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Die Horthy-Ära: Bemerkungen am Rand einer Diskussion

27. Oktober 2023 Magyar Hírlap von TAMÁS LÁSZLÓ 

Am 30. Jahrestag des Begräbnisses von Miklós Horthy in Kenderes würdigten mehrere Regierungsmitglieder die Arbeit des Reichsverwesers und verwiesen auch auf die Notwendigkeit seiner vollständigen und weitgehenden Rehabilitation. Das linksliberale politische Lager ist zum Sofortangriff übergegangen, indem es auf Horthys angebliche Mitwirkung bei dem Holocaust und auf seine Rolle im zweiten Weltkrieg hinwies. Damit setzen diese Leute die sozialistische Geschichtsschreibung der 50-er Jahre fort, als die Horthy-Ära gleichbedeutend mit Begriffen wie der Sündennation mit der Judenverfolgung und dem verlorenen Krieg war.

Im Gegensatz dazu gebühren jenen achtzehn Jahren zwischen 1920 – dem Friedensschluss in Trianon – und 1938 -dem letzten Friedensjahr vor dem Zweiten Weltkrieg, eine nähere Betrachtung.    Die letzten Jahre waren wie ein Sturzflug infolge erzwungener Ereignisse: von der deutschen Besatzung, bis zum Versuch aus dem Krieg auszutreten, die darauffolgende Terrorherrschaft der Pfeilkreuzler und die unsinnige Verwüstung durch den Krieg selbst …

Was ging dieser Periode voraus?

Im verlorenen Großen Krieg (die Benennung vom Ersten Weltkrieg taucht später auf) fielen 540 Tausend aus den 3,5 Millionen Soldaten aus Ungarn und Kroatien auf den Schlachtfeldern, 1,4 Millionen wurden verwundet, 830 Tausend gerieten in Gefangenschaft. Wie die ganze Welt, so auch Ungarn wurde in den Jahren zwischen 1918 und 1920 von der „spanischen Grippe“ heimgesucht, die mehr Opfer forderte, als der gesamte Krieg. Auch die Grausamkeiten des Roten Terrors im Jahr 1919 spukten noch lange Zeit in den Köpfen herum und verursachten ein schwer zu bewältigendes Trauma. (Wobei von linksliberalen Kreisen bis heute die Verschönerung dieser Geschehnisse betrieben wird.) Unter anderem ließ man Ungarn deshalb nicht „zum Tisch“ der Friedensverhandlungen bei Paris. Inzwischen haben unsere Gegner (die eine Zeit lang Mitstreiter der „Mittelmächte“ und damit auch unsere Verbündete waren) mit den Siegern alles erledigt – ohne unsere Mitwirkung …

Aus den Nachfolgerstaaten kam die sogenannte „Klein-Entente“ zustande, die das Land in die Zange nahm (und bis heute immer wieder reflexartig erscheint). Die rumänische Armee, die Ungarn besetzte, plünderte alles Mögliche, wie bewegliche Güter, ganze Fabriken und schleppte sie mit nach Hause. Gleichzeitig flüchteten Hunderttausende aus den Nachfolgerstaaten nach durch den Friedensvertrag von Trianon verstümmeltes Ungarn oder wurden sogar hierher deportiert: etwa 200 Tausend aus Siebenbürgen, 120 Tausend aus Oberungarn (der gegenwärtige Slowakei), ca. 80 Tausend aus der Vojvodina (dem heutigen Serbien) – Zehntausende lebten jahrelang in Eisenbahnwaggons. Die daraus entstandenen außergewöhnlichen sozialen Ausgaben konnte man erst nach vielen Jahren abbauen. Am Ende des Ersten Weltkrieges kam es in mehreren Gebieten des Landes zu Hungersnöten.  Das Land war zwischen 1919 und 1924 auch von einer Hyperinflation betroffen, in dieser Zeit wuchs das Preisniveau um das 1183-fache und die im Umlauf befindliche Banknotenmenge auf das 668-fache.

In diesem Zustand begann die sogenannte Horthy-Ära, das Land befand sich in einer schwierigeren Situation als im 18. Jahrhundert, in der Zeit nach der Vertreibung der Osmanen.

Wir wollen nur einige von diesen erwähnen, damit wir die Lebensfähigkeit des Ungarntums und seinen Willen zum Überleben beweisen, schließlich kann man eine geschichtliche Epoche nicht allein einem Anführer zugute schreiben, sondern dem ganzen Volk, dem ganzen Land zusammen mit seinen Politikern, Wissenschaftlern, Künstlern, Arbeitern, Ingenieuren, Landwirten.   

