2. November 2025 Budapester Zeitung von Rainer Ackermann
Am ungarischen Nationalfeiertag, dem 23. Oktober, gedachten die verschiedenen Parteien in eigenen Veranstaltungen an das Jahr 1956. Die Gedenkfeier drehte sich jedoch eher um den Wahlkampf für die Wahlen im April 2026. In diesem Beitrag sind die Gedanken dreier Parteien zu lesen.
Tisza-Partei: Politik muss wieder gerecht und ehrlich sein
Die Tisza-Partei hatte zu einem „nationalen Marsch“ über die Prachtstraße Andrássy út zum Heldenplatz aufgerufen, Zehntausende folgten. Auf der Wegstrecke waren Installationen zu sehen, um die Straßenkämpfe vom revolutionären Herbst vor knapp 70 Jahren in Erinnerung zu rufen und mit Fotos der Opfer zu mahnen.

Eine Botschaft an die Zukunft
„Die Revolutionäre von 1956 wollten nicht mehr, als frei in ihrer eigenen Heimat zu leben“, sagte Péter Magyar. Nach dem 4. November schien der Freiheitskampf niedergerungen, tatsächlich aber triumphierte die ungarische Seele, denn die in jenen Tagen entzündete Flamme der Freiheit erlosch nie mehr. „Der 23. Oktober ist deshalb auch eine Botschaft an die Zukunft, dass es immer Menschen geben wird, die an die Freiheit glauben und dafür eintreten wollen. Der Geist von 1956 erwachte auf diesem Platz im Sommer 1989 zu neuem Leben, als ein junger Mann auf den Treppen der Kunsthalle die Sehnsüchte von Millionen auszusprechen wagte“, verwies der Tisza-Chef auf die damalige flammende Rede des heutigen Ministerpräsidenten Viktor Orbán.
Der loyalste Verbündete des Kreml
Magyar bezeichnete es als tragische Ironie, dass ausgerechnet jener Politiker, der einst den Abzug der Sowjettruppen aus Ungarn forderte, heute der loyalste Verbündete des Kreml sei. „Orbán hat nun selbst ein System installiert, dass die Macht zentralisiert, die Medien kontrolliert und das Land in Angst hält.“ Dabei fürchteten sich die Machthaber selbst vor dem Volk, und zwar so sehr, dass ihre Behörden dem heutigen Oppositionsführer verwehrten, seine Rede ebenso wie einst auf den Stufen der Kunsthalle zu halten.
In einem freien Land aufwachen
Der Vorsitzende der mit Abstand größten Oppositionspartei teilte in seiner langen Rede an beide Seiten aus und versprach: „Am 12. April 2026 beenden wir ganz offiziell die 20 Jahre Gyurcsány und Orbán und damit das Zeitalter von Zynismus, Angst und Lügen.“ Dann werden die Ungarn in einem freien und frohgelaunten Land aufwachen, in dem die Politik wieder gerecht, ehrlich und nützlich sein wird. Bis zum 4. November verharrt das Land im Gedenken an „die Helden der reinsten Revolution in der Weltgeschichte“. Am 5. November beginne die Tisza-Partei unter seiner Führung eine neue Rundreise durchs Land, um den „Weg zum Wahlsieg 2026“ zu ebnen, kündigte Magyar abschließend an.
Mi Hazánk: An der Wiege des nationalen Radikalismus
Die Mi Hazánk hielt ihre Festveranstaltung am Nationalfeiertag des 23. Oktober schon traditionell im Corvin köz ab, wo in den blutigen Tagen im Herbst 1956 besonders viele junge Menschen ihr Leben für die Freiheit, gegen den Stalinismus gaben. Der Parteichef und Spitzenkandidat für das Amt des Ministerpräsidenten, László Toroczkai schrieb jenen, die vor wenigen Jahrzehnten der Sowjetunion und heute der „Brüsseler Union“ dienten, den Charakter von Weichtieren zu. „Nur die Mi Hazánk kann Ungarn wiederauferstehen lassen, denn wir sind die einzige politische Kraft, die jede globalistische Wirtschaftspolitik im Dienste der Imperien rundheraus ablehnt.“ Die neu entstehende multipolare Weltordnung komme diesen Bestrebungen entgegen, „denn wir Ungarn haben in Jahrhunderten einen reichen Erfahrungsschatz angehäuft, zwischen den Großmächten zu lavieren“.

