Ministerpräsident Viktor Orbán bei der Veranstaltung der Ungarischen Industrie- und Handelskammer (MKIK) zur Jahreseröffnung der ungarischen Wirtschaft.
4. Februar 2021 Ein Bericht von ANDREA MARTIN
Das politische Jahr beginnt in Ungarn relativ unpolitisch mit der Rede des Ministerpräsidenten Viktor Orbán vor der Industrie- und Handelskammer. Dieses Jahr nur online. Deswegen vermisst man die Sprachwitze, die nur vor und mit Publikum wirken können. Dadurch gelingt die Rede etwas zu ernst, aber vielleicht spielt die nicht gerade rosige Corona-Lage dabei auch eine Rolle.
Eine Zusammenfassung
Das Jahr 2020 begann mit großen Hoffnungen. Vor der Epidemie war das Staatsdefizit in Ordnung, die Beschäftigung war hoch, die Staatsverschuldung ging zurück, die Arbeitslosigkeit war niedrig, die Armut sank. Nach dem Pandemieausbruch vor einem Jahr wurde unverzüglich ein Aktionsplan zum Schutz der Wirtschaft verabschiedet. Er beinhaltete ein Kreditmoratorium, welches ca. 50.000 Unternehmern und einer Million Haushalten zugute kam. Es wurden Lohnkostenzuschüsse gezahlt. Bestimmte soziale Abgaben wurden abgeschafft, die Hälfte der Gewerbesteuer wurde erlassen. Etwa 280.000 Arbeitsplätze konnten durch diese Maßnahmen erhalten werden. Die Flexibilisierung der Széchenyi Karte sowie günstigere Kredite halfen mehrheitlich Kleinst- und Kleinunternehmen. Demzufolge arbeiteten im Dezember 2020 in Ungarn genau so viele Menschen, wie ein Jahr zuvor! Rund 4,5 Millionen sind in Ungarn erwerbstätig. (Bevölkerung: 9,8 Millionen).
Damit erreicht das Land im Pandemiejahr den 3. Platz in der EU.
Die ungarische Regierung erlag nicht dem Ruf nach mehr Sozialhilfe. Das hätte die Rückkehr zur auf Hilfe basierenden Wirtschaft bedeutet. Die arbeitsbasierte Wirtschaft blieb erhalten. Die brieflich abgehaltene „Nationale Konsultation“ (der gemeinsame Verständigungspunkt zwischen Regierung und Bevölkerung) im August zeigte, welche Richtung die Pandemiebekämpfung nehmen sollte. Es ist für die Menschen erträglich, Theater, Kinos und Restaurants zu schliessen. Es ist jedoch unerträglich, Schulen zu schließen. Deswegen wurden nur die Gymnasien geschlossen, dort sind die Kinder zw. 14 -18 Jahren, die ohne elterliche Aufsicht zu Hause bleiben können.
Die Ersparnisse der privaten Haushalte sind im Pandemiejahr gestiegen.
Die Investitionsquote steht an der Spitze der EU.
Die pandemiebedingten Einschränkungen waren nicht unstet, wie in vielen Ländern Europas. Das ungarische System ist seit Anfang November stabil, die Vorschriften blieben gleich. Entscheidender Punkt ist, dass es ab Januar 2021 Impfstoff gibt. Mitte Februar wird erneut eine „Nationale Konsultation“ zur Öffnungsstrategie organisiert. Aus Zeitmangel diesmal online. Woher der Impfstoff selbst kommt, spielt keine Rolle. „Die Farbe der Katze ist uninteressant, so lange sie Mäuse fängt.”
Der Neustart der Wirtschaft wird in mehreren Stufen erfolgen:
- Die Mehrwertssteuer für den Wohnungsbau wird auf 5 Prozent gesenkt.
- In 2021 sollten mindestens 20.000 Wohnungen gebaut werden. Das Ziel sind jedoch später vierzigtausend Neubauwohnungen jährlich.
- Für Wohnungsrenovierung wird ein Kredit mit ermäßigten Zinssätzen bereitgestellt, unter bestimmten Umständen müssen davon 3 Millionen Forint gar nicht zurückgezahlt werden.
- Die 13. Rentenzahlung, welche die Sozialisten vor 2010 abgeschafft haben, wird stufenweise wieder eingeführt.
- Unter 25 Jahren wird die Einkommensteuer ganz abgeschafft, diese Steuerfreiheit soll den jungen Erwachsenen helfen, sich auf eigene Beine zu stellen.
- Neue Darlehen sind in Vorbereitung für die Kleinstunternehmen: 10 Millionen Forint (ca. 28.500 Euro) für 10 Jahre, zinslos und mit 3 Jahren Moratorium bei der Rückzahlung. Das ist gedacht für solche Mikrounternehmen, welche nach der Pandemiekrise ihr kleines Geschäft wieder auf die Beine stellen wollen.
- Nach Ostern werden nach und nach etwa 1500 – 2000 Milliarden Forint (etwa 4-5 Milliarden Euro) für die Entwicklung der Hochschulen und Universitäten bereitgestellt. Das bekommen die Hochschulen, welche in der neuen, – effizienteren – Struktur arbeiten.
