Search

Auf Wiedersehen, unsere Heimat, wir Schwaben waren gute Ungarn!

19. Januar 2024  Sonntagsblatt von Rudolf Bender

„Wie es in diesen drei Wochen zugegangen ist, wie das Befreiungskomitee die Familien exekutierte, wie der Mann von der Frau, das Kind von den Eltern getrennte wurde – kann man kaum beschreiben. Es war ein erbarmungsloser, herzloser Job, im Ergebnis die vollständige Vernichtung dieser blühenden, reichen Gemeinde, die selbst die drei Monate währende Front des Krieges im Begriffe war in Kürze zu überwinden.”

Im Mai 1945 war der Zweite Weltkrieg zu Ende gegangen, Ungarn geriet unter sowjetische Besatzung. Mit wirkungsvoller Unterstützung der sowjetischen Bajonette wurde die politischen Macht im ganzen Land von den Kommunisten übernommen.

Die linke Ideologie, die Durchführung der Terror wird unheimlich vereinfacht, wenn man gewisse Prinzipien als Grundwahrheiten durchzusetzen versucht. Eine solche „Grundwahrheit” ist das Prinzip der Kollektivschuld, das ein sehr nützlicher und effektiver Grundsatz ist: Mit dessen Hilfe kann man großen Massen die Lebensgrundlage entziehen, sie einschüchtern, ihrer Freiheit berauben und sogar massenhaft ermorden.

Es ist nicht schwer einzusehen, dass keiner etwas dafür kann, als was er geboren wurde, was seine Muttersprache ist – weil dabei keine Wahlmöglichkeit besteht, sondern das Ganze einen Zustand beschreibt. In irgendeinen Zustand hineingeboren zu werden, ist kein Vaterlandsverrat. Die ungarländischen Schwaben haben als Teil der ungarischen Nation als Verbündete Deutschlands gekämpft, aber über dieses Bündnis haben nicht die Schwaben eine Entscheidung getroffen, sondern die Führungspersönlichkeiten des ungarischen – also madjarischen und deutschen – Volkes.

Die von den Kommunisten geführte Politik bestrebte sich, das Ungarndeutschtum in Gänze zu vertreiben, also nach Deutschland zu deportieren. Auf der Sitzung des Ministerrats am 22. Dezember 1945 legte der kommunistische Innenminister Imre Nagy (Märtyrer von 1956) den Entwurf des grundlegenden Evakuierungsgesetzes vor, das sich auf die Kollektivschuld der deutschen Bevölkerung in Ungarn stützte. Von den 16 anwesenden Ministern stimmten neun dafür, zwei dagegen und fünf enthielten sich.

Die Besatzungsmächte in Deutschland, die von dem Vorhaben und den Zahlen informiert wurden, versprach die Aufnahme von 500.000 Personen. Im Gegensatz dazu war die offizielle Gesamtzahl der Ungarndeutschen mit 350.000 beziffert.

Die Vertreibung der Bevölkerung deutscher Nationalität in Edeck/Etyek erfolgte zwischen 6. und 15. März 1946 80 % der Dorfbevölkerung, 2500 Personen, wurden nach Deutschland deportiert. Man kann sich den Gemütszustand der Menschen kaum vorstellen, die die Hölle des Krieges durchlaufen hatten, seelisch verkrüppelt, verletzt durch die Traumata des Krieges oder schwer verletzt von der Front heimkehrten und versuchten im friedlichen Alltag ein neues Leben zu beginnen, um gleich nach der Rückkehr mit dem Vorwurf konfrontiert zu werden, sie seien Vaterlandsverräter! Wodurch wurde für sie ein größeres Trauma verursacht: durch die Gräuel des Krieges oder durch diesen schweren Vorwurf?

Zwecks Abwicklung der Vertreibung wurden im Dorf Komitees gebildet. Der Vorsitz wurde einem ortsansässigen Kommunisten anvertraut, dessen Niedrigkeit bekannt war und der die missliche Lage der zu Vertreibenden missbrauchend mit deren Gütern Handel trieb, um sie danach zu vertreiben. Die ersten Pferdewagen setzten sich langsam in Bewegung aus Edeck Richtung Bahnhof Wiehall-Kleinturwall/Biatorbágy, wo die „Vaterlandsverräter” bereits von Viehwaggons erwartet wurden.

wegen dem Stress, dem sie ausgesetzt waren, bereits in den Waggons. Die Zugbegleiter stoppten dann den Zug und setzten die Leichen aus, ohne sich weiter um sie zu kümmern. Es gibt unter ihnen auch solche, deren Schicksal seitdem unbekannt ist, ihre Familien konnten sie nicht beisetzen.

