Am 4. Juni 1920, wenige Minuten nach der Unterzeichnung des Vertrags von Trianon, verlassen Ágost Benárd (Mitte, Zylinder in der Hand, links) und Alfréd Drasche-Lázár (rechts, barhäuptig) das Schloss Grand-Trianon in Versailles
4. Juni 2023 Naputonline.hu von József Gazda
Eine Nation, die ihre Würde bewahrt, – und die ungarische ist so eine – hat die Verpflichtung, dass sie dem Ereignis gedenkt, das in ihrer Geschichte am meisten tragischste und am meisten verletzende war, nämlich als man die staatliche Einheit ihres mehr als tausend Jahre alten Landes zerstörte. Es ist ihre Pflicht, dass sie die Geschehnisse vor Augen führt, sie untersucht, darüber forscht, sie interpretiert und die Möglichkeiten nach einer klareren Sicht sucht. Es ist unsere Pflicht, uns zu prüfen und die Antwort auf die mit Recht immer größer werdende Frage nach dem „Warum“ zu suchen.
1. Warum bestrafte man Ungarn unter den Völkern am meisten?
Warum hat man ein tausendjähriges Land in Stücke zerrissen, warum mussten dreieinhalb Millionen Ungarn von dem natürlichen Körper und dem Baum der Nation abgetrennt werden?
Warum muss ich, der diese Zeilen niederschreibt, als eine Verfehlung betrachten, dass ich ein Ungar bin, dass „meine Mutter mich auf Ungarisch beten gelehrt hat“, und meine, mit meiner Geburt in die Wiege gelegte ungarische Identität eine ewige, nie vergehende Quelle des Schmerzes sein soll. Genauso soll die Farbe meines Gesichtes, mein Lächeln, meine Sprache, diese „Rose“, die selbst im Schnee noch blüht und die als ein Schatz in die Welt geboren wurde, auf dem Heimatboden meiner Ahnen keinen „offiziellen“ Status haben, sondern nur geduldet, Ziel feindlicher Gesinnung sein. Ebenso meine mit dem Frühlingswind das Wasser anschwellen lassenden Lieder, die mich/uns irgendwoher aus uralten Zeiten mit ihrer Melodie, die eigentümlich einzigartig und archaischen Duft versprühend klingt, mit ihrem zauberhaften Text erreicht haben. Die tausendjährigen Sprachdenkmäler, das altungarische Marienlied, die Schriften und Gedichte, die hier auf meiner/unserer fremd gewordenen Heimaterde mich/uns erhalten, mir/uns Glauben und Kraft gegen die Absicht der Vernichtung zum Überleben geben. Denn, auch wenn mit viel Leid, aber
wir wollen doch gegen den Wind der Zeiten und den Zeitgeist bestehen bleiben, wissend und fühlend, dass wir in keiner Weise gegenüber anderen Nationen auf dieser Erde minderwertiger wären und schon gar nicht gegenüber denjenigen, unter deren Herrschaft uns aus irgendwelchen Gründen oder Absichten Trianon gebracht hat.
Die Ursache von Trianon ist nicht allein der erste Weltkrieg. Das ist so, das muss so sein, und wer über die Geschehnisse „hei, was alles geschehen ist“ nachdenkt, muss spüren, sehen, auseinanderdividieren, oder noch mehr, auf der Grundlage der Tatsachen Vermutungen anstellen. Denn die Nachwelt hat das alles nicht geklärt. Also ist die Ursache wirklich nur der Weltkrieg? Damit wir aus dem Kreis der zitierten und angenommenen Gründe ein wenig heraustreten können, müssen wir die Gedankengänge noch weiter weben.
Wir sollten die Frage immer wieder wiederholen: Warum? Und weshalb? Und erneut: Warum? Denn auf diese vielen Warums konnte die Geschichtsschreibung bisher keine Antwort geben. Weder die ungarische, noch die allgemeine, und wenn sie auch etwas beantwortet hatte, war das unzureichend. Irgendwie schlägt diese auf eine Antwort wartende Frage weiterhin Wellen, dieses Warum mit seiner Kompliziertheit. Beginnen wir also mit den Tatsachen!
