19. April 2023 Budapester Zeitung von Rainer Ackermann
Die Osteuropäer sind das Hinhalten von Seiten Brüssels leid und schreiten zur Tat: Am Wochenende gaben nacheinander die Slowakei, Polen und Ungarn ein Importverbot für Agrarprodukte aus der Ukraine bekannt.
Ungarns Agrarminister István Nagy sprach von einem vorübergehenden Verbot bis Ende Juni und verwies auf das Vorbild Polens. „Die Regierung tritt entschlossen für die Interessen der ungarischen Landwirte ein.
Da die EU substanzielle Maßnahmen vermissen lässt, verbieten wir vorübergehend die Einfuhr von Getreide und Ölsamen sowie weiterer Agrarprodukte aus der Ukraine“,
heißt es in einer Pressemitteilung des Ministeriums vom Samstagabend. Am Markt hätten sich negative Prozesse entfaltet, die der ungarischen Landwirtschaft schwere Verluste bescheren. Um diese abzuwenden, bedürfe es außerordentlicher Maßnahmen. „Wir sind solidarisch mit der Ukraine, aber wir können nicht die Existenz der ungarischen Bauern aufs Spiel setzen.“ – sagte der Agrarminister.
Der EU-Zentrale Zeit gegeben
Ukrainische Händler profitierten davon, dass die EU-Kommission mit Rücksichtnahme auf den Krieg einen umfassenden Freihandel mit einer vollständigen Befreiung von den Zöllen genehmigte. Abgesehen von den ohnehin niedrigeren Produktionskosten wird das Dumping aus der Ukraine noch durch Verfahren und Methoden intensiviert, die in der Gemeinschaft längst verboten sind.
Zunächst handelte die Misere vom Getreide, das eigentlich aus der Ukraine auf Drittmärkte befördert werden sollte, am Ende aber auf den Märkten der sog. Transitländer Osteuropas strandete.
Den Agraraußenhandel wickeln laut Presseberichten nur vier ukrainische Oligarchen ab; von einer humanitären Hilfe für die „kleinen“ ukrainischen Landwirte kann also keine Rede sein. Als die Händler bemerkten, wie lukrativ die Märkte ihrer Nachbarn von Polen über Ungarn bis Rumänien dank des EU-Rückenwinds sind, beschränkten sie sich nicht länger auf Getreide, sondern begannen massiv mit dem Export von Geflügel, Eiern, Honig und immer weiteren Agrarprodukten.
Die nun durch die betroffenen Anrainerstaaten verhängte Importbeschränkung soll der EU-Zentrale ausreichend Zeit für wirksame Lösungen geben. Letztlich geht es den sechs betroffenen Ländern, die sich zuvor vergeblich mit mehreren offiziellen Schreiben an Brüssel wandten, um ein Ende des Missbrauchs der für die Ukraine eingerichteten Solidaritätskorridore. Diese wurden ursprünglich darum geschaffen, damit das ukrainische Getreide leichter nach Afrika und in den Nahen Osten transportiert werden kann.
Mal wieder zweierlei Maß
Es ist kaum einen Monat her, dass Budapest protestierte, weil die EU-Kommission mal wieder zweierlei Maß anlegte und dabei die ungarischen Bauern diskriminierte. Polen, Tschechien, die Slowakei, Ungarn, Rumänien und Bulgarien baten Brüssel um Sonderbeihilfen, um die Belastungen der eigenen Landwirte infolge des ukrainischen Dumpings zu mindern.
Obgleich allein die Polen von Schäden in Milliardenhöhe sprechen, kalkulierte die EU-Kommission nach Monaten eine Finanzhilfe von insgesamt 53 Mio. Euro, die aber auch nur Landwirten in Polen, Rumänien und Bulgarien zuteilwerden sollte.
Für das Agrarministerium in Budapest basierte diese Entscheidung Brüssels auf fachlichen Irrtümern. So konnte Brüssel keinerlei Dumpingpreise in Ungarn erkennen, während das Agrarressort einen Preisverfall für die Tonne Getreide von 300 auf 215 Euro nachwies. Als diese Preisentwicklung schließlich akzeptiert wurde, hieß es aus der EU-Zentrale, nicht die ukrainischen Importe hätten diesen Prozess ausgelöst. Ungarn beklagte, dass die Kommission besser fachliche denn politische Entscheidungen treffen sollte.
Am Ende der Geduld
Anfang April folgte ein gemeinsamer Brief der Staats- und Regierungschefs an die EU-Kommissionspräsidentin, zu Ostern kündigten die Behörden schärfere Kontrollen der Importe aus der Ukraine an. So wollte Ungarn das strenge EKÁER-System auf diese Produkte ausweiten. Nicht angemeldete Lieferungen hätten mit Strafen belegt oder sogar konfisziert werden können. Zudem sollten die Kontrollen vertieft werden, um sicherzustellen, dass als Transit gekennzeichnete Frachten das Land auch tatsächlich wieder verlassen.
An diesem Freitag folgte eine weitere Konsultation der Agrarminister der Anrainerstaaten, die sich erneut für eine Lösung auf EU-Ebene aussprachen. So sollte die Zollbefreiung auf Weizen, Mais, Sonnenblumen, Raps und Soja aus der Ukraine nur für ausgehandelte Quoten gelten. Des Weiteren sollte die Kommission Produkte, auf denen die Landwirte wegen des Dumpings sitzenbleiben, zu humanitären Zwecken aufkaufen. Noch am Freitagabend erklärte die Slowakei dann als erstes Land der Gruppe ein Importverbot. Agrarminister Samuel Vlcan berief sich dabei auf ukrainisches Getreide, das mit Pflanzenschutzmitteln verseucht sei: Bei einer Kontrolle in einer Mühle hätten sich 1.500 Tonnen Weizen als verunreinigt erwiesen. Auch in Ungarn ist in Expertenkreisen seit Monaten die Rede davon,
dass die ukrainische Landwirtschaft Pflanzenschutzmittel einsetzt, die in der EU als gesundheitsschädigend verboten sind.
Bei amtlichen Kontrollen wurden bislang aber „nur“ einige hundert Tonnen Importgetreide konfisziert und vernichtet.
Bildquelle: Szabad Európa