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Abendessen mit Protektionsgeruch

16. August, 2021 Magyar Hírlap von IRÉN RAB

Ich weiß nicht, ob Viktor Orbán die Mitglieder des Verfassungsgerichts jemals zu einem netten geselligen Beisammensein ins Karmelita-Kloster (seinen Regierungssitz) eingeladen und ihnen durch das Personal eines Gourmetrestaurants ein Abendessen hat servieren lassen? Und wenn ja, wie würde die schwächelnde ungarische Opposition mit ihrer Presse darauf anspringen? Vor allem, wenn diese besondere Einladung zeitlich mit einer wichtigen Anhörung vor dem Verfassungsgericht zusammenfiele, die obendrauf seine Person beträfe, und er versuchen könnte, diese unabhängige Instanz mit dem Abendessen oder den dort gemachten Versprechungen zu beeinflussen?

Inwieweit würde er der Korruption und der Verletzung der Unabhängigkeit der Justiz beschuldigt werden, und was würde daraufhin die bunte ungarische Opposition in ihre Anzeige an Brüssel schreiben?

Sie würde sicherlich Zeter und Mordio schreien, und zu Hause würde sie sagen: ‚Treten Sie zurück, genug von der Diktatur‘. Und von Brüssel würde erwartet werden, dass es das nächste Vertragsverletzungsverfahren einleitet und den Artikel 7 endlich richtig scharf stellt!

Dieses Gedankenexperiment ist mir nur in den Sinn gekommen, weil

Angela Merkel Ende Juni die Bundesverfassungsrichter in ihrem von den Berlinern als Waschmaschine bezeichnete Kanzleramt empfangen hat.

(Es gibt einen Unterschied zwischen einer kaum zwanzig Jahre alten aber bereits für viele Millionen renovierungsbedürftigen „Waschmaschine“ und einem aus Ruinen wunderbar restaurierten denkmalgeschützten Kloster.)

Daran sei nichts Merkwürdiges, äußerte sich der Vorsitzende des Gremiums, Dr. Harbarth, der seit Jahrzehnten Parteipolitiker der CDU ist und bis zu seiner Wahl zum Richter zehn Jahre lang Mitglied des Bundestages gewesen war. Es ist Tradition, dass die Regierung und die Verfassungsrichter ab und zu gemeinsam zu Abend essen.

Alle Richter nahmen an dem Abendessen teil, und keiner von ihnen hatte das Gefühl, dass dies peinlich sein könnte, dass es einen Korruptionsverdacht geben und das Vertrauen der Öffentlichkeit in die Unparteilichkeit der Justiz untergraben könnte.

Denn die Kanzlerin war unlängst vor das Verfassungsgericht geladen worden.

Sie war vom Klassenfeind, der AfD, ansonsten einer legitimen, aber von den Geheimdiensten überwachten Parlamentspartei, angezeigt worden. Nach Ansicht der AfD habe Angela Merkel die Grenzen ihrer Autorität überschritten und gegen die demokratischen Spielregeln, die von Regierungsvertretern erwartete Neutralität verstoßen.

Vielleicht erinnern wir Ungarn uns auch an den ominösen Satz, den Frau Merkel vor anderthalb Jahren aus Südafrika gegenüber ihren Parteikollegen äußerte.

„Das Ergebnis der Wahl in Thüringen ist unverzeihlich, es muss wieder rückgängig gemacht werden!“

– rief sie aus, ohne sich darüber im Klaren zu sein, dass sie damit die Annullierung des Ergebnisses einer demokratischen Wahl forderte.

