Suche

Was nun, Ungar?

19. September 2023 Magyar Hírlap von IRÉN RAB

Nagyvezekény liegt im ehemaligen ungarischen Komitat Bars, im Tal des Flusses Zsitva, nördlich der heutigen ungarisch-slowakischen Sprachgrenze. Laut ungarischer Heimatkundeliteratur bezieht sich der Name des Dorfes auf das Vezekény-Geschlecht und wird in schriftlichen Aufzeichnungen zuerst im frühen 13. Jahrhundert erwähnt. Es liegt nicht weit von der heutigen ungarischen Grenze, Esztergom und Komárom sind beide etwa 80 Kilometer entfernt, also eine gute Tagesstrecke von Vezekény auf dem Pferd.

Aber suchen wir es nicht unter diesem Namen auf der Landkarte! Veľké Vozokany ist der ordentliche slowakische Name des Dorfes, und laut der Volkszählung von 2001 lebte in der damals rein slowakischen Siedlung mit 556 Einwohnern nur noch ein einziger tapferer Ungar. Heute gibt es keinen mehr. Das ist nicht nur der Grund, warum das Dorf keinen ungarischen Namen trägt, sondern

die Verordnung, dass historische ungarische Ortsnamen in der Slowakei offiziell nicht verwendet werden dürfen.

Ausnahmen werden manchmal dann gewährt, wenn zum Beispiel die Venedig-Kommission zu einem Kontrollbesuch im Land eintrifft. Diese Ausnahme könnte jedoch für das slowakische Nationalbewusstsein durchaus förderlich sein, denn der Name dieses kleinen slowakischen Dorfes kommt in einer schriftlichen Quelle (in Latein) bereits vor achthundert Jahren vor.

Der ehemals weit verbreitete Gebrauch des Lateinischen in Ungarn vereinfachte das Problem der slowakischen Minderwertigkeitskomplexe, und es wäre nicht nötig, zu behaupten, die Ungarn hätten König Štěpán absichtlich als István falsch geschrieben. Stephanus Rex, also auf lateinisch geschrieben, könnte auch ein slowakischer König sein. Es stimmt sogar, denn die ungarischen Könige waren immer Könige des Karpatenbeckens und aller dort ansässigen Völker.

Für das frühere ungarische Leben von Nagyvezekény gibt es außer seinem Namen und seinen ehemaligen Besitzern keine Beweise. Während der türkischen Besatzung war die Region anderthalb Jahrhunderte lang ununterbrochen Pufferzone, die Bevölkerung wurde ausgerottet und die Slowaken aus den Bergen, wo sie unter schlechteren Lebensbedingungen hausten, zogen in die leerstehenden Häuser und Dörfer. Bereits vor fast zweihundert Jahren bezeichnete Elek Fényes (1807-1876, ungarischer Statistiker) Vezekény als ein slowakisches Dorf, und seit es regelmäßige Volkszählungen gibt, kann es tatsächlich als solches bezeichnet werden.

Nagyvezekény könnte in Vergessenheit geraten, wenn dort nicht ein Löwendenkmal am Rande des Dorfes stünde, das den Löwen ähnelt, welche in Budapest das Parlamentsgebäude bewachen. Das ist kein Zufall, denn beide Werke verbindet die Person des Künstlers, der in Nagyvezekény in Bronze gegossene Löwe stammt ebenfalls von Béla Markup (1873-1945). Dieser Löwe „verkündet in schützender Haltung Frieden und Sicherheit, während er mit seinen Pranken die türkische Kriegsfahne zerschlägt“. Der Triumph gehört der Vergangenheit an,

die türkischen Symbole wurden gestohlen und 2013 wurde sogar versucht, die Bronzestatue, als Objekt der Begierde eines Metallsammlers, zu zerstückeln und zu entwenden. Später haben diejenigen, die die Vergangenheit auslöschen wollen, die ungarische Inschrift auf der Statue mit Farbe besprüht.

