18. Januar 2022, Gastbeitrag von ANDREA MARTIN
(Medienfreiheit in Ungarn. Wieder eine Veranstaltung. Man fragt sich, wozu eigentlich? Die Fronten sind klar. Die bei den Volontären über 90% und bei den Journalisten über 60% grün-rot-links eingestellte deutsche Presse empfindet Journalismus nur dann als frei, wenn die Verhältnisse überall in Europa so ähnlich aussehen, wie bei ihnen zu Hause. Dabei interessiert es nicht, ob Bolschewiken oder ihre Zöglinge, die liberal angestrichenen Postkommunisten, dabei die Feder führen. )
Unter dem Titel ,,Deutschland und Ungarn im Gespräch: Medienfreiheit in Ungarn“ wurde am Montag, den 17. Januar 2022, ein Online-Symposium, eine gemeinsame Veranstaltung des Mathias Corvinus Collegiums (MCC) und der Deutsch-Ungarischen-Gesellschaft e.V. (DUG), aus der Reihe „Ungarn und Deutschland im Dialog“ abgehalten.
Der Vortragende Boris Kálnoky lebt momentan als freier Journalist in Budapest und leitet die Medienschule des MCC. In seinen Texten präsentierte sich Kálnoky oft als eine Art kritisch-konservativer Orbán-Erklärer, der den Ausgleich sucht und die Unabhängigkeit zelebriert. Kálnoky, der unter anderem auch für „Die Presse“ in Österreich, „Die Weltwoche“ in der Schweiz und die „Deutsche Welle“ schrieb, blickt auf eine 33-jährige Verbundenheit mit der „Welt“ zurück und prägte die Ungarn-Berichterstattung der Zeitung im vergangenen Jahrzehnt maßgeblich.
Im MCC ist man bestrebt, den Informationsaustausch und die Kontakte zwischen den beiden Ländern gegenseitig zu pflegen.
Nach den Einführungen von Bence Bauer (Direktor des Deutsch-Ungarischen Instituts für europäische Zusammenarbeit) und Gerhard Papke (Vorsitzender der Deutsch-Ungarischen Gesellschaft) hatte Boris Kalnoky die Möglichkeit, seine Sichtweise darzulegen.
Da Boris Kálnoky die ungarische Poltik seit 30 Jahren aus der Nähe beobachtet, konnte er auf die Verhältnisse am Anfang der 90-er Jahre zurückblicken. Damals gab es nur linke, postkommunistische Zeitungen. Die konservative Seite hatte nur eine einzige Tageszeitung, die „Magyar Nemzet“. Das war´s.
In der 90-er Jahren war die gesamte Medianlandschaft in der Hand der Postkommunisten.
Sie hatten eine marktdominierende Monopolstellung. Das bedeutete natürlich Geld/Kapital/Rendite. Deutsche und Schweizer Investoren interessierten sich, stiegen mit Joint Venture Modellen ein und beließen alle kommunistischen Genossen in den Redaktionen. Und die Postommunisten waren natürlich nicht daran interessiert, diese ihnen genehme Medienlandschaft zu verändern. Wahrscheinlich hat man auf der konservativen Seite die Wichtigkeit der Medien erst dann begriffen, als Orbán 2002 die Wahlen sehr knapp verlor. Dann erst,
ab 2002 hat man sich vorgenommen, bei den Medien auch eine andere, eine rechtskonservative Seite zu erschaffen.
Heute kann man davon ausgehen, dass die beiden Seiten je etwa 50% besitzen. Kálnoky ist der Meinung, dass die Medienfreiheit in Ungarn gar nicht abgeschafft werden kann. Die Gesetze garantieren die Pluralität. Und wenn eine Lücke entsteht, entsteht dort sofort ein neuer Markt. Dafür gibt es viele Beispiele von der Auflagensteigerung der „Népszava“ nach dem Einstellen von „Népszabadság“, bis zur Teilung von Index und Telex. Die Konsumenten verlangen beidseitig eine kritische Berichterstattung. Ein wohl informierter Ungar schaut ohnehin die Nachrichten von beiden Seiten an, liest verschiedene Zeitungen. Es gibt in Ungarn noch keine unabhängigen, alles umfassenden, neutralen Medien. Unter den TOP 20 Webseiten dominieren eindeutig die regierungskritischen Seiten.
Die ungarischen Medien sind pluralistisch, die Bandbreite ist viel größer, die Debatte ist lebhafter und heftiger als in Deutschland.
Am Ende jedoch wird dieser Medienmarkt irgendwann auch ähnlich werden, wie es in den westlichen Ländern heute üblich ist.
