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Erpressung darf keine Schule machen

Ein Kommentar von ISTVÁN HEINRICH zum Artikel von Klaus-Dieter Frankenberger in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, 20.11.2020 https://www.faz.net/aktuell/politik/ausland/kommentar-zum-veto-ungarns-und-polens-zum-haushalt-erpressung-darf-keine-schule-machen-17062703.html

Die Frankfurter Allgemeine Zeitung gehört seit gut fünfzig Jahren zu meiner täglichen Lektüre. Besonders zu Beginn meines Aufenthaltes halfen mir die Beiträge der Zeitung sehr viel, mich in der vielfältigen Welt Deutschlands zurechtzufinden. Die Namen der meisten Autoren wurden mir vertraut, die Artikel von einigen lese ich mit besonderem Interesse. Zu ihnen gehört auch Klaus-Dieter Frankenberger, der leitende Redakteur für Außenpolitik.

Das oben genannte Schreiben gefällt mir freilich nicht. Der Artikel ist offen gesagt ein Fehlschlag. Mein Missfallen hat nicht nur damit zu tun, dass ich ein gebürtiger Ungar bin. Ich vermisse bei dem Aufsatz den gut fundierten Durchblick zum Thema, der sonst Frankenberger auszeichnet. Über ihn können wir in einer kurzen Vorstellung seines Werdegangs unter anderem lesen, dass durch seinen Aufenthalt als Congressional Fellow in den Vereinigten Staaten hatte er „Gelegenheit zur Innenansicht des Entscheidungslabyrinths in Washington.“ Eine solche Erfahrung konnte er freilich in Budapest nicht sammeln. Daher überrascht mich, wieso er dann sich so resolut zur Haltung von Ungarn und Polen in der Angelegenheit des Vetos der beiden Staaten äußert. An sich bin ich darüber verwundert, warum Frankenberger den Artikel verfasst hat. Osteuropa und Ungarn sind wirklich nicht sein Terrain.

Die Hauptaussage des Artikels lautet: „Vielleicht müssen sich notorische Dissidenten wie Ungarn irgendwann fragen, ob sie lieber Partner der EU sein wollen als Mitglied.“ Dann fügt Frankenberger wenig vornehm noch dazu bei „- selbst wenn die Fleischtöpfe nicht ganz so üppig wären.“ Noch weiter: „Soll Erpressung nicht Schule machen, führt an Differenzierung kein Weg vorbei.“

Kurios ist, dass zwei Tage vor dem Erscheinen dieses Artikels ist das Interview mit der Justizministerin Judit Varga in der FAZ abgedruckt worden. Darauf nimmt Frankenberger keinen Bezug. Seine Aussagen gefielen aber nicht nur mir nicht. Zahlreiche Leserzuschriften zeugen davon, dass auch deutsche Leser ihr Missfallen zum Ausdruck brachten. Ich zitiere gern von diesen Meinungen:

Journalistisch vorbildlich hat die FAZ in den letzten Tagen auch die ungarische Justizministerin Varga zu Wort kommen lassen. Da liest sich manches vornehm ausgedrückt sehr viel differenzierter. Ein empfehlenswerter Artikel. Ich frage mich allerdings jetzt: wer erpresst wen? (Klaus Hessenauer)

Wenn die EU einen Antrag stellen würde, in die EU aufgenommen zu werden, würde der wegen fehlenden demokratischen Strukturen abgelehnt werden. (Heiner Ernst)

Genau, Erpressung darf keine Schule machen. Deshalb, Polen und Ungarn, bleibt standhaft. (Günter Schmid)

Wer wen erpresst ist noch nicht geklärt. Als europäischer Partner wäre man den ideologischen Kapriolen Brüssels komplett ausgeliefert, da man alles mitspielen muss, aber nichts mitbestimmen kann…Ist etwa Polen und Ungarn kein gleichberechtigter Partner? Wieso sollte ausgerechnet Deutschland oder Frankreich die Vorgaben machen was Rechtsstaatlichkeit bedeuten sollte? In der EU sind alle gleich, nur manche eben gleicher. (Robert Wastlhuber)

Verehrter Herr Frankenberger, gern möchte ich Ihnen empfehlen, das Interview in der FAZ vom Mittwoch mit der ungarischen Justizministerin Varga einmal anzuschauen. Ich sage ganz offen, dass ich ihr weit eher vertraue, die Wahrheit zu sagen, als ich es bei den meisten EU-Großkopfeten tue (nicht nur wegen Junckers „Wenn es ernst wird…“).Was sie da zur klammheimlichen Abweichung des neuen Textes von der Julivereinbarung, ohne jede Diskussion mit Ungarn, berichtet, überrascht mich nicht, ich könnte mit zig anderen Beispielen dienen. Wenn Ministerin Varga sagt, „bei Ungarn habe man die Anzahl von Journalistenbeschwerden als Nachweis fehlender Rechtsstaatlichkeit hergenommen. Bei einem anderen Land mit exakt derselben Zahl der Beschwerden kommt die Kommission zu dem Schluss, das sei relativ wenig“, dann das gibt wohl zu denken. (Detlef Symietz)

Wer die Schönsprech-Alibi-Parolen der EU in Frage stellt, wird als Dissident gebrandmarkt. (Klaus N. Wege)

Vielleicht muss sich die EU gelegentlich mal darauf besinnen, dass sie ein Bund souveräner Staaten ist und kein bisschen mehr. Die dumme Idee von einer Union, in der die Staaten aufgehen, wurde mit den negativen Voten der Bürger Europas 2004 begraben, wohl endgültig…Könnte der Hass, pardon: die Kritik an Polen und Ungarn auch daher rühren, dass sie deutschen „Visionen“, sei es aus Brüssel oder Berlin, nicht folgen mögen? (Herrmann Koppe)

Völlig richtig. Deshalb sollte zuerst dieser sogenannte „Rechtsstaatsmechanismus“ abgeschafft werden, der nichts anderes als Erpressungs- und Disziplinierungsinstrument gegenüber EU-Staaten ist, die nicht nach dem Willen der Kommission tanzen. Das ausgerechnet ein solches autoritäres Bestrafungsinstrument für eine nicht demokratisch legitimierte Behörde gegenüber demokratisch gewählten Regierungen als Rechtsstaatsmechanismus betitelt wird, ist eine Verhöhnung jeglichen Rechtsempfindens. (Daniel Kempcke)

Diese klugen Zuschriften sprechen für sich. Sie geben ein gutes Muster auch dafür, wie Meinungsäußerungen kultiviert zur Sprache gebracht werden können.

Der Autor, Prof. Dr.István Heinrich ist Agrarökonom i.R.

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