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Nobelpreis und der Superlaser in Szeged

20. Oktober 2023 Magyar Hírlap von IRÉN RAB

Ein wenig müde und gerührt steht der neue Nobelpreisträger für Physik, Krausz Ferenc, vor den Kameras. ORF, das Öffentlich-Rechtliche Fernsehen Österreichs, wollte vor allen anderen ein Interview mit dem „austro-ungarischen“ Physiker führen, der nun die Zahl der österreichischen Nobelpreisträger erhöht hat.

Um jeden Preis wollte man sein Bekenntnis hören, dass er trotz seiner ungarischen Abstammung ein Österreicher sei und er seine wissenschaftlichen Erfolge dem Land Österreich zu verdanken hat. Die Fragen der pedantischen Reporterin gingen dann immer mehr in die Richtung, dass Prof. Krausz eine Meinung über das wissenschaftliche Leben in Ungarn äußert, die weitgehend mit den scheinbar gut informierten Medien der westlichen Demokratien übereinstimmte.

Diese wissen wohl, dass die Hände des populistischen FIDESZ-Regimes überallhin reichen, und

in Ungarn nicht nur die Medien- und Meinungsfreiheit, sondern auch die Freiheit der wissenschaftlichen Forschung beschränkt wird.

Sie wies darauf hin, dass die Universitäten in Stiftungen gegliedert und die wi8ssenschaftliche Akademie zerschlagen wurde, wie auch auf die vom Staat ausgeschriebenen Scheinprojekte, und auf die Bestimmungen, was die Wissenschaftler forschen müssen und was nicht. Wer diesen Erwartungen nicht entspricht, kann seine Siebensachen packen und sich einen Platz in der Freiheit der westlichen Welt suchen. Die zielbewusste Reporterin vermochte es bei ihren Tiraden allerdings nicht, auch nur einen einzigen ungarischen Namen fehlerfrei auszusprechen.

Im exzellenten Deutsch zeigte Krausz Ferenc, dass er nicht nur ein hervorragender Gelehrter, sondern auch ein ausgezeichneter Diplomat ist. Er erzählte, wie sehr er seinen ungarischen Lehrern dankbar ist, die sein Interesse geweckt, ihn gelehrt und unterstützt hatten. Genauso dankbar ist er den ungarischen Universitäten, wo er von den besten Professoren lernen konnte, wie auch dem ungarischen Forschungsinstitut, wo er sich der Laserforschung gewidmet hat.

Ich bin vor allem ungarisch, auch natürlich österreichischer Staatsangehöriger, ich lebe und arbeite aber in Deutschland. Zusammenfassend bin ich Europäer, sagt er, die Internationalität sei ja typisch für die wissenschaftliche Forschung.

Auf die indoktrinierende Frage antwortete er schlicht und einfach nicht, im Gegenteil habe er keine Repression während seiner Forschungen erfahren, bis heute bekommt er alle Unterstützung für sein in Ungarn laufendes Megaprojekt, ohne staatliche Einwende.

Sein Megaprojekt läuft im Zentrum für molekulare Forschung der Fingerabdrücke (CMF – Center for Molecular Fingerprinting, Ungarn). Dieses Institut leitet Krausz Ferenc, er hat das Thema vorgeschlagen, und er forscht mit seinem internationalen Team, dessen Ziel die Früherkennung von Krebs- und sonstigen Erkrankungen ist,

und vom ungarischen Staat eine Unterstützung von 20,6 Milliarden HUF (ca. 56 Mio. EUR) genießt.

In diesem großartigen Projekt werden zehn Jahre lang Blutproben von etwa 15.000 genetisch zur Krankheit neigenden, aber gesunden Personen mit Ultrakurzpulslaser analysiert. Die neuesten Erkenntnisse der Laserwissenschaft werden für das Monitoring der menschlichen Gesundheit eingesetzt.

Die Fidesz-Regierung möchte die Wissenschaft kontrollieren – schrieb die linksliberale Presse zum Start des Projekts in ganzen 146 Artikeln – Während ihr 1-2 Milliarden Forint zustehen, die aber willkürlich zurückgehalten werden, kämpfen viele Wissenschaftszweige um ihr Überleben. Nun wird dieses ausdrücklich widerspruchsvolle Pilotprojekt mit einem für ungarische Verhältnisse riesigen Betrag beschert. Ähnlichen Pilotprojekten werden üblicherweise einige Millionen zugewendet, nicht aber 20 Milliarden, was mit der normalen Wissenschaftsfinanzierung gar nicht vereinbar ist!

So wurde die aufgrund der Umgestaltung der Akademie ohnehin erboste Öffentlichkeit weiter aufgewiegelt. Führende Experte der ungarischen Onkologie erklärten diesen Forschungsprojekt für Humbug, für Dilettantismus. Die Journalisten und führenden „Experten“ waren möglicherweise schon vom Namen des Projekts gestört: Vielleicht dachten sie, dass man im „Zentrum für Forschung der Fingerabdrücke“ unsere Persönlichkeitsrechte mit Lasertechniken angreifen wird.

Infolgedessen fing man an zu prüfen, welche politischen Absichten im Hintergrund des Projekts stehen. Die Unterstützung einzelner Projekte passte zu den Zielen des damaligen Ministers der Innovation, László Palkovics, der die wissenschaftlichen Körperschaften mit seinen Entscheidungen gerne zu umgehen pflegte. „Diese Regierung glaubt wohl, dass sie besser als die wissenschaftliche Gemeinschaft entscheiden kann, welche Forschungen für finanzielle Unterstützung würdig sind!“ – entrüsteten sich die opponierenden Fachleute.

Tatsächlich war Politik in der Sache.

„Die Ungarische Akademie der Wissenschaften (MTA) wird zerschlagen!“, kündigte die Presse der Opposition in der großen Welt an und rief die Betroffenen und diejenigen, die gerne demonstrieren, zu Protestaktionen auf.

Deutsche und internationale wissenschaftliche Institutionen gaben ihre Bedenken über die Absicht, die Akademie umzugestalten.

Interessanterweise hat man vergessen, bekannt zu geben, dass die von István Széchenyi (1791-1860) im Jahr 1825 gegründete Ungarische Akademie der Wissenschaften in den 1950-er Jahren nach sowjetischer Modell umgestaltet wurde, um die geschlossene Gesellschaft der Gelehrten aufzulockern, indem diese in Forschungsinstitute unter Leitung der Akademie organisiert wurde. Überall in der demokratischen Welt wird die Forschung in gesonderten Institutionen – wie die Max-Planck-Institute der gegen die ungarischen Umgestaltungspläne protestierenden deutschen Wissenschaftler – oder in Universitäten ausgeführt. Nicht innerhalb der Akademien der Wissenschaft.

Die Hetztiraden haben auch das Laserzentrum in Szeged, ELI-ALP, erreicht. In einer ehemaligen sowjetischen Militärbasis im nördlichen Teil von Szeged wurde überwiegend mit EU-Geldern ein Forschungszentrum mit einer weltweit einmaligen lasertechnischen Infrastruktur errichtet, die Forschern der ganzen Welt zur Verfügung steht, was finanzielle Vorteile hat und die Wettbewerbsfähigkeit des Landes erhöht. Infolge der Hetze haben drei Mitglieder der internationalen Rat gebenden Körperschaft gekündigt. Sie waren überzeugt, dass sich die Regierung in alles hineinmischen will und sie fühlten sich gekränkt, dass nicht sie, sondern

ein Experte aus Deutschland mit der Untersuchung des Zentrums beauftragt wurde, ohne sie zu fragen. Sein Name war Krausz Ferenc, der berühmteste Fachmann der Laserwissenschaft.

Die Untersuchung war jedoch notwendig, da das Zentrum ineffektiv arbeitete und die Zusammenarbeit mit internationalen Instituten nur schleppend voranging. Gekündigt haben zwei deutsche Ratgeber, ein Münchener und ein Jenaer Professor, außerdem ein Ungar.

Bitte die Lehre aus der Geschichte ziehen.

Bisher gingen unsere begabten Forscher ins Ausland, weil die Spitzeninfrastruktur und das Geld fehlten. Jetzt, da der Staat – wer sonst – die Forschung und Entwicklung reichlich finanziert, empören sich ausgerechnet diejenigen, die das politische System ohnehin verachten. 

Zum Glück bewahrten sich unsere erfolgreichen Gelehrten ihre ungarische Identität, innen tief und außen gut sichtbar, und sie tun alles Mögliche, durch ihren Ruf im Ausland die Anerkennung Ungarns zu steigern. Auch wenn viele unter uns lieber das ausländische Narrativ von der „amerikanischen“ Karikó Katalin und dem „austro-ungarischen“ Krausz Ferenc hören.

Durch Krausz wurde die Zahl der österreichischen Nobelpreisträger mit ungarischen Wurzeln auf neun erhöht. Es ist merkwürdig, wie gezählt wird. Wigner Jenő wurde 1902 in Budapest geboren, also in der K.u.K. (Österreich-Ungarn). Für die Österreicher ist er ein Landsmann aus der dualistischen Monarchie.

Die habsburgisch-österreichische Hegemonie lebt weiter. So wird unsere Geschichte geklaut.

Doch mehr darüber ein anderes Mal.

Autorin, Dr. phil. Irén Rab ist Kulturhistorikerin und Gründungsredakteurin von Ungarnreal

Deutsche Übersetzung: Barnabás Zólyom

MAGYARUL: https://www.magyarhirlap.hu/velemeny/20231017-a-nobel-dij-es-a-tudomany-intrikai

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