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Ungarin ist „Mutter“ der Corona-Impfstoffe

Am Anfang Januar habe ich mit Bekannten aus Deutschland gesprochen. Sie haben noch nie gehört, dass die Technologie des mRNA-Impfstoffs gegen die Corona-Pandemie KATALIN KARIKÓ, einer ungarischen Biochemikerin, zu verdanken ist. Da bekam ich zu hören „Das sagst du immer Irén, dass alles in der Welt von den Ungarn kommt!“ Ich habe deshalb recherchiert, und obwohl Karikó auch Vizepräsidentin der BioNTech ist, sind von ihr in deutschsprachigen Raum kaum Spuren zu finden. In der Presse liest man immer nur über das türkische Ehepaar, welches die Firma BioNTech gegründet habe. Neben Karikó nimmt auch ein anderer Ungar, Norbert Pardi im Forschungsprojekt teil. (Photo) Die beiden haben an der Universität Szeged studiert und auch dort promoviert: Karikó 1983, Pardi 2011. Die WELT am Sonntag hat am Anfang Dezember 2020 über Karikó und ihre Forschungen in ihrer Wissenschaftskolumne geschrieben, der FOCUS hat dies in Boulevardsprache umformuliert, bei mir können Sie beide Artikel lesen.

7. Februar 2021 –

Die neuen mRNA-Impfstoffe würde es ohne die Grundlagen der Wissenschaftlerin Katalin Karikó nicht geben. Doch der Weg dahin war steinig. Zunächst glaubte niemand an die neue Technologie. Dann kam plötzlich der Durchbruch.

Als Katalin Karikó das entscheidende Experiment gelingt, kommt ihr zunächst nur ein Gedanke: den Versuch zu wiederholen. Nach all den Jahren im Labor, Jahren der Unsicherheit und Ablehnung, muss sie sichergehen. Noch einmal Zellen aussäen und wachsen lassen. Am Tag darauf blickt sie auf die gleichen, schier unglaublichen Messwerte. Die Zellen in den Kulturschalen sondern einen Eiweißstoff ab, der ihnen eigentlich fremd ist. Sie tun das, weil Karikó ihnen eine Botschaft gesandt hat – eine molekulare Botschaft, die sie ins Nährmedium träufelte. Dass ihre Entdeckung 16 Jahre später helfen könnte, die Welt aus dem lähmenden Griff eines Virus zu befreien, ahnt die Wissenschaftlerin nicht.

„In einem solchen Augenblick ist es wichtig, dass es wenigstens einen Menschen gibt, der einen versteht, der die Aufregung teilt und mit dem man alle Einzelheiten diskutieren kann“, so erinnert sich die heute 65-Jährige an jenen Tag im Jahr 2004. Zusammen mit ihrem Kollegen Drew Weissman veröffentlicht sie im Jahr darauf das Ergebnis. Die beiden glauben fest an das Potenzial der neuen Methode. Doch damit sind sie erst einmal allein.

PRINZIP DES LEBENS

Im Kern geht es darum, Zellen nach Belieben umzuprogrammieren, sodass sie vielleicht ihre eigene Medizin produzieren könnten. Seit vielen Jahren erforscht Karikó dafür eine bestimmte Klasse von Molekülen, die sogenannte mRNA. Die Logik des Ansatzes ist bestechend. Alle Lebewesen speichern ihre Bauanleitung in Form von DNA. Wird deren Information abgelesen, entstehen kürzere Stücke eines ähnlichen Moleküls: Die „Messenger-Ribonukleinsäure“, kurz mRNA, ist der Bote des Zellkerns. Die kleinen Moleküle wandern zu den Proteinfabriken der Zelle und überbringen ihre kodierte Botschaft. DNA wird zu mRNA wird zu Protein – es ist das fundamentale Prinzip des Lebens. Seit den 80er-Jahren kann man mRNA im Labor herstellen, und so liegt der Gedanke nahe, den Zellen menschengemachte Botschaften zu schicken. Doch was einfach klingt, scheitert zunächst an praktischen Problemen. Die fadenförmigen mRNA-Moleküle sind instabile, flüchtige Gebilde, die Natur hat sie für den sehr kurzen Weg durch Zellen konzipiert. Mühsam lernen die Forscher, mRNA in winzige Fetttröpfchen zu verpacken und in Zellen einzuschleusen.

Über Jahrzehnte gehören die RNA-Forscher zu einer kleinen Minderheit.

