2. Dezember 2022 Auszug aus der Rede von Viktor Orbán Miniszterelnok.hu
Das Széchenyi-Kartenprogramm ist 20 Jahre alte Darlehensform, mit dem Ziel möglichst vielen Klein- und Mittelunternehmen Zugang zu Krediten zu verschaffen, vor allem durch staatliche Zinszuschüsse. Die subventionierten Darlehen werden größtenteils mit Hilfe der Europäischen Union ausgezahlt. Der ungarische Ministerpräsident Viktor Orbán hielt am Dienstag eine Rede anlässlich der Feierlichkeiten zum 20-jährigen Bestehen des Széchenyi-Kartenprogramms. Er sprach auch über die aktuellen und zukünftigen Herausforderungen für die ungarische Wirtschaft und den Staat aufgrund der Energiekrise.
Meine sehr geehrten Damen und Herren!
Wir sind heute zusammengekommen, um die kontinuierliche Arbeit und deren Früchte zu feiern. Ich gratuliere den Unternehmern im Voraus, die ausgezeichnet werden, und ich möchte jenen für ihre Arbeit danken, die es ermöglicht haben, dass diese Unternehmen im Rahmen des Széchenyi-Kartenprogramms eine Unterstützung erhielten. Seit der Einführung im Jahr 2002 sind im Rahmen des Széchenyi-Kartenprogramms 559.000 Kreditanträge eingegangen und fast 390.000 Kredittransaktionen abgeschlossen worden, wodurch ungarische KMU Zugang zu mehr als 4.600 Mrd. HUF (11,2 Mrd. EUR) an Vorzugsfinanzierung erhielten.
In diesem Jahr haben wir das Széchenyi-Programm mit 130 Milliarden Forint seitens des Budgets unterstützt und das ungarische Budget wird nächstes Jahr, 2023 dieses Programmpaket mit 290 Milliarden Forint unterstützen. (…)
(…) Zunächst einmal kann es uns Freude bereiten, dass man von der Rezession verschont bleiben kann. Doch bereits der Gedanke, dass man von der europäischen Rezession verschont bleiben kann, schon dies kann uns mit Freude erfüllen. Mit Freude kann uns auch erfüllen, dass man vom Krieg verschont bleiben kann. Mit Freude kann uns auch erfüllen, dass wir uns zum Ziel setzen, dass von Dezember zu Dezember gerechnet die Inflation bis Ende 2023 einstellig sein soll. Freude kann auch bereiten, dass wir uns zum Ziel setzen und es auch für möglich halten, dass man auch in einer solchen Situation die Familien vor den riesigen Nebenkosten schützen kann.
Wir stehen vor einem Jahr, in dem diese Zusammenarbeit sehr notwendig sein wird, d.h. ohne einen starken, zum richtigen Zeitpunkt und richtig handelnden Staat wird die ungarische Wirtschaft 2023 nicht erfolgreich sein, ja sehr viele Unternehmer und Unternehmen können ohne solch eine Zusammenarbeit auch gar nicht überleben.
Wir sind in eine Energiekrise geraten, die mit dem raschen Abbau der gesamten europäischen Industrie droht.
Dies hört sich im ersten Augenblick vielleicht wie ein übertriebener Satz an, doch wenn Sie die Wirtschaftsanalysen von Ländern lesen, die reicher und stärker als wir sind, dann können Sie sehen, dass heutzutage sehr wohl das wichtigste Thema z.B. in Deutschland aber auch in anderen Ländern westlich von uns ist, ob diese jetzige Energiekrise nicht den sprunghaften Abbau der europäischen Industrie mit sich bringt. Hinzu kommt noch, dass diese Herausforderung, diese Bedrohung uns in einem Zeitraum erreicht, d.h. die europäischen Wirtschaften erreicht, in dem wir die Tage eines seit längerem andauernden Verlustes der Wettbewerbsfähigkeit erleben.
