatsache, dass diesem Gremium auch General Wesley Clark, der Oberbefehlshaber der NATO-Bombardierung Jugoslawiens im Jahr 1999 angehört, erinnert an den klassischen Lenin-Witz, dass wir uns eigentlich glücklich schätzen sollten, da sie uns genauso gut hätten bombardieren können.
Autor, Dr. Márton Békés ist Historiker, Forschungsdirektor des Terror Háza Museums
Diese Studie erschien zuerst am 20. Oktober in Látószögblog.hu
Deutsche Übersetzung: Dr. Andrea Martin