Karikós Karriere beginnt in ihrem Heimatland Ungarn,

doch bald läuft ihre Stelle aus. Mit ihrem Mann und ihrer dreijährigen Tochter wandert sie 1985 in die USA aus, kämpft sich von Stelle zu Stelle, erhält schließlich eine befristete Anstellung an der renommierten University of Pennsylvania. Sie arbeitet von früh bis spät, auch an den Wochenenden, verfasst immer wieder Anträge für Forschungsgelder – und kassiert eine Absage nach der anderen. So erzählt sie es. Kaum jemand habe an die mRNA-Idee geglaubt. In den 90er-Jahren ist die Forschung fixiert auf DNA. Man hofft zu der Zeit, Krankheiten durch einen direkten Eingriff in den Zellkern heilen zu können, eine Idee, die mit den damaligen Methoden scheitert.

HARTE JAHRE, VIELE RÜCKSCHLÄGE

Als Research Assistant Professor ist Karikó eigentlich auf dem besten Weg zur vollwertigen Professur. Stattdessen wird sie mit 40 Jahren aus der Fakultät ausgeschlossen, zum Postdoc degradiert. Die Hoffnung auf eine Festanstellung ist gescheitert. Normalerweise geben akademische Wissenschaftler an so einem Punkt auf. Es sei ohnehin eine schlimme Zeit gewesen, sagt Katalin Karikó. Ihr Mann kämpfte in der Heimat um eine Aufenthaltsgenehmigung in den USA, sie selbst habe zwischenzeitlich befürchtet, an Krebs erkrankt zu sein. Doch sie machte weiter.

Ich wusste, dass mRNA für etwas gut sein würde“,

sagt sie heute und schildert in sprudelnd schnellen Sätzen ihre damaligen Experimente. Man kann den Gedankensprüngen, der Flut an Einzelheiten kaum folgen, doch selbst im Gespräch per Videochat ist die Begeisterung fast mit Händen

Das Problem, mit dem sich Karikó lange herumschlägt: Die mRNA-Moleküle, die sie zu den menschlichen Zellen gibt, werden von diesen als Feind interpretiert und zerstört. Eine solche angeborene Immunreaktion ist sinnvoll, schließlich bestehen viele Viren aus fremder RNA. Karikó begreift schließlich, was menschliche RNA von der viralen unterscheidet, es sind subtile chemische Modifikationen. Die entscheidenden Experimente gelingen, als die Biochemikerin die von ihr eingesetzte mRNA ebenfalls modifiziert, sie quasi menschlicher macht.

Erst drei Jahre nach dem Durchbruch wird ein Forscher der Harvard University auf die Veröffentlichung von Karikó und Drew Weissman aufmerksam. Derrick Rossi versucht, gewöhnliche Zellen zu vielseitigen und begehrten Stammzellen umzuprogrammieren, die Idee der modifizierten mRNA kommt dabei wie gerufen.

„Ich sage es jedem, Katalin Karikó sollte den Nobelpreis für Chemie erhalten“

sagt Rossi heute. Bald wird ihm und einigen Kollegen die Tragweite der Etdeckung bewusst. Wenn es gelingt, Zellen zur Produktion beliebiger Eiweißstoffe zu stimulieren, ist plötzlich vieles denkbar. Man könnte Menschen nach einem Infarkt mRNA ins Herz spritzen, sodass die Herzzellen ihre eigenen Wachstumsfaktoren produzieren und das Organ regenerieren. Menschen mit Erbkrankheiten könnten Anleitungen für fehlende Proteine erhalten. Immunzellen könnten lernen, gezielt gegen bestimmte Tumore vorzugehen. Und man könnte Zellen eine Botschaft schicken, durch die sie Virusproteine produzieren – einen körpereigenen Impfstoff.

GOLDGRÄBER-STIMMUNG: mRNA-IDEE ZIEHT INVESTOREN AN

2010 veröffentlicht Rossi eine weitere entscheidende Arbeit, im gleichen Jahr gründet er mit vier Kollegen und Investoren die Firma Moderna – der Name steht für modifizierte RNA. Von einer neuen Ära der Medizin ist die Rede. Die mRNA-Idee zieht so viele Investoren an, dass das Start-up binnen weniger Jahre fast zwei Milliarden Dollar an Kapital einsammelt – ohne ein einziges Produkt vorweisen zu können.

Nicht nur in den USA, auch in Deutschland werden Wissenschaftler auf den neuen Ansatz aufmerksam. 2008 gründen Ugur Sahin und Özlem Türeci die Firma Biontech . Während Moderna an sehr unterschiedlichen Ansätzen arbeitet, konzentriert sich das Ärzte-Ehepaar darauf, basierend auf mRNA Krebstherapeutika zu entwickeln.

2013 nimmt Katalin Karikó eine Stelle bei Biontech an.