Damals bebte die Erde in Deutschland, weil die Bundeskanzlerin die Annullierung der Wahlergebnisse anordnete. Wie eine Diktatorin. Es wurde auch sofort klar, dass sie, obwohl sie die Macht als Parteivorsitzende an ihre unfähige Nachfolgerin mit dem komplizierten Namen, kurz AKK, übergeben hatte, immer noch der Mensch war, der in der CDU das Sagen hatte. Auf ihre Anweisung hin trat Kemmerich, der mit AfD-Stimmen gewählte legitime FDP-Ministerpräsident, innerhalb von zwei Tagen zurück, so dass der Kandidat der kommunistischen Nachfolgepartei der DDR, Die Linke, den Posten problemlos besetzen konnte. Seine Wahl hat die deutsche Demokratie anscheinend nicht verletzt.

Merkels Nachfolgerin im Parteipräsidium, Annegret Kramp-Karrenbauer, ist ebenfalls zurückgetreten. Man könnte sagen, dass sie die Schuld auf sich genommen hat, das heißt, sie hat die Verantwortung für das Geschehene in der Partei übernommen. Man könnte aber auch sagen, dass sie das, was passiert ist, nur schwer ertragen konnte und in diesem chaotischen Verein keine Rolle mehr spielen wollte. Denn ihr Rücktritt bedeutete auch ihr Rücktritt als künftige Kanzlerkandidatin und somit allenfalls Kanzlerin.

Scheinbar ist die Weltordnung wiederhergestellt worden, denn das Bundesverfassungsgericht hat die Anzeige der AfD wegen der Pandemie lange vor sich hin- und hergeschoben. Ich nehme an, sie wollten bis zum Ende von Merkels letzter Amtszeit warten, damit der brisante Fall nicht mehr so laut knallen kann. Die Menschen vergessen schnell, wer erinnert sich zum Beispiel daran, dass die AfD Merkel bereits mehrfach wegen Rechtsbrüchen verklagt hat.

Zum Beispiel im Jahr 2015, als sie ihre Amtsbefugnisse missbrauchte, indem sie eine einseitige Entscheidung traf und das Gesetz ignorierte, um die unkontrollierte Einreise von Hunderttausenden von Migranten ins Land zu ermöglichen. Die AfD warf der Bundeskanzlerin daraufhin vor, in Menschenschmuggel verwickelt zu sein. Seitdem habe ich nichts von einer Verurteilung gehört, und ich weiß nicht, ob ein Verfahren überhaupt eingeleitet wurde.

Seit der Migrationskrise gab es mehr als tausend Strafanzeigen gegen Merkel. Das ist natürlich die Zahl in der Presse, die offizielle Zahl beträgt nur 407, und die Staatsanwaltschaft hat keine einzige Ermittlung eingeleitet, nachdem sie alle für unbegründet befunden hat.

Aber bleiben wir bei dem Thüringer Skandal! Nach sehr kurzer Zeit, nur anderthalb Jahren, begann das Verfassungsgericht, den Fall zu verhandeln, sonst brauchen sie fünf oder sechs Jahre (!), bis eine ernsthafte, gründliche Untersuchung durchgeführt wird.

Als die AfD vom Abendessen erfuhr (sie war nicht eingeladen), reichte sie sofort ein Ablehnungsgesuch gegen die Verfassungsrichter/innen des Zweiten Senats ein: Das Abendessen werfe den Verdacht der Korruption in Bezug auf das ernannte Gremium auf. Aber beide Kammern des Gerichts waren in Berlin und haben nicht nur mit Merkel, sondern mit ihrem gesamten Kabinett zu Abend gegessen, so dass

die Unvoreingenommenheit des gesamten Verfassungsgerichts faktisch in Frage gestellt worden sei.

Die Beschwerde wegen Unvoreingenommenheit wurde vom Verfassungsgericht selbst beurteilt und zurückgewiesen, so dass die Verhandlung schließlich am 21. Juli stattfinden konnte. Merkel, da anderweitig beschäftigt, wurde durch den Kanzleramtschef Helge Braun vertreten. Es musste geklärt werden, in welcher Eigenschaft sie in Pretoria die Erklärung abgegeben hatte.

Denn ein Politiker kann einen anderen Politiker oder eine andere Partei als nicht vorzeigbar bezeichnen und ihn in der Öffentlichkeit sogar verunglimpfen. Als Parteipolitiker kann er dies in einem zivilisierten Rahmen auf einer Parteiversammlung oder während einer Wahlkampagne tun. Aber

als gewählter Beamter, als Mitglied der Regierung, hat er die Pflicht zur Neutralität.

Merkel war als Regierungschefin vor Ort und gab eine entsprechende Pressekonferenz. Außerdem wurde die Erklärung auf dem Regierungsportal veröffentlicht. Sie konnte nicht als Parteivorsitzende sprechen, da sie nicht mehr die Vorsitzende der CDU war.

Die Bundeskanzlerin stand unter Druck, – sagen ihre Verteidiger – und die Wahl Kemmerichs wäre von der Welt als Zeichen des Vormarsches der extremen Rechten gewertet worden. Und das könne sich Deutschland nicht leisten. Der Anwalt zeigte einige dementsprechend entsetzte Zeitungsartikel über die Wahlen in Thüringen. Diese Verteidigung stand auf sehr wackeligen Beinen.

Lieber soll sich die Linke durchsetzen, denn das scheint in dieser Demokratie eher zulässig zu sein.

Eine andere Lösung wäre zu überlegen, wie notwendig es ist, die größte Oppositionspartei im Bundestag, die AfD, ständig zu stigmatisieren, zu diskreditieren und ihre Politiker zu überwachen.

Die Bundestagswahl findet im September statt und Prognosen gehen von einem Stimmenanteil der AfD von zwölf Prozent aus, das sind 7,2 Millionen Menschen von sechzig Millionen Wählern, das entspricht fast der gesamten Wählerschaft von Ungarn. Sie haben zehn Abgeordnete im Europäischen Parlament, aber ich habe noch nie gehört, dass sie dort Angela Merkel oder ihre Regierung scharf anprangern würden. Seien wir ehrlich, sie hätten allerdings Grund dazu.

Hat Bundeskanzlerin Merkel gegen deutsches Recht verstoßen? Nach Meinung von drei Vierteln der Leser der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, ja.

Die Welt brach trotzdem nicht zusammen, die Zeitungen berichteten eine nach der anderen über die Verhandlung (es war unmöglich, sie zu verschweigen), aber auch sie zogen sich rasch in ihr Schneckenhaus zurück, und zwei Tage später war kein einziges Wort mehr darüber zu lesen. Es kam zu keinem Urteil, die Verhandlung wurde vertagt und soll zu einem späteren Zeitpunkt wiederaufgenommen werden. Bis dahin wird die Besetzung anders sein und das Urteil wird nur noch eine theoretische Grundsatzfrage klären können.

Autorin, Dr. phil Irén Rab ist Kulturhistorikerin

Originaltext auf Ungarisch: https://www.magyarhirlap.hu/velemeny/20210816-korrupcios-vacsora

Übersetzung von Dr. Andrea Martin

Bildquelle: Junge Freiheit

Ein Kommentar

  1. Deutschland ist zu einer Bananenrepublik verkommen, möchte ich sagen. Doch es gibt einen Unterschied: Potentaten von Bananenrepubliken pflegen, anders als die Herrschenden Deutschlands, nicht die gewählten Vertreter anderer Länder vom Hochsitz der Hypermoral aus unter Beschuß zu nehmen.

    Kleiner Nachtrag noch zu dem hervorragenden Artikel: Die Klage der AfD gegen die Bundesregierung wegen der Grenzöffnung für das illegale Eindringen hunderttausender Menschen 2015 nach Deutschland wurde vom BVerfG rein formell für unzulässig erklärt, da die AfD 2015 nicht als Fraktion im Deutschen Bundestag vertreten war. Damit war der Fall für Frau Merkel und die deutschen Mainstreammedien erledigt.

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