Bemerkungen zum Stern-Interview mit Viktor Orbán
6. Februar, 2021 Ein Gastbeitrag von ANDREA MARTIN
In Ungarn wird oft gesagt, dass jemand bereits dann lügen kann, wenn er etwas fragt. Als ich die Stern-Reportage mit Viktor Orbán gelesen habe, war genau das mein erster Gedanke. Alle Techniken der Manipulation wurden eingesetzt, um den ungarischen Ministerpräsidenten in schlechtem Licht erscheinen zu lassen, egal, was er auch zu sagen hatte. Dass dieses Interview trotzdem eines der objektivsten geworden ist, das in letzter Zeit über Orbán in Deutschland erschienen ist, ist jedenfalls nicht den Journalisten zu verdanken…
„Ein Gespräch mit Europas umstrittenstem Regierungschef“ steht im Untertitel. Die ungarische Grammatik kennt das sog. „stehende“ oder „permanente“ Adjektiv, und der Duden sagt: „ Adjektive sind wertend und damit oft subjektiv“. Beides zusammen heißt, die Autoren wollen – wie gewöhnlich in den deutschen Medien – suggerieren, dass der ungarische Regierungschef für alle selbstverständlich ein „Umstrittener“ sei. Sogar der „Umstrittenste“. Für Orbán ist in den Mainstream-Zeitschriften Deutschlands das Adjektiv „umstritten“ permanent, jeder verwendet es, ohne darüber ernsthaft nachzudenken. Für die Mehrheit der Wähler in Ungarn ist er jedenfalls nicht umstritten gewesen, zumindest nicht bei den letzten drei Wahlen. Mit diesem bei vielen von uns umstrittenen Untertitel ist die Marschrichtung der Journalisten klar.
„Viktor Orbán regiert dort, wo einst die Könige thronten. Auf dem Burgberg in Budapest, in einem ehemaligen Kloster, das er für viele Millionen zu einem prächtigen Amtssitz ausbauen ließ.“
Wo einst die Könige thronten, ist nebenan, ein Kloster hatte niemals einen Thronsaal. Ob ein Amtssitz prächtig ist oder nicht, darüber kann man diskutieren, soweit es den zeitunglesenden Normalbürgern bekannt ist, sind dort weiße Wände und keine Seidentapeten oder goldene Wasserhähne. Und viele Millionen kommen beim Umbau eines alten abgenutzten Gebäudes schnell zusammen. Typisches Framing, Orbán residiere wie ein König. Tut er nicht.
Die wohl vom Büro des Ministerpräsidenten organisierte Blaulichtfahrt der Journalisten zum Ministerpräsidentenamt kann ich allerdings aus ganzem Herzen ablehnen, das übertreiben die Politiker hüben wie drüben. Nur Notarzt, Rettung und Feuerwehr dürften je mit Blaulicht fahren, manchmal Politiker in wichtiger Situation, aber Journalisten niemals. Auch die Diplomatenpässe und sonstige privilegierte Behandlung würde ich sofort abschaffen. Aber diese Unsitte greift weltweit um sich.
Der „überdimensionale“ Globus in der Bibliothek (was heisst das, gibt es eine journalistisch anerkannte Normgröße für historische Weltkugeln in Biblioteken von Regierungschefs?) zeigt Ungarn, wie es etwa eintausend Jahre lang gewesen ist, in 90% seiner Geschichte. Ja, Ungarn hat eine über tausendjährige Geschichte. Das, was heute wie selbstverständlich Teil anderer Länder ist, war genauso selbstverständlich tausend Jahre lang ungarisches Königreich. Nicht die Ungarn haben fremdes Gebiet erobert, sondern umgekehrt: aus dem eintausend Jahre lang bestehenden Gebiet Ungarns wurden nach dem ersten Weltkrieg ziemlich willkürlich – und für die dort lebenden Ungarn bis heute oft mit tragischen Folgen behaftet – rundherum Territorien herausgeschnitten. Der „Friedensvertrag von Trianon“ war kein Vertrag, weil keine zwei Parteien bei der Verhandlung anwesend waren, die eine Partei, nämlich Ungarn, musste am Ende nur unterschreiben, das war´s. Es war ein Diktat der Siegermächte. Mit dem kleinen Zuckerl, dass auch das Land, welches den Krieg angefangen hatte und verlor, ebenso Gebiete aus Ungarn zugesprochen bekam, wie die Sieger. Ungerechter geht es gar nicht. Aber das wissen Journalisten kaum.