Nur in der Sprache der Zahlen dies herbeizitierend: 1990 machte das GDP der Europäischen Union noch 24 Prozent der Weltwirtschaft aus. 1990! Dies ist zwanzig Jahr später, 2010 auf 21 gesunken und jetzt beträgt dieser Wert 2022 nur noch 16 Prozent und zeigt eine abnehmende Tendenz. Laut den Vorhersagen können im kommenden Jahrzehnt im Vergleich zu den vorhergehenden Jahrzehnten die Wachstumsaussichten der EU um mehr als die Hälfte abnehmen.
Und hier steht vor uns ein großes intellektuelles Rätsel.
Die europäische Wirtschaft besaß eine Struktur, deren Achse die Zusammenarbeit mit Russland war, im Rahmen welcher Zusammenarbeit wir aus dem Osten billige Energie und beinahe unbegrenzte Rohstoffe in die europäische Wirtschaft einbeziehen konnten, im Gegenzug brachten wir Technologie nach Russland.
Dies hatte Abhängigkeit, wenn auch gegenseitige Abhängigkeit, ein Gleichgewicht und insgesamt ein europäisches Wirtschaftswachstum zum Ergebnis. Das ist jetzt vorbei. Es ist zerfallen, man hat es zerschlagen, man hat es abgetrennt, nennen wir es, wie wir wollen, aber dieses Modell hat aufgehört zu existieren. Aber es hat nicht auf die Weise aufgehört zu existieren, dass anstelle eines durchdachten, gut ausgedachten Modells wir zu einem anderen übergegangen wären, sondern wir haben das eingestellt und wir wissen nicht, was danach kommt. Jetzt sind wir also hinsichtlich des Jahres 2023 in der Situation,
dass ganz Europa sich ausdenken muss, mit was für einem System es die heuer liquidierte europäische Wirtschaftsstruktur ersetzen möchte.
Und wenn das nicht genug sein sollte, wenn dieses Bild nicht ausreichend düster sein sollte, dann nenne ich hier auch noch jene Diskussionen, die heutzutage darüber geführt werden, ob man nicht auch die wirtschaftlichen Beziehungen zwischen Europa und China lockern oder zurückhalten müsste. Na, wenn wir auch noch damit die europäischen Wirtschaften belasten, dann ist es keine Frage, dass es schwer sein wird, ein derartiges neues Modell zu finden, in dem es weder Russen noch Chinesen gibt und das trotzdem für die Europäische Union gut ist.
Meine sehr geehrten Damen und Herren!
Was uns, Ungarn, in diesem europäischen Zusammenhang angeht, so ist die größte Arbeit, in der wir jetzt gemeinsam mit dem Herrn Finanzminister begriffen sind, das Budget für 2023. Dieses Budget wurde am ersten Juli angenommen, doch seitdem ist in der ungarischen und in der europäischen Wirtschaft das eine und das andere passiert, wir müssen also das Budget an die gegenwärtige Gefahrsituation anpassen.
Da es keine neue europäische Wirtschaftsstruktur gibt, dürfen wir uns auf niemanden anderen als auf uns selbst verlassen.
Wir müssen also für uns ein eigenes Rettungsboot für das Jahr 2023 finden. Wir müssen ein eigenes Rettungsboot für Ungarn, für die ungarische Wirtschaft bauen. Ein Rettungsboot, das zugleich in der Lage ist, die Bevölkerung vor dem unkontrollierten Anstieg der Energie- und Lebensmittelpreise zu schützen sowie in der Lage ist, die Funktionsfähigkeit der ungarischen Firmen aufrechtzuerhalten. Die gute Nachricht ist, wenn wir nach dem wirtschaftlichen Leitfaden für das Jahr 2023 suchen, dass es uns zwischen 2015 und 2021 regelmäßig gelungen war, das Wachstum der Europäischen Union um mehr als das Doppelte zu übertreffen. Es gibt also in der ungarischen Wirtschaft Dynamik, wenn ich den Durchschnitt der Europäischen Union als Vergleichsgrundlage nehme. Wenn eine Wirtschaft in der Lage ist, zweimal so schnell zu wachsen wie die sie umgebende Welt, der größere einheitliche Markt, dessen Teil sie ist, dann verfügt diese Wirtschaft über Dynamik.
Die schlechte Nachricht ist aber, dass drei Dinge, die Energie, die Inflation und die Zinsen auch uns, Ungarn, treffen werden. Die Energie ist die größte Angelegenheit und die schwierigste Herausforderung. Damit sie das gesellschaftliche Gewicht dessen verstehen, in dem heutigen, bereits veränderten
System der Unterstützung für Nebenkosten gibt im Durchschnitt das ungarische Budget in jedem Monat jedem Haushalt 180 tausend HUF (450 Euro). Wenn wir diese monatliche Ergänzung nicht geben würden, dann wäre die Energierechnung jeder ungarischen Familie um diese Summe höher.
Wenn wir die vergangenen zwölf Jahre in Ungarn nicht nur aus wirtschaftlicher, sondern auch aus gesellschaftlicher Perspektive zu verstehen versuchen, dann war das größte Ergebnis dieser zwölf Jahre für Ungarn, den Menschen in dem unteren vier Zehntel der Gesellschaft die Möglichkeit zu eröffnen, in die Mittelklasse aufzusteigen. Diese Familien werden dorthin zurückfallen, wo sie 2010 waren, wenn wir sie nicht vor den hohen Nebenkosten schützen können. Und für die untere Mittelklasse wird die Möglichkeit voranzukommen sich verflüchtigen, wofür wir doch zwölf Jahre hindurch hart gearbeitet haben. Deshalb ist, auch wenn man ökonomisch gesehen infrage stellen kann, ob die Aufrechterhaltung so eines Systems der Unterstützung für Nebenkosten eine richtige Sache ist, so ist dies aus gesellschaftlicher Perspektive nicht anzweifelbar.
Deshalb ist es auch der Ausgangspunkt des Budgets des nächsten Jahres, dass wir diese Unterstützung bewahren und gewähren müssen. Die Folgen dessen sind finanziell äußerst schwerwiegend. Ich nenne nur einige Zahlen. 2021 kostete der Energieimport des gesamten ungarischen Lebens – der Wirtschaft und der Haushalte gemeinsam –, denn die ungarische Wirtschaft ist auf den Energieimport angewiesen, insgesamt 7 Milliarden Euro. Das ist 2022 auf 17 Milliarden Euro gestiegen. Und im kommenden Jahr wird er irgendwo zwischen 17 und 20 Milliarden liegen.
Das bedeutet nur in diesem Jahr, dass man von irgendwoher 10 Milliarden Euro hervornehmen muss. Und dies bedeutet, gerechnet mit 400 HUF, was unter den gegenwärtigen Bedingungen eine optimistische Kalkulation ist, 4.000 Milliarden Forint.
Die ungarische Wirtschaft 4.000 Milliarden Forint unverschuldet verliert, nur weil der Preis der Energie gestiegen ist. Energie der gleichen Menge und in der gleichen Qualität müssen wir um 10 Milliarden Euro, d.h. um 4.000 Milliarden Forint mehr im kommenden Jahr ankaufen, als wir dies im Jahr 2021 getan haben.
Und dies wird 2023 nicht besser werden; es ist schon eine große Hilfe, wenn es nicht schlechter wird.
Einen Teil dieser gewaltigen finanziellen Belastung muss die Wirtschaft tragen, und den anderen Teil das Budget. Das ergibt sich finanziell ganz einfach nicht. Ich möchte also einen jeden darum bitten, dass wenn er das Jahr 2023 plant, er mit einem ungarischen Budget rechnen soll, das seine gesamte Kraft darauf konzentriert, die Mittelklasse, betont die untere Mittelklasse vor den in Europa entstandenen unmenschlichen wirtschaftlichen Folgen der Energie und der Inflation zu schützen.
Also, meine Damen und Herren, das Jahr 2023 wird ein von uns allen ernsthafte Anstrengungen fordernder Zeitraum werden. Ohne ausländische Großinvestitionen kann Ungarn nicht erfolgreich sein.