Kurzum, das Denkmal steht dort und verkündet den Ruhm des Sieges über die Türken im Jahr 1652. Wer weiß, wie viele türkische Überfälle es in den ersten hundert Jahren der türkischen Besetzung in der von den Besatzern in Vilayets und Sandschaken (türkische Verwaltungseinheiten) eingeteilten Landesmitte gab. Nagyvezekény, in der Pufferzone gelegen, gehörte zum Sandschak Esztergom und die schrumpfende Dorfbevölkerung wurde regelmäßig von den Türken geplündert. Dem fielen nicht nur die Ernten und das Vieh zum Opfer, sondern auch die Bewohner selbst. Die Dörfer wurden niedergebrannt, das Vieh verjagt, die Leibeigenen gefangen genommen und in die Sklaverei gezwungen. Die Soldaten der Festungen versuchten, die Türken so energisch wie möglich zu bekämpfen, so auch am 26. August 1652 am Rande von Nagyvezekény das Heer vom – Räuber genannten – Mustafa, dem Bey von Esztergom.

Die Türken zählten etwa viertausend Mann. Ádám Forgách (1601-1681), der Hauptmann der Bergbaustädte, muss etwa ein Drittel davon gehabt haben, da sein Heer aus den umliegenden Vorposten zusammengeschustert war. „Ich brach mit 600 ungarischen und deutschen Reitern, 150 Musketieren und ebenso vielen Hajduken auf“, schrieb der Hauptmann in seinem Bericht. Ihm schlossen sich die Soldaten der ungarischen Aristokraten der Gegend, der Esterházys, der Pálffys und ihrer kampferprobten Leibeigenen an, die mit den Waffen umzugehen wussten.

Die ungarische Kavallerie schlug das türkische Heer in die Flucht und ein Teil der Gefangenen wurde befreit. Etwa 800 Türken blieben auf dem Schlachtfeld zurück, die ungarischen Verluste betrugen nur einen Bruchteil davon.

Dennoch war der Verlust groß, denn vier Fürsten, vier Esterházys, blieben auf dem Schlachtfeld zurück: Ferenc, Tamás, Gáspár und der Sohn und als Nachfolger auserkohrene László des berühmten Palatins Miklós Esterházy (1583-1845). Sie bildeten mit ein paar Dutzend Soldaten die beiden Flanken, und obwohl sie dem Druck zunächst heldenhaft standhielten, hatten sie am Ende keine Chance gegen die zahlenmäßig weit überlegenen Türken. Ihre geschändeten Leichen wurden mit großem Pomp in der Krypta der Jesuitenkirche in Nagyszombat beigesetzt. Hauptmann Ferenc Esterházy von Balassagyarmat wurde ohne Kopf begraben, weil die Türken den Kopf des gefallenen Fürsten als Trophäe mitnahmen.

So fielen, so starben damals die Ungarn.

Aus der heutigen slowakischen Sicht der Geschichte haben Ungarn und Slowaken in dieser Schlacht heldenhaft und Schulter an Schulter gekämpft. Dieser Zusammenhalt wäre auch heute vonnöten, weshalb eine gemeinsame Erklärung zur ungarisch-slowakischen Solidarität und Versöhnung veröffentlicht wurde. Im Geiste dieser Erklärung kam am diesjährigen Jahrestag der Schlacht eine große Busladung von Ungarn aus dem Mutterland und dem ehemaligen Oberungarn nach Nagyvezekény, um am Fuße des Löwen einen Kranz zum Gedenken niederzulegen.

Glücklicherweise kamen die an die Versöhnung glaubenden Gedenkenden zu spät zur Kranzniederlegung. Denn die sich eher nicht versöhnen Wollenden hatten

den Sockel der Statue mit einer riesigen slowakischen Flagge bedeckt und links und rechts davon zwei weitere slowakische Nationalflaggen in den Boden gesteckt, um sich den ungarischen Sieg anzuheften. Für eine ungarische Fahne oder gar einen Kranz war da kein Platz mehr geblieben.

Außerdem hätte man ihn sofort entfernt, – so die auf Erfahrungen basierende Erklärung der Einheimischen, – ebenso machte es wenig Sinn, ein ungarischsprachiges Hinweisschild am Denkmal anzubringen. Zum einen, weil der örtliche Bürgermeister nicht zustimmte, zum anderen, weil es von slowakischen Nationalisten sofort übermalt, abgerissen oder entfernt werden würde. (Ich bemerke nur leise, dass die ungarische Gedenktafel möglicherweise gar nicht angebracht werden dürfte, wenn es sich in der Slowakei um eine offizielle Gedenkstätte handelt.)