„Die Europäische Union ist kein Reich, sondern eine Staatengemeinschaft, die von ihren Bürgern bei Wahlen zum Europaparlament legitimiert wird.“
Diese Bemerkung des Journalisten ist – nach den heute geltenden Verträgen der EU – nicht zutreffend. Das Europaparlament ist kein echtes Parlament. Legitimiert wird die EU durch den europäischen Rat, nämlich die Versammlung der jeweiligen – demokratisch tatsächlich legitimierten – Regierungschefs.
„Was erwarten Sie denn von der EU-Mitgliedschaft – außer Geld?“
Diese Frage drückt ein bösartiges Vorurteil aus, könnte allerdings für alle EU-Länder zutreffen, welche Netto-Empfänger sind. Gestellt wird sie aber nur Orbán.
„Ist das Zerstören eines Buches ein richtiges Symbol?“
Der Journalist weiß vermutlich genau, dass die Person, welche das ominöse Buch zerschreddert hat, nichts mit der Fidesz, mit Orbán oder mit der Regierung zu tun hat. Also provoziert er bewusst und – wenn es mir passiert wäre, nannte ich es – unverschämt.
„Aber auch viele Deutsch-Ungarn haben das als aggressiv aufgefasst“.
Was ist ein Deutsch-Ungar? Ich bin es zweifelsohne, aber ich verstehe gut genug Ungarisch, um den Stil und die nicht selten originellen Sprachwitze Orbáns so aufzufassen, wie sie gemeint sind, nämlich nicht so ernst, wie die deutschen Übersetzungen oder die ungarische Opposition es oft wiedergeben oder interpretieren möchten.
Es ist natürlich eine ganz andere Frage, dass man bewusst alles falsch verstehen kann, wenn man ein Gegner der heutigen Regierung ist. Typische Beispiele sind die vergleichenden Fußball- oder militärischen Begriffe des Regierungschefs oder, wie neulich, eine altmodische Bezeichnung für eine sehr erfolgreiche Frau. Sie werden in der (äußerst freien) ungarischen Presse bis zum geht nicht mehr kritisch auseinandergenommen. Trotzdem machen manche sprachlichen Entdeckungen Orbáns Schule und werden Teil der Alltagssprache.
Diese Reportage ist nach meinen Informationen im Dezember 2020 in Budapest entstanden. Warum sie erst nach anderthalb Monaten erschienen ist, muss wohl auch einen politischen Hintergrund haben. Man müsste den Chefredakteur fragen. Ob er noch jemanden fragen musste?
Mich würde noch interessieren, ob die beiden Stern-Journalisten auch mit Blaulicht zum Hotel oder zum Flughafen gefahren worden sind…?
Die Autorin ist Zahnärztin und Fachlehrerin in Deutschland
2 Kommentare
Orban regiert dortwo eins die Könige thronten ….ich möchte erwähnen der Kanzler von Österreichregiert wirklich in Burg , Maria Theresia Tracht , aber niemand greift Ihn deshalb an ….
Liebe Frau Martin, vielen Dank für den objektiven, sachlichen Kommentar, Sie haben den zwei Brunnenvergiftern die passende, verdiente Ohrfeige erteilt! Beide armseeligen Figuren sind Musterbeispiele (samt Chefredakteur) der von Ulfkotte beschriebenen „gekauften Journalisten“. Wenn er noch am Leben wäre, würde er die beiden namentlich im Nachtrag zum Buch hinfügen!