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„Ein guter Journalist“ – Interview mit Reinhard Olt

27 Jahre bei der Frankfurter Allgemeinen Zeitung und eine gewisse Zeit auch bei der politischen Berichterstattung über Ungarn – so begann Reinhard Olts persönliche Geschichte mit unserem Land. Wie er uns gegenüber zugab, hatte er keine Erwartungen an Ungarn, als er unter anderem ungarischer Korrespondent der deutschen Zeitschrift wurde. Doch er meint, dass die „markantesten Veränderungen im Land indes erst seit Orbáns Wahlsieg 2010 eintraten.“ Der ehemalige Journalist hob unter anderem die Familien‑, Wirtschafts- und Minderheitenpolitik hervor. Er hat sich auch mit seiner Arbeit auf das Thema Minderheitenpolitik spezialisiert, worüber er kürzlich sogar das Buch „Im Karpatenbogen“ (Herausgegeben von der Stiftung „Freunde von Ungarn“) verfasste.

21. Oktober, 2021 Ungarn Heute

27 Jahre lang waren Sie bei der Frankfurter Allgemeinen Zeitung tätig, können Sie sich noch an den ersten Ungarn-Bericht erinnern?

Gewiss. Mein erster Bericht kam aus Budapest und erschien am 14. Mai 1991 in der F.A.Z. Ich habe ihn bewusst in mein Buch „Im Karpatenbogen.…“/“A Karpatok iveben…“ aufgenommen, unter dem Titel „Wie alles begann“. Ich schrieb damit aber nicht über Ungarn als Land, sondern berichtete über einen Nationalitätenkongress, der in Budapest stattgefunden hatte.

Was waren Ihre Erwartungen an das Land, als Sie Korrespondent wurden, und was haben Sie im Vergleich dazu gesehen?

Ich trat meine Korrespondentenstelle in Wien 1994 an, wurde aber für die politische Berichterstattung über Ungarn erst 2000 zuständig. Das heißt aber nicht, dass ich das Land nicht von Anfang an im Blick gehabt hätte. Mit Ungarn beschäftigte ich mich schon, als ich in der Frankfurter Zentralredaktion von 1985 bis 1994 tätig war. Ja eigentlich befasste ich mich schon während des Studiums der Osteuropäischen Geschichte mit Ungarn.

Als ich dann als Korrespondent für Ungarn tatsächlich zuständig wurde, hatte ich keine speziellen Erwartungen an das Land, ich war eigentlich nur neugierig auf die damals seit zwei Jahren im Amt befindliche erste Regierung Orbán.

Doch bevor ich damit genügend Erfahrung sammeln konnte, war sie alsbald wieder Geschichte, denn die alte Formation aus MSZP und SZDSZ unter Medgyessy löste sie 2002 ab.

Wie hat sich das Land in diesen 27 Jahren am meisten verändert?

Die markanteste Veränderung war zweifellos der – von Ungarn initiativ mitbewirkte – Systemwechsel und der Übergang vom „Gulaschkommunismus“, in der „lustigsten Baracke des Ostblocks“, zu einer freiheitlichen Gesellschaftsordnung.

Die markantesten Veränderungen traten indes erst seit Orbáns Wahlsieg 2010 ein. Erst von da an wurden Fakten geschaffen, welche das Tun der „in neuem Kleid wirkenden alten Kräfte“ unterband.

Nur zum Vergleich: Wohin es führt, wenn die „alten Kräfte“ mit ihrem Gebaren trotz wechselnder Regierungen an der Macht bleiben konnten, sieht man im benachbarten Rumänien! Budapest, die Hauptstadt, aber auch andere Teile des Landes, die ich kennenlernte, sind seitdem ersichtlich sauberer geworden.

Ungarn hat sich während der Wahl- und Regierungsperioden seit 2010 zu einem prosperierenden Wirtschaftsstandort entwickelt. Die praktizierte Familienpolitik ist beispielhaft, die Unterbindung des Zustroms aus Kulturkreisen, mit denen unsere christlich-abendländische Kultur nichts gemein hat, und haben sollte, ist mustergültig, und die Wahrung der nationalen Identität und des Nationalbewusstseins der Magyaren ist vorbildlich.

Wie sehen Sie heute die deutschen Medienberichte über Ungarn? Haben sich diese in den letzten Jahren/Jahrzehnten wesentlich verändert?

Ich sehe sie äußerst kritisch und mit einer gewissen Bestürzung. Natürlich haben sie sich in den letzten Jahren verändert – alles andere als zum Besseren verändert.

Wir haben hier in Ungarn oft das Gefühl, dass unser Land bzw. die innenpolitischen Geschehnisse in den deutschen Medien überrepräsentiert erscheinen. Können Sie, als Deutscher in Wien lebend, diese Anmerkung bestätigen?

Dieses Ihr Gefühl mag trügen. Eine „Überrepräsentation“ von innenpolitischen Geschehnissen kann ich nicht bestätigen. Ich kann nur eine völlige Überzeichnung von Geschehnissen bis hin zu bizarren Einseitigkeiten moralinsauren Berichtens und Kommentierens feststellen und dazu bemerken, dass die medialen Betrachtungen zu Ungarn, insbesondere wie sie über die Regierung(sparteien) angestellt und publiziert werden, nicht jenen Maßstäben entsprechen, welche ich kennengelernt und praktiziert habe.