Unter der Regierung vom Ministerpräsidenten István Bethlen (1921-1931) fand die Einführung des Zahlungsmittels Pengő zum 1. Januar 1927 als bedeutender Pfeiler für die Konsolidationsphase gegen die Hyperinflation statt, die für lange Zeit eine der stabilsten Währungen der Welt wurde. Die Staatsverschuldung und die schwerwiegenden Verpflichtungen zur Kriegsgutmachung bezahlte Ungarn zur Hälfte der vorgesehenen Zeit, und noch mehr, das Land wurde finanziell wieder erstarkt, so sehr, dass man die gesamte Schuldenlast der Landwirte erlassen konnte.

Die Bevölkerung des Landes wuchs im Zeitraum von kaum mehr als anderthalb Jahrzehnten um 1,6 Millionen Menschen (wobei man natürlich auch die über die Grenzen gekommenen Landsleute mitzählen muss), doch diese Tatsache ist der Beweis für den absoluten Überlebenswillen. Während der Zeit des Sozialismus durfte man den Namen von Kuno Klebelsberg nicht einmal aussprechen, obwohl die Bildungs- und Kulturpolitik, die durch ihn in die Wege geleitet wurde, außergewöhnliche Ergebnisse erzielte. Während seiner Amtszeit als Kultusminister (1921-1932) erbaute man fünftausend Dorfschulen, die Zahl der Grund- und Mittelschulen verdoppelte sich auf 7418, die der Kindergärten wuchs von 975 auf 1140.

Anstelle der Universitäten in den abgetrennten Gebieten entstanden neue Universitätsstädte in Pécs (statt Pozsony), Szeged (statt Kolozsvár) und Debrecen. Klebelsberg gründete die Hochschule für Leibeserziehung – d.h.  für den Sport – (die ihre Früchte viel später, zum Beispiel durch die hervorragenden Leistungen bei den olympischen Spielen in Berlin 1936 und Helsinki 1952 ernten ließ), 1930 wurde das Sportbad auf der Margareteninsel erbaut. Im Ausland rief er das Collegium Hungaricum ins Leben, um den wissenschaftlichen Nachwuchs zu sichern. Das Institut „Alföld” („Tiefebene“) wurde ebenso von ihm aus der Taufe gehoben, da er erkannte, dass diese Gegend Ungarn, das nach Trianon geschrumpft wurde, eine starke Stütze sein kann, und man diese Möglichkeit auch nutzen muss. 1930 rief er Albert Szent-Györgyi zurück ins Land. Die Forschungsergebnisse dieses großen Wissenschaftlers sind unter anderem diesem Schritt zu verdanken, was letztlich mit dem Nobel-Preis belohnt wurde. Vor all diesen Initiativen konnte nicht einmal die große Weltrezession im Jahr 1929 haltmachen.

In dieser Periode wurden 160 neue Krankenhäuser neben den bereits bestehenden 187 gebaut, und die Zahl der hier arbeitenden Ärzte verdoppelte sich. Ein für jedermann zugängliches, soziales Versorgungsnetz wurde geschaffen, das zu einer sicheren Funktion benötigte Vermögen erhielten die Renten- und Krankenkassen. Budapest wurde eine Heilbadestadt. Erholungsheime für Arbeiter wurden in der Donauknie-Gegend, an der Donau bei Soroksár gebaut, für die Angestellten entstanden solche Heime im Gebirge, zum Beispiel in der Mátra und Bükk, sowie am Plattensee. Um die Erforschung des Plattensees voranzubringen, wurde das Forschungsinstitut für Limnologie am Plattensee in Tihany gegründet. Die staatlichen Bediensteten (die Arbeiter in Staatsunternehmen, die staatlichen Angestellten und Beamten) erhielten monetäre und Sachleistungsvergünstigungen für Bahnreisen, Erholungsurlaub, Versicherungen, um ihre aufopferungsvolle Arbeit zu honorieren.

Die Entwicklung der Infrastruktur war ebenfalls bedeutend: 2628 km gutausgebaute Bundesstraßen wurden errichtet, die Länge der Eisenbahnlinien wuchs auf 8671 km, wovon 243 km elektrifiziert wurden – auf der Grundlage einer ungarischen Erfindung von Kálmán Kandó. In der Herstellung von Diesellokomotiven war Ungarn Weltbeste, Motorzüge aus der Budapester Fabrik Ganz wurden für die Staatsbahnen in Ägypten und Argentinien gefertigt. In dieser Zeit wurde durch die neu aufgestellte Donau-Flottille die auch meerestauglich war, die Verbindung unserer Wasserstraßen zu den Weltmeeren geschaffen. Zahlreiche andere Industriezweige entwickelten sich, die Mühlenindustrie in Budapest und Umgebung, Tungsram – eine Firma vom Weltruf, oder wir können auch die Manfred-Weiss-Fabriken erwähnen.  Die Liste der bedeutenden Firmen aus dieser Zeit ist lang.

