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Der Himmel über Berlin

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Antideutsche Plakate in Warschau, 9.12.2021 Bildquelle:Deutsche Welle

23. Dezember 2021 Magyar Hirlap von IRÉN RAB

Polen sei Unterstützer und Anführer der faschistischen, nazistischen und Putin-freundlichen Internationale, schrieb der Chefredakteur von Newsweek Polska, Polens führender liberaler Wochenzeitung, vor einigen Wochen in einem Tweet. Er hatte damit großen Erfolg. Die linke Opposition im polnischen Parlament (Sejm) hat die Partei Recht und Gerechtigkeit (PiS) anlässlich des Gipfeltreffens der Europäischen Konservativen in Warschau mit ähnlichen Begriffen betitelt. 

Ein internationalistischer Nazi?

Wer hat je so etwas gehört? Armes Polen! Dort muss es in den Köpfen der Linken größere Probleme geben. Alle für das polnische Volk völlig inakzeptablen politischen Richtungen in einen Topf zu werfen, um die Regierungspartei zu diskreditieren, ist keine Kunst, sondern eine dümmliche Gemeinheit. Denn die Polen haben bis heute nicht vergessen, dass sie gemeinsam von den als Faschisten genannten Deutschen auf der Rechten und von den im Geiste der Kommunistischen Internationale stehenden Russen auf der Linken ihrer Staatlichkeit beraubt wurden.

Eine nationale Partei wie die PiS schließt weder mit den Nazis noch mit den Bolschewiken jemals Frieden.

Es ist gerade die polnische Opposition, die unter internationalen grün-roten und Regenbogenflaggen marschiert und die Deutschen und Brüssel auffordert, Polen mit Geldentzug, Artikel 7 Verfahren, anderthalb Millionen Euro Bußgeld pro Tag so streng wie möglich zu strafen, darauf hoffend, dass die Regierung dadurch untergeht. Es spielt auch keine Rolle, dass die Stabilität des Landes auf dem Spiel steht. Genau wie bei uns, in Ungarn.

Die nationalkonservative Regierung verteidigt sich auf ihre eigene Weise. So haben sie zum Beispiel Plakate der neuen deutschen Regierung (die sie als faschistisch bezeichnen) in den Straßen Warschaus aufgehängt, auf denen neben den neuen auch einige altbekannte Gesichter zu sehen sind: Goebbels, Kohl, Merkel, Steinmeier. Denn sie lesen im deutschen Regierungsprogramm einen Plan für ein Viertes Reich, eine bürokratische Zentralisierung, einen Versuch, Europa umzugestalten, und das wollen sie nicht. Die Sprache des Regierungsprogramms und die Äußerungen der deutschen Politiker machen es eindeutig, dass sie die Polen als eine Art deutsches Protektorat ansehen.

„Schluss mit dem Polen-Bashing! Sollen sie doch vor der eigenen Haustür kehren, zum Beispiel bei der Funktionsweise der Gerichte! Wir werden niemals eine deutsche Vorherrschaft akzeptieren“,

erklärten polnische Regierungsvertreter gegenüber der Presse.

Die antideutsche Rhetorik machte den Deutschen ein wenig weiche Knie, denn die Außenministerin der neuen Regierung und auch der Bundeskanzler hatten gerade in der Tradition der Versöhnung einen Kurzbesuch in Warschau abstatten müssen.

Die Polen bereiteten sich auf beide Besuche nicht nur mit Plakaten, sondern auch mit politischen Forderungen vor. Da die Politiker getrennt reisten, könnte ich auch behaupten, sie gingen getrennte Wege. Die grüne Außenministerin Annalena Baerbock scheint die Interessen ihrer Partei und nicht die der Allgemeinheit zu vertreten oder kann nur nachplappern, was sie im Wahlkampf geschickt einstudiert hat. Sie hat versucht, in Warschau selbstbewusst aufzutreten, schließlich ist sie die Chefin der deutschen Diplomatie, aber ihr Selbstvertrauen hat sich allmählich verflüchtigt. Ihr polnischer Kollege Zbigniew Rau – ursprünglich Juraprofessor – behandelte sie wohlwollend, aber etwas herablassend, wie ein Hochschullehrer eben einen unvorbereiteten Kindskopf zu behandeln pflegt. „Wir freuen uns, dass die Außenministerin die Bedeutung der deutsch-polnischen Beziehungen für die Zukunft der EU erkannt hat. Aber bitte seien Sie konkret in Ihren Aussagen. Wir erwarten von Ihnen, dass Sie offen für die Argumente der polnischen Seite und verhandlungsbereit sind“ sagte Rau.

