12. August 2023 Magyar Hírlap von IRÉN RAB
So lautete ein Hasskommentar, den verbitterte deutsche Gottesdienstbesucher dem evangelischen Pastor, der den Abschlussgottesdienst hielt, entgegenschleuderten. Traditionsgemäß lud ihre Kirche im Juni dieses Jahres zum 38. Mal ein, sich zu versammeln, zu reden, das Weltgeschehen aus ethisch-religiöser Sicht zu diskutieren. Doch die Tradition ist nicht mehr die, die 1949 im Geiste der Läuterung begründet wurde.
Die Evangelische Kirche in Deutschland ist längst wieder mitten in der Politik gelandet. Die Mehrheit der Pfarrerinnen und Pfarrer predigt nicht mehr Gottes Wort von der Kanzel, sondern bombardiert ihre Gemeinden mit aktuellen politischen Themen.
Diejenigen, die in der Religion Seelenfrieden und geistlichen Trost suchen, finden ihn immer seltener in der Kirche.
Das Motto des diesjährigen Evangelischen Kirchentags stammt aus dem Markusevangelium, 1,15: Jetzt ist die Zeit. Thomas de Maiziere, ein bewährter Minister in den Regierungen von Angela Merkel, wurde gebeten, die oberste Schirmherrschaft zu übernehmen. Während seiner Zeit als Innenminister gab es die große Migrationswelle, er war damals Kettenraucher, sein Gesicht pergamentfarbig, die Finger gelb vom Nikotin. Ich hätte keine zwei Pfennige dafür gegeben, dass er noch lange leben würde. Aber de Maiziere ist wie neugeboren. Seit er aus der Tagespolitik ausgestiegen ist, sieht er sportlich, braungebrannt und unendlich selbstbewusst aus. Ihm ist es auch zu verdanken, dass ziemlich alle politischen Potentaten mit dem verlockenden Versprechen von persönlichen Gesprächen zu den fünftägigen kirchlichen Feierlichkeiten eingeladen wurden. Das Staatsoberhaupt, der Kanzler, Regierungsmitglieder, Grüne, Rote und Gelbe, sogar der CDU-Vorsitzende und ehemalige Vorsitzende (außer Frau Merkel) sind erschienen.
Die AfD war die einzige Partei, die keinen Zugang hatte, obwohl sie offiziell einen Antrag stellte, aber im Sinne der Nächstenliebe bekam sie keinen einzigen noch so winzigen Informationsstand zugestanden, obwohl diese Partei auch einen religiösen Ausschuss hat. Stattdessen gab es NGOs, Vertreter des klimabegeisterten Friday for Future, Letzte Generation-Aktivisten, die sich an Asphalt und alles andere kleben, und NGOs, die für unkontrollierte Migration werben. Roma wurden durch eine Fotoausstellung repräsentiert, Ukrainer durch Musiker des Kiewer Symphonieorchesters und Gewalt gegen Frauen durch Selbsterkundungsgespräche. Etwa tausend verschiedene Programme wurden von der „hybriden Kirche“ angeboten, Theateraufführungen, Popkonzerte aller Genres, Podiumsdiskussionen, Spiele, kulturelle Veranstaltungen. Natürlich gab es auch Bibelstudiengruppen und Gottesdienste.
Der Höhepunkt der Veranstaltung war jedoch der Abschlussgottesdienst am Sonntagmorgen bei strahlendem Juniwetter auf dem Nürnberger Hauptplatz. Rund achtzehntausend Menschen waren gekommen, und als die Kamera durch die Menge schwenkte, schimmerten nur die Sonnenbrillen schwarz. Auf dem Podium sahen die Musiker, der Chor und die beiden Geistlichen alle ziemlich deutsch aus. Den Begriff Altar wage ich nicht zu verwenden, so wie mir auch fremd war, wie in dieser Stunde zum Lobe Gottes gesungen wurde. Der Aufführungscharakter des Gottesdienstes wurde dadurch verstärkt, dass der Dirigent beim Dirigieren riesige Seifenblasen blies und Mädchen im regenbogenartigen Altartuch im Vordergrund tanzten, wie bei einem Gospel. Religiöse Strenge, moralische Fessel, traditionelle Liturgie? Alles Fehlanzeige.
Mitten im Gottesdienst erschien der schwarz gekleidete Teufel, der auserkoren war, die Predigt zu halten. Er erinnerte mich an Jimmy Hendrix, allerdings endete sein dichtes schwarzes Haar nicht in Kringeln, sondern in ausladenden Spitzlocken.
Der Pastor einer Gemeinde in Norddeutschland, Quinton Caesar, verkörperte alles, worum es beim diesjährigen Festival der evangelischen Kirche ging: Er ist Afrikaner, also ein schwarzer Migrant, ein bekennender Aktivist der letzten Generation und nachdem er sich für queere Menschen eingesetzt hat, offenbar auch in diesem Thema selbst zu Hause. Nach seiner eigenen Definition ist er ein Pastor-Gangsta-Rapper.
