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Bekenntnis zur deutschen Volkszugehörigkeit

28. September 2023 Sonntagsblatt von Von Richard Guth

Die Ziele der Kulturpolitik der Ungarndeutschen sind die Pflege und generationsübergreifende Weitergabe ihres immateriellen und materiellen Kulturerbes. Trotzdem dauert der demografische Sinkflug weiter an, die Zahl der Bekenntnis-Deutschen sank um fast 45.000. Nach den Daten der Volkszählung aus dem Jahr 2022 gibt es in Ungarn 142.551 Ungarndeutsche.

142.551 – eine Zahl, auf die man seit langen Monaten gewartet hat. So viele Mitbürgerinnen und Mitbürger bekannten sich in Ungarn zum Deutschtum. Dahinter verbirgt sich wie bei der letzten Volkszählung im Jahre 2011 die Bekenntnis zur deutschen Volkszugehörigkeit (an erster oder zweiter Stelle) oder zur Muttersprache oder zu Deutsch als in der Familie und dem Freundeskreis in der Regel gesprochene Sprache. Mehr als 10 % von ihnen verfügen über einen ausländischen Pass (über 90 % EU-Ausländer).

2011 bekannten sich noch insgesamt 185.696 Menschen zu einer der vier Kategorien, ein deutlicher Rückgang um knapp ein Viertel. Knapp 100.000 Menschen bekannten sich (an erster oder zweiter Stelle) zur deutschen Volkszugehörigkeit, ein Rückgang von einem Viertel im Vergleich zu 2011 (131.951), die Zahl der Muttersprachler sank von 38.000 auf 28.000. Zur vierten Kategorie (in der Regel gesprochene Sprache) bekannten sich 66.000 Menschen, hier verzeichnete man sogar einen Rückgang von einem Drittel. Dass sich die Zahlen von Volkszählung zu Volkszählung stark variieren, zeigen die Vergleiche bei den letzten drei Volkszählungen: So bekannten sich vor 20 Jahren 120.344 Menschen zum Deutschtum (damals zusätzlich mithilfe der mittlerweile abgeschafften Kategorie „Kulturelle Zugehörigkeit zur Nationalität“). Mit der Zahl, knapp 45.000 Personen weniger im Vergleich zu 2011, sank auch Anteil der Deutschen an der Gesamtbevölkerung: in der Branau/Baranya von 6,7 auf 5,4 %, in der Tolnau/Tolna von 5,2 auf 3,5, im Wesprim/Veszprém von 3,2 auf 2,3, in Pest von 2,5 auf 1,8 oder in Komorn-Gran/Komárom-Esztergom von 1,7 auf 1,3 %.

Der Rückgang zeigt sich auch auf der Ebene der einzelnen Gemeinden (Ortschaften mit bedeutender deutscher Bevölkerung): So sank der Anteil der Deutschen beispielsweise in Werischwar/Pilisvörösvár (Einwohnerzahl 2021: 14.500) von 27,8 auf 16 %, in Ofala/Ófalu (347 Seelen) von 83,5 auf 63,8 %, im benachbarten Nadasch/Mecseknádasd (Einwohner: 1485) von 50,2 auf 37,4 %, in Tscholnok/Csolnok (3107 Einwohner) von 40,7 auf 23,1 %, in Tarian/Tarján (2708 Seelen) von 33,1 auf 23,2 % , in Ganna (206 Bewohner) von 62,9 auf 30,2, in Großdorf/Vaskeresztes (350 Seelen) von 59,5 auf 37,5, in Hajosch/Hajós (2783 Einwohner) von 47 auf 32,2 %, in Ketschinge/Görcsönydoboka (334 Einwohner) von 56 auf 35,3 %, in Jerking/Györköny (935 Einwohner) von 44 auf 23,8 %, in Wallei/Vállaj (1212 Einwohner) von 46,4 auf 18,1 %. Es gab auch gegenläufige Tendenzen, so im Zwergdorf (2021: 108 Einwohner) Jakobsdorf/Szentjakabfa ein Anstieg von 50,9 auf 65,7 %, Roggendorf/Kiszsidány (Einwohnerzahl: 83) von 52,9 auf 62,2 %, in Boden/Fazekasboda (Einwohner: 182) von 19,6 auf 40,2 % oder in Sendjerga/Baranyaszentgyörgy (120 Seelen) von 2,8 auf 43,1 %.