Auf die Fragen und Bemerkungen der Teilnehmer führte Gerhard Papke aus, dass man eine faire Berichterstattung von den deutschen Medien einfordern sollte. Nicht unkritisch, aber fair! Boris Kálnoky ergänzte, dass die deutschen Journalisten von den zwei möglichen Narrativen, wie man die ungarische Poltik seit 2010 betrachten kann, nur eines benutzen. Dieses Narrativ besagt, dass Orbáns rechtspopulistische Politik die Checks und Balances abbaut. Das andere Narrativ, nämlich, dass Orbán ein Land aus dem wirtschaftlichen Chaos geführt und zu einem funktionierenden stabilen Land mit steigenden Löhnen gemacht hat, bleibt unerwähnt. Außerdem ist die Tonlage zwischen West- und Ostmitteleuropa hochgradig korrosiv.
Papke berichtete darüber, wie fassungslos seine ungarischen Bekannten seien, wenn sie in der westlichen Presse lesen, in Ungarn gäbe es keine kritische Berichterstattung. Die Wahrheit ist, dass
es in Ungarn eine solche regierungskritische Presse gibt, wie es in Deutschland gar nicht vorstellbar sei.
Die ungarische Politik passt jedoch in Deutschland vielen nicht. Die drei Themen: Zuwanderung, Familienpolitik, Vaterlandsliebe sind die drei ungarischen Politikpositionen, welche in Deutschland sofort als rechtspopulistisch abgekanzelt werden.
Bence Bauer demonstrierte für die ausländischen Teilnehmer die Bandbreite der ungarischen Wochenzeitungen. Von den auch in die Kamera gezeigten Blättern (Mandiner, Demokrata, Országút, 168óra, Magyar Narancs, Hetek, Jelen, Hócipő, Élet és Irodalom, Magyar Hang) sind die meisten regierungskritisch.
Auf die Verantwortung der Verleger angesprochen, führte Herr Kálnoky aus, dass der Eigentümer in der Regel seine Werte zu vermitteln wünscht, ohne in die Redaktionsarbeit direkt einzugreifen. Das ist gewiss keine einfache Aufgabe. In Ungarn gibt es allerdings ein anderes Problem: die Verleger sind oft fachfremde Geschäftsleute, die ihr Geld anderswo verdienen und das Medium eher dazu benutzen, sich politisch entsprechend – für oder gegen die Regierung – zu positionieren.
Ob die schlechte Ungarnmeinung in den deutschen Medien noch zu drehen wäre, fragte ein Teilnehmer. Auch wenn Viktor Orbán bei der Migrationsdiskussion Recht behält, wird das politisch nie anerkannt werden, meinte Kálnoky und Papke ergänzte etwas optimistischer, dass die einseitige Berichterstattung auch den Deutschen immer mehr zuwider ist.
Deutschland und Ungarn: eine gegenseitig enttäuschte Liebe, da waren sich beide einig. Die Polemik über Ungarn geht auch wohl an den Ungarn selbst nicht vorbei.
Die Ungarn sehen, wie sie unfair behandelt werden, sie verstehen nicht, warum die Deutschen den Willen zur Selbstbestimmung einer Nation nicht gut finden und die Deutschen verstehen nicht, warum die Ungarn so sehr kritisch gegenüber der EU sind.
Im Endeffekt geht es nur darum, mehr Fairness in der Berichterstattung zu verlangen, darin waren alle einig.
Autorin, Dr Andrea Martin ist Zahnärztin
Bildquelle: http://Verband Deutscher Zeitschriftenverleger e.V.
Ein Kommentar
Eine korrekte und kluge Zusammenfassung des Online-Symposiums über die Medienfreiheit in Ungarn. Dafür und für den prompten Kommentar verdient die Autorin Glückwunsch. Bekanntlich ist das erwähnte Thema ein gern wiederholter Angriffspunkt westeuropäischer Ungarnkritiker. Das Symposium beeindruckte mit einem besonnenen Ton und einer gut verständlichen, klar geführten Argumentation der Vortragenden und Diskussionsteilnehmer. Das einführende Referat von Herrn Kálnoky zeigte ein treffendes Bild darüber, welche Verhältnisse in den 90-er Jahren im Zuge des Systemwechsels herrschten. Nach dem Zusammenbruch der „sozialistischen“ Welt formten sich die ehemaligen Machtinhaber fleißig zu „liberalen“ Zeitgenossen um. Sie berherrschten die gesamte Medienlandschaft und nutzten die neuen demokratischen Verhältnisse dafür, sich mit aller Kraft an die Macht zu klammern. Eine Umgestaltung der Verhältnisse konnte erst in den Jahren von 2002 an zu erfolgen. Westliche Kritiker blenden diese Geschehnisse völlig aus. Es wäre zu wünchen, dass die grün-rot-links eingestellten Stimmungsfürhrer auf die vorgetragenen Fakten und Argumente mit einem ähnlichen Fairness eingehen wie dies im Symposium zu erfahren war. Ich frage mich nur, ob sie für eine solche Geisteshaltung fähig sind.