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Rede von Viktor Orbán auf dem Heldenplatz, am 16. Juni 1989

19. Juni 2022 Viktor Orbáns Rede bei der Bestattung von Imre Nagy, 1989

Am 16. Juni 1989 fand die Neubestattung des in 1958 hingerichteten Ministerpräsidenten Imre Nagy und seiner Martyrerkameraden in Budapest statt. Viktor Orbán, der junge Politiker von FIDESZ (Bund der Jungen Demokraten), sprach bei der Trauerfeier auf dem Heldenplatz für Imre Nagy und seine Weggefährten. Er stellte unter anderem die Forderung nach dem Abzug der sowjetischen Truppen. Es war eine mutige Rede in einer entscheidenden und nicht ungefährlichen Situation.
Viktor Orbán, 1989

Mitbürger!

Seit der russischen Besetzung und der Einführung der kommunistischen Diktatur vor vierzig Jahren hatte die ungarische Nation nur einmal die Möglichkeit, hatte sie nur einmal genügend Mut und Kraft dazu, zu versuchen, die 1848 festgeschriebenen Ziele, die nationale Unabhängigkeit und die politische Freiheit, zu erringen. Unsere Ziele haben sich bis heute nicht geändert, auch heute lassen wir nicht von [18]48 ab und so lassen wir auch nicht von [19]56 ab.

Die Jugendlichen, die heute für die Verwirklichung einer europäischen bürgerlichen Demokratie kämpfen, beugen ihr Haupt aus zwei Gründen vor dem Kommunisten Imre Nagy und seinen Weggefährten.

Wir ehren in ihnen die Staatsmänner, die sich mit dem Willen der ungarischen Gesellschaft identifizierten, die, um dies tun zu können, fähig waren, mit den heiligen kommunistischen Tabus aufzuräumen, also mit dem unbedingten Dienst für das russische Reich und mit der Diktatur der Partei. Sie sind für uns die Staatsmänner, die auch im Schatten des Galgens nicht bereit waren, mit den die Gesellschaft dezimierenden Mördern in einer Reihe zu stehen, und die auch für den Preis ihres Lebens die Nation, die sie akzeptierte und die ihr Vertrauen auf sie setzte, zu verleugnen.

Von ihrem Schicksal haben wir gelernt, dass Demokratie und Kommunismus unvereinbar sind.

Wir wissen wohl, dass die Mehrzahl der Opfer der Revolution und der Vergeltung Jugendliche in unserem Alter und Jugendliche wie wir waren. Den sechsten Sarg erachten wir aber nicht nur deshalb für den unseren. Bis zum heutigen Tag ist 1956 die letzte Chance gewesen, dass unsere Nation den Weg der westlichen Entwicklung betritt und wirtschaftlichen Wohlstand schafft.

Die heute auf unserer Schulter lastende Konkursmasse ist eine direkte Folge davon, dass unsere Revolution im Blut erstickt wurde und wir in jene asiatische Sackgasse zurückgedrängt wurden, aus der wir jetzt erneut versuchen, einen Ausweg zu finden.

In der Tat nahm uns, der heutigen Jugend, damals im Jahre 1956 die Ungarische Sozialistische Arbeiterpartei (MSZMP) unsere Zukunft. Deshalb liegt im sechsten Sarg nicht nur ein ermordeter Jugendlicher, sondern es liegen dort auch die anschließenden 20 oder wer weiß wie viele unserer Jahre.

Freunde!

Wir Jungen verstehen sehr viel nicht, was für die älteren Generationen vielleicht natürlich ist. Wir stehen verständnislos vor der Tatsache, dass denjenigen, die die Revolution und ihren Ministerpräsidenten vor Kurzem noch im Chor schmähten, heute unerwartet einfällt, dass sie die Fortsetzer der Reformpolitik von Imre Nagy sind. Wir verstehen auch nicht, dass sich die Partei- und Staatsführer, die einst verordneten, dass man uns die Revolution aus gefälschten Geschichtsbüchern beibrachte, heute beinahe danach drängen, diese Särge – wie einen Glück bringenden Talisman – zu berühren. Wir sind der Meinung, dass

wir ihnen nicht dankbar dafür sein müssen, dass wir nach einunddreißig Jahren unsere Toten bestatten dürfen, sie verdienen keinen Dank dafür, dass heute bereits unsere politischen Organisationen tätig sein können.

