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Es gibt nur einen Weg: die Außengrenzen sichern, die illegale Migration stoppen


5. Juli 2023 Brief vom Botschafter Péter Györkös an die Mitglieder der Deutsch-Ungarischen Gesellschaft

Sehr geehrte Damen und Herren!
Viele von Ihnen habe ich vor drei Wochen in der Botschaft getroffen und wir haben über unsere gemeinsamen Anliegen intensiv gesprochen. Nun ist etwas passiert, weswegen ich es für begründet halte Sie zu informieren. Einige haben mich sogar darum gebeten.

In der EU ist die Diskussion über Migration wieder aufgeflammt. Die Ereignisse bei der Sitzung des Europäischen Rates in der letzten Woche haben in den deutschen Medien (und teilweise in der Politik) starke, nicht selten heftige Reaktionen ausgelöst. Nicht zum ersten Mal und ich fürchte nicht zum letzten Mal standen Ungarn und sein Ministerpräsident im Kreuzfeuer.

Die Diskussion ist nicht neu. Das Problem auch nicht. Seit 2015 hat sich viel und haben sich viele geändert. Was sich nicht geändert hat, ist die Sichtweise und das Handeln Ungarns. Den ungarischen Standpunkt hat Ministerpräsident Viktor Orbán kurz vor dem EU-Gipfel auf den Seiten von Bild und Die Welt noch einmal bekräftigt, genauso wie vor der ungarischen Öffentlichkeit im Kossuth Rádió.

Schon während des Gipfeltreffens in Brüssel, aber besonders danach sind die ungarnkritischen Emotionen hochgekocht. Erneut wurde die Bestrafung des Landes, die Anwendung von Daumenschrauben, die Rücknahme von Fördergeldern (von denen ein großer Teil sowieso nicht gewährt wird) gefordert. Die Gefühle dürfen uns dennoch nicht von den Fakten ablenken, die ich im Folgenden kurz skizziere:

Ungarn und Polen wird vorgeworfen, sich unter Verletzung der gemeinsamen Regeln und Hinterfragung der Vereinbarung der Mitgliedstaaten gegen die Mehrheit zu stellen. In Wahrheit ist die Situation genau umgekehrt. Im Sommer 2015 konnte der Europäische Rat, das Gremium der Staats- und Regierungschefs und das höchste politische Forum der EU, nach einer Reihe von heftigen Debatten keinen Konsens über die Bewältigung der Migrationskrise erzielen. Die damalige Europäische Kommission ist daraufhin auf die Idee gekommen, die
verpflichtende Aufnahme und Verteilung illegaler Migranten mit Hilfe von Gesetzgebungstechniken zu erzwingen, und zwar durch Abstimmung mit qualifizierter Mehrheit statt im Konsens. Am 22. September 2015 beschloss der Rat „Justiz und Inneres“ nach einer lehrreichen und traurigen Debatte das Verteilungskontingent von 160,000 Migranten. Das „Ergebnis“ ist bekannt: Der Beschluss wurde nie umgesetzt. Weniger als 40 % des Kontingents wurden verteilt, und die Mehrheit der verteilten Geflüchteten machten von der Sekundärmigration Gebrauch. Auch die meisten Mitgliedstaaten erfüllten ihre Verpflichtung nicht. Das Problem blieb ungelöst und die internen Spaltungen innerhalb der Union vertieften sich. Aus diesem Grund haben sich die Mitglieder des Europäischen Rates seit Jahren an das Konsensprinzip gehalten.

Jetzt, im Juni 2023 wiederholt sich der Frühherbst des Jahres 2015. Wiederholte Entscheidungen der Staats- und Regierungschefs, in zentralen Migrationsfragen mit Konsens zu entscheiden, wurden mit Verweis auf die EP-Wahlen im nächsten Jahr überstürzt außer Acht gelassen. In dieser grundlegenden Frage ist die Situation also das Gegenteil von dem, was zu so heftigen Angriffen gegen uns geführt hat. Nicht wir sind es, die das Vertrauen erschüttert haben, das für die Entscheidungsfindung in der EU so wichtig ist.