Viele dachten, die Vertreibung wäre aus irgendeinem Missverständnis heraus geschehen und sie könnten bald nach Ungarn zurückkehren. Bis Ende der 1960er Jahre verflog diese Hoffnung und die meisten erkannten, dass es keinen Weg zurück gibt. Heilend wirkte, dass sie ab Ende der 1960er Jahre als deutsche Staatsbürger und Touristen Ungarn besuchen durften. Zu dieser Zeit konnte man oft Menschen am Ungarischbrunnen beobachten – die Augen voller Tränen, die die schönen Erinnerungen an die Jugend gerade wachgerufen zu haben schienen.

Unter den Edecker/etyeki „Vaterlandsverrätern” starben als ungarische Soldaten 176 Personen im Ersten und 212 im Zweiten Weltkrieg den Heldentod. Und diejenigen,

Über dieses Ereignis berichteten meine Familienmitglieder folgendermaßen: „In der Nacht auf den 6. Februar 1953 erschienen mitten in der Nacht so gegen zwei Uhr mit Maschinenpistolen Bewaffnete und richteten ihre Gewehre auf die dort Schlafenden. Sie befahlen ihnen – natürlich im Namen des Gesetzes -, sofort aufzustehen und zu packen. Dafür hatten sie 20 Minuten Zeit und konnten nur einige Habseligkeiten mitnehmen. Danach wurden sie auf Lkws geladen und fuhren nach Tiszaszentimre ins kommunistische Umerziehungslager.

Die als wertlos eingestuften Habseligkeiten – wie Familienfotos – landeten auf dem Misthaufen, die anderen als wertvoll betrachteten wurden in den damaligen Kindergarten und auf den Schulhof gebracht, um dort die im Namen des Volkes konfiszierten Wertgegenstände zu verwerten. Die Begründung für die Beschlagnahmung war, dass sie den rechtmäßigen Besitz (es ging da um Möbel, Essgeschirr und Sonstiges) nicht durch Rechnungen belegen konnten, so dass der Verdacht aufgekommen sei, sie wären im Besitz von gestohlenen Gegenständen. Auf die Idee kamen sie wohl erst gar nicht, dass das, was sie selber tun, Diebstahl ist. Aber das war ja kein Diebstahl, da es im Namen des Volkes erfolgte! Nebenbei bemerkt haben sie nicht im Namen des Volkes gehandelt, denn niemand hat sie als dessen Vertreter gewählt. Die Macht haben sie mit Gewalt an sich gerissen, deshalb waren sie weder berechtigt, sich auf das Gesetz noch auf den Volkswillen zu berufen.

Die nach Tiszaszentimre Deportierten wurden auf unbeheizten, mit gefrorenem Schafmist durchtränkten Schlafplätzen untergebracht – auf Pritschen, die 50 cm breit waren. Sie mussten jeden Tag harte Arbeit leisten. Die kommunistischen Handlanger konnten nicht wissen, dass harte Arbeit den Schwaben nicht fremd ist, so konnte man sie nicht brechen – obwohl öfters verlautbar wurde, dass man die Schwaben so lange arbeiten lassen werde, bis sie sterben, um den ungarischen Mutterboden mit ihren Überbleibseln zu düngen.

Ein Jahr nach dem Tod von Stalin am 5. März 1953 wurden die ungarischen Arbeitslager aufgelöst, aber der Zustand der Entrechtung und des Enteignetseins wurde weiterhin aufrechterhalten. Mein Opa durfte mit Angehörigen nach Edeck/Etyek heimkehren, aber durfte das Haus der Familie nicht mehr betreten, weil es beschlagnahmt wurde. Sie kamen in Kleinturwall/Torbágy bei einer befreundeten Familie unter – in einer Schlafgelegenheit im Hühnerstall und das für eine ziemlich lange Zeit.

Ich möchte die Zeilen des Gedenkens mit einem Zitat schließen, das die Vertriebenen mit Kreide auf einen der Waggons schrieben:

„Isten veled hazánk, mi jó magyarok voltunk!” (Auf Wiedersehen, unsere Heimat, wir waren gute Ungarn!)

Ich möchte hinzufügen, dass wir es nicht nur waren, sondern auch sind und werden! Wir ungarischen Schwaben werden das Gedenken an unsere vertriebenen Brüder und Schwestern stets bewahren.

Der vollstandige Text der Erinnerung: http://sonntagsblatt.hu/2023/08/16/wir-gedenken-der-ungarlaendischen-schwaben/

Deutsche Übersetzung: Richard Guth

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert