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Die Stellung der Sachsen im Staat Groß-Rumänien

9. Januar 2025 Molnár Zsolt

Im Januar 1919 entschieden sich die Abgeordneten der Sachsen auf der in Medgyes (Mediasch/ Mediaș) abgehaltenen Großversammlung, als sich Siebenbürgen bereits unter rumänischer Besetzung befand, für den Anschluss an Rumänien, da die drohende Haltung der anwesenden Rumänen und die vorausgegangenen Versprechungen des rumänischen Staates sie entsprechend beeinflussten.

Da ahnten sie noch nicht, dass mit dieser Entscheidung für sie ein geschichtlicher Entwicklungsprozess von 800 Jahren zu Ende geht, was durch den ein Jahr später unterschriebenen Friedensvertrag von Trianon auch juristisch bekräftigt wurde. Es lohnt sich aus den Schriften des rumänischen Geschichtswissenschaftler Vasiloe Ciobanu zu zitieren, der vielleicht am besten veranschaulicht, wie die Sachsen diesen rumänischen, imperialen Wechsel interpretierten.  Er schrieb: „Die in den Jahren 1918-19 eingetretenen Veränderungen überraschten die Sachsen, die von einem Tag auf dem anderen aus den ungarischen staatlichen Strukturen in die rumänische hinüberkamen …Auf der Großversammlung in Medgyes nahmen sie zwar die Vereinigung mit Rumänien an, aber sowohl vorher, als auch nachher gab es lebhafte Diskussionen innerhalb der sächsischen Elite über sehr viele Detailfragen (…) Während ihrer 800 Jahre währenden Geschichte versuchten die Siebenbürgen-Sachsen immer, sich auf die von den ungarischen Königen erhaltenen Privilegien berufend ihren eigenen Zielen Geltung zu verschaffen.

Nach der rumänischen Großversammlung am 01. Dezember 1918 in Gyulafehérvár (Karlsburg/Alba Julia) und der Besetzung Siebenbürgen durch rumänische Truppen meinten einige sächsische Politiker – und später stellte sich heraus, dass diese Mutmaßung begründet war –, dass man die Vereinigung von Siebenbürgen mit Rumänien als Tatsache handhaben muss (…).

Gleichzeitig forderten sie aber auch zukünftig eine weitgehende Autonomie für sich.”

Statt der erwarteten Autonomie nahmen die Sachsen die immer stärker werdenden rumänischen Assimilisierungsbestrebungen zwischen den beiden Weltkriegen wahr, die eine bedrohliche Wirkung auf die Kultur der Minderheiten in Siebenbürgen hatten. Ihre politische Organisation, der Deutsch-Sächsische Volksrat, setzte alle rechtlichen Mittel ein, um die staatsbürgerliche Gleichstellung beim rumänischen Staat durchzusetzen. Aus der Sicht der Identitätbewahrung war in diesen Jahrzehnten der Zusammenhalt in den örtlichen sächsischen Gemeinden entscheidend, der im Rahmen der seit Jahrhunderten  herausgebildeten nachbarschaftlichen Beziehungen funktionierte …

Im zweiten Welkrieg stand Rumänien an der Seite von Nazi-Deutschland. Auch ein Teil der Siebenbürgen-Sachsen schloss sich den nationalen Bewegungen im Deutschen Reich an. Als gegen  Ende  des Weltkrieges Rumänien 1944 auf die Seite der Allierten wechselte, flüchtete ein Teil der Sachsen nach Österreich und Deutschland, womit der mehr als ein halbes Jahrhundert dauernde Vorgang ihrer Auswanderung begann.

In Folge der kommunistischen Machtübernahme nach 1945 fing man an, die in Rumänien lebenden Deutschen wegen der Kollektivschuld ihres Besitzes zu berauben und auch teilweise ihre bürgerlichen Rechte abzuerkennen, viele wurden zur Zwangsarbeit in die Sowjetunion verschleppt.

Von den aus Rumänien deportierten 70-80 Tausend Deutschen waren mehr als 30 Tausend Siebenbürgen-Sachsen. Nach Entlassung aus der Haft wurde die Mehrheit von ihnen mit dem Zug nach Frankfurt/Oder transportiert, von wo aus ihnen nicht erlaubt wurde, nach Siebenbürgen zurückzukehren. Nur ein sehr kleiner Teil der Deportierten konnte in die Heimat zurückkehren, 15 Prozent der Verschleppten verlor das Leben. Bis 1948 sank die Anzahl der deutschen Bevölkerung in Siebenbürgen um fast Hunderttausend (hauptsächlich waren die Sachsen betroffen) von 251 Tausend auf 157 Tausend.

Die auf dem zweiten Weltkrieg folgenden Aussiedlungen, Fluchtbewegungen, sowie in die Zwangsarbeitslager erfolgten Deportationen, später die immer schlechter werdenden wirtschaftlichen und politischen Umstände riefen ab den 1960-er Jahren eine nicht mehr umkehrbare Veränderung im Leben von Siebenbürgen hervor. Bis zu dem Agrarreform im Jahr 1945 arbeiteten 70 Prozent der Deutschen in Rumänien in den zu der Landwirtschaft gehörigen Wirtschaftzweigen, 1956 blieben nur noch 22 %  hier, während sich das Verhältnis der nicht mit der Landwirtschaft beschäftigten Angestellten und Arbeiter auf 72 % erhöhte. Die früher bestehenden Verbindungen zu den Dorfgemeinschaften lockerten sich, die Menschen verließen die traditionellen Lebensformen. Das galt sowohl für die Wohnkultur, als auch für die Kultur des  Alltäglichen und auch für die Gewohnheiten.

Das rumänische Grundgesetz von 1952 sicherte im Prinzip die selben Rechte für die nationale Minderheiten zu, die auch die rumänische Nation genoss. Die Existenz und die Möglichkeit der kulturellen Entwicklung der Minderheiten regelten  jedoch weitreichende Verordnungen. Gegenüber der deutschen Bevölkerung zum Beispiel waren einengende Maßnahmen in Kraft, die die Aussiedlung der städtischen Mittelschicht auf das Land möglich machten. Die sächsischen Männer wurden bei den staatlichen Baumaßnahmen beschäftigt. In den 50-er Jahren fanden fortwährend Verhaftungswellen statt, es war die Zeit der Schauprozesse, die auch die sächsische Intelligenz als ständiges Zielobjekt im Visier hatten. All das führte dazu, dass  diejenigen, denen es möglich war – damals hauptsächlich noch illegal –, ab Anfang der 60-er Jahre im westdeutschen Staat ihre neue Heimat fanden.

Der 1965 an die Macht gekommene Nicolae Ceaucescu wollte ein einheitliches Volk im Rahmen der kommunistischen Gesellschaft verwirklichen, was die in rote Hülle verkleidete Variante des großrumänischen Nationalismus bedeutete.

Man erließ ein Gesetz zum Schutz der nationalen kulturellen Güter und im Rahmen dessen enteignete der Staat alle kulturellen Schätze in Rumänien, darunter  die im Besitz der sächsisch-evangelischen Kirche befindlichen Gotteshäuser, Denkmalgebäuden, die dann in einen Zustand der vollkommenen Vernachlässigung kamen. Ab den 1980-er Jahren gab es keine eigenständigen deutschen Schulen mehr, nur deutsche Parallelklassen durften neben den rumänischen eingerichtet werden. Die Schulen ließen sie immer mehr im Dienst des sozialistischen und kommunistischen Aufbaus und der sozialen und ethnischen Homogenisation der Bevölkerung arbeiten.

Ab Ende der 60-er Jahre schlug die rumänische Regierung der Bundesrepublik Deutschland die Möglichkeit vor – analog zu der Auswanderung der jüdischen Minderheit –, die legale Auswanderung der deutschen Minderheit zu erlauben. „Die Juden, die Deutschen und das Erdöl sind die besten Exportartikel Rumäniens.” – sagte Ceauscescu.

Zwischen 1969-1989 wurden mehr als zweihundert Tausend Deutsche aus Rumänien – Siebenbürgen-Sachsen, Banater Schwaben und Schwaben aus dem Landstrich Szatmár (Satu Mare) – durch die Bundesrepublik von Rumänien abgekauft.

Für die verschiedenen Personenkreise wurden Preiskategorien vereinbart, doch nicht nur mit Geld wurde bezahlt: im Laufe der Jahre landeten Jagdgewehre, medizinische Gerätschaft, teure westliche Autos, Abhörgeräte und andere, auf dem östlichen Markt als Mangelware geltenden Güter in Rumänien. Um ein Erlaubnis für die Ausreise zu erhalten, musste man einen langen, holprigen, mehrere Monate oder Jahre dauernden Weg begehen. Die Auswanderer mussten eine Erklärung unterschreiben, dass sie ihre Vermögenswerte dem Staat überlassen.

Man hat entsprechend der Nationalität, Ausbildung und Alter einen stufenweise geltenden Preis für die auf legalem Weg ausreisenden Personen festgelegt. Zwischen 1968-1978 zahlte die BRD für ein Kind und für einen Rentner 1700, für einen Facharbeiter 1900, für einen Studenten 5000, für einen Akademiker 10-11 000 DM an den rumänischen Staat. Später wurde der Tarif einheitlich, jeden Auswanderer verrechneten sie im Wert von 8000 DM. Für die deutsche Entscheidung waren humanitäre und soziale Ursachen ausschlaggebend, der rumänische Staat entschloss sich wegen seiner politischen und wirtschaftlichen Lage dazu, aber auch die Frage der Familienzusammenführung spielte eine Rolle. Die BRD zahlte ungefähr 2-3 Milliarden DM im Laufe der Jahre für die Deutschen in Rumänien.

Dieser Menschenhandel könnte auf dem ersten Blick als eine win-win Situation erscheinen, wobei jede Seite einen Nutzen hatte. Die deutsche Minderheit konnte sich von der kommunistischen Diktatur befreien, die BRD erhielt ausgebildete Arbeitskräfte, der rumänische Staat bekam Devisen. Die Rumänen und die Sinti und Roma durfte in die hinterlassenen hübschen Häuser der Sachsen einziehen. Es ist eine andere Sache,

dass eine 850 Jahre lang blühende Kulturnation von der Landkarte Europas von einem Tag zum anderen verschwand.

Nach der Volkszählung 2023 leben noch zwanzig Tausend Deutsche in Rumänien.

Autor, Zsolt Molnár ist Historiker. Der Beitrag erschien in dem Band „Ein Beispiel für Europa – Andreanum 800“ (Báthory Téka, 2024).

Deutsche Übersetzung von Dr. Gábor Bayor

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