Über das Schicksal der Ungarn im historischen Oberungarn (die gesamte Slowakei heute) wird wenig gesagt.

Dabei ist dies das Gebiet, in dem die ungarische Staatlichkeit, das Königreich Ungarn, während der türkischen Besatzung der Landesmitte weiterlebte.

Hierher flohen die Institutionen aus den von den Türken besetzten Gebieten, der Landtag aus Pest und auch der Palatin aus Buda nach Pozsony (Pressburg/Bratislava), und das Oberhaupt der katholischen Kirche, der Erzbischof von Esztergom, nach Nagyszombat (heute Trnava). Die Schätze der Kirche wurden auch nach Oberungarn gebracht, die Magnaten kämpften und bluteten für bessere Zeiten… Die zahllosen Schätze der ungarischen Kultur wurden nach Oberungarn transportiert und ein großer Teil davon blieb auch dort.

Im 20. Jahrhundert wollten nicht die Slowaken das Oberungarn für sich, sondern die Tschechen, die hofften, durch die Übernahme ungarischer Gebiete einen großen tschechischen Staat zu schaffen. Der Plan entsprach den Vorstellungen der Großmächte und sie bekamen nach dem ersten Weltkrieg 61.000 Quadratkilometer des Königreichs Ungarn und mehr als eine Million einheimische ungarische Einwohner.

900.000 in Oberungarn, 180.000 in den Unterkarpaten. Das Friedensdiktat von Trianon hat auch die Unterkarpaten (heute „Karpatenukraine“) den Tschechen zugesprochen. So wurde die (Groß-)Tschechoslowakei geschaffen.

Der beste Schüler von Präsident Tomas Masaryk, Eduard Beneš (1884-1948) hat dann seinerseits alles getan, um die Ungarn loszuwerden.

Ihm verdanken wir die anti-ungarische Klein-Entente, 
die vertikalen Wahlkreise, welche die Vorherrschaft der Ungarn veränderten. 
Ihm verdanken wir die antiungarischen und antideutschen Pogrome nach dem Zweiten Weltkrieg, 
die Deportationen, 
die Vertreibung der Bevölkerung aus ihrem Heimatland, 
die Degradierung, 
die Staatsbürgerschaft zweiter Klasse, 
die Kollektivschuld. 

Die tschechischen Kommunisten versuchten, an die Tradition von Beneš anzuknüpfen. Von Beneš stammt die immer noch anhaltende Angst, die ungarische Identität anzunehmen, der Opportunismus des ungarischen Namens hinter der slawischen Schreibweise, das „Wir sind Slowaken“. Und die andauernde Angst.

Innerhalb von hundert Jahren sind fast eine halbe Million Ungarn aus dem historischen Oberungarn verschwunden, und heute machen sie nur noch acht Prozent der Bevölkerung in der Slowakei aus.

Die Ungarn sind aus den großen Städten Pozsony und Kassa, also Bratislava und Košice, verschwunden, beide Städte haben sich zu sozialistischen, slowakisch-nationalistischen Städten entwickelt. Könnte sich das noch ändern? Das Bedürfnis, in der Heimat zu bleiben, ist in einer globalisierten Welt eher verpönt. Jeder will weiterkommen, egal wo und wie. Ein Ungar aus der Slowakei sagte mir kürzlich:

Wenn Ungarn einmal reich wird, werden plötzlich viele Slowaken wieder Ungarn. So verhält es sich mit der Identität.

Ich glaube an die Bildung von Gemeinschaften. Eine Gemeinschaft wird überleben, wenn sie zusammenhält und natürlich auch eine Interessenvertretung besitzt. Es wäre gut, wenn die Ungarn in der Slowakei an die Kraft der Einheit glauben würden!

Irén Rab

Deutsche Übersetzung von Dr. Andrea Martin

MAGYARUL: https://www.magyarhirlap.hu/velemeny/20230914-mi-lesz-veled-magyar

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert