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In Wein ist die Wahrheit und der Nationalstolz

21. Juli 2023 Magyar Hírlap von IRÉN RAB

Dank der Europäischen Kommission können wir jetzt Grillen grillen, genauer gesagt zirpende Heimchen und  die Larven des Getreideschimmelkäfers zu uns nehmen. Wie Sie es mögen, getrocknet, gefroren, pulverisiert oder püriert, sie können in Brot, Mehl, Nudeln oder Fleischerzeugnisse gemischt werden und so unsere Ernährung bereichern und aufwerten. Sie sind eine gesunde alternative Eiweißquelle zu Fleisch und Fisch, sagt die Kommission, und das EU-Lebensmittelrecht untermauert diese These.

Dieselbe Kommission will die Europäer nun davon überzeugen, dass Wein, ein heiliges und gemeinschaftliches Getränk, das seit etwa sechstausend Jahren Teil der europäischen Kultur ist, ein einfaches alkoholisches Getränk sei und damit gesundheitsschädlich und krebserregend und sie will diese Erkenntnis auf jeder Flasche kundtun. Wir haben das Glück, dass wir in der EU große Weinbauländer wie die Franzosen und die Italiener haben, deren Wirtschaft stark vom Wein abhängig ist. Sie sind nach der Aufforderung der EU sofort aktiv geworden und haben renommierte Professoren und Kliniken mit der Untersuchung der gesundheitlichen Auswirkungen von Wein beauftragt, und sind, oh Wunder, zu positiven Ergebnissen gekommen.

Denn ein mäßiger Weinkonsum wirkt sich deutlich positiv auf das Herz aus, beugt der Entstehung von Krebs und Arteriosklerose vor und hat viele weitere günstige Einflüsse.

Die Kommission hat also in dieser Frage vorerst einen Rückzieher gemacht, aber sie hat den Kampf nicht aufgegeben, denn es gibt zu viele Lobbyisten des Klimaschutzes oder, wenn man so will, der sog. gesunden Ernährung, die den Weinkonsum um jeden Preis verhindern wollen. Auch die Spirituosenlobby, für die der Wein ein Konkurrent ist, muss natürlich in den Entscheidungsprozess einbezogen werden. Meiner Meinung nach ist es umgekehrt  eher so, dass Spirituosen jederzeit aus allem hergestellt werden können, Wein aber nur aus Trauben und nur einmal im Jahr, und dann auch nur in ernteabhängigen Mengen produziert werden kann.

Mit der üblichen Brüsseler „Klugheit“ wird behauptet, Wein sei also ein stinknormales alkoholisches Getränk. Das ist richtig, denn Wein enthält zwischen 12 und 14 % Alkohol, und die tatsächliche Menge wird von den Weinkellereien immer gemäß den Vorschriften genau angegeben. Wein ist aber ein vergorenes Getränk, er wird aus Trauben durch einen biochemischen Gärungsprozess hergestellt und enthält daher selbstverständlich Alkohol. Der Prozess ist nicht reproduzierbar, der Wein wird einmal im Jahr gegoren und das kann sogar spontan passieren. Trauben können nicht wie Fleisch oder Getreide gelagert werden, denn der natürliche biochemische Prozess wird mit oder ohne menschliches Zutun ausgelöst, und das Endprodukt ist nun mal alkoholisch, das ist der Wein, der seit jeher konsumiert wird. Nun wird von den Winzern erwartet, dass sie den Alkoholgehalt aller Weinerzeugnisse bis 2025 pauschal um fünfzehn Prozent senken, was auch eine Verringerung des Genusswerts mit sich bringen würde.

Die Mitgliedstaaten haben auch der schwachsinnigen Idee zugestimmt, dass ab Dezember 2023 auf den Weinetiketten die „bei der Weinherstellung verwendeten Materialien“ angegeben werden müssen. Bei Lebensmitteln ist dies eine bekannte Vorschrift, so werden beispielsweise die Larven des Getreideplattkäfers bereits mit einem ziemlich unkenntlichen Code aufgeführt. Aber Lebensmittel enthalten Zusatzstoffe, d.h. verschiedene Ersatzstoffe, aber in der Weinkellerei gibt es nichts zu ersetzen.

Es gibt nur technologische Hilfsmittel, aus Trauben hergestellten Antioxidantien und Sulfite, die verhindern, dass der Wein verdirbt. Wenn dem Wein Zusatzstoffe zugesetzt werden, spricht man von Weinverfälschung, oder Wein panschen.

Aber was erwarten wir von den Fachministern in den Mitgliedstaaten, die meist nach einer Parteiquote ernannt werden, wie der deutsche grüne Landwirtschaftsminister mit einem Abschluss in Sozialpädagogik?