Wird das Bild unseres Landes nicht dadurch entstellt, dass die Korrespondenten der großen ausländischen Zeitungen in den meisten Fällen nicht in Ungarn leben und sogar kein Ungarisch sprechen? (Die Welt, F.A.Z.…)

Das sind nicht wirklich schlagkräftige und anwendbare Kriterien, welche Sie hier nennen, um das Bild Ungarns zu entstellen.

Auch ich habe nie im Lande gelebt, auch ich spreche nicht Ungarisch, und ich nehme für mich in Anspruch, dennoch wahrheitsgemäß und redlich berichtet, analysiert und kommentiert zu haben.

Die Probleme liegen nach meinem Dafürhalten woanders. Es wird nicht mehr ordentlich recherchiert, man marschiert in einer Art „Mainstream-Gleichschritt“ mit, weil man sich dessen kaum entziehen kann, ohne Schaden zu nehmen. Man „korrespondiert“, berichtet/beschreibt nicht wirklich nach den grundlegenden journalistischen „W‑Fragen“ (Was? Wann? Wer? Warum?), sondern zeigt Haltung. Längst gilt nicht mehr das Diktum eines berühmten deutschen Journalisten namens Hanns-Joachim Friedrichs: „Einen guten Journalisten erkennt man daran, dass er sich nicht gemein macht mit einer Sache – auch nicht mit einer guten Sache; dass er überall dabei ist, aber nirgendwo dazu gehört. “

Sie haben sich in Ihrer Arbeit als Journalist auf das Thema „ungarische Minderheitenpolitik” spezialisiert. Sie erwähnen in Ihrem Buch „Im Karpatenbogen” Ihren Vater, der den größten Einfluss auf diese Themenwahl ausübte. Warum?

Ich habe mich als Journalist nicht allein mit „ungarischer“, sondern generell mit Minderheitenpolitik befasst. Und ich habe mich – nicht nur als Journalist, sondern auch als Wissenschaftler, als der ich stets neben dem journalistischen Hauptberuf engagiert gewesen bin und wissenschaftliche Artikel in Büchern und Fachzeitschriften veröffentlichte – selbstverständlich auch mit anderen nationalen Minderheiten beschäftigt.

Mein Vater bereitete dadurch eine Art „Initialzündung“ vor, dass er während seiner Kriegsgefangenschaft in Sibirien in GULag-Lagern auf Angehörige mehrerer Nationalitäten traf, darunter auch Ungarn – und viel davon erzählte. Das weckte mein Interesse.

Gleichwohl muss ich den Hauptanteil meinem Studium der osteuropäischen Geschichte an einem Institut der Universität Gießen zuschreiben, an dem zahlreiche Forscher aus mittel(ost)- und südosteuropäischen Ländern, darunter auch aus Ungarn, als Dozenten wirkten. Zudem habe ich mich im Geschichtsstudium sehr mit dem Habsburgerreich, also mit Österreich-Ungarn sowie mit den politisch-zeitgeschichtlichen Entwicklungen nach dessen Zusammenbruch infolge des Ersten Weltkriegs beschäftigt.

Wie kam die Idee, das erst kürzlich veröffentlichte Buch zu verfassen? Welches Ziel hat das Buch?

Ich war der erste deutschsprachige Journalist, der einst über die Csángós schrieb. Mein Freund Komlóssy József, ein Szekler, der zu den 1956ern gehört, der wie viele seiner Generation damals Ungarn infolge der sowjetischen Niederschlagung des Aufstands verließ und über Kanada und die Schweiz wieder zurückkehrte, der dann eine wichtige Rolle für Ungarn im Europarat wahrnahm und in der Führung der „Föderalistischen Union Europäischer Volksgruppen“ (FUEV) mitwirkte: Er hat mich ebenso dazu ermuntert wie Németh Zsolt, Fidesz-Außenpolitiker und Gründer der „Pro minoritate Alapítvány“.

Zsolt meinte, ich müsse unbedingt ein Buch über die Csángós schreiben. Ich entgegnete, ich fände es wichtiger, über möglichst alle ungarischen Minderheiten zu schreiben und dies in den Rahmen Europäischer Minderheitenpolitik zu stellen. Und „Jóska bácsi“ (also Komlóssy József) trat mit dem Vorschlag an den weltberühmten ungarischen Wissenschaftler Professor Szilveszter Vizi heran, den vormaligen Präsidenten der Akademie der Wissenschaften und jetzigen Kuratoriumsvorsitzenden der „Stiftung Freunde Ungarns“. Diesem musste ich mein Manuskript zusenden; er war begeistert und befürwortete sofort die Buchausgabe in deutscher Sprache sowie die Übernahme/Finanzierung durch die Stiftung. Und Zsolt Németh garantierte die Ausgabe in ungarischer Sprache.

Ich lege Wert auf die Feststellung, dass ich völlig ohne Eigennutz das Buch verfasste und das Manuskript gänzlich ohne Honorar bereitstellte.