2. Warum hielt man also Ungarn für den Verantwortlichen dieses Krieges?
Am 28. Juni 1914, nach diesem unglückseligen Tag, der den ersten Weltbrand verursachte, hatte nicht Ungarn Serbien den Krieg erklärt, sondern die Österreichisch-Ungarische Monarchie. Warum hat man selbst seinen verlierenden Partner (Österreich) mit einem Gebiet aus seinem Territorium beschenkt?
Ungarn spielte seit der Rückeroberung von den Türken 200 Jahre lang eine untergeordnete Rolle in der Habsburger-Monarchie und selbst nach dem Ausgleich mit Österreich im Jahr 1867 – wobei ihm ein Freiheitskampf mit großen Blutopfern vorausgegangen und eine der Ursachen dieses erzwungenen Ausgleichs war – juristisch gesehen keine Rechtsgleichheit erhielt. Das Land hatte weder ein eigenes Verteidigungsministerium, noch ein gesondertes Außenamt.
Es ist auch bekannt, dass der ungarische Ministerpräsident, der an der schicksalhaften Sitzung des Kronrates teilnahm, in der die Entscheidung über die Kriegserklärung gefallen war, als Einziger dagegen gestimmt hatte.
Also spielte er eher die Rolle eines Bremsers bei der Kriegserklärung, oder er hatte zumindest versucht zu bremsen. Doch der Vorwurf von Trianon lautete: Ungarn war verantwortlich für den Ausbruch des Krieges und für die 20 Millionen Opfer.
Franz-Ferdinand wurde auch nicht von den Ungarn ermordet, die Geschichtsschreibung meint jedoch zu wissen, dass eine ganze Organisation (von serbischen Attentätern) an der Herbeiführung der Ermordung gearbeitet hatte. Obwohl: Franz-Ferdinand nahm Partei für die Slawen im Reich, wollte statt dem Dualismus einen Trialismus installieren und auf dieser Weise die inneren Spannungen der Monarchie im Staatsapparat ausgleichen, damit die österreichischen, ungarischen und slawischen Völker zusammen den Kern der Monarchie bildeten. So erscheint die Kriegserklärung eher als erzwungen, und es ist nicht von der Hand zu weisen, dass die Ermordung des Thronfolgers mit der Absicht geschah, den Ausbruch eines Krieges herbeiführen zu wollen. Doch es war keineswegs der Wille Ungarns, dass es dazu kam, sodass der erste Punkt der Anklage von Trianon falsch ist.
3. Ein anderer Anklagepunkt: die Ungarn hätten ihre Minderheiten unterdrückt – wir wären „eine schuldige Nation von Unterdrückern“, deshalb die Strafe des Diktats von Trianon.
Aber wenn wir die Lage überprüfen, die tatsächliche Situation ist komplizierter. Die Abtrennung von Oberungarn wollten nicht die Slowaken – die im ungarischen Staat ihre Identität entwickelten, sich formierten und zu einer Nation wurden –, sondern die führenden Politiker der Tschechen. Die Kroaten – obwohl sie vom ungarischen König Kálmán, dem Bücherfreund (1095-1116) durch einen Waffengang (1102) besiegt wurden – genossen 800 Jahre lang den Status einer Partnernation. Sie waren kein unterjochtes Volk, sondern die Untertanen der Heiligen Stephanskrone (wie die Ungarn auch), sozusagen eine gleichberechtigte Nation. Ihre Abtrennung und die Ursachen dafür könnte man näher untersuchen, aber eins ist ausgeschlossen, nämlich dass unsere Ahnen sie unterdrückt hätten. Die Bevölkerung des Burgenlandes war zwar mehrheitlich deutsch, aber ihr geschichtliches Bewusstsein band sie an Ungarn. Das wurde durch die im winzigen Gebiet in und um Sopron/Ödenburg durchgeführte, „erlaubte“ Volksabstimmung bewiesen.
