János Kádár (erster Sekretär der Kommunistischen Partei Ungarns 1956-1989) versprach seinen westlichen Geschäftspartnern – aus der Nazizeit verbliebenen ehemaligen Offizieren in der BRD und Österreich –, dass es in Ungarn auch nach einem eventuellen Systemwechsel keine Reprivatisierung mehr geben werde und nach 1989, nach dem tatsächlichen Regimewechsel, traten die Kinder von ehemaligen brutalen ÁVH-Offizieren (ungarisch-stalinistische Geheimpolizei der 50-er Jahre in Ungarn) als neue wirtschaftliche und kulturelle Elite auf. Klingt wie eine Groteske? Das ist jedoch die ungarische Realität des 20. Jahrhunderts. Zsuzsanna Borvendég, Historikerin, Autorin der Bücher „Das Zeitalter der Impexe“ und „Das Geld des Netzes“, und Gábor Mező, Journalist und Forscher, Autor von „Die geheime Geschichte des Medienraubs“, diskutierten unter der Moderation von Tamás Kötter beim Tranzit Festival in Tihany am Balaton über die kommunistischen Netzwerke.
30. August, 2021 Magyar Nemzet von TAMÁS PATAKI
Wenn Rechte über die Existenz liberaler, linker Netzwerke und deren Aktivitäten diskutieren, werden sie sofort der Anhängerschaft zu Verschwörungstheorien bezichtigt, während der führende liberale Historiker und Denker Niall Ferguson aus Oxford so argumentiert, dass
Netzwerke grundsätzlich immer „die Zukunft geschaffen“ haben, d.h. sie haben die Ereignisse von der Französischen Revolution über das Auftauchen von Lenin bis hin zu George Soros bestimmt.
„Die Stärke dieses ungarischen Netzwerks besteht darin, dass es in der gesamten ungarischen intellektuellen und politischen Elite entscheidende Personen gab und gibt, die jederzeit zielgerichtet eingesetzt werden konnten“ sagte Gábor Mező zu Beginn der Diskussion, woraufhin Tamás Kötter mit einem markigen Zitat aus Michael Corleones Film „Der Pate“ antwortete: „Unsere Freunde sind Geschäftsleute, sie sind aus geschäftlichen Interessen bei uns“, und dann fragte er, warum
zwischen 1989 und 1994 die westeuropäischen Kapitalisten ausschließlich mit den abgewählten Kommunisten Geschäfte machten
und nicht mit der regierenden, die Staatsmacht innehabenden MDF. Um dies zu verstehen, so Zsuzsanna Borvendég, müssen wir bis ins Jahr 1917 zurückgreifen.
Das bolschewistische Putschistennetzwerk hatte 1917 weder das Kapital noch den intellektuellen und sozialen Hintergrund, um den kommunistischen Staat, die Sowjetunion, aufzubauen. Diese Mission wurde vom amerikanischen Großkapital finanziert. Die Sowjetunion wurde zur totalitärsten Diktatur der Welt, mit einer strengen Hierarchie, und solche Staaten dulden keine Netzwerke, es sei denn, sie haben ihre eigenen innerhalb des Systems ausgebaut. Nur wenige wissen, dass die größte Filmfabrik der Sowjetunion von Lenin gegründet wurde und dass er viel Geld in den Aufbau der Netzwerke und in die Unterwanderung der westlichen Intelligenz gesteckt hatte. Aus Ungarn wanderten die ungarischen Bolschewiki 1919 nach dem Sturz des bolschewistischen Kommun in die weite Welt hinaus und wurden zu Schlüsselfiguren in der Komintern, die dadurch auch als ungarische Mafia bekannt wurde. All dies ist wichtig, denn Ungarn kontrollierte ab 1945 die von der Sowjetunion eingerichteten weltweiten Netze, mit Ungarn öffnete sich ein Schlupfloch im Eisernen Vorhang, dadurch stellte man den Kapitalfluss zwischen dem Westen und dem Osten sicher.
Die Mitglieder des ungarischen kommunistischen Netzwerks waren und sind mit den westlichen Finanzzentren verbunden, so dass nach dem Regime-wechsel der freie Raub unvermeidlich war,
er hätte nicht verhindert werden können, sagte Zsuzsanna Borvendég.