Ziel des Buches soll sein, in deutschsprachigen Ländern Kenntnisse über und Verständnis für nationale Minderheiten im Allgemeinen und ungarische Minderheiten im Besonderen zu wecken und zu fördern.

Die Ausgabe in ungarischer Sprache richtet sich naturgemäß an alle, die der ungarischen Sprache mächtig sind oder für die das Ungarische Muttersprache ist. Ich bin übrigens gespannt, ob, wie es einige fordern, auch eine Ausgabe in englischer Sprache noch zustande kommt …

Haben Sie schon eine Rückmeldung dazu erhalten?

Schon viele Rückmeldungen habe ich erhalten, und es dürften mehr werden, wenn die Auslieferung vorankommt, die in der „Corona-Phase“ stockte und daher nicht immer reibungslos klappte.

Ihre ersten Artikel zu diesem Thema stammen aus den neunziger Jahren, sind viele von diesen heute immer noch aktuell?

Selbstverständlich. Denn die Zusammenstellung spiegelt die Entwicklung wider, bildet daher ein inhaltliches Kontinuum und ermöglicht die Reflexion und Durchdringung.

Die Europäische Union hat kürzlich zwei wichtige Initiativen (Minority Safe Pack und die Petition des Szekler Nationalrates) abgewiesen, die dieses Problem hätten beheben können. Waren Sie von der Entscheidung überrascht?

Nein, nicht im Geringsten – so wie die EU konstruiert ist und sich selbst versteht, war dies zu erwarten. Wenngleich ich dies für absolut unangebracht und verfehlt halte.

Es gibt einen Minderheitenschutz in der EU, jedoch bezieht sich dieser in der Praxis eher auf Flüchtlinge und sexuelle Minderheiten als auf ethnische Gruppen. Zugleich lautet das Motto der EU „In Vielfalt vereint“. Was meinen Sie, warum schenken sie diesem Problem nicht mehr Aufmerksamkeit?

Weil zentralstaatlich organisierte bzw. verfasste Staaten – vor allem jene der Romania, insbesondere Frankreich, Spanien und Rumänien – stets dagegen sind und wohl auch bleiben werden.

Glauben Sie, dass der Westen die durch Trianon verursachten Narben schon versteht?

Nein, “der Westen“ will sie gar nicht verstehen – lediglich historisch Beschlagene und die, die darunter leiden, verstehen, was Trianon für Ungarn und die Magyaren bedeutet.

Wie kann man das einem Ausländer, zum Beispiel einem deutschen Staatsbürger, überhaupt erklären?

Man kann dies jedem Ausländer erklären – sofern er über gewisse Grundkenntnisse verfügt, Bereitschaft zeigt und man als Erklärer Geduld dafür aufbringt.

Wie gut verstehen die jeweiligen deutschen Regierungen die Triebkräfte der ungarischen Außen- und Innenpolitik?

Darüber ist kein Pauschalurteil möglich – die eine versteht sie (gut), die andere weniger; die eine ist interessiert, die andere weniger bis gar nicht.

Wir sind jetzt kurz nach den Bundestagswahlen in Deutschland. Nach dem Sieg der deutschen Sozialdemokraten erwarten viele eine „Abkühlung“ in den ungarisch-deutschen Beziehungen. Ist das Ihrer Meinung nach eine reale Vision?

Zweifellos – dennoch wird es aufgrund der wirtschaftlichen Verflechtungen nicht zu einer „Eiszeit“ kommen; das wäre den obwaltenden Interessen zuwiderlaufend und insgesamt widersinnig!

Vor ein paar Jahren wurden Sie Mitglied der Stiftung der „Freunde von Ungarn“ in Budapest. Lieben Sie das Land so sehr?

Ich liebe allein meine Frau! Ich schätze das Land ungemein und mich freut das Nationalbewußtsein der Ungarn, dem ich mich zutiefst verbunden fühle.

Im Jahr 2017 wurden Sie mit dem „Freund-von-Ungarn-Preis“ ausgezeichnet, der an Personen verliehen wird, die sich unter anderem für die Verbesserung der Darstellung Ungarns einsetzen. Wie konnten Sie seitdem zu den Interessen Ungarns bzw. zu einer positiven Entwicklung der ungarischdeutschen Beziehungen beitragen?

Ob ich tatsächlich etwas dazu beitragen konnte, vermag ich nicht einzuschätzen. Ich bemühte und bemühe mich lediglich, publizistisch aktiv und passiv, daran mitzuwirken.

Sie haben in Ihrem Leben viel Zeit in Ungarn verbracht. Haben Sie jemals daran gedacht, dauerhaft hierher zu ziehen?

Daran gedacht schon, aber gerade heraus: Dies wäre mit sehr vielen Umständen und Unwägbarkeiten vor allem hinsichtlich meiner angeschlagenen Gesundheit verbunden, für deren Überwindung ich nicht mehr die Kraft aufbringen könnte.

Und „Ehren(staats)bürger“ werde ich wohl kaum, was einen Umzug moralisch nach sich ziehen würde …

Quelle: Ungarn Heute

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