Seither lebt sie den größten Teil des Jahres in Deutschland. Auch die Tübinger Firma Curevac setzt früh auf mRNA, entwickelt Impfstoffe und andere Therapeutika. Es vergeht ein Jahrzehnt der Entwicklung abseits der großen Schlagzeilen. Zu den Hürden, die vor einer Anwendung stehen, gehört eine sichere und effiziente Verpackung der mRNA – schließlich will man die empfindlichen Moleküle Tieren und Menschen injizieren. Als am erfolgreichsten erweist sich eine Verpackung aus Lipidmolekülen, sodass winzige Nanopartikel entstehen. Nach einer Injektion in Haut oder Muskeln verschmelzen die Partikel mit Zellmembranen und entleeren ihren Inhalt in die Zellen. Die Lipide der Hülle können zum Teil in die Leber gelangen, um dort abgebaut zu werden, sie müssen also gut verträglich sein.

„Es gibt tausend verschiedene Rezepturen für Lipidnanopartikel“, erklärt Norbert Pardi, ein RNA-Forscher und langjähriger Kollege von Karikó. Welche Biontech und Moderna verwenden, ist Firmengeheimnis.

Schließlich steckt eine breite Palette von Produkten in unterschiedlichen Phasen der klinischen Entwicklung – dann beginnt das Jahr 2020. Die Pandemie ändert alles. Sofort ist den Forschern bei Biontech und Moderna klar, dass die Methode sich perfekt für den Kampf gegen das neue Virus eignet. Für einen mRNA-Impfstoff braucht man keine abgeschwächten Viren wie für herkömmliche Impfstoffe, es reicht allein die Erbgut-Sequenz des Virus im Computer. Die Forscher müssen nur den Teil im Virus auswählen, der vermutlich die beste Immunantwort auslöst, und ihn in mRNA übersetzen. Für die Herstellung von Impfstoffkandidaten genügen wenige Wochen.

Durch die Pandemie stehen zudem gigantische Summen für die Entwicklung bereit. Bereits im Juli schließen Biontech und Moderna die ersten zwei Phasen der Sicherheitsüberprüfung ab, die groß angelegten Wirksamkeitsstudien starten. Nun stehen beide Kandidaten kurz vor der Zulassung.

SCHNELLER ENTWICKELT, ABER NICHT UNSICHERER

Viele Leute glauben, dass diese Impfstoffe nicht gründlich getestet wurden, weil die Entwicklung eines Impfstoffs normalerweise acht bis zehn Jahre dauert“, sagt Norbert Pardi. „Aber die neuen Impfstoffe sind nicht weniger sicher als andere, die Sicherheitstests wurden angesichts der Notlage unter riesigem Aufwand in ungewöhnlich dichter Folge durchgeführt“, so der RNA-Forscher von der University of Pennsylvania, der an keiner der Firmen beteiligt ist. In allen Studienphasen zusammengenommen hätten fast 90.000 Menschen die RNA-Impfstoffe von Biontech oder Moderna bekommen, ohne ernste Nebenwirkungen. Schäden, die erst Monate später auftreten, kann er sich kaum vorstellen:

„Alle Bestandteile des Impfstoffs sind natürlich vorkommende Biomoleküle und werden innerhalb von Tagen im Körper abgebaut“, sagt Pardi. „Sie tun ihren Job, lösen eine Immunreaktion aus und sind zwei Wochen später verschwunden.“

Die manchmal geäußerte Befürchtung, der neue „Gentechnik-Impfstoff“ könne sich im menschlichen Erbgut einnisten, kann man gänzlich ausschließen – nach allem, was Molekularbiologen im letzten halben Jahrhundert gelernt haben, ist es unmöglich, dass mRNA sich in die DNA des Zellkerns integriert

Allerdings ist nichts im Leben hundertprozentig sicher – und schon gar nicht, wenn es um so etwas Kompliziertes und Unberechenbares wie das menschliche Immunsystem geht. Manche unerwarteten Reaktionen werden vielleicht erst auftreten, wenn Hunderttausende oder Millionen Menschen mit den neuen Impfstoffen konfrontiert werden. „Aber ohne eine Impfung wird sich ein Großteil der Menschen mit dem Coronavirus anstecken, und das ist viel gefährlicher“, argumentiert der Harvard-Professor und Moderna-Gründer Rossi.

Tausende Menschen hätten zur Entwicklung der mRNA-Impfstoffe beigetragen, sagt Katalin Karikó. Die Frau, die sich über Jahrzehnte mit bescheidenem Gehalt durchgeschlagen hat, hält inzwischen Firmenanteile von Biontech, dazu hat sie drei Millionen Dollar Lizenzgebühren aus ihrer ursprünglichen Erfindung erhalten. Noch immer steht sie um drei oder vier Uhr in der Frühe auf, um lange arbeiten zu können.

Nichts ist so bereichernd wie die Erfahrung, etwas Neues herauszufinden“

sagt sie. Kein Geld der Welt komme dagegen an.

https://www.focus.de/politik/ausland/katalin-kariko-im-teddybaer-schmuggelte-sie-ihr-startkapital-ungarin-ist-mutter-der-corona-impfstoffe_id_12754185.html

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