Die Predigt war nicht lang, nur zwölf Minuten. Einige seiner Äußerungen wurden von den Anwesenden (ich wage nicht zu sagen, den Gläubigen) mit Beifall und Jubel begrüßt. Besonders gut gefiel ihnen der Teil, den heute alle hervorheben, nämlich dass Gott queer ist. Das ist schlichtweg Blasphemie, wenn auch aus dem Mund eines Pastors noch etwas schlimmer.
Für mich waren seine anderen Botschaften mindestens ebenso beunruhigend.
Gott liebt uns alle gleich“ – sagte Pastor Caesar – „Ich sehe keine Hautfarbe, keine Behinderung, kein Geschlecht“ …„Jesus Christus hat uns alle durch seine Liebe befreit.“ … „Die Kirche ist ein sicherer Ort für alle. … Hey, lügt uns nicht an. Es ist leichter, von befreiender Liebe zu predigen, als eine Liebe zu leben, die befreit. Doch wenn ihr von der Liebe predigt, die alles besiegt, und trotzdem meine Geschwister und mich diskriminiert – wegen unseres Einkommens, unserer Hautfarbe, unserer Behinderung oder unserer queeren Identität. Dann sagen wir: Moetie liegie daai kind! Lügt uns nicht an. Meine Geschwister und ich – wir sind Kirche. Wir sind kein Gegenüber, brauchen keine Nächstenliebe oder Zuwendung von oben herab. Wir sind Kirche. Und meine Geschwister und ich sagen: Jetzt ist die Zeit! Wir vertrauen eurer Liebe nicht. Wir haben keine sicheren Orte in euren Kirchen. Ich werde euch heute nicht anlügen. Die Zeit ist jetzt, zu sagen: Wir sind alle die Letzte Generation. Jetzt ist die Zeit, zu sagen: Black lives always matter. Jetzt ist die Zeit, zu sagen: Gott ist queer. Jetzt ist die Zeit, zu sagen: We leave no one to die. Jetzt ist die Zeit, zu sagen: Wir schicken ein Schiff. UND wir empfangen Menschen in sicheren Häfen. Safer spaces for all. Gott ist immer auf der Seite derer, die am Rand stehen, die nicht gesehen oder nicht benannt werden.“
Astreine grüne Glaubensbekenntnisse beim Abschlussgottesdienst: Lob des Klimas, der BLM und der Geschlechtervielfalt.
Einige waren nicht begeistert von dieser aufrührerischen politischen Rhetorik. Sie standen fassungslos da oder saßen ebenso fassungslos zu Hause vor ihren Bildschirmen, als das öffentlich-rechtliche Fernsehen den gesamten Gottesdienst übertrug. Der Himmel brach nicht zusammen auf den Hauptplatz von Nürnberg, der Schirmherr dankte und die Presse konnte diesmal darüber nicht schweigend hinweggehen.
Wer seid ihr und wer sind wir? Wer lügt und wer ist ehrlich? Was ist das für eine Spaltung in der Kirche, ein Graben zwischen den Menschen? Warum ist nur das Leben von Schwarzen wichtig? Welches Ziel verfolgte Reverend Quintin Caesar mit seiner Rede? „Jeder Mensch kann Gott mit den Attributen ausstatten, die er will, Gott ist das, was der Einzelne von ihm denkt„, sagte der Vorgesetzte Caesars zur Verteidigung seines Untergebenen. Caesar selbst hat sich wegen der Beschimpfungen, denen er ausgesetzt ist, ein wenig aus der Öffentlichkeit zurückgezogen. Er sollte ja auch ein bisschen tolerant sein, wenn er mit seiner sensiblen Seele zu einer politischen Persönlichkeit des öffentlichen Lebens avanciert. Und diejenigen verstehen, die wegen ihm jetzt aus der Kirche austreten. Zumindest geht es darum in vielen der sog. „hasserfüllten“ Kommentare.
Die aktuellen Statistiken sind noch nicht bekannt, aber die offiziellen deutschen Statistiken zeigen eindeutig den Rückgang der Zahl der Gläubigen. Der Kirchenaustritt ist mühsam, man muss vor einem Beamten (genauer gesagt auf dem Standesamt) einen Eid ablegen und unterschreiben, dass man aus seiner Kirche austritt und es kein Zurück mehr gibt.
Trotzdem sind im Jahr 2022 380.000 Gläubige aus der evangelischen, und mehr als eine halbe Million aus der katholischen Kirche ausgetreten.
Beides sind Rekordzahlen, und dahinter stehen nicht nur finanzielle Überlegungen, sondern vielmehr das schwindende Vertrauen in die Kirchen. Auch die Zahl der Taufen und Konfirmationen bzw. Firmungen ist deutlich zurückgegangen.
Laut Eurobarometer 2010 glauben nur 44 % der Deutschen an eine Gottheit, ein Viertel glaubt an spirituelle Kräfte, die das Leben lenken (wie die Woodoo oder die Rosenkreuzer) und 27 % (22 Millionen Menschen!) glauben an nichts – sie sind schlichtweg ungläubig.
Deutsche Statista-Daten zeigen, dass die Zahl der katholischen Gläubigen in den letzten zwanzig Jahren um sechs Millionen gesunken ist und die Zahl der Lutheraner und Protestanten in zehn (!) Jahren um sechs Millionen. Die Kirchen werden geschlossen, nur noch 5,5 Prozent der derzeit 20 Millionen Katholiken gehen regelmäßig in die Kirche.
Wenn der Trend anhält, werden die nächsten zwanzig bis dreißig Jahre ausreichen, um den christlichen Kirchen endgültig den Stecker zu ziehen, denn ohne Gläubige gibt es keine Spenden und keine Kirchensteuer, um sich selbst finanzieren zu können. (Und nur als eine Randbemerkung: die Zunahme der Muslime, deren Zahl in den letzten zwanzig Jahren von drei Millionen auf fünfeinhalb gestiegen ist.)
Aber falsche Propheten wie Quintin Caesar werden für sich immer Publikum finden.
Wir sollten allerdings auf unseren gesunden Menschenverstand hören und die entsprechende Passage aus dem Markusevangelium lesen:
„Die Zeit ist erfüllet, und das Reich Gottes ist herbeigekommen. Tut Buße und glaubt an das Evangelium!“
Autorin, Dr. phil. Irén Rab ist Kulturhistorikerin
Deutsche Übersetzung von Dr. Andrea Martin
MAGYARUL: https://www.magyarhirlap.hu/velemeny/20230809-ordog-feketeben
2 Kommentare
Dieser Artikel trifft mit allen seinen Aussagen den Nagel auf den Kopf. Den besagten Abschlußgottesdienst habe ich live am Rundfunk mitgehört und war entsetzt. Zwar bahnte sich diese Entwicklung schon seit den frühen 70ern an, als Teile der EKD auf die Linie der damaligen 68er-Bewegung wohlwollend eingingen. Aber diese Veranstaltung in Nürnberg setzte ihr die wahrhaft satanische Krone auf. Luthers Liedzeile „Das Wort {sc. der Heiligen Schrift} sie sollen lassen stahn und kein‘ Dank dazu haben“ ist in Vergessenheit geraten, ja, sie wird wohl mutwillig konterkariert.
Ich bin schon vor fast 30 Jahren wegen aus der evangelischen Kirche v.a. wegen ihrer Anbiederung an den Zeitgeist zum Katholizismus konvertiert. Leider stelle ich seit einigen Jahren auch dort eine verderbliche Tendenz fest, die in dieselbe Richtung zielt. Zumindest die deutsche Bischofskonferenz hat mit dem Beschreiten des „synodalen Wegs“, der aus meiner Sicht ein Irrweg ist, den grünen Aktivisten aus den Laienorganisationen wie „Zentralkomitee der deutschen Katholiken“, „Kirche von unten“ und „Maria 2.0“ viel Raum für ihre Agenda gegeben, die aufs Haar denen der globalistischen Eliten gleicht. Und wenn ich dem Wiener Kardinal Schönborn zuhöre, wird mir aus demselben Grund ebenfalls oft übel.
Muß ich nun noch einmal konvertieren – etwa zur russischen Orthodoxie?
Die Kirchen, vor allem die evangelische, sind spätestens im 20. Jahrhundert leider zu Opportunisten-Vereinen verkommen. So hat mein Vater (Jahrgang 1925) immer wieder kopfschüttelnd von seiner Konfirmationsprüfung berichtet. Beantworten musste er damals die Frage: „Was hat unser Führer für einen Glauben?“ Die erwünschte Antwort war: „einen Berge versetzenden Glauben“. Statt selber Maßstäbe für das menschliche und gesellschaftliche Miteinander zu setzen, biedern sich die Kirchen lieber dem vermeintlichen Zeitgeist an und predigen fremde Ideologien. Das ist bequemer, aber eben alles andere als nachhaltig wie die Mitgliederstatistik zeigt.
Apropos Statistik: Ich denke, dass die Zahl der Gläubigen weitaus langsamer zurückgeht als die Zahl der Kirchenmitglieder. Möglicherweise treten sogar vor allem echte (!) Gläubige aus, die einfach mit der Organisation nichts mehr zu tun haben wollen und eine finanzielle Beteiligung an deren Aktivitäten ablehnen. Übrigens ist der Austritt völlig unkompliziert: Ich habe seinerzeit beim Standesamt nur ein Formular unterschreiben müssen. Einen neuen Personalausweis zu bekommen, ist aufwändiger.