8. Oktober 2023 Magyar Hírlap von IRÉN RAB
Der 3. Oktober ist der einzige „nationale“ Feiertag in Deutschland, der Jahrestag der deutschen Wiedervereinigung. Von den Ungarn, deren Solidarität und Gerechtigkeitssinn den Wiedervereinigungsprozess ausgelöst und ermöglicht haben, hören wir gewöhnlich nichts mehr, weder als Dank noch als Gedenken. Heute ist es nicht mehr wichtig, wer den ersten Stein aus der Berliner Mauer geschlagen, wer die Ostdeutschen in die begehrte freie Welt gelassen hat. Das Feiern der Deutschen ist auch irgendwie eigenartig, weil es für die Zukunft in dieser ermüdenden Demokratie Wichtigeres zu bedenken gibt, als gerade das Gedenken.
Da ist zum Beispiel die Migration. Aus diesem Anlass begann das deutsche öffentlich-rechtliche Fernsehen den Tag früh mit einem emotionalen Fernsehfilm. Eine junge deutsche Ballerina lernt einen nordafrikanischen Rapper kennen. Anfangs ist sie abweisend, verachtet ihn, ignoriert seinen schwungvollen Eroberungstanz, doch als ihre Hormone wallen, ändert sich ihre Einstellung. Sie erkennt, dass ihr Platz nicht in der spießbürgerlichen Villa ihrer Eltern ist, sondern inmitten der viel attraktiveren Multikulturalität. Als sie erkennt, dass das ganze Leben noch vor ihr liegt, packt sie die Koffer und macht sich mit dem unbekannten Jungen auf den Weg ins Ungewisse. Ich konnte mir dieses Lehrstück, dessen Botschaft darin besteht, die Mauern des Andersseins einzureißen und die Migration anzunehmen und zu akzeptieren, bis zum ersten Kuss ansehen.
So etwas braucht man ja, denn das wichtigste Thema in Deutschland ist heute die Migration.
„Wir schaffen das“, sagte die ehemalige Bundeskanzlerin Merkel 2015, und die Deutschen glaubten ihr. Wir haben bereits so viele Schwierigkeiten überwunden, wir haben so viele Dinge gelöst, warum sollten wir nicht gerade das tun können, sagten die Deutschen damals, übrigens bräuchten wir auch neue Arbeitskräfte für die alternde Gesellschaft.
Und dann war dort noch das sensibilisierende Narrativ zugegen: Der Wunsch, Frauen zu helfen, die aus der Hölle der Kriege fliehen, mit ihren Kindern in Not, Solidarität und Humanität, all das förderte das positive Selbstbild.
Sie wollten nicht merken, dass ein Großteil der Ankommenden kaum hierhergehören. Ihr Glaube, ihre Kultur sind anders und die meisten von ihnen sind aggressive junge Männer. Die Migranten, die als Flüchtlinge bezeichnet werden, haben die Wohlfahrtsgesellschaft überflutet und die Straßen wurden bunter. Aber auch zunehmend vermüllt. Das Sicherheitsgefühl schwand, die Gewaltkriminalität nahm zu, und es wurde immer deutlicher, dass der Staat nicht in der Lage war, die Situation zu kontrollieren.
Seit 2015 sind mehr als zwei Millionen dieser „Asylbewerber“ in Deutschland angekommen. Anderthalb Millionen Menschen haben bereits einen Asylbescheid erhalten, eine Viertelmillion wartet darauf und ebenso viele sind abgelehnt worden.
Laut Statistischem Bundesamt sind alle Ausländer, die sich aus humanitären Gründen in Deutschland aufhalten, als Asylbewerber zu bezeichnen. Dazu gehören auch solche, die kurz vor der Gewährung von Asyl stehen, aber auch abgelehnte. Es ist nicht bekannt, wo und wie die Abgelehnten leben. Sie können nicht abgeschoben werden, weil sie entweder aus einem unsicheren Land kommen oder überhaupt nicht bekannt ist, aus welchem Land sie kommen. Sollten die Behörden dennoch versuchen, sie abzuschieben, bilden humanitäre Aktivisten der Grünen und Linken eine Menschenkette, um dies zu verhindern.
Die Ukrainer werden gesondert gezählt, weil sie keinen Asylantrag stellen müssen. Sie werden einfach bei ihrer Ankunft registriert und erhalten die gleichen Leistungen wie die deutschen Arbeitslosen. Man hat sogar das Arbeitslosengeld in das besser klingende „Bürgergeld“ umbenannt. Während sie früher keinen Pfennig in die deutsche Staatskasse einzahlten, zahlt jetzt der Staat ihre Beiträge, und sie erhalten Sozialleistungen, Kindergeld und Wohnraum. Auf dem Papier müssen eine Million Ukrainer untergebracht werden, und der deutsche Staat mietet ihnen leere Wohnungen und Hotels an.
Seit Kriegsbeginn bis zum 30. September 2023 wurden mehr als eine Million ukrainische Kriegsflüchtlinge, Männer, Frauen und Kinder, aufgenommen.
Neunhunderttausend haben bereits eine Aufenthaltsgenehmigung erhalten, aber da sich die Ukrainer im Schengen-Raum ohne Visum frei bewegen können, weiß man nicht genau, wo sie sich wirklich aufhalten. Sie stehen auf jeden Fall im Register, denn ihre Leistungen werden jeden Monat in Deutschland abgeholt. Böse Zungen behaupten, dass sie in der Zwischenzeit nach Hause fahren und den Euro mitnehmen, denn in einem vom Krieg zerrütteten Land muss man ja von irgendetwas leben. Der deutsche Staat stellt Kindergarten- und Schulplätze für 347.000 minderjährige Kinder zur Verfügung, und natürlich brauchen sie Lehrer, die sie unterrichten. In Deutschland herrscht derzeit ein Lehrermangel von 40 Prozent. Weniger als ein Fünftel der ukrainischen Flüchtlinge im erwerbsfähigen Alter arbeiten tatsächlich, nicht deswegen, weil sie nicht arbeiten wollten, eher wegen mangelnder Deutschkenntnisse.
Schauen wir nach den Zahlen mal auf den Alltag!
Deutschland versucht, die Lage in den Griff zu bekommen, indem es diese riesige Zahl von Asylbewerbern auf der Grundlage eines Quotensystems auf die Bundesländer verteilt. Mehr an die größeren und reicheren Bundesländer, weniger an die kleineren.
Die Bundesländer können die Masse an Menschen, die ihnen aufgedrängt wird, nicht bewältigen, also verteilen sie sie auf die Kreise, die sie wiederum auf die Gemeinden weiter verteilen.
Eine Kettenreaktion. Im Prinzip stellt die Zentrale, d.h. der Bundeshaushalt, das Geld für ihre Versorgung zur Verfügung, aber der Rest, Unterkünfte, Schulen, Ärzte, muss lokal bereitgestellt werden. Im Frühjahr revoltierten die Provinzen und verlangten eine Erhöhung der Leistungen, was die Regierung in ihrer bedrängten Lage auch zusagte. Nun, nicht sofort, aber im Herbst, bis dahin kann man Zeit schinden und die Menschen vor Ort belasten. In einigen Orten macht der Bürgermeister aus der ihm unterstellten Gemeinde eine Aufnahmegemeinde, während in anderen die Gemeinde nach Einberufung einer Dorfversammlung die Aufnahme kategorisch ablehnt. Doch die Spannungen sind allgegenwärtig und erschweren die Zusammenarbeit. Die lokalen Verantwortlichen sehen nur eine Lösung: die Zahl der Flüchtlinge reduzieren und die ausgewiesenen Asylbewerber aus dem Land schaffen.
Es gibt noch eine dritte Lösung, nämlich die solidarische Verteilung der Asylbewerber auf die EU-Mitgliedstaaten.
Warum sollen die Deutschen alle aufnehmen, fragen sie. Nun, warum wohl? Haben nicht sie den Einladungsbrief mit dem „Willkommen“-Stempel in die ganze Welt geschickt? Nehmen sie nicht jeden ungeprüft auf? Sind es nicht sie, die billige Arbeitskräfte brauchen? Und sind nicht sie so dumm, zu glauben, dass dies die richtige Lösung sei?
Dass das Problem riesengroß ist, zeigen die Wahlkämpfe für die beiden.Es ist kein sehr spannendes Rennen, denn in Bayern bleibt die CSU, wahrscheinlich in der jetzigen Koalition mit den Freien Wählern. In Hessen wird die CDU gezwungen sein, eine Koalition mit den Grünen zu bilden, und wir wissen, wie das aussehen wird. Es gab eine Vielzahl von Wahlkampfthemen, von der Energiekrise bis zur Drogenliberalisierung, die aber alle von der Migrationsfrage in den Schatten gestellt wurden.
Alle Parteien machen Wahlkampf damit, wie man das Feuer der Migration löschen oder die Notlage beseitigen kann.
Sie sind sich alle einig in einer europäischen Quotenverteilung, denn dann würde man die Migranten bei ihnen abholen und nicht bringen. Wie interne Lösungen gefunden werden sollen, hängt von der Partei ab, die CSU findet den Schutz der Schengen-Grenzen wichtig und traut dem föderalen System dermaßen nicht, dass sie die bayerischen Grenzen mit bayerischen Grenzschützern bewachen lässt und die Migranten eher in die Arbeitswelt als in das Sozialsystem integrieren will. Die AfD wiederum würde den Ukrainern nur eine befristete Aufenthaltsgenehmigung erteilen und die ganze Zuwanderung im Interesse Deutschlands einfach beenden. Das Programm der Grünen brauche ich wohl nicht vorzustellen. Sie würden „Welcome Zentren“ einrichten, um die Zuwanderung zu vereinfachen, alle Qualifikationen ohne Einbürgerung akzeptieren (damit ihre eigenen Mängel nicht so sehr auffallen) und alle so lange wie möglich in Deutschland halten.
Ich glaube, dass das globale Interesse, an der Macht zu bleiben, jedes andere nationale Interesse, das in Ansätzen vorhanden sein mag, überlagert. Nancy Faser, die als Spitzenkandidatin der Sozialisten in Hessen antritt, würde denen, die „schon mal da sind“ d.h. Asylbewerbern, nach drei Jahren das Wahlrecht geben. Vorerst bei den Landtagswahlen, dann auch auf Bundesebene. Außerdem würde sie die Frist für den Erwerb der Staatsbürgerschaft verkürzen.
Denn die SPD-Wähler, deren Stimme sie durch die schlechte, antinationale Politik verloren haben, müssen ersetzt werden. Dann werden sie das System mit Migranten füllen, die aus Dankbarkeit für sie stimmen.
Das kommt uns alles bekannt vor. Warum hören die Deutschen und die europäischen Politiker im Allgemeinen nicht auf die ungarischen historischen Erfahrungen in der Frage der Einwanderung?!
Autorin, Dr. phl. Irén Rab ist Kulturhistorikerin und Gründungsredakteurin von Ungarnreal
Deutsche Übersetzung: Dr. Andrea Martin
MAGYARUL: https://www.magyarhirlap.hu/velemeny/20231006-a-migracio-mint-kozponti-kampanytema