Es ist die Existenznotwendigkeit Ungarns, dass es neben den großen ausländischen Firmen auch eine breite, starke, auf sicheren Beinen stehende ungarische Unternehmerschicht geben muss,
und hier können wir nicht im Kapital, in der Kapitalkraft den Wettbewerb mit den Ausländern aufnehmen, aber in der Anzahl. Also müssen die wenigen großen ausländischen Investitionen durch die zahlreichen ungarischen Klein- und mittleren Unternehmer ausgeglichen werden, damit die ungarische Wirtschaft eine ungarische Wirtschaft bleiben kann.
Die wahre Herausforderung für die ungarische Wirtschaft ist, dass es eine mit großer Produktivität arbeitende Welt der Großunternehmen gibt und es gibt eine im Vergleich dazu zurückbleibende, in der Produktivität zurückbleibende Welt der Klein- und mittleren Unternehmer. Wenn es gelingt, den Unterschied zwischen den beiden zu mindern, wird sich die ungarische Wirtschaft auf einer guten Bahn befinden. Im vergangenen Jahrzehnt hat sich die Produktivität der Klein- und mittleren Unternehmen, die ihre relative Produktivität um 13 Prozentpunkte verbessert, um so viel hat sie sich den inländischen Großfirmen genähert. Das ist ein fantastisches Ergebnis! Die absoluten Zahlen sehen noch immer nicht so gut aus, denn die Produktivität liegt immer noch unter der Produktivität der westeuropäischen Klein- und mittleren Unternehmen, doch schon jetzt ist sie wettbewerbsfähig im Vergleich zu den Unternehmen gleicher Größe in den anderen Ländern der Region.
Meine sehr geehrten Damen und Herren!
Zum Abschluss, damit nicht die Pessimisten, sondern die Optimisten etwas Wettbewerbsvorteil besitzen, möchte ich Ihnen jene Fähigkeit der Ungarn in Erinnerung rufen, obwohl die Nationalcharakterologie ein für politische Reden nicht empfohlenes Thema ist. Also es gibt im Charakter der Ungarn doch etwas, was auch ich selbst in den vergangenen dreißig Jahren erlebt habe, dass wenn die Dinge gut laufen, dann gehen die Ungarn auseinander, die bis dahin straff geführten Dinge beginnen sich zu lockern, ein jeder braucht etwas mehr Platz, also irgendwie gehen sie auseinander. Und wenn das Übel kommt, dann erkennen aber auf einen einzigen Schlag hin alle, dass wir die schwierige Situation nur durch Zusammenarbeit, nur durch disziplinierte Zusammenarbeit überleben können.
Die Ungarn besitzen also meiner Ansicht nach einen historisch erzogenen, ausgewachsenen Lebensinstinkt, der uns dabei hilft, dass man die schwierigen Zeiten überleben muss.
Betrachten Sie auch die Entscheidung der ungarischen Regierung! Schwierige Zeiten, wir haben einen Teil oder gar das Ganze der für die Klein- und mittleren Unternehmen vorgesehenen Summe nicht weggenommen, um unsere Probleme im Budget zu lösen, sondern wir sind in die genau entgegengesetzte Richtung gegangen, damit wir Verbündete, damit wir Partner haben, mit denen wir gemeinsam den Wettbewerb bzw. die Auseinandersetzung in den vor uns stehenden schweren Jahren gemeinsam aufnehmen können. Die Ungarn besitzen also irgendeinen Instinkt, irgendeine Instinktwelt, auf die wir auch im Jahr 2023 aufbauen können.
In der Zeit des Übels können wir einander glauben und wir müssen dies auch tun. Was die ungarische Regierung angeht, so haben wir die ersten hierzu notwendigen Schritte auch getan.
Auszug aus der Rede von Viktor Orbán am 29. November 2022 anlässlich der Feierlichkeiten zum 20-jährigen Bestehen des Széchenyi-Kartenprogramms.