Im Land ging die Organisation sehr vieler Verbände und Vereine voran, im ländlichen Gebieten die katholischen Vereine KALOT und KALÁSZ erzielten ein ausgezeichnetes Ergebnis und nahmen zusammen mit den kirchlichen Gemeinden am Welteucharistiekongress in Budapest 1938 teil, der zum seelischen und geistigen Heil der Menschen großartig betrug. (Aus diesem Anlass veranstaltete Kardinal Mindszenty 1946-47 einen Gebetsfeldzug. Repressalien und Verfolgung war die Antwort der Kommunisten mit dem unverhohlenen Ziel, die Kirchen zu vernichten, aber auch andere Bewegungen wie die der Pfadfinder (1938 gab es das erfolgreiche Welttreffen der Pfadfinder in Gödöllő) oder die Bewegung der Volkshochschulen fielen zum Opfer.

Oder rufen wir uns die hervorragende Arbeit bei der Organisation der öffentlichen Verwaltung von Zoltán Magyary ins Gedächtnis.

Politisch arbeitete die Führung des Landes auf eine Unabhängigkeit, sie wollte aus der Umklammerung der Kleinen Entente, sich der diplomatischen Isolierung entledigen – mit mehr oder weniger Erfolg. Sie lehnte sowohl den roten, als auch den braunen Extremismus ab, schränkte die Arbeit der extremistischen Parteien ein, verbot die Benutzung des Hakenkreuzes. Es gab keine offizielle Staatsideologie, keine rücksichtslose Ablösung der tradierten Sitten und des historischen Rechtssystems und somit keinen erzwungenen Ersatz. Die Medien wurden nicht gleichgeschaltet, und es gab eine unwahrscheinlich große Vielfalt: 1500 Zeitungen, von denen 400 politisch ausgerichtet waren, erschienen zu jener Zeit. Und keinerlei terroristische Organisation jagte der Bevölkerung Angst und Schreck ein.

Selbstverständlich gab es keine Demokratie im Sinn des 21. Jahrhunderts, schon deshalb nicht, weil es sich um die erste Hälfte des 20. Jahrhunderts handelte. Natürlich war diese Ära nicht fehlerfrei und in vielen ihren Zügen eine herrschaftliche Welt. (Nicht als Entschuldigung, aber denken wir nur an die Verhaltensweise der heutigen, europäischen Monarchien …)

Die Erfolgsserie der Horthy-Ära kann man lang fortsetzen. Indem man mit den harten und weniger harten Ansichten der marxistischen Geschichtsschreibung bricht, wäre eine objektive Prüfung dieser Epoche angebracht. Es ist kein Zufall, dass die kommunistische Macht gerade die Ergebnisse, diese Errungenschaften sofort auszusetzen versuchte, in Gegenteil zu verkehren, für null und nichtig zu erklären, zu brandmarken und damit aus der geschichtlichen Erinnerung herauszuschneiden bestrebt war. Man kann aber mutig behaupten, dass diese 18 Jahre halfen, die darauffolgenden schlimmen Perioden –  die Stagnation während des Weltkrieges, danach die an die Macht gekommene kommunistische Herrschaft von Rákosi und die ruinösen Jahre unter Kádár – zu überstehen. Und wir gelangen nun in die Gegenwart.

Die Horthy-Ära sendet uns heutigen Ungarn auch Botschaften, diese etwas mehr als anderthalb Jahrzehnte dauernde Epoche hat an der Zahl viele, bis heute wirkende, positive Vektoren. Nehmen wir nur ihre Werte, die Zeichen, die für weitere Überlegungen geeignet sind, auf die man aufbauen kann. Wir sollten uns tapfer denjenigen entgegenstellen, die diese gut entwickelnden, aufbauenden, eine Neugeburt sichernden Jahre ohne viel Federlesens, einseitig und ungerecht negativ beurteilen!

Autor, Tamás László, ist Architekt, Parlamentsabgeordneter a.D.

Deutsche Übersetzung von Dr. Gábor Bayor

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