Die größte, gegen die Ungarn gerichtete Kraft im Staat ging von den Rumänen aus. Sie wurden im 18. Jahrhundert Schritt für Schritt zu einer Mehrheit auf dem 102 000 Quadratkilometer großen Gebiet, das durch Trianon-Diktat dem rumänischen Staat angeschlossen wurde. Aber wenn wir ihre Lage untersuchen, können wir folgern:
sie genossen viel mehr Rechte in Ungarn gegenüber europäischen Minderheiten in anderen Staaten, wenn wir ihr zahlenmäßiges Verhältnis an der Bevölkerung in Betracht ziehen.
Das es so war, wird allein schon durch ihre immer weiterwachsende Anwesenheit bewiesen. Wenn wir mit ihnen, mit den in Siebenbürgen lebenden damaligen Rumänen, die Lage der in ihrem gegenwärtigen Staat existierenden Minderheiten – so mit der der dort lebenden Ungarn – vergleichen, dann besteht ein Unterschied wie Tag und Nacht. Die Minderheiten in Alt-Rumänien – unter anderen auch die Ungarn, die im 16. Jahrhundert noch einen nicht geringen Anteil an der Bevölkerung in Moldawien und in der Großen Walachei ausmachten – bekamen niemals Minderheitenrechte. Die Ungarn in diesen Gebieten wurden durch die vollständige Rechtlosigkeit massenhaft in die Mehrheitsbevölkerung assimiliert. Sie hatten keine eigenen Schulen, keine Priester, die ihre Muttersprache sprachen, sie kämpften umsonst dafür, die Gottesdienste in der ungarischen Sprache feiern zu können, nicht einmal das konnten sie erreichen. Währenddessen bekamen die Rumänen in Siebenbürgen eigene Schulbezirke,
1918 gab es in Siebenbürgen zahlenmäßig mehr rumänische Schulen für 2.800.000 Rumänen, als für die im Königreich Rumänien lebenden siebeneinhalb Millionen Einwohner. Unter der ungarischen Staatlichkeit wurde die rumänische Kultur geboren, hier entstanden die ersten Abschriften und Drucke in ihrer Sprache, hier wurde die Bibel in Rumänisch übersetzt und herausgegeben.
Ihre orthodoxe Kirche konnte sich – über mehrere Jahrhunderte – ungehindert mit eigenen Priestern organisieren. Sie war soweit mit Freiheiten ausgestattet, dass die gegen die Ungarn gerichteten Bewegungen mit ihrer Führung organisiert wurden. Folgerichtig bildete sich hier (wiederholen wir: unter der ungarischen Staatlichkeit) das Bewusstsein einer rumänischen Nation aus.
Auch sonst gab es große Unterschiede. Es sind Kleinigkeiten, aber nicht zu vernachlässigende Tatsachen: man druckte auf die ungarischen Banknoten sowohl auf Rumänisch, als auch in slawischer Sprache den Wert auf. Sowohl auf die während des gegen die Habsburger geführten Freiheitskampfes 1848/49 herausgegebenen Gelder, als auch auf den ungarischen Forint nach dem Ausgleich im Jahr 1867 – als Zeichen der Wertschätzung für die verschiedenen Völker. Und in der Monarchie gab es rumänische, kroatische, slowakische und deutsche Landwehrregimente mit entsprechendem Sprachgebrauch, selbst bei den Kommandos, was geradezu beispiellos in Europa bei irgendeiner Minderheit war und noch immer ist. Sie hatten Zeitungen, Institutionen, Banken. Auch Dichter und Schriftsteller. Ihre Bildung und ihr kulturelles Leben waren auf viel höherem Niveau gegenüber dem in den altrumänischen Ländern. Sie hatten das Recht, Abgeordnete ins Parlament zu entsenden und sie nahmen das auch wahr.
Mit anderen Worten, ihre Freiheitsrechte machten die Ausbreitung ihrer nationalen Bewegungen möglich.
Die Siebenbürgen-Sachsen genossen 800 Jahre lang eine Autonomie im Königreich Ungarn, später auch im Fürstentum Siebenbürgen bzw. in der „Provinz Siebenbürgen“ der Habsburger. 1867 hatte die erste, mit dem Ausgleich zustande gekommene, ungarische Regierung die Absicht, auch den Rumänen eine ähnliche Autonomie zu gewähren. Sie akzeptierten das nicht.
Die Landesversammlung in Siebenbürgen bei Torda 1567 thematisierte auf der Welt zuerst den Wert des „Gewissens“ und beschloss die Religionsfreiheit. Und darunterfiel ebenso – auch wenn das Gesetz nicht explizit die Orthodoxie benennt, weil sie nicht mit der Reformation zustande kam – die orthodoxe Kirche, somit kamen sowohl die Rumänen, als auch die Serben in den Genuss der Religionsfreiheit. Und jedes Volk durfte Gott in seiner eigenen Sprache loben. Nur als Vergleich: in Großbritannien verbot man die Benutzung der irischen, walisischen uns schottischen Sprache.
Daher war der Vorwurf der Unterdrückung eine der Lügen von Trianon.
4. Die Grundlage, worauf sich dieses Diktat beruft, war auch die demografische Lage.
War das der Grund, rein ungarische Gebiete unmittelbar jenseits der neu gezogenen Grenzen auf die „andere Seite“ zu verlegen und vom Mutterland zu trennen?
5. Wir können selbst den Krieg betrachten.
Wir könnten mit Recht behaupten, dass ungarische Soldaten auf den Schlachtfeldern vier Jahre lang standhielten und dass „wir immer auf fremden Territorien gekämpft hatten!“ Wenn wir die ersten Monate nach Ausbruch des Krieges außer Acht lassen, als die besser ausgerüsteten und mehr Kampferfahrung besitzenden, russischen Truppen bei Máramarossziget/Sigethu Marmatiei (heute Rumänien): kurzzeitig die ungarische Grenze überschritten bzw. als 1916 Rumänien ohne Kriegserklärung auf des Territorium Ungarns eindrang und von den ungarischen Truppen nach einigen Wochen wieder abgedrängt wurde, erlitten die ungarischen Einheiten an der Front keine Niederlagen und selbst bei Unterzahl hielten sie die Stellung. Damit sie nachgeben, musste die Front zusammenbrechen. Darin spielte die sog. „Aster-Revolution“ eine Rolle.
Die an der italienischen Front kämpfenden Soldaten hatten übereinstimmend die Erinnerung, dass Agitatoren die bis dahin nicht besiegten ungarischen Linien in großer Zahl aufsuchten, es ging die Verteilung der Flugblätter los: „Ungarn kämpft nicht weiter. Schmeißt eure Waffen weg und geht nach Hause. Eure Familien hungern!“ Selbst von Flugzeugen wurden Flugblätter abgeworfen. Also brach die Revolution nicht aus, wir können eher sagen: man hat sie ausbrechen lassen! Wer vollbrachte das und mit welcher Absicht? Wer druckte diese Flugblätter, welche Kraft stand dahinter, wer übernahm die Kosten für die „Miete“ der damals noch eher seltenen und recht teuren Flugzeuge?
Ohne die Revolution wäre die endgültige Niedermachung Ungarns, seine Rolle als absoluter Verlierer viel schwieriger zu erreichen gewesen.