Viele Gemeinden verzeichneten zum Teil starken Zuzug von – in der Regel – Nichtdeutschen, dennoch sprechen die nackten Zahlen eine deutliche Sprache: In Werischwar halbierte sich die Zahl der deutschen Volkszugehörigen von 483 auf 248, die der Muttersprachler von 468 auf 214. Die Verwendung der deutschen Sprache in Familie und Freundeskreis erfuhr auch einen starken Dämpfer (laut Angaben der Befragten): Die Zahl der Personen sank von 1076 auf 428. Die Zahlen für Ofala (deutsche Volkszugehörigkeit (2011-2022): 249-197, deutsche Muttersprache: 193-132, Deutsch als in der Regel gesprochene Sprache: 262-191), Nadasch (684-490, 479-247, 515-305), Tscholnok mit einem dramatischen Rückgang bei der Zahl der Sprecher (1268-676, 525-156, 739-242), Tarian (808-604, 385-165, 519-210), Ganna (149-66, 11-19, 43-27), Großdorf (192-106, 157-64, 149-73), Hajosch (1378-807, 599-182, 678-234), Ketschinge (203-112, 120-68, 130-76), Jerking (409-224, 53-27, 149-44) und Wallei (436-164, 3-3, 4-3).  Die Zahlen für die Ortschaften mit Zuwachs: Jakobsdorf (55-68, 0-4, 15-7), Roggendorf mit zahlenmäßigem Rückgang (43-55, 19-11, 32-16), Boden dank einer Verdoppelung der Zahl der Volkszugehörigen (37-74, 16-6, 29-10), Sendjerga mit einem sagenhaften Sprung bei den deutschen Volkszugehörigen (0-50, 0-0, 3-0).

Es wird weiterer Untersuchungen bedürfen, um die genauen Gründe zu erforschen. Dabei dürfte der Rückgang gerade bei den Deutschsprechern auf demografische Faktoren zurückzuführen sein: Die letzte große Generation der Muttersprachler stirbt aus, in den jüngeren Generationen ist Deutsch oder eine deutsche Mundart nur in den seltensten Fällen Muttersprache oder Familiensprache. Mischehen, Assimilation, Wegzug aus dem angestammten Siedlungsgebiet und Auswanderung ins Ausland sind weitere Faktoren, die aber insbesondere bei der Volkszugehörigkeit eine Rolle spielen dürften. Der Rückgang um 45.000 Bekenner lässt sich aber mit demografischen Faktoren alleine nicht erklären. Sind es etwa enttäuschte Hoffnungen oder mangelnde Mobilisierung?

Bei den anderen „großen“ Nationalitäten wie Kroaten, Slowaken oder Roma sank die Zahl der Nationalitätenangehörigen und Muttersprachler ebenfalls (die Zahl der bekennenden Roma sogar um ein Drittel, was sich mit demografischen Gründen wohl nicht zu erklären ist), wohingegen sich die kleineren Volksgruppen wie die Serben, Ruthenen, Polen, Bulgaren oder Ukrainer über Zuwachs freuen konnten, Letztere wohl aufgrund von Flucht und Übersiedlung aus dem Mutterland.

Die Zahl der ungarischen Gesamtbevölkerung nahm in den vergangenen zehn Jahren um 330.000 ab, ein Minus von 3,4 % oder ein jährlicher Verlust von über 30.000 Menschen als Folge des Geburtendefizits und und der internationalen Wanderungsbewegung.

Seit 1981 verlor Ungarn durch Geburtendefizit und Auswanderung fast 1,1 Millionen Einwohner oder knapp 10 % seiner Einwohner.

Quelle: Sonntagsblatt, eine deutsche Zeitschrift aus Ungarn: http://sonntagsblatt.hu/

Bildquelle: Ungarndeutsche Kindergruppe pflegt die deutschen Traditionen

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