Gábor Mező fügte hinzu, dass es kein Zufall sei, dass am Anfang der 90er Jahre der friedliche Übergang das Schlüsselwort in der ungarischen Presse während der Zeit des „Regimewechsels“ war. Die öffentliche Meinung wurde durch die Medien manipuliert und kontrolliert, und dazu gehörte auch, dass die Privatisierung ausschließlich positiv dargestellt wurde.
Es ist bezeichnend, dass der friedliche Übergang das Schlüsselwort für den Regimewechsel war, als ob das Gegenteil vom friedlichen Übergang das Blutvergießen gewesen wäre. Das Gegenteil war aber nicht Blutvergießen, sondern „zur Verantwortung ziehen“, denn hinter den Kulissen hatte das Geschäft bereits begonnen. Tamás Molnár von der Inconnu-Gruppe wurde beispielsweise von der US-Botschaft persönlich gewarnt, sich nicht in den friedlichen Übergang einzumischen, und György Krassó – der einen Regimewechsel anderer Art anstrebte – wurde spektakulär diskreditiert und herausgedrängt.
Ein Symbol für all dies könnte die Gründung die Creditum RT in 1987 sein, zustande gekommen, um ausländische Unternehmen bei der Privatisierung Ungarns zu beraten.
Diese Finanzberatungsfirma wurde vom Sohn eines ÁVH (ung. Stasi)-Offiziers, János Komlós, dem Vater von Gordon Bajnai (späterer Ministerpräsident), einem Ingenieur und einem Philosophen geleitet. Keiner von ihnen hatte je etwas mit Wirtschaftswissenschaften zu tun.
Interessant ist auch, dass 1990 auch Ferenc Gyurcsány (auch ein späterer Ministerpräsident) als leitender Angestellter von Creditum auftrat. Wenn man sich das Netzwerk des Außenhandels anschaut, standen sie alle einem Clan, dem „Apró Clan“ – einer kryptokommunistischen Familie –, näher als der Partei. Und
wenn wir uns die damaligen prominenten Führer des SZDSZ – der angeblich liberalen Partei Ungarns – ansehen, können wir niemanden finden, dessen Vater, Mutter oder sogar beide nicht Mitglied der grausamen ÁVH (Stasi) gewesen wären,
Zsuzsanna Borvendég wies darauf hin, dass alles auf Ideologie beruhe, weshalb der Gesellschaft, die bei der Privatisierung „geholfen“ habe, Ökonomen, Juristen und Sozialwissenschaftler angehörten.
Wie unterscheidet sich die heutige Gender-Ideologie von der Ideologie der 68er? In nichts. Sie bauen immer wieder eine neue Barriere, eine neue Grenze ab, und dann gehen sie weiter, bis nichts mehr übrig ist. Die Nation ist ja a priori ein protektionistisches Konzept, weil es grundsätzlich ein nationales Interesse voraussetzt.
Deswegen hat das internationale Kapital kein Interesse an einem starken Nationalstaat.
Die ideologische Grundlage ist dieselbe, und wenn schon Privatisierung, welche Ideologie war dann die einzige wirkliche Legitimation der heimischen Linken? Der Kampf gegen Nazismus und Faschismus. Doch mit wem hat Kádár nach 1957 seine Partei aufgebaut, mit wem hat er sein Regime gefestigt?
Mit solchen hochrangigen Nazi-Offizieren machte er Geschäfte, die mit sowjetischen und amerikanischen Geheimdiensten kollaborierten, um ihre Haut zu retten.
Sehr interessant ist es auch, dass Kádár bereits 1957 versprach, dass es im Falle einer allfälligen Liberalisierung der Wirtschaft in Ungarn keine Reprivatisierung mehr geben wird, weil die Bourgeoisie in Ungarn bereits ausgerottet sei. Dies war das Versprechen, in der Zukunft den freien Raub zuzulassen, so die Historikerin.
Die Diskussion fand am 27. August 2021 beim Tranzit Festival in Tihany statt. Die Zusammenfassung der Diskussion von Tamás Pataki, Journalist erschien bei Magyar Nemzet: https://magyarnemzet.hu/belfold/2021/08/borvendeg-zsuzsanna-kadar-elvonalbeli-nacikkal-uzletelt.
Deutsche Übersetzung von Dr. Andrea Martin
Bildquelle: Magyar Nemzet