Am 1. November 1918 siegte in Budapest die von Mihály Károlyi geführte Revolution, Erzherzog Josef (Stellvertreter des Königs) ernannte Károlyi zum Regierungschef mit dem Auftrag zur Regierungsbildung. Dieser hatte sich noch nicht in den Stuhl des regierenden Ministerpräsidenten gesetzt, schon wurde der bestgeeignete Mann des Landes, István Tisza, ermordet. Wer und mit welchem Auftrag, das ist bis zum heutigen Tag ein Geheimnis, oder sagen wir, auf jeden Fall ungeklärt. Der neue Verteidigungsminister verkündet, dass er ein Pazifist wäre und löst folglich als erste Handlung in seinem Amt die Armee auf. Wir sollten nicht vergessen, weil es nicht unwichtig ist: die Vereinbarung über eine Feuerpause in Padua gibt es noch nicht,
der Krieg dauert noch an, und der „friedliebende“ Verteidigungsminister löst die Armee auf. Damit wird die vier Jahre lang standhaltende Armee zersetzt und die Grenzen Ungarns blieben ungeschützt. Die mögliche Verhandlungsposition Ungarns wurde damit– von einem Tag zum anderen – schwer geschädigt.
6. Eine Reihe von unerklärlichen Merkwürdigkeiten.
Rumänien schloss im Mai 1918 Frieden mit den Zentralmächten und verzichtete auf alle Ansprüche gegenüber der österreichisch-ungarischen Monarchie. Einige Monate später, am 10. November 1918 erklärte das Land an der Seite der Entente erneut gegenüber Ungarn und den Zentralmächten den Krieg, obwohl eine Feuerpause mit der Entente eine Woche vorher vereinbart wurde. Das ist eine Situation, als ob der zweite Weltkrieg am 9. Mai zu Ende geht und sagen wir mal die bis dahin neutrale Schweiz am 13. Mai den Krieg gegenüber irgendeiner Seite erklärt. Aber damit die Angelegenheit noch interessanter wird, am 13. November unterzeichneten die Minister von Károlyi – Béla Lindner und Oszkár Jászi – in Belgrad eine eigene Vereinbarung über eine Feuerpause, in der festgelegt wurde, dass die Demarkationslinie für die Rumänen der Fluss Maros sein soll, dass ihre Truppen bis dahin vorankommen dürfen und nicht weiter. Sie bewegten sich also auf dem Gebiet eines Landes, mit dem sie eigentlich gar nicht im Kriegszustand waren, letztlich vereinbarte die Entente eine Feuerpause mit Ungarn und sie waren die Verbündeten der Entente.
Wahr ist allerdings: Rumänien vereinbarte 1916 einen Geheimvertrag mit der Entente, der beinhaltete, dass dieser Staat als Lohn Ostungarn bis zur Linie der Theiß bekomme, wenn er seine bis dahin mit ihm verbündeten Zentralmächte angreifen würde.
Die einzige Bedingung war, dass er keinen separaten Frieden mit den Zentralmächten schließt. Nun, Rumänien schloss seinen separaten Frieden am 7. Mai 1918, vielleicht bedurfte aus diesem Grund – wenn es irgendeine Logik in der Geschichte gibt – am 10. November die Kriegserklärung, damit der Kriegszustand, der am 7. Mai zu Ende ging, erneut eintritt und damit Rumänien mit dem erneuten Angriff gegen den ehemaligen Sieger die Ansprüche auf die Beute wieder herstellt.
Am 16. November überschritten die rumänischen Truppen erneut die Grenze, obwohl prinzipiell keinen Krieg mehr gab (es herrschte Feuerpause), es gab noch keinen Friedensvertrag, aber sie begannen mit der Eroberung von Ungarn, provisorisch eigneten sie die besetzten Gebiete an, sie brachten Polizei dorthin, sie ernannten „in ihrem eigenen Gebiet und Land“ Bürgermeister und Verwaltung.
Die Rumänen konnten das alles bewerkstelligen, weil die Grenzen im Sinn der Anordnung der neu ernannten ungarischen Regierung unbewacht blieben. Sie besetzten am 21. Dezember Clausenburg, obwohl diese Stadt sehr weit von der – in die Belgrader Vereinbarung hineingeschriebenen – Demarkationslinie an dem Fluss Maros entfernt liegt, aber nachträglich, Schritt für Schritt, erhielten sie auch offiziell die Genehmigung auf das Recht, diese Linie weiter hinauszuschieben.