Und während der 20-minütigen Pressekonferenz beschwor er die polnischen Beschwerden und Forderungen, zum Beispiel in den Fragen des Grenzschutzes und der Rechtsstaatlichkeit, sowie den Entschädigungsforderungen aus dem Zweiten Weltkrieg, die Frage Nord Stream 2 und das Energieversorgungschaos im Allgemeinen. Der polnische Außenminister war listig, denn er wusste genau, dass die Grünen in einigen Punkten, wie z. B. bei der russischen Gaspipeline, andere Ansichten haben als die deutsche Regierung. Außenministerin Baerbock ließ sich darauf ein und stimmte entgegen der offiziellen deutschen Position hier mit Warschau überein. Ihre Unerfahrenheit wurde von den Polen sofort ausgenutzt, und dafür kann man sie noch nicht mal verurteilen. Es ist klar, dass

bei den Koalitionsverhandlungen die Verteilung der Ressorts auf der Grundlage von Parteiquoten und der politischen Macht erfolgte. Was gar nicht zählte, waren Kompetenz und Professionalität,

Baerbock ist kein Diplomat, sie redet Kraut und Rüben, und ihre Berater können sie nicht überallhin begleiten. 

Damit war der Weg für den Besuch des neuen Bundeskanzlers am übernächsten Tag entsprechend vorbereitet worden. Scholz wusste, dass er die Höhle des Löwen betritt, und er folgte dem Protokoll mit versteinertem Gesicht und vermied heikle Fragen. Er wird Baerbock auf der Kabinettssitzung zur Rechenschaft ziehen, denn das Gas bräuchte man schon, die Russen allerdings weniger, und die von den Polen erwähnte russische Bedrohung für Europa scheint aus deutscher Sicht gar nicht so sehr bedrohlich zu sein.

Morawiecki empfing Scholz gebührend, wie es für einen Bundeskanzler angebracht ist, aber das Thema Kriegsreparation wurde keineswegs von der Tagesordnung gestrichen.

Das Blut polnischer Väter, die Tränen von Müttern und natürlich die vielen geraubten oder zerstörten Kulturschätze, die (Nazi-?) Verbrechen während des Zweiten Weltkriegs schreien nach Milliarden an Reparationen.

Der Geldbetrag, der für all dieses Leid verlangt werden kann, wurde von einem polnischen Parlamentsausschuss berechnet (die Griechen hatten eine solche Reparationsberechnung bereits während ihres Staatsbankrotts durchgeführt und sie entsprach genau den griechischen Staatsschulden im Jahr 2015).

Die Polen hingegen sind nicht bankrott, sie gelten sogar als die treibende Kraft der europäischen Wirtschaft. Sie fordern eine Entschädigung auf der Grundlage von Recht und Gerechtigkeit

(gleich fielen mir unsere gesprengten Brücken und unser sinnlos geopfertes, zerschossenes Budapest ein. Gerade im Namen der Gerechtigkeit).

„Lassen Sie uns unsere Beziehungen nicht verkomplizieren, lassen Sie uns nicht in der Vergangenheit verweilen, wenn wir eine gemeinsame Zukunft aufbauen„, sagte der neue Bundeskanzler. „Die EU ist eine Wertegemeinschaft und wir Deutschen sind auch weiter bereit und gewillt, sehr, sehr hohe Beiträge zur Finanzierung des Haushaltes der Europäischen Union zu leisten. Und Polen ist der Nettonutznießer dieser Entwicklung“.

Ich kenne dieses unwürdige Argument. Und auch die polnische Antwort ist bekannt, denn ein großer Teil dieses Geldes fließt aufgrund der wirtschaftlichen Beziehungen zu Deutschland zurück und Deutschland profitiert tatsächlich vom polnischen Wirtschaftswachstum. So wie bei uns. 

Die Verknüpfung der Frage der Reparationen aus dem Weltkrieg mit den EU-Mitteln ist äußerst plump und geschmacklos. Wenn die neue deutsche Verkehrsampelkoalition auf diese Art und Weise leuchten wird, dann ist das kein gutes Zeichen für Europa, aber auch nicht für Deutschland.

Die diplomatischen Bewegungen in Europa, der starke Zusammenhalt der V4, die französischen Versuche, neue Beziehungen aufzubauen, zeigen, dass die größere Hälfte Europas diese deutsche Arroganz nicht will

und dass das deutsch geführte, klima- und genderneutrale, migrationsfreundliche, globalisierte „Europa der Zukunft“, das sie sich vorstellen, ein linker Traum bleibt. 

Es wird auch nicht vom Gott gesegnet werden. Wie denn auch, denn diese deutsche Regierung bittet nicht einmal um Gottes Segen für ihr Handeln. In der als wahr apostrophierten heutigen deutschen Demokratie haben der Kanzler und seine sieben Minister am Ende des Eidestextes den Satz „So wahr mir Gott helfe“  weggelassen, weil sie ihn weglassen konnten. Wir werden sehen, wohin sie ohne Ihn kommen werden. Auf jeden Fall stimmen wir Ungarn für ein auf europäischen Werten basierendes, christliches Deutschland.

Autorin, Dr.phil Irén Rab ist Kulturhistorikerin

Deutsche Übersetzung von Dr. Andrea Martin

MAGYARUL: https://www.magyarhirlap.hu/velemeny/20211229-berlin-folott-az-eg

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