Search

Das Opium der Jugend – Zum Phänomen MOMENTUM

22. Márz 2021 Mandiner, von MÁTYÁS KOHÁN

Floskeln gibt es üppig genug, Inhalt hingegen wenig. Die ungarische Jugend verdient mehr als bloßen Aktivismusimport.

Der Autor dieser Zeilen war noch nicht mal mit dem Gymnasium fertig, als Momentum auf die Bühne trat. Die NOlympiade-Kampagne lief Anfang 2017, eine Kohorte bislang unbekannter Jugendlichen haben den Traum der Olympiade Budapest 2024 vereitelt

viele haben sie deswegen mächtig lieb gewonnen, andere fingen sie zu hassen an.

Die Partei ist seitdem von messbarer Größe. Sie bauten sich Schritt für Schritt auf, gründeten ein Lokalverband nach dem anderen, und warfen mit ihrer Narrative um sich: neue Gesichter, neues Ungarn, neue Generation in der Politik, dynamische, begabte Jugendliche, die im Westen studiert haben, die den Sumpf der Innenpolitik klären und die apolitische Generationen unter 30 aktivisieren werden, die dem blasierten Fidesz ein Denkzettel verpassen können, ohne sich mit dem gehassten Ferenc Gyurcsány zu eng zusammenzutun.

Cool fand ich das damals und dachte, dass das intellektuelle Niveau der ungarischen Innenpolitik aus schlauen Jugendlichen nur profitieren kann. So sei es!

Der Allmächtige brachte mich jedoch noch im selben Jahr nach Kalifornien, und da lernte ich meine Generation von einer komplett anderen Seite kennen. Ich habe zu Dutzenden Exemplare eines Menschentyps getroffen, deren visuale und auditive Präsenz mir bis zum heutigen Tag Schüttelfrost einjagt –

sie sind die Aktivisten der gehobenen Mittelklasse, die nichts über die umliegende Welt wissen, jedoch sehr ausgeprägte politische Ansichten haben.

Sie sind kämpferische Atheisten oder schlimmstenfalls Scheinchristen; das einzige, was sie über die Weltkriege wissen, ist, dass dort Juden ums Leben gekommen sind; Frauenrechte heißen für sie einerseits die Frauenquote, andererseits die Abtreibung; sie sehen an jedem Buchenbaum rassistischen, sexistischen oder religiösen Klassenkampf hängen; sie bilden sich modische Gemütskrankheiten ein; und obwohl ihre fremdsprachliche Kenntnisse sich im substandardspanischen Rahmen halten (hola, nada, gracias, vamos), wissen sie genau, was in Russland, in Palästina, in Iran, in Ungarn oder in der römisch-katholischen Kirche zu tun ist.

Typischerweise überall dasselbe: Macht für Frauen, Geld für Farbige, Schwulenrechte, Regierungswechsel, freie Presse, basta.

Und da war im Jänner des Jahres 2018 András Fekete-Győr, der in Heidelberg studiert hat, bei den österreichischen liberalen NEOS zu Gast, um eine Partnerschaft aufzubauen. Dann präsentierte er als „deutschsprachige Rede” eine Verzögerungslautparade, die so abscheulich war, dass mir der Atem zu stocken begann. Ich besuchte selber eine zweisprachige Schule, genau wie Fekete-Győr, ich habe auch in Deutschland gelebt, ich weiß, wie man danach Deutsch sprechen können soll. Eben nicht so. Er hat nicht nur nichts gesagt, sondern das auch noch scheußlich gestaltet. Als Momentums zwei ehrbare Abgeordnete 2019 ins Europaparlament einzogen, erlebte ich nach den englischsprachigen Auftritten von Anna Donáth, der einen Abschluss aus der Niederlande hat, etwas sehr ähnliches, und es bildete sich in mir eine gewisse Verdacht aus. Könnte es nicht etwa so sein, dass die Kader des Momentum zwar im Westen gelebt haben, jedoch außer ein paar schönen Einträgen im eigenen Lebenslauf nichts nach Hause brachten?

Könnte es nicht etwa so sein, dass Momentum und die nichtsnutze Aktivistenarmee Kaliforniens ein und dasselbe sind? Könnte es nicht etwa so sein, dass sie eigentlich gar nicht begabt sind?

Im Sommer 2019 arbeitete ich in einem Urlaubsort am Balaton und unterhielt mich mit einer älteren Kollegin über die Politik. Ich habe erfahren, dass sie 2018 für Momentum abgestimmt hat. Sie sind jung, sie haben noch nicht gestohlen, mögen sie doch eine Chance haben! Die Kollegin hat von mir erfahren, wie Katka Cseh die Abtreibung mit einem Stabmixer verglichen hat. Sie wurde ein bisschen betrübt. Sie fühlte sich betrogen..

So etwas könnte die Essenz des Momentum sein. Ein Riesenbetrug, ein Bündnis in eigener Interesse von Jugendlichen, die sich als schlau und gebildet verkaufen. Sie sind das Opium der Jugend, nichts sonst

– und wie die Sachen 2021 so stehen, sind sie auch die Einstiegsdroge zu Ferenc Gyurcsány. Seit der NOlympiade sagt Momentum genau nichts und liefert stattdessen den aktuellen Mainstream-Bullshit zu sämtlichen Themen.