Es ist kein Verdienst der ungarischen politischen Führung, dass sie heute gegenüber denjenigen, die Demokratie und freie Wahlen fordern, nicht mit ähnlichen Methoden wie Pol Pot, Jaruzelski, Li Peng oder die Gruppe um Rákosi auftritt – obwohl sie es aufgrund des Gewichts ihrer Waffen tun könnten.

Mitbürger!

Heute, dreiunddreißig Jahre nach der ungarischen Revolution und einunddreißig Jahre nach der Hinrichtung des letzten verantwortlichen ungarischen Ministerpräsidenten, haben wir die Chance, all das auf friedliche Weise zu erreichen, was die Revolutionäre von 1956 in blutigen Kämpfen, wenn auch nur für ein paar Tage, der Nation verschafften.

Wenn wir an unsere eigene Kraft glauben, dann sind wir fähig, der kommunistischen Diktatur ein Ende zu bereiten, wenn wir genug entschlossen sind, dann können wir die herrschende Partei dazu drängen, sich freien Wahlen zu unterwerfen.

Wenn wir die Ideen von 1956 nicht aus den Augen verlieren, dann können wir uns selbst eine Regierung wählen, die sofortige Verhandlungen über den unverzüglichen Beginn des Abzugs der russischen Truppen in Gang setzt. Wenn wir genug Wagemut besitzen, dass wir all das wollen, dann, aber nur dann können wir den Willen unserer Revolution vollenden.

Niemand soll glauben, dass der Parteistaat sich von selbst verändern wird.

Erinnern wir uns: Am 6. Oktober 1956, am Tage der Bestattung von László Rajk, verkündete die Tageszeitung der Partei Szabad Nép [Freies Volk] in dicken Buchstaben auf ihrer Titelseite: Niemals wieder! Es vergingen nur drei Wochen und die kommunistische Partei ließ ihre Kaderkumpane von der ÁVH [Staatsschutzbehörde] auf friedliche, unbewaffnete Demonstranten schießen. Keine zwei Jahre vergingen und die MSZMP [Ungarische Sozialistische Arbeiterpartei] ließ Hunderte von unschuldigen Menschen, darunter ihre eigenen Genossen, in Schauprozessen, die demjenigen von Rajk ähnlich waren, zum Tode verurteilen.

Wir begnügen uns nicht mit den zu nichts verpflichtenden Versprechen der kommunistischen Politiker, wir müssen erreichen, dass die herrschende Partei – selbst wenn sie das wollte – keine Gewalt gegen uns anwenden kann.

Nur auf diese Weise können wir neue Särge und verspätete Beerdigungen, die der heutigen ähnlich sind, vermeiden.

Imre Nagy, Miklós Gimes, Géza Losonczy, Pál Maléter und József Szilágyi und Hunderte von unbekannten Helden ließen ihr Leben für die ungarische Unabhängigkeit und Freiheit. Die ungarischen Jugendlichen, für die diese Ideen auch heute noch unverletzlich sind, verbeugen ihr Haupt vor ihrem Andenken.

Ruht in Frieden!

Deutsche Übersetzung: https://www.herder-institut.de/digitale-angebote/dokumente-und-materialien/themenmodule/quelle/1548/details/2349.html

3 Kommentare

  1. „Siehe, ich sende euch wie Schafe mitten unter die Wölfe; darum seid klug wie die Schlangen und ohne Falsch wie die Tauben.“ (Matth. 10,18)
    Mutig wie die Löwen, hatte Jesus nicht erwähnt, weil für Juden vor 2000 Jahren normal.
    Diese Eigenschaften hat V. Orban seit 1989 bewahrt und verstärkt. Besonders Deutschland hat ihm dafür zu danken.

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