Trotz des Befehls vom Verteidigungsminister Béla Lindner gab es Versuche eine neue Armee zu bilden. Im Zeichen des nationalen Überlebens entstanden die Sekler-Bataillone, die aus den jungen Männern des bereits besetzten Sekler-Landes aufgestellt wurden. Diese jungen Leute versuchten das Vaterland zu schützen, aber die Regierung trug Sorge dafür, dass sie den Kampf nicht aufnehmen konnten. Wenn es ihr, nämlich der ungarischen Regierung, danach war (zum Beispiel am 6. Dezember bei Marosújvár und in vielen anderen Fällen auch), befahl sie sie zurück. Sie bekamen auch keine Waffen, damit sie bloß nicht zu einem Verteidigungsheer werden konnten.
Ein weiteres Fragezeichen: am 21. März 1919 übergibt Mihály Károlyi die Macht an Béla Kun und seinen Roten Kommunisten. Béla Kun und seine Leute kamen aus der jungen Sowjetunion mit einer besonderen Eskorte und mit der Unterstützung von Lenin nach Hause. Károlyi empfing sie am Anfang nicht freundlich, er ließ Béla Kun ins Gefängnis werfen, damit er ihn von dort später herausholt und die Macht an diese Person aus dem Gefängnis übergibt.
Warum? In Trianon spielte das auch eine Rolle, weil die Rumänen aus diesem Anlass die Erlaubnis bekamen, Budapest zu erobern bzw. zu besetzen, weil die Entente mit einer kommunistischen Regierung nicht bereit war zu verhandeln.
So konnten die Siegermächte Ungarn von den Verhandlungen ausschließen und über „die Bestrafung“ des Landes entscheiden.
7. Fazit
Diese Schrift sucht anhand der logischen Folgerungen, die sich aus den aufgezählten Geschehnissen ergeben, die Antwort auf die vielen, sich ergebenden Fragen. Aber sie kann nur bis zum Stellen der Fragen gehen, weil die Antworten von der Geschichtsschreibung gegeben werden müssten. Die Fragezeichen der Gründe gehen weit über die erwähnten Tatsachen hinaus. Diese aufzudecken – oder wenigsten die weitere Erfassung, Erklärung, Aufzählung der Ungerechtigkeiten – sowie die Suche nach den Möglichkeiten, diese zu kurieren, ist eine Aufgabe der Zukunft. Die Geschehnisse zeigen auf jeden Fall, dass die Vielzahl der Schauprozesse im 20. Jahrhundert – auf der ganzen Welt – nicht nur die Rechte von Millionen Menschen mit Füßen trat, wobei die lügnerischen Ideologien alle Rechte beiseiteschiebend das Leben von Millionen auslöschten, sondern dass diese Vorgänge genauso das Schicksal von Ländern, von ganzen Völkern und Nationen betrafen. Die „in Erzählungen weitergegebene“ Geschichte sagt etwas anderes als die „geschriebene“ Historie, und was die Tatsachen ergeben.
Man hat Ungarn einen Friedensvertrag aufgezwungen, der kein Vertrag sein konnte, weil keine Gesprächspartner auf beiden Seiten des Tisches saßen. Ungarn bekam nicht einmal das Recht, auf der Bank des Angeklagten Platz zu nehmen, dort zu stehen oder dort zu sitzen, um die Liste der gegen ihn aufgezählten Anklagepunkte anzuhören und sich gegen diese zu verteidigen.
Autor, József Gazda (1936-) ist ein ungarischer Schriftsteller, Soziologe, Schulbuchautor, Lehrer, Kulturveranstalter in Siebenbürgen.
Deutsche Übersetzung von Dr. Gábor Bayor