Der zweite, vielleicht noch heiklere Aspekt der scharfen Reaktionen ist der Vorwurf der fehlenden Solidarität. Die Verfasser des aktuellen Gesetzentwurfs über die Handhabung der Migration sind davon ausgegangen, dass sie die Definitionshoheit besitzen. Der einzige Maßstab für Solidarität, für Verantwortung, für eine verantwortungsvolle europäische Haltung ist die Aufnahme von Migranten oder, im Falle der Ablehnung der Aufnahme eine finanzielle Kompensation.

Ziehen wir Bilanz über die wichtigsten Parameter der ungarischen Solidarität, des ungarischen Beitrages:
  • Wir heißen alle Flüchtlinge, für die Ungarn das erste sichere Land ist, im Einklang mit dem Völkerrecht willkommen und nehmen sie auf. Das bedeutet mehr (ukrainische) Flüchtlinge in einer Woche als die Zahl der Migranten, die nach dem aktuell geplanten System auf alle EU-Mitgliedstaaten verteilt werden sollen. Und wir haben noch nicht einmal den Beitrag Polens erwähnt, der sich in der Größenordnung von Millionen bewegt. All dies wird begleitet von einem unverhältnismäßig geringen finanziellen Ausgleich aus Brüssel.
  • Für diejenigen, für die wir nicht das erste sichere Land sind, ist das Prinzip und die Praxis klar und konsequent. Wir bringen keine Schwierigkeiten hierher, wir bringen Hilfe dorthin. Wir importieren keine in Europa unlösbaren Probleme, wir exportieren Hilfe aus Ungarn. Die Zahl der Begünstigten des Programms „Hungary Helps“ hat bereits eine Million überschritten.
  • Wir schützen die Außengrenzen. Denn wir sind das „Burgkapitän“-Land an der Außengrenze der EU und des Schengen-Raums. Seit 2015 belaufen sich die Kosten dafür auf fast 2 Milliarden Euro und da sind die Reputationskosten noch gar nicht mit eingerechnet. (Aufgrund der Kalkulation der Europäischen Kommission würde das den Ausgleichszahlungen für die Verteilung von 100,000 Migranten entsprechen.) Nicht einmal ein Bruchteil davon wird von den Institutionen der Gemeinschaft, die wir auch schützen, kompensiert. Der „Zaun“ ist nach wie vor ein Tabuthema. Außerdem kann jedes Land, das versucht, die Westbalkanroute vor illegalen Migranten zu schützen, darauf zählen, dass wir unsere personellen und technischen Ressourcen trotz unserer Überforderung teilen.

Ich überlasse es Ihnen, zu entscheiden, wem man mangelnde Solidarität und Verweigerung der Lastenteilung vorwerfen kann. Ich stoße täglich auf harte und härtere Stellungnahmen, die betonen, „diese Leistung Ungarns habe in der jetzigen Debatte keine Relevanz“.

Darüber hinaus sollte man sich auch mit der Fiktion der Humanität auseinandersetzen. Diejenigen, die die Außengrenzen der EU auf illegalen Wegen und mit illegalen Methoden erreichen, haben bereits mit Tausenden von Dollar oder Euro zum Erfolg des Geschäftsmodells der Schleuser beigetragen. Diejenigen, die humanitäre Hilfe am dringendsten benötigen, sind in abgelegenen Ländern und Krisenregionen in Afrika und im Nahen Osten zurückgeblieben.

Über die Verzerrungen der Situation könnte man lange philosophieren. Es sieht noch nicht so aus, als ob es gelingen würde eine erfolgreiche Lösung der wachsenden Migrationskrise, die die Europäische Union als Ganzes und einige ihrer Mitgliedstaaten zunehmend belastet, zu finden. Es ist auch nicht gelungen zu der Einsicht zu gelangen, dass Deutschland nur dann entlastet werden kann, wenn die gesamte Europäische Union entlastet wird. Und dafür gibt es nur einen Weg: die Außengrenzen sichern, die illegale Migration stoppen (nicht steuern!), diejenigen aufnehmen, für die wir das erste sichere Land sind und anderen Bedürftigen vor Ort helfen.

Das ist es, was Ungarn tut. Für sich selbst, für die Europäische Union, und ja, auch für Deutschland.

Ich wünsche Ihnen einen schönen Sommerurlaub, gute Erholung und gutes Auftanken!

Autor, Dr. Péter Györkös ist außerordentlicher und bevollmächtigter Botschafter von Ungarn in der Bundesrepublik Deutschland

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