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Orbáns Brief an Charles Michel im Wortlaut

21. Juli 2024 Berliner Morgenpost

Ungarns Premierminister Viktor Orban hat die Europäische Union aufgefordert, Verhandlungen mit Russland und China aufzunehmen, um den Krieg in der Ukraine mit einem Waffenstillstand oder einem Friedensabkommen zu beenden. Der Brief sorgt für Aufsehen – er folgt direkt auf Orbans jüngste Reisen nach Moskau, Kiew und Peking.

Orban warnt eindringlich vor einer zunehmenden Intensität des Ukraine-Krieges und macht etliche weitere Punkte. Lesen Sie hier den Brief an Charles Michel im Wortlaut:

An: Den Präsidenten des Europäischen Rates

Budapest, den 12. Juli 2024

Sehr geehrter Herr Präsident,

nachstehend finden Sie eine zusammenfassende Bewertung meiner jüngsten Gespräche mit den Staats- und Regierungschefs der Ukraine, Russlands, Chinas, der Türkei und Präsident Donald J. Trump sowie einige Vorschläge, die Sie berücksichtigen sollten.

1. Es ist allgemein zu beobachten, dass die Intensität des militärischen Konflikts in naher Zukunft radikal eskalieren wird.

2. Ich habe persönlich miterlebt, dass die Kriegsparteien entschlossen sind, sich tiefer in den Konflikt zu verstricken, und keine von ihnen möchte Initiativen für einen Waffenstillstand oder Friedensverhandlungen ergreifen. Daher können wir davon ausgehen, dass die Spannungen nicht abnehmen werden und die Parteien nicht beginnen werden, nach einem Ausweg aus dem Konflikt zu suchen, ohne dass ein erhebliches externes Engagement erfolgt.

3. Es gibt drei globale Akteure, die in der Lage sind, die Entwicklungen zu beeinflussen: die Europäische Union, die Vereinigten Staaten und China. Als wichtiger regionaler Akteur ist auch die Türkei zu berücksichtigen, die als einziger erfolgreicher Vermittler zwischen der Ukraine und Russland seit dem Ausbruch der Feindseligkeiten im Jahr 2022 agiert.

4. China wird seine auch in internationalen Dokumenten formulierte Politik fortsetzen, die zu einem Waffenstillstand und Friedensgesprächen aufruft. Allerdings wird China nur dann eine aktivere Rolle spielen, wenn die Erfolgsaussichten seines Engagements nahezu sicher sind. Nach seiner Einschätzung ist dies derzeit nicht der Fall.

5. Was die Vereinigten Staaten betrifft, so habe ich auf dem Nato-Gipfel und bei meinen Gesprächen mit Präsident Trump zur Kenntnis genommen, dass die USA im Moment stark mit dem Präsidentschaftswahlkampf beschäftigt sind. Der amtierende Präsident unternimmt immense Anstrengungen, um im Rennen zu bleiben. Es liegt auf der Hand, dass er nicht in der Lage ist, die derzeitige Pro-Kriegspolitik der USA zu ändern, und daher nicht erwartet werden kann, dass er eine neue Politik einleitet. Wie wir in den letzten Jahren oft gesehen haben, wird die Bürokratie ohne politische Führung in solchen Situationen den bisherigen Weg weitergehen.

6. Bei meinen Gesprächen mit Präsident Trump bin ich zu dem Schluss gekommen, dass die Außenpolitik in seinem Wahlkampf, der von innenpolitischen Fragen dominiert wird, nur eine kleine Rolle spielen wird. Daher können wir bis zu den Wahlen keine Friedensinitiative von ihm erwarten. Ich kann jedoch mit Sicherheit sagen, dass er kurz nach seinem Wahlsieg nicht bis zu seiner Amtseinführung warten wird, sondern sofort bereit sein wird, als Friedensvermittler aufzutreten. Dafür hat er detaillierte und fundierte Pläne.

7. Ich bin mehr als überzeugt, dass sich im wahrscheinlichen Fall eines Wahlsiegs von Präsident Trump das Verhältnis der finanziellen Lasten zwischen den USA und der EU bei der finanziellen Unterstützung der Ukraine deutlich zu Ungunsten der EU verändern wird.

8. Unsere europäische Strategie im Namen der transatlantischen Einheit hat die Pro-Kriegs-Politik der USA kopiert. Wir haben bisher keine souveräne und unabhängige europäische Strategie und keinen politischen Aktionsplan. Ich schlage vor, darüber zu diskutieren, ob die Fortführung dieser Politik in der Zukunft sinnvoll ist. In der gegenwärtigen Situation können wir mit einer starken moralischen und rationalen Basis die Gelegenheit ergreifen, um ein neues Kapitel in unserer Politik zu beginnen. Darin könnten wir uns bemühen, die Spannungen abzubauen und/oder die Voraussetzungen für einen vorübergehenden Waffenstillstand zu schaffen und/oder Friedensverhandlungen aufzunehmen.

9. Ich schlage vor, eine Diskussion über die folgenden Vorschläge einzuleiten:

a. die Initiative, mit China politische Gespräche auf hoher Ebene über die Modalitäten der nächsten Friedenskonferenz zu führen;

b. die Wiederaufnahme direkter diplomatischer Kontakte mit Russland und die Wiederherstellung solcher direkten Kontakte in unserer politischen Kommunikation, unter Beibehaltung der derzeitigen hochrangigen politischen Kontakte mit der Ukraine;

c. die Einleitung einer koordinierten politischen Offensive gegenüber dem globalen Süden, dessen Wertschätzung wir in Bezug auf unsere Haltung zum Krieg in der Ukraine verloren haben, was zur globalen Isolierung der transatlantischen Gemeinschaft geführt hat.

10. Ich hoffe, dass sich meine Berichte und Anregungen als nützlicher Beitrag zu möglichen Vorschlägen und Initiativen erweisen, die Sie den Staats- und Regierungschefs der EU bei passender Gelegenheit und in geeigneter Form vorlegen werden.

Mit freundlichen Grüßen,

Viktor ORBÁN

Orbans Brief an die EU-Spitze: So reagiert Ursula von der Leyen

EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen hat mit einer Boykott-Entscheidung auf die Alleingänge von Ungarns Regierungschef Viktor Orban in der Ukraine-Politik reagiert. Die deutsche Spitzenpolitikerin ließ ankündigen, dass an künftigen informellen Ministertreffen unter der Leitung der derzeitigen EU-Ratspräsidentschaft in Ungarn keine Kommissarinnen oder Kommissare, sondern nur ranghohe Beamte teilnehmen werden.

A LEVÉL MAGYARUL: https://miniszterelnok.hu/orban-viktor-magyarorszag-miniszterelnoke-jelentese-az-europai-tanacs-elnokenek/

2 Kommentare

  1. Ob der Michel das wohl liest?
    Ich finde, dieser Brief hat starke und vernünftige Aussagen und Vorschläge. Nur habe ich Zweifel, dass das die in Brüssel überhaupt das verstehen (wollen) …

  2. Wenn man die bisherigen Reaktionen der EU Verantwortlichen sieht, haben es nicht verstanden, oder wollen sie auch nicht verstehen. Im Gegenteil, seit Orbans friedensmission wurde seitens der EU eine hetzkampagne und Diffamierung gegen Ungarn eingeleitet.

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