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„Wir Deutschen sollten unsere eigenen Probleme lösen“

22. Dezember 2023 Budapester Zeitung Jan Maikas Interview mit Kai Diekmann

Zusammen mit seiner Frau, Katja Kessler, besuchte der ehemalige BILD-Chefredakteur (2001–2015) Kai Diekmann am Ende November Budapest. Kurz vor dem Rückflug unterhielten wir uns mit ihm er sich mit Jan Mainka, dem Herausgeber der Budapester Zeitung über das Ungarn-Bild in Deutschland, Ministerpräsident Viktor Orbán und dessen Verhältnis zu Altkanzler Helmut Kohl.
Was stand auf Ihrem Besuchsprogramm?

Den ersten Tag hatten wir ganz für uns. Ich habe den Mittwoch genutzt, um meiner Frau, die Budapest bisher noch nicht so gut kennt, einige Highlights zu zeigen: die Matthias-Kirche, die Fischerbastei, die Markthalle und das Café Gerbeaud. Abends besuchten wir ein Konzert in der Musikakademie. Auf dem Programm standen Werke von Leo Weiner, Peter Tschaikowski und Hans Abrahamsen, einem zeitgenössischen Komponisten. Das Konzert war wirklich ein Erlebnis.

Am Donnertag standen dann eine ganze Reihe von politischen Begegnungen auf dem Plan. Morgens trafen wir den Direktor des Deutsch-Ungarischen Instituts, Bence Bauer, und Frank Spengler, den langjährigen ehemaligen Budapester Repräsentanten der Konrad Adenauer-Stiftung. Anschließend führte ich Gespräche u.a. mit der deutschen Botschafterin Julia Gross, mit dem Politik-Berater von Premier Orbán, Balázs Orbán, und mit Kanzleramtsminister Gergely Gulyás. Am Abend gab es dann beim MCC eine von meinem ehemaligen Kollegen Boris Kálnoky moderierte Vortragsveranstaltung.

Was sind Ihre Eindrücke von Stadt und Leuten?

Ich bin immer wieder gerne in Budapest. Und ich bin froh, jetzt wieder hier gewesen zu sein. Die drei Tage waren aber natürlich viel zu kurz für all das, was man hier erleben kann. Mit meiner Frau waren wir hier übrigens auch laufen – so wie immer, wenn wir eine andere Stadt besuchen. Gleich am Mittwoch morgen sind wir vom Hotel zur Margareteninsel gelaufen. Vorbei am Parlament ging es dann zurück. Eine wunderschöne Strecke.

Was mich hier oben auf dem Burgberg überraschte, war die enorme Bautätigkeit. Es ist schön zu sehen, dass alles wieder so hergestellt wird, wie es einmal war. Auch die Geschwindigkeit ist beeindruckend. Davon kann sich Berlin eine Scheibe abschneiden. Bei uns ziehen sich Bauvorhaben inzwischen extrem in die Länge. Man denke nur an den Wiederaufbau des Schlosses oder den neuen Berliner Flughafen.

Was war Ihr erstes Interview mit einem ungarischen Spitzenpolitiker?

Das war dann schon das Interview mit Ministerpräsident Viktor Orbán im Februar 2016 . Eingefädelt worden war es von meiner Kollegin Dóra Varró, die bei uns Kolumnistin gewesen ist und ungarische Wurzeln hat. Geholfen hatte – ebenso wie bei einem weiteren Interview mit Orbán – auch der Musiker und Produzent Leslie Mandoki, der ebenfalls in Budapest geboren ist.

Wie waren Ihre Eindrücke von Herrn Orbán?

Mich hat sein Lebensweg schon immer sehr beeindruckt: Zu einem sehr frühen Zeitpunkt hatte er öffentlich den Abzug der Sowjettruppen aus Ungarn gefordert. Damit riskierte er damals nicht nur seine Freiheit, sondern möglicherweise sogar sein Leben. Diesen Mut an ihm habe ich immer bewundert. Ich schätze es auch sehr, dass er jemand ist, der Klartext redet. Er ist nicht bereit, sich zu verbiegen. Seine Überzeugungen vertritt er klar und in einer großen Gelassenheit. So, wie er es für richtig hält. Mir diesen Klartext ab und zu mal hier in Ungarn abzuholen, fand ich als Journalist sehr spannend.

Wie haben Sie bei Ihren beiden Interviews den Menschen Orbán erlebt?

Die Gesprächsatmosphäre war immer überaus gelassen. Er ist ein überaus charmanter, geistreicher und auch humorvoller Gastgeber. Ich habe unsere Interviews und einige weitere Gespräche mit ihm als sehr entspannend und fröhlich empfunden. Er ist in sich ruhend und in keiner Weise aggressiv. Mir hat der Austausch mit ihm stets sehr viel Spaß gemacht.

Orbán macht das, was Millionen Deutsche auch wollen, insbesondere setzt er sich für die Sicherheit und Prosperität Europas ein. Dennoch wird er von den deutschen Leitmedien unablässig angegriffen. Haben wir es hier mit einem Kommunikationsproblem zu tun? Was könnte man dagegen tun?

Zunächst einmal halte ich nichts davon, anderen in anderen Ländern Ratschläge zu erteilen. Das steht uns nicht zu. Wir Deutschen sollten da ein Stück weit zurückhaltend sein und erst einmal vor der eigenen Tür kehren und unsere eigenen Probleme lösen. Wenn man sich die Kommunikation unserer Bundesregierung anschaut, dann kommt man auch nicht gerade zum Schluss, das wären hervorragende Kommunikatoren.

Reisen bildet ja bekanntermaßen – und ich bin auch gekommen, um zu lernen. Viele Details, zum Beispiel der ungarischen Familienpolitik waren mir bisher nicht bekannt. Natürlich wusste ich von den niedrigen ungarischen Steuersätzen. Aber dass berufstätige Mütter ab vier Kindern bis an ihr Lebensende von der Einkommensteuer befreit sind, das war mir neu. Das würde meiner Frau, die in Deutschland den Spitzensteuersatz zahlt, sicher auch viel Freude machen. Das sind Ansätze, die ich spannend finde.

Noch ein Beispiel: Die deutsche Botschafterin Julia Gross hatte mir bei unserem Gespräch erzählt, wie das wirklich war, als wir im Flüchtlingssommer 2015 in Deutschland die Bilder vom völlig überfüllten Budapester Ostbahnhof gebracht hatten, auf dem Tausende Flüchtlinge ausharrten. Angeblich standen ihnen keine sanitären Einrichtungen zur Verfügung. Es hieß, sie würden auch nicht mit Wasser und Lebensmitteln versorgt. Tatsächlich war es aber offensichtlich so gewesen, dass die erwähnten Dinge nur wenige hundert Meter weiter zur Verfügung gestanden hätten. Zumindest, wenn die entsprechenden Einrichtungen von den Flüchtlingen aufgesucht worden wären. Aus Sorge, sich dort registrieren zu müssen, taten sie das aber nicht. Da hätten wir als Journalisten schon etwas genauer hinsehen müssen. Manchmal sieht man aber einfach nur das, was man sehen will.

Ich finde es richtig, wie unerschrocken sich der Ministerpräsident Orbán immer wieder in direkten Dialog mit seinen Kritikern begibt. Mit meiner Hilfe konnten wir ihn 2020 zur dpa-Chefredakteurskonferenz nach Berlin einladen. Im Publikum saßen die Chefredakteure der wichtigsten deutschen Zeitungen. Das war mutig und aus meiner Sicht erfolgreich.

Orbán gilt ja als Stachel im Fleisch der EU. Aber auch hier entsteht bei uns mitunter ein falscher Eindruck. Selbstverständlich haben ja die Ungarn bisher alle EU-Sanktionen gegen Russland mitgetragen. Die Ungarn wissen nach wie vor, wie sie die Russen einzuschätzen haben.

Wenn Viktor Orbán heute viele EU-Sanktionen als weitgehend wirkungslos kritisiert, und sagt, mit diesen Sanktionen schießen wir Europäer uns ins eigene Knie, dann ist er mit dieser Ansicht auch in Deutschland nicht mehr alleine. Dort gibt es inzwischen auch viele Kritiker, die über die Sanktionen ganz sachlich feststellen, dass wir uns damit nicht nur in eins, sondern sogar in beide Knie geschossen haben.

Das vollständige Interview ist hier zu lesen: https://www.budapester.hu/politik-interview/diekmann-wir-deutschen-sollten-unsere-eigenen-probleme-loesen/

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