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Rücktritt der ungarischen Präsidentin

13. Februar 2024 Tichys Einblick von Boris Kálnoky

Als Folge eines Skandals um eine Begnadigung ist Ungarns Staatspräsidentin Katalin Novák zurückgetreten. Die Affaire ist wohl dem Wahlkampf zu verdanken – aber kann die Opposition von Orbáns Schlappe profitieren?

Ungarns oft totgesagte freie Medien haben zum zweiten Mal unter der Regierung von Ministerpräsident Viktor Orbán einen Staatspräsidenten zu Fall gebracht. Im Jahr 2012 musste der damalige Staatschef Pál Schmitt zurücktreten, nachdem das Orbán-kritische Wochenmagazin HVG aufdeckte, dass er Teile seiner Doktorarbeit abgeschrieben hatte. Und am 10. Februar trat Staatspräsidentin Katalin Novák zurück, nachdem das teilweise aus NGO-Zuwendungen finanzierte, scharf regierungskritische Nachrichtenportal 444.hu am 2. Februar berichtete, Novák habe im vergangenen Jahr einen Mann begnadigt, der wegen Beihilfe zur Pädofilie verurteilt worden war. Der Fall liegt fast ein Jahr zurück. Dass die Sache erst jetzt publik wurde, mag daran liegen, dass Wahlkampf herrscht – da mag jemand die brisante Information zwar schon länger besessen, aber erst jetzt abgeschossen haben.

Die auflagenstärkste Boulevardzeitung Blikk, die zugleich auch das größte Nachrichtenportal des Landes ist (im Besitz des Schweizerischen Ringier-Verlages) titelte daraufhin: „Frau Präsidentin, ziehen sie die Begnadigung zurück!” Freilich geht das juristisch gar nicht. Die Oppositionsparteien und die mit ihnen sympathisierenden Medien forderten Nováks Rücktritt, der dann auch wenig später folgte.

Der so umstritten begnadigte Mann war der stellvertretende Direktor eines Waisenhauses, der sich zwar selbst nicht an Minderjährgen verging, aber seinen Chef zu decken versuchte, als gegen diesen Pädofilie-Vorwürfe laut wurden. Für diese Beihilfe wurde er zu mehr als drei Jahren Haft verurteilt.

Nicht nur Frau Novák trat zurück. Zeitgleich verkündete die damalige Justizministerin Judit Varga, die die Begnadigung damals eingereicht und mit unterschrieben hatte, ihren Rückzug aus der Politik. Eigentlich hatte sie bei den anstehenden Wahlen zum Europaparlament die Liste der ungarischen Regierungspartei Fidesz anführen sollen. Beide Frauen waren von Fidesz über Jahre hinweg mit viel Sorgfalt als weibliche Hoffnungsträger aufgebaut worden. Beide traten sehr wirksam auch in westlichen Medien auf, und besonders Novák wurde von Opposition und Medien weit weniger kritisiert als Orbán. Sie galt als Archtektin der ungarischen Familienpolitik und wurde dafür im In- und Ausland respektiert. Der Regierungschef hat somit im politischen Poker für die nächste Zukunft zwei seiner besten Trumpfkarten verloren.

Das sagt eigentlich schon alles über den Ernst der Lage: In wenigen Monaten stehen EU- und Kommunalwahlen an. Als „professionelle Schadensbegrenzung” bezeichnete der unabhängige Analyst Gábor Török die Reaktion der Regierungspartei: Ministerpräsident Viktor Orbán erklärte kurzerhand „es gibt keine Gnade für Pädofilie”, und sagte ausdrücklich, Frau Novák trage die „politische Verantwortung” dafür, dass sie mit ihrer Entscheidung die „politische Gemeinschaft (der Fidesz-Wähler) in eine „unwürdige Lage” gebracht habe. Er kündigte eine Verfassungsänderung an, damit verurteilte Strafttäter, deren Opfer Kinder waren, künftig nicht mehr begnadigt werden können.

Danach traten Novák und Varga zurück. Er zeugt von der Autoritität des Regierungschefs, dass das alles so schnell ging, und ohne Machtkampf. Alle Beteiligten spielten diszipliniert ihre Rollen. Posthum – denn Novák und Varga sind jetzt politisch tot – wurden sie von Fidesz-Politikern und regierungsnahen Medien zu edlen Figuren erklärt, die ihrer Verantwortung gerecht wurden.

Was das alles für die Wahlen bedeutet, muss man abwarten. Ein Faktor ist, dass die Opposition nach wie vo extrem unbeliebt und zersplittert ist. Viele Ungarn waren von der merkwürdigen Begnadigung entsetzt, von dem politischen Spektakel auch (zumindest ist das der Eindruck dieses Autors nach vielen Gesprächen mit gewöhnlichen Ungarn in Budapest), aber das bedeutet noch lange nicht, dass nun massenhaft Fidesz-Wähler zur Oppositon überlaufen werden. In den jüngsten Umfragen (vor dem Skandal) lag Fidesz bei 51 Prozent der Wählersympathien bei „sicheren Wählern”, also Bürger, die sagen dass sie zur Wahl gehen werden, und auch wissen, für wen sie stimmen wollen.

Dennoch: so einen politischen Nackenschlag hat Fidesz vor einer Wahl noch nicht kassieren müssen. Zuletzt hielten es viele Beobachter für denkbar, dass die Opposition bei den Kommunalwahlen ihre Hochburg Budapest verlieren könnte, da die Fahrrad-zentrierte Verkehrspolitik des „grünen” Oberbürgermeisters Gergely Karácsony vielen Autofahrern auf die Nerven geht. Durch den Skandal könnte er aber seinen Chancen wieder verbessern. Weniger düster sieht es vielleicht bei den EU-Wahlen aus. Die abstoßende Wirkung, die die Strafpolitik der EU gegenüber Ungarn auf viele konservative Wähler hat, dürfte allein schon für einen Fidesz-Erfolg reichen.

Die Opposition wird nun versuchen, die These zu verbreiten, die ominöse Begnadigung sei auch von Orbán abgenickt worden, denn angesichts des politischen Risikos müsse er davon gewusst haben. Bislang nimmt Frau Novák alle Schuld auf sich. Eine dauerhafte Begrenzung des politischen Schadens wird (auch) davon abhängen, dass sie diese Rolle weiter spielt – und dass es keine weiteren Enthüllungen zu dem Fall gibt.

Autor, Boris Kálnoky ist Journalist, Leiter der Medienschule des Mathias Corvinus Collegiums

Fortsetzung des Geschehens: https://www.tichyseinblick.de/kolumnen/aus-aller-welt/orban-unter-druck-ungarn/

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