Ich habe mir einige Weinetiketten angeschaut. Ich denke, sie enthalten alle wichtigen Informationen: Sorte, Jahrgang, Schutz- und Ursprungsbezeichnung, Herstellungsort und Erzeuger, Menge und Alkoholgehalt, das Zulassungs-Zeichen und den Sulfitgehalt. Ästhetische, künstlerisch gestaltete Einzeletiketten, die keinen Platz für zusätzliche Informationen bieten. Obwohl die Gesundheitswarnung vorerst vom Tisch ist, habe ich mir die bekannten Bilder zur Abschreckung auf den Zigarettenschachteln vorgestellt, Bilder von zahnlosen Alkoholikerfiguren mit vergrößerten Lebern, die sich um des Alkohols Willen unter dem Tisch winden, Bilder von einem Krebspatienten im Krankenhaus oder auf dem Sterbebett, mit dem vorgeschriebenen Text, dass Wein tötet sowie dumm und unglücklich macht.

Wie würde der Pfarrer bei einem Abendmahlsgottesdienst den Gläubigen den Wein, das Blut Christi, das angeblich giftig ist, anbieten?

Wahrscheinlich nehmen sie in Brüssel die Bibel schon mal gar nicht zur Hand, obwohl darin fünfhundert Mal von Trauben und Wein die Rede ist. Sie wissen nicht, dass in der Antike Dionysos und Bacchus hoch verehrt wurden, dass Wein die Quelle der Freude und des Rausches ist, dass Wein Gesundheit und Trost bringt und natürlich befindet sich auch die Wahrheit im Wein.

Und dann ist da noch die Flaschenproblematik, die von der EU mit der neuen Abfallwirtschaftsgesetzgebung eingeführt wurde. Die Winzer müssten für Einweg-Weinflaschen entweder eine Umweltgebühr zahlen oder Flaschenwaschmaschinen kaufen, was für sie einen erheblichen Wettbewerbsnachteil auf den Weltmärkten bedeuten würde. Im Interesse der Markteffizienz hat die Orbán-Regierung den Sektor von dieser Last befreit, da es im nationalen Interesse liegt, dass die ungarische Weinindustrie wettbewerbsfähig bleibt.

Man könnte die ständigen Angriffe auf den Wein aufzählen. In den großen Wein produzierenden Ländern hat der Wein noch immer seine Unabhängigkeit bewahrt, da sie alle ein eigenes Weingesetz haben, das weder dem Lebensmittel- noch dem Agrargesetz untergeordnet ist. In Ungarn gibt es seit 1893 ein stolzes Weingesetz. Aber die Bürokraten in Brüssel wollen auch diese Eigenständigkeit abschaffen, sie wollen den Wein in die Kategorie der Spirituosen und damit in die Kategorie der Lebensmittel abschieben, und von nun an wären alle Faktoren, die derzeit für den Wein nicht gelten, für ihn auch maßgeblich.

Was könnte der Grund dafür sein? Ich habe bereits die vermeintlichen Interessengruppen erwähnt. Aber es gibt noch andere Aspekte, die zumindest auf der Ebene der Annahmen diskutiert werden müssen.

Nachdem die Europäische Union 2005 ein Weinabkommen mit den USA geschlossen hatte, veröffentlichte sie 2006 ihren Entwurf für die Reform des Weinmarktes. Es wurde die zentrale Rodung von vierhunderttausend (!) Hektar Rebfläche vorgesehen, während die Fachleute der Meinung waren, dass das Gleichgewicht zwischen Anpflanzung und Rodung von den Mitgliedstaaten beibehalten werden sollte.

Die Idee ist auch deshalb seltsam, weil sich der Weinkonsum nicht ändert, so dass „Drittländer“ die aus der EU-Produktion entfallende Menge sofort ersetzen würden. Europa wurde inzwischen von australischen, südamerikanischen und anderen Weinen überschwemmt, die zwar von guter Qualität sind, aber wegen der niedrigen Produktionskosten in großen Mengen und billig auf dem europäischen Markt verkauft werden können. Sie verdrängen damit die teureren Erzeugnisse aus den traditionellen Weinbauländern. Nur ein effizienter europäischer Weinmarkt kann seine führende Rolle im weltweiten Wettbewerb aufrechterhalten, und das lässt sich nicht erreichen, indem man freiwillig Boden verliert.

Zu allen Zeiten und an allen Orten war der Weinbau Quelle des Nationalstolzes. Neben den wirtschaftlichen Vorteilen war die Weinkultur eines Landes immer auch ein Symbol der nationalen Einheit und des Images. Aus diesem Grund haben die europäischen Weingroßmächte dem Wein eine hohe Priorität eingeräumt. Bordeaux, Portwein und Tokajer sind nicht nur globale Marken, sie sind viel mehr als das, sie sind Teil des nationalen Identitätsgefühls.

Vielleicht sind die Pläne in Brüssel, die europäische Weinindustrie zu zerstören, ein integraler Bestandteil des Prozesses, der sich vor unseren Augen abspielt, um die Nationalstaaten abzuschaffen.

Für seine professionelle Hilfe möchte ich Dr. Miklós Kállay, emeritierter Professor von MATE (Ungarische Agrarwissenschaftliche Universität), danken.

Autor, Dr. phil. Irén Rab ist Kulturhistorikerin

MAGYARUL: https://www.magyarhirlap.hu/velemeny/20230720-borban-az-igazsag-es-a-nemzeti-buszkeseg

Deutsche Übersetzung: Dr. Andrea Martin

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