Hat das Volk die Schnauze voll mit dem ganzen Lockdown? Lasst uns mit Köpfchen das Land wieder öffnen! Kommt die dritte Welle? Wir haben schon dann einen härteren Lockdown befürwortet, als wir noch das Land öffnen wollten! Wurde George Floyd umgebracht? Roma Lives Matter! Ist der Forint schwach? Lasst uns den Euro einführen! Ist das Bildungswesen in Ungarn schandhaft? Lasst uns die Presse mit den Finnen vollreden! Ist die Impfbereitschaft unter den Ungarn nicht groß genug? Dann sollen sie Geld für die Impfung bekommen! Seid Ihr Spitzen für Věra Jourová? Nein! Und wenn die Parteimitglieder fragen? Dann schon! Nirgendwo lässt sich in der Partei der jungen Intellektuellen ein kreativer Vorschlag finden, ein Stückchen Innovation, eine ungarische Lösung für ein ungarisches Problem.

Es gibt nur das Nachäffen des Westens, ein Copypasting von ausländischen Systemen und Methoden, die man gerne für gut hält, ohne jeglicher Einbettung ins Zielland oder einer theoretischen Grundlage.

Die fachpolitische Überzeugungen des Momentum werden noch stärker von der aktuellen Windrichtung beeinflusst, als das in der Opposition generell der Fall ist. Und die Überzeugungen unserer jungen Schlangenölhändlern werden die ersten in der Reihe der nicht gerade wenigen Sachen sein, die im Falle einer gemeinsamen Regierung von Gyurcsánys Dampfwalze so flachgewälzt werden, als wären sie nie da gewesen. Es wird genügen, mal von den linken Thinkthanks Publicus oder IDEA erforschen zu lassen, dass Gyurcsánys DK Recht hat.

Denn solange eine fachpolitische Grundlage oder ein Wertesystem abhanden ist, gibt es nichts, was die Gedanken des Momentum auf einer konsequenten Strecke halten könnte. Sie sind gekennzeichnet durch eine unsägliche intellektuelle Anspruchslosigkeit, die genau dort die Wurzeln hat, wie der westliche Neomarxismus: im oberflächlichen Wissen. Wer das nicht glaubt, soll mal nachforschen und zum Beispiel Tranzits Garagendebatte zwischen Justizministerin Judit Varga und EP-Abgeordnete Anna Donáth anschauen.

Floskeln gibt es üppig genug, Inhalt hingegen wenig – und dafür sollte sich die Jugend begeistern? Sollte sie nicht.

Es gibt bessere Lösungen als die Partei, deren Katka Cseh im leeren Europäischen Parlament mit durch Hass verunstaltetem Gesicht beinahe den Einzug der EU-Friedensmission nach Budapest fordert. Es gibt bessere Lösungen als die Partei, deren Vorsitzender nach einem Selbstbekenntnis zur hochgeschätzten Pressefreiheit etwas über den Arbeitsverbot der ihm nicht behagenden Journalisten von sich stottert. Es gibt bessere Lösungen als die Partei, die seit der Ankündigung der gemeinsamen Wahlliste nur Versuche unternimmt, Ferenc Gyurcsány für die Jugend schmackhafter zu machen, und sonst gar nicht tut.

Um die Kirche mal im Dorf zu lassen: es muss ja nicht die gesamte Jugend konservativ sein. Aber die Ehrlichkeit, das klare Selbstbekenntnis ist Pflicht. Wer 2022 ein Kabinett von Klára Dobrev haben möchte, möge sich bitte Gyurcsánys Demokratischen Koalition anschließen und in aller Deutlichkeit erklären, dass er die konservativen Ungarn in Fesseln sehen möchte; dass die russische und chinesische Impfstoffe schlecht sind; dass Kirchen und kirchlich getragene Schulen schließen sollten; und natürlich dass die legendäre Rede von Őszöd eine Rede der Wahrheit war. Wer an Gyurcsány glaubt, möge bitte auf die Einstiegsdroge verzichten und sich in ihrer Gänze zeigen, so, wie er ist.

Momentum ist für Gyurcsány DK in ihrer jetzigen Form kein Gegengewicht, sondern ein Hilfsantrieb – und den braucht keiner. DK fährt auch von selber.

Und diejenigen, die noch daran glauben, dass Momentum die Wende vollenden will, mögen bitte daran arbeiten, nicht an der Rückkehr von Ferenc Gyurcsány. Sie mögen sich bitte ins politische Zentrum befördern, mit Róbert Puzsér arbeiten, oder mit enttäuschten Fidesz-Anhängern, mit den wenigen Leuten bei LMP, die noch ein Wertefundament haben, wem auch immer –

sie mögen jedoch bitte ein Wertefundament haben, und diesem Land endlich etwas sagen, anstelle einer verdünnten, verjüngerten, verwestlichten DK-Propaganda.

Ein Jugendlicher mag tausend Gründe haben, um diese Regierung zu opponieren, sowohl praktische als ideologische Gründe. Aber ein Verbündeter Gyurcsánys zu sein, sich zu ihm herabzulassen, und statt politischer Arbeit Bullshit zu produzieren – das ist unverzeihbar fahrlässiges Verhalten.

Die ungarische Jugend verdient mehr als bloßen Aktivismusimport. Ein Konservativer muss man nicht sein. Bei Momentum zu sein, ist aber eine Schande.

Lesen Sie den Artikel im ungarischen Original: Kohán Mátyás: A fiatalság ópiuma – a Momentum-jelenségről | Mandiner

Bildquelle: https://nepszava.hu

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert