11. Februar 2022 Magyar Hirlap von KÁROLY SZERENCSÉS
Rákosi wusste, dass die Kommunisten allein, mit sauberen politischen Mitteln ihren Willen in Ungarn nicht durchsetzen können.
Man konnte Mátyás Rákosi (1892-1971) Generalsekretär der Kommunistischen Partei Ungarns, ansehen, dass er jetzt etwas Geistreiches sagen will. Mit der ihm eigenen Bewegung zog er kurz an seiner Hose und steckte seine beiden Daumen in seinen Gürtelhalter. Ferenc Nagy (1903-1979), der Ministerpräsident von der Kleinwirtpartei, schaute erwartungsvoll auf den kleinen kahlen Pinguin, und der ergriff auch das Wort in seiner komischen, fremd klingenden Tonlage: „Euer Partei ist wie ein Mensch, der sich vollgefressen hat und das Essen weder verdauen, noch auskotzen kann und sein Bauch jetzt Krämpfe bekommt. Denn wenn du die siebenundfünfzig Prozent behalten willst, dann kommt ihr in Teufels Küche. Ihr müsst mindestens vierzig Mann hinausschmeißen, dann wird sowohl euere Partei, als auch das Land einen Nutzen davon haben.“
Ferenc Nagy murmelte etwas und ergriff die Flucht in sein parlamentarisches Büro. Wir befanden uns im März 1946.
Vier Monate vorher bekam die Unabhängige Kleinwirtpartei bei den Wahlen 57 Prozent der Wählerstimmen, während die Kommunistische Partei nur 17 Prozent erhielt.
So ganz eindeutig waren die Kräfteverhältnisse jedoch nicht, weil die Sozialdemokratische Partei auch 17 Prozent bekam und die Nationale Bauernpartei 7 Prozent. Diese vier Parteien bildeten eine Koalition, deren politische Grundlage das Programm der Ungarischen Nationalen Unabhängigen Front war. Das war ein patriotisches, viel Lebenskraft ausstrahlendes und den demokratischen Wiederaufbau Ungarns verkündendes Programm. Es standen zwar darin auch die auf die spätere linke Propaganda hinweisenden Wendungen – z.B. der letzte Verbündete (Nazi-Deutschlands) etc. -, aber es versprach die Presse-, Versammlungs-, Rede- und Religionsfreiheit, die parlamentarische Demokratie, das System der Selbstverwaltung und das dazu nötige Wahlrecht. Es kam darin die Rechenschafts-ablegung über die Kriegsverbrechen, die „Säuberung“ der Verwaltung und des öffentlichen Lebens von dem Geist des Faschismus, der Volksfeindschaft und von der Rassenideologie vor.
Schlüsselstellung nahm die Bodenreform (der Großgrundbesitz sollte verteilt werden), eine massive Industrialisierung, die Verstaatlichung der Bodenschätze ein. Auch die Unterstützung des Privatbesitzes und der privaten Initiative galt als Grundlage dieses Programms: „zum Wohl der allgemeinen Interessen des Volkes“. Diese in der Stadt Szeged veröffentliche Proklamation wurde mit Billigung der sowjetischen Besatzungsmacht geboren, aber in der gegebenen Lage entsprach sie auch einem nationalen Minimalkonsens.
Dem Programm der Nationalen Unabhängigkeitsfront konnten sich die Kleinwirte, die nationale Demokraten, die Liberalen, die Sozialdemokraten, die Bauernpartei mit ruhigem Herzen anschließen.
Es war ein schönes ungarisches Paradoxon, dass den Plan dieses Programms die Kommunisten erarbeitet hatten, obwohl es für sie am wenigsten annehmbar erschien. Denn sie wollten weder Parlamentarismus, noch Freiheitsrechte, noch Privateigentum. Die Kommunisten mussten lügen. Verbergen. „Schlau sein“ – wie Lenin das sagte.
Noch dazu mussten sie auf die Anweisung der Sowjets die Demokratie vorspielen.
Ein Zustand der Bewusstseinsspaltung. Sie wussten natürlich, dass niemand ihnen das abnimmt. Sie konnten das auch nicht lang durchhalten. Sie warteten nur darauf, wann sie die Kehle der anderen durchbeißen können. Sie waren Personen mit verdorbener Seele, moralische Ruinen, mit einer blutigen internationalistischen Vergangenheit (Ernő Gerő, Imre Nagy), oder mit einer mehrjährigen, den Geist deformierenden Kerkeraufenthalt hinter sich wissend (Mátyás Rákosi, Zoltán Vas) möglicherweise jahrelang in der Illegalität lebend verbunden mit Auffliegen und Verrat (Gábor Péter, János Kádár).
Die Kommunisten konnten diesen „geschwätzigen Parlamentarismus“nicht ausstehen. Das Unheil folgte erst dann, als diese zwergenhafte Minderheit, diese einmal schon in diesem Land entlarvte kriminelle Organisation (1919),
begann, die Machtpositionen, die Positionen in der Politik, in der Wirtschaft, in dem kulturellen Leben, in der Selbstverwaltung, im Justizwesen, in der Wissenschaft in Beschlag zu nehmen.
Und parallel dazu auch die Hoheit über die Worte. „Die Demokraten“ konnten nur sie sein, vorübergehend vielleicht diejenigen, die sie bedienten. Solche hyänenhaften, erpressbaren, käuflichen Menschen gab es reichlich.
Die Schwäche ihrer Unterstützung war trotzdem offensichtlich. Dezső Sulyok (Kleinwirtpartei), der niveauvollste Politiker dieser Zeit, führte ihnen das des Öfteren vor Augen. „Von der Richtung, die wir am Beginn unseres Wiederaufbaus angepeilt haben, dürfen wir nie auch nur um eine Haaresbreite abweichen”, sagte er. Weder nach rechts, noch nach links. Das war an jeden gemünzt. Da machte die Kleinwirtpartei schon bedeutende Zugeständnisse gegen den Willen des Volkes (z.B. bei der Regierungsumbildung) zugunsten der Kommunistischen Partei und ihrer Verbündeten. Verständich: es gab die sowjetische Besetzung und der Alliierte (sowjetischer) Kontrollausschuss mit Vollmacht befahl alles.
Ein symbolischer und das Leben verändernder geschichtlicher Augenblick verdichtete sich im März 1946.
Die mutigen und gut vorbereiteten nationalen Demokraten der Kleinwirtpartei wollten die Manipulationen durch die Kommunisten stoppen.
An den Verhandlungen in dem Ausschuss über den Gesetzesentwurf der Verteidigung der Republik kämpften Dezső Sulyok, István Vásáry und Béla Zsedényi tatsächlich um den Schutz der demokratischen Republik. Die Gruppe um Rákosi bereitete sich jedoch gerade auf die Liquidierung der Demokratie mit Hilfe dieses Gesetzes vor. Die Leute um Sulyok gaben nicht nach.
Es war eine gespannte Atmosphäre. Rákosi wusste, dass die Kommunisten allein, mit sauberen politischen Mitteln ihren Willen in Ungarn nicht durchsetzen können. Deshalb mobilisierten sie die in den Fabriken und Ämtern eingeschüchterten, und nach dem schweren Winter unzufriedenen Massen. Sie ließen die Gefühle hochkochen und versprachen alles. Was sie wollten, fasste Rákosi so zusammen: „Es braucht eine institutionelle Absicherung dafür, dass es hier einen radikalen Linksruck gibt.“
Die Kommunisten gründeten am 5. März 1946 den Linksblock, damit die für die Nation als Minimum erscheinende Vereinbarung von Szeged umstoßend.
Darin nahmen auch die Sozialdemokratische Partei, Nationale Bauernpartei, sowie die Führer des Gewerkschaftsbundes teil. Und sogar einige Sympathisanten der Kommunisten von der Kleinwirtpartei (István Dobi). Sie assistieren den Kommunisten, aber wozu? Dazu, dass Rákosi die ein besseres Schicksal verdienten Organisationen unter seine Herrschaft bringt, und ihnen die Position „der echten Demokraten“ anbietet, denen gegenüber nur die „Reaktionäre“ und „Faschisten“ übrigbleiben konnten. Das war eine verblüffende Falle, und darin nahmen nicht nur die Kollaborateure teil, sondern auch linke Intellektuelle mit guten Absichten und physisch arbeitende Menschen. Und die von ihnen verführten, organisierten und irregeleiteten Massen. Kaum jemand unter ihnen merkte, dass er sich zum Werkzeug der Linksradikalen gemacht hatte.