Ab Juli wird mit größeren Investitionen des Staates zu rechnen sein, die alle in Richtung grüne Energie, grüne und nachhaltige Wirtschaft, vollständige Digitalisierung zeigen. In diesen Feldern ist Ungarn ganz eng mit der EU verbunden und einig. Was Familienschutz und Migration betrifft, werden Meinungsverschiedenheiten mit den Politikern und Bürokraten in Brüssel erhalten bleiben.
Bis Herbst ist ein Strategiepapier für die langfristige Förderung der Agrarwirtschaft und der ländlichen Entwicklung geplant.
Laut vorläufiger UNO-Statistik liegt der Weltdurchschnitt bei Investitionen 2020 bei minus 42 Prozent,
die Investitionsquote in Ungarn ist jedoch um 140 Prozent gestiegen.
In der Pandemie geschlossene Fabriken suchen nach neuen Standorten auf der ganzen Welt. Für die neuen Standorte ist ein Wettbewerb in der Welt entbrannt. Deswegen benötigt Ungarn ein robustes Investitionsförderprogramm.
Gerade bei der Wirtschaft ist der Unterschied zwischen der linken und rechten Programmatik gut ersichtlich. Die Linke ist immer für mehr staatliche Umverteilung, für Steuererhöhung, für mehr Sozialhilfe. Das ist nicht der Weg der Regierung Ungarns. Ungarn baut auf eine Gesellschaft, in der die Menschen arbeiten und keine Sozialleistungen beziehen.
„Wenn man Arbeit hat, hat man alles“
pflegt Orbán zu sagen. Die Deutschen haben zahlenmäßig die meisten Investitionen 2020 getätigt. Wertmäßig hat wiederum China das meiste investiert aber die meisten Arbeitsplätze haben die Investitionen der USA geschaffen. Mit 681 Milliarden Forint verantwortet Korea momentan die größte jemals in Ungarn auf der grünen Wiese getätigte Investition.
Die Automobilindustrie ist ein wichtiger Teil der ungarischen Wirtschaft – sie verändert sich weltweit drastisch. Man muss mutig sein beim Umstieg auf die Elektroautos. Die neue Fabrik von BMW in Debrecen wird hoffentlich auch in diese Richtung weisen.
Ungarn hat eine stark exportorientierte Wirtschaft. Jede Art von Isolation widerspricht dem ungarischen Interesse. Man muss Teil der Weltwirtschaft sein und bleiben. Das Land hat im Pandemiejahr 100 Milliarden Euro (ohne Rohstoffe, welche es seit 1920 in Ungarn nicht mehr gibt) exportiert. Damit ist das bevölkerungsmäßig auf dem 94. Platz der Welt stehende Land auf dem 34. Platz unter den Exportnationen der Welt. Das ist eine fantastische Leistung der Menschen in Ungarn.
Über das negative Wachstum im Jahr 2020 ist noch keine endgültige Prozentzahl vor dem 16. Februar zu erwarten. Vorläufig sieht man etwa 5-6 Prozent Rückgang. Die relative Position Ungarns innerhalb Europas wird sich dadurch wahrscheinlich etwas verbessern.
Über welche ungarische Wirtschaft redet man, wird Orbán oft gefragt. Die Wirtschaft im Land oder welche sich tatsächlich im ungarischen Besitz befindet. Das ungarische Eigentum an der Wirtschaft sollte Orbáns Meinung nach an bestimmten Industrien über fünfzig Prozent betragen. Das war in seinem Plan 2010 bereits enthalten. Von vier Kategorien ist dieses Ziel bei drei erreicht worden. Energie in 2010 29%, in 2020 59% in ungarischer Hand. Banken von 40% auf 57%, Medien von 34% auf 55%. Der Einzelhandel im Ladengeschäft (Lebensmittelindustrie) ist jedoch noch unter 50%. Die ausländischen Firmen sind noch in der Mehrzahl. Weitere Branchen, welche stark weiterentwickelt werden sollen: Informationstechnologie, Baustoffindustrie, Eisenbahntriebwagen. Bei letzterem hat Ungarn mit Ganz-Mávag eine ansehnliche Tradition.
Wovon hängt der Erfolg einer Wirtschaftspolitik ab? Laut Orbán von drei Faktoren.
Erstens: von den Arbeitenden.Sie sollen präzise, lernbegierig und selbstbewusst sein. Wie die Werktätigen, so das Land.
Zweitens: von den Unternehmern – darüber sollte besser die Industrie- und Handelskammer selbst urteilen. Sie sollten aber innovativ, schockresistent, und ja, ungarisch sein. Letzteres bedeutet: wenn es ihnen gut geht, sollten sie auch an das Land denken und entsprechend Opfer bringen.
Drittens: von den Wirtschaftspolitikern. Sie sollten mutig, berechenbar, und teamfähig sein.
Begleitend sollte die Nationalbank eine exzellente Führung haben, letzteres ist in Ungarn gesichert.
Sobald das alles zusammen vorhanden ist, sollte der Ministerpräsident das Ganze nicht verderben. Er soll also auf die Klügeren hören. Unter anderem auf die Industrie und Handelskammer. Genau deswegen plant Orbán eine neue politische Vereinbarung mit der Kammer.