27. Februar 2023 Magyar Hírlap von IRÉN RAB
Am Samstagnachmittag, dem Jahrestag des Kriegsausbruchs, fand in Berlin endlich eine große Friedensdemonstration statt. Die Organisatoren erwarteten am Brandenburger Tor eine große Menschenmenge, und es kamen auch viele. Nach Angaben der Organisatoren nahmen etwa 50.000 Menschen teil, während die kriegsbefürwortenden Medien von weniger als 10.000 sprachen. Trotz des Regens kamen Menschen aus allen Teilen Deutschlands, Menschen, die Frieden verlangen und nicht tatenlos zusehen wollen, wie nicht nur sinnlos Blut vergossen, sondern auch Europa zugrunde gerichtet wird.
Der Aufruf zur Demonstration wurde von drei Personen unterzeichnet: Sahra Wagenknecht, Mitglied der Linkspartei im Bundestag, Alice Schwarzer, eine bekannte und angesehene Frauenrechtlerin, und Brigadegeneral a.D. Erich Vad. Sie haben auch das Antikriegsmanifest initiiert, das bisher von fast 700.000 Menschen unterzeichnet wurde. Das ist eine große Zahl in Deutschland, wo man sich inzwischen zweimal überlegen muss, bevor man sich offen zu einem sozialen oder politischen Thema äußert, um nicht stigmatisiert oder der Delegitimierung der Verfassung bezichtigt zu werden.
Wer sich gegen den Krieg ausspricht, stelle sich in den Dienst der russischen Propaganda,
welche die Ukrainer daran hindern wolle, ihre eigene Freiheit, die europäische Freiheit und die demokratischen Werte bis zum Heldentod des Letzten zu verteidigen.
Es ist eine seltsame Welt, die westliche Demokratie. Eine der Organisatorinnen der Friedenskampagne, die vielbeschäftigte Sahra Wagenknecht, hat ihren Status als Bundestagsabgeordnete genutzt, um sich mehrmals in den öffentlichen Medien zu präsentieren. Sie wollte die Aufmerksamkeit der deutschen Öffentlichkeit auf das Antikriegsmanifest und die Demonstration am Samstag lenken. Das war keine leichte Aufgabe. Jeder Reporter fühlte sich verpflichtet, sie wie ein Untersuchungsrichter zu vernehmen, Kommentare abzugeben, sie daran zu hindern, zu erklären, was sie zu sagen hatte, sie ständig zu unterbrechen und zu verhören.
Es scheint, als hätte sich die journalistische Ethik in den deutschen öffentlich-rechtlichen Medien grundlegend geändert, denn statt unparteiischer Information erleben wir ständig Stimmungsmache und gezielte Manipulation.
Mal schauen, wie eine ausgewogene Debatte im Musterland der Medienfreiheit aussieht! Neben Wagenknecht, eine Ukraine-Expertin ukrainischer Herkunft, eine Russin auf der Flucht vor Putins Diktatur und der junge Generalsekretär der SPD, Kevin Kühnert waren zu einer Podiumsdiskussion über das Friedensmanifest eingeladen. Wagenknecht kennt alle Formen und Mittel politischer Angriffe, ging vorbereitet ins Studio und steckte die Schläge mit Eleganz weg. Sie sagte, sie wolle so schnell wie möglich einen Waffenstillstand und Friedensgespräche, denn eine Verzögerung bedeute täglich den Tod von Hunderten von Soldaten und Zivilisten und unabsehbare Zerstörung. Außerdem steuerten wir mit weiteren Waffenlieferungen auf einen tödlichen Atomkrieg zu. Denn nicht der Westen, sondern Russland entscheide, wann die rote Linie überschritten wird, und leider sei sich der Westen nicht bewusst, dass er dies bereits mehrere Male getan habe. Sie hat die Friedensgespräche zwischen der ukrainischen und der russischen Seite erwähnt, die letztes Jahr begonnen und abrupt beendet wurden, sowie die Studie des US-Außenministeriums, in der anerkannt wird, dass die Neutralität der Ukraine ein grundlegendes russisches Interesse ist. Der Westen sollte die Ukrainer nicht mit Waffen unterstützen, sondern sich für baldige Friedensgespräche einsetzen.
Es ist ein vertrauter Textinhalt, denn die Politikerin der deutschen kommunistischen Nachfolgepartei, Linke, hat die ungarische Version fast wortwörtlich, natürlich ohne Quellenangabe, wiedergegeben.
Genau das, was der ungarische Ministerpräsident seit Beginn des Krieges sagt und vertritt. Die ungarische Friedenspolitik ist zu einem Anknüpfungspunkt für alle geworden, die ein Ende des Krieges wollen.
Wir Ungarn beanspruchen kein Urheberrecht, wir sind froh, wenn endlich jemand anfängt, nüchtern zu denken.
Anstelle von Argumenten präsentierten uns die anderen Teilnehmer der Debatte Anschuldigungen und festgefahrene, zementierte Positionen: Sie glauben, dass die Friedensbefürworter überhaupt nicht am Schicksal der Ukraine interessiert seien, dass sie den Menschen russische Propaganda und Putins Narrativ aufzwingen würden und dass Putin sie wahrscheinlich dafür bezahle, sagten sie sowohl einzeln als auch kollektiv. Den Russen könne man nicht trauen (damit haben sie recht), Putin sei ein Kriegsverbrecher, sein Ziel sei die Unterwerfung Europas und er werde nicht an der Westgrenze der Ukraine Halt machen. Zur Unterstreichung sagte die ukrainische Expertin,
die Ukraine wolle weder Mitglied der NATO sein, noch sei Präsident Zelensky eine amerikanische Marionette.
Aber was sollen die Ukrainer tun, wenn die Russen Massenmörder sind, die ihr Land zerstören und Frauen und Kinder vergewaltigen? Sie seien schließlich die Einzigen, die wirklich wissen, wie die Russen seien, wie es unter Stalin gewesen sei, als ihre Großeltern 25 Jahre lang in den Gulag verschleppt wurden, nur weil sie Ukrainer waren. Kurzum, es wurden alle Karten auf den Tisch gelegt. Es war ein ungleicher Kampf. Die Argumente der „gerechten“ Seite erinnerten auf unheimliche Weise an die Argumente und die Diskussionskultur der ungarischen Opposition. Man hatte das Gefühl, dass sie an gemeinsamen Seminaren teilnahmen, in denen sie darin geschult wurden, wie man für die Notwendigkeit eines „gerechten Krieges“ argumentiert.
Für den Krieg. Denn so sehr ich meine Augen und Ohren auch offenhalte,
ich höre von den offiziellen Politikern des Nordatlantiks und der EU keine friedensfreundlichen Argumente, als ob das Wort Frieden in ihrem Wortschatz fehlen würde. Stattdessen gibt es Kriegsrhetorik, Waffentransfers und Sanktionen, koste es, was es wolle.
Im vergangenen Herbst war die Osteuropaexpertin der Grünen, Marieluise Beck, zu einer virtuellen Konferenz in Budapest. Ich verstand damals nicht und verstehe auch heute nicht die Kriegshetze einer Partei, die einst sogar Pflastersteine für den Frieden hob. Denn sie sagte, der Krieg – der ja aus einem Konflikt zwischen zwei Nachbarländern groß gemacht wurde – müsse so lange fortgesetzt werden, bis Putin besiegt und Russland in die Knie gezwungen sei. Was denken sich diese bildungsbefreiten Politiker? Dass die größte Atommacht der Welt nie Atomwaffen einsetzen wird?
Es gab schon lange kein Krieg in ganz Europa. Generationen sind in Frieden aufgewachsen, verweichlicht und verblödet in einer Welt des Wohlstands. Die Politiker erinnern sich auch nicht daran, dass das, was sie den Russen jetzt als Vernichtungskrieg vorwerfen, die Losung des nationalsozialistischen Deutschlands war, ebenso wie der aus der nationalsozialistischen Ära geerbte Expansionismus, der „Drang nach Osten„, Richtung Russland. Diese Parolen haben sich längst vom Krieg, der natürlich nicht von den Deutschen, sondern von irgendwelchen Nazis und Faschisten begonnen wurde, getrennt und haben nichts mit ihnen zu tun. Sie erinnern sich nur an die Russen, an die rote Fahne mit Sichel und Hammer auf dem Reichstag und an die Schande der Kapitulation, an die Vergewaltigung der Frauen.
Sie sollten sich an die Sowjets erinnern, denn in dieser glorreichen sowjetischen Armee haben Ukrainer und Russen zusammen gleichermaßen gewütet.
Ich habe mich sehr auf die Friedensdemonstration am Samstag gefreut, denn in einem ganzen Kriegsjahr haben die Massen nicht ein einziges Mal ihre Stimme für den Frieden erhoben. Dabei wünschen sich viele Deutsche ein Ende des Kriegs, schon allein wegen der Inflation und der Energiekrise, die ihre Lebensgrundlage bedrohen. Doch den Medien zufolge ist die Einzige, die Frieden wolle, die deutsche Pro-Putin-Opposition, vor allem die rechtsextreme AfD, von der friedensbewegten Bürgerbewegung wolle man nichts hören und wissen. Daher ist es auch nicht möglich, friedlich für den Frieden zu demonstrieren. Eintausendvierhundert Polizisten waren nötig, um die Ordnung aufrechtzuerhalten, weil linke Aktivisten, Antifaschisten und die vielen wie Pilze aus dem Boden schießenden extremistischen Gruppen, die an Unordnung interessiert sind, versuchten, wie so oft, die Friedenskundgebung in Berlin zu stören.
Die Autorin, Dr. phil. Irén Rab ist Kulturhistorikerin
Deutsche Übersetzung von Dr. Andrea Martin
Bildquelle: rbb24
MAGYARUL: https://www.magyarhirlap.hu/velemeny/20230227-berlini-kiallas-a-beke-mellett