Der Linksblock – besser gesagt: der linksradikale Block – verlangte die „Säuberung“ der Kleinwirtpartei. Um der Forderung Gewicht zu verleihen, kommandierten sie dreihundert Tausend Menschen zu einer Demonstration auf den Heldenplatz. Für jeden Tag hatte man eine Aktion vorbereitet. Delegationen drangen in das Parlament ein. Hysterische Szenen ereigneten sich. Ferenc Nagy gab nach. Die Kleinwirtpartei „säuberte“ sich so lange, bis sie fast vollständig abnahm, wie der Mond es tut. (Als ersten schlossen sie Dezső Sulyok aus.) Sie verlangten auch die „Säuberung“ des Beamtenapparates nach politischen Vorgaben. Das geschah auch (B-Liste). Sie wollten Steuererhöhungen, richterliche Kompetenzen für die Parteien, Verstaatlichungen. Auch das wurde erfüllt.
Und zum Schluss geschah auch die vollständige Liquidierung des Parlamentarismus, der Freiheitsrechte und des Privateigentums.
Ein moralischer Zusammenbruch begleitet von dem Galgen, vom geistigen Terror, von der Liste der Kulaken, von Schauprozessen und -urteilen.
Der linksradikale Block – wie das durch die Wahlen „mit dem blauen Zettel“ beweisen – wäre nicht in der Lage gewesen auf dem parlamentarischen Weg an die Macht zu kommen. Dazu waren die sowjetische Einmischung und das Loslassen der Kommunisten von der Leine notwendig. Die Besetzungsmacht ließ die Leine im Sommer-Herbst 1947 los. Und es ist nur ein falsches Paradoxon, dass sie mit dieser Geste das Land ganz nah zu sich hingeführt hatten.
Der Linksblock war ein reines Werkzeug, ein geschminktes Panoptikum, die dazu berufen waren, das Gesicht des Ungeheuers zu verbergen. Die Puppen von Rákosi gaben ein erbärmliches Bild ab, egal was für Schicksal auf sie wartete. Zusammengeschlagen oder im Kerker oder in einer Position als „Mitreisender“ (Árpád Szakasits, Ferenc Erdei). Viele bereuten es, viele wurden zu unrettbaren Kreaturen (Gyula Ortutay, József Darvas). Andere erwachten viel zu spät (István Bibó, Anna Kéthly).
Dieses Bündnis, das schlechte Erinnerungen weckt, war ein wichtiger Darsteller von einer genau dokumentierbaren geschichtlichen und seelischen Entwicklung. Die Botschaft ist, dass derjenige, der sein Gesicht immer wieder neu schminkt und in das Panoptikum der Lüge eintritt, kein Verständnis erwarten kann, wenn er einmal einen Blick in den Spiegel wirft. Sollte er den blinden Hochmut, der auf seinem Gesicht erfror, sein an seinen Händen klebendes Blut und die Tränen erblicken. Kein Geld, kein Ruhm, keinerlei Macht ist es wert, sich in so ein primitives Kostüm zu kleiden. Die Botschaft ist, dass keine Möglichkeit entstehen darf, Millionen durch die aus den Archiven hervorgekramten, als Fahne erscheinenden Fetzen zu täuschen. Die Botschaft ist, dass wir die zerstörerische Absicht hinter dem aufgesetzten brüderlichen Gesicht erkennen müssen. Und dass
wir mit solchen Leuten, die unsere Prinzipien, Gedanken ad absurdum führen und unsere reine Existenz vernichten wollen, keine Bündnisse – nicht einmal vorübergehend – eingehen sollten.
Autor, Dr. Károly Szerencsés ist Historiker, Universitätsprofessor
Deutsche Übersetzung von Dr. Gábor Bayor
MAGYARUL: https://www.magyarhirlap.hu/velemeny/20210306-szelsobaloldali-blokk