Rechte wollen an die Regierung
Toroczkai erklärte, nach den Parlamentswahlen 2026 dürften drei Formationen über die Zukunft des Landes bestimmen. Unter diesen sei der Fidesz seit der „geraubten Wende“ präsent, der sichtbar wenig gegen den Globalismus unternommen habe. Die Tisza-Partei wiederum verfolge eine „unverfälscht liberal-globalistische Politik, die gegen die Nation gerichtet ist“. Könnte die Mi Hazánk in Regierungsverantwortung gelangen und zugleich die Hauptstadt führen, würden die Rechten Ungarn zum „besten Ort auf Erden“ machen.
Für Glauben, Heimat und Familie
Parteivize Dóra Dúró stellte den Anhängern die 106 Mi Hazánk-Politiker vor, die in den einzelnen Wahlkreisen antreten werden. Sie rechnet mit einem schmutzigen Wahlkampf, in dem es Versuche geben werde, das Lager der Rechten zu spalten, die Existenz dieser dritten Kraft zu negieren und ihr Programm zu verschweigen. „Wir kämpfen für ein Ungarn, in dem Glauben, Heimat und Familie wieder Werte sind. Es wird nicht besser, wenn wir den alten durch einen neuen Fidesz ablösen!“
„Dafür haben wir nicht gekämpft!“
Der Co-Vorsitzende der revisionistischen Jugendbewegung der Vierundsechzig Burgkomitate (HVIM), Gábor Barcsa-Turner, nannte das Corvin köz, wo die ungarische Jugend ihren kompromisslosen Kampf gegen eine vielfache Übermacht führte, „die Wiege des nationalen Radikalismus“, und stellte klar: „Wir sind radikal, weil wir zu traditionellen Werten zurückkehren wollen, aber wir sind nicht extremistisch!“
Der 1956er Veteran András Pongrátz fragte, wie man es Freiheit nennen könne, wenn die Banken die Ungarn skrupellos ausrauben. „Wir haben 1956 nicht für diese Freiheit gekämpft!“
DK-Vorsitzende: „Auf der richtigen Seite der Geschichte“
Das sagte die DK-Vorsitzende Klára Dobrev zum Nationalfeiertag des 23. Oktober. Es sei der Feiertag der ungarischen Unabhängigkeit und Freiheit, „ein Festtag des Volkes, das genug hatte von der russischen Besatzung, deren hiesigen Lakaien und einer Diktatur, die gemeinsam von den Russen und ihren ungarischen Statthaltern aufrechterhalten wurde“.

So hätten sich die Ungarn nicht allein gegen fremde Unterdrücker aufgelehnt, sondern auch gegen die eigenen, „in dem Wissen, dass Freiheit und Unabhängigkeit nur gemeinsam existieren können“, meinte die linksliberale Europaabgeordnete, die versprach, das Andenken an die Helden von 1956 zu bewahren. „Wir werden uns nicht prinzipienlos dem Putin-Russland ergeben, unsere Landesfarben Rot-Weiß-Grün nicht gegen eine weiße Fahne eintauschen.“ Aber so wie die ungarische wolle die DK auch die EU-Flagge nicht aufgeben. Ihre Partei lehne einen Einparteienstaat genauso ab wie alle Unterstellungen, Ungarn sei eine russische Kolonie. Dobrev wiederholte ihre Anschuldigungen, wer für Putin in der EU spioniere, verrate die ungarischen Interessen.
Zum 14. Geburtstag der am 22. Oktober 2011 als Abspaltung der sozialistischen MSZP durch ihren Ex-Ehemann Ferenc Gyurcsány gegründeten DK meinte deren Vorsitzende, sie waren von Anfang an „europäische Demokraten, auf der richtigen Seite der Geschichte und die entschiedensten Gegner des Orbán-Systems“. Um dieses System zu stürzen und eine echte politische Wende einzuleiten, reiche die DK allen die Hand, die drei Bedingungen erfüllten: Der Partner müsse ebenfalls eine wirkliche Wende wollen, müsse akzeptieren, dass die Linke am Regierungswechsel beteiligt wird, und müsse ein erkennbares Wählerlager hinter sich haben.
Quelle: Budapester Zeitung