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„Bis morgen stellen wir die ganze Welt auf den Kopf“

Szene aus dem Film „Fényes szelek“ (1969)

28. April 2021 von IRÉN RAB

Bis morgen stellen wir die ganze Welt auf den Kopf“ – sangen die Schüler der Volksinternatsschulen , um dann im Namen der Revolution von Humanismus, Intellekt und Gerechtigkeit mit einer roten Fahne den Kruzifix abzudecken. Sie tanzten hinein in die Kirche, betatschten die Devotionalien, und die Mädchen probierten in der Sakristei die Gewänder auf ihre nackten Körper an. Später verteilten sie die alten Bücher, die sie im Priesterseminar gefunden hatten, im Hof und warfen die Fenster mit Steinen ein, die sie spontan aufgelesen hatten.

Die Reaktionäre müssen zerstört werden, koste es, was es wolle!

Zu Liedern der internationalistischen Bewegung tanzten sie ausgelassen über die Plätze und provozierten die Priesterseminaristen, die im Gegensatz dazu eine einheitliche graue Masse bildeten. Die einzige Reaktion der Seminaristen war in Schweigen verhüllter Widerstand. Sie wollten nicht mit der fortschrittlichen Jugend, die für die Befreiung der Arbeiterklasse kämpfte, über Fragen von Kommunismus und Christentum diskutieren, sie wollten ihre Meinung zum Klassenkampf nicht äußern, sie wollten ihre Gefährten nicht verraten. Sie erduldeten Demütigungen und Provokationen. Sie wussten nicht, dass Duldung und Schweigen an sich schon eine Provokation sind, dass sie schleichend und hinterlistig friedlichen Faschismus betrieben. Das einzig mögliche Mittel dagegen ist der revolutionäre Terror, obwohl die Wahrheit des Marxismus die Kraft hat, auch von selbst zu wirken!

Als ich mir den Spielfilm von Miklós Jancsó, The Confrontation“ (auf Ungarisch: Fényes szelek“, also „Glänzende Winde“), gedreht vor fünfzig Jahren, jetzt noch einmal angeschaut habe, habe ich ungefähr Folgendes gesehen:

als Revolution getarnte rücksichtslose Gewalt, Terror gegen Andersdenkende, Verweigerung der Demokratie gegenüber „den Feinden der Demokratie“, leere Phrasen. Alles, womit ich heute in der Welt konfrontiert bin.

Ich habe aber auch gesehen, wie die Revolution ihre eigenen Kinder frisst. Nicht nur im Film, sondern auch in der Realität. Wenige Jahre später wurde die junge kommunistische Generation der Glänzenden Winde von den eigenen Genossen stigmatisiert, weil ihnen durch die Bildung, durch die Aneignung von Wissen, die Augen geöffnet worden waren und immer mehr von ihnen die verurteilte „Haltung von Bürgern und Bourgeoisie“ annahmen. Sie wurden zu Abtrünnigen. So setzte die loyale Spitzentruppe der Revolution den revolutionären Terror auch gegen sie ein und „verbannte sie aus ihren Reihen“.

Nach Georg Lukács‘ bestem Schüler, dem marxistischen Ästheten und Philosophen Ferenc Fehér, ist der Film eine Parabel, ein Prozess der Geburt und Entfremdung der revolutionären Macht. Die Studenten der Volksinternatsschule tanzen und singen, um ihre Lebensweise, ihre Vergnügungen, ihre Neigungen zu demonstrieren, ein Terrain zu besetzen und zu erobern, das Terrain der vermeintlichen Feinde des Volkes. Der wahre Feind des Volkes ist genau genommen es selbst, denn es kann nicht von der wirklichen Wahrheit überzeugt werden, es ist nur still, stur schweigend, defensiv. Diese Passivität „treibt die Internatsschüler zu einer Politik der Vergeltung“, schrieb Fehér über die geistlose, wütende Zerstörung, um dann zu folgern, dass „die alte Ordnung nichts zu bieten hat, weder moralisch noch intellektuell, was der neuen ebenbürtig ist“.

Seit Monaten habe ich das Marschlied des Landesverbandes der Volksinternatsschulen „NÉKOSZ“ im Kopf:

„Bis morgen stellen wir die ganze Welt auf den Kopf“, sangen die jungen Leute von damals voller Glauben und Überzeugung, nicht ahnend, dass sie nur Werkzeuge der kommunistischen Propaganda waren.

Nach dem Krieg säte diese Propaganda soziale Zwietracht, trieb einen Keil zwischen die fortschrittlichen und reaktionären Kräfte, zwischen Reich und Arm, zwischen Unterdrückte und Unterdrücker. Seitdem haben wir eine Reihe von Projekten zum Umsturz der Welt erlebt, den anarchistischen Aktivismus, der aus der Studentenrevolte von 1968 erwuchs, den unerbittlichen Guerillakrieg der Roten Armee Fraktion (RAF) und der Brigade Rosse. Sie erklärten dem Imperialismus den Krieg, um die linke, rote Freiheit in die Dritte Welt zu bringen, in die armen Länder in Afrika, Asien und Lateinamerika. Nie haben sie gefragt, ob sie es wollen.

Die RAF waren schlichtweg Terroristen, ausgebildet in Palästina und finanziert von der sowjetischen Hälfte der bipolaren Welt. Sie rekrutierten  mit dem Versprechen der Gleichheit junge Menschen, die fasziniert waren von der edlen Sache, der bestehenden Welt entgegenzutreten.

Sie merkten nicht einmal, dass sie zu linksextremen antifaschistischen Straßenkämpfern geworden waren, die Barrikaden errichteten und die Hüter der demokratischen Ordnung mit Steinen und Benzinflaschen bewarfen.

Mit der Zeit wurden sie zahm und nahmen dann, grün angestrichen, sichere Positionen in der Realpolitik mit einem festen Einkommen vom Staat ein. Ihre Nachfolger färben heute Brüssel, verbreiten liberale Wahrheiten und bauen eine multikulturelle globale Welt ohne Grenzen auf.

Der nächste Feind wurde bereits ausgemacht: der Mensch, der die Ressourcen unseres Planeten zerstört. Ausgemacht wurde er von ihren ohne Autorität erzogenen Kindern, die alle Genüsse der Konsumgesellschaft maßlos verzehren. Der antagonistische Konflikt wurde eingekeilt zwischen der grünen Utopie der Klimaschützer und der Mehrheit, die sie ignoriert. Klimaaktivisten haben die Umwelt- und Klimakrise ausgerufen und damit den Otto Normalbürger verunsichert. Organisationen, die sich selbst als NGOs bezeichnen, in Wirklichkeit aber viele Arten von Unterstützungen erhalten, haben sich zu einem höchst einflussreichen informellen Netzwerk entwickelt und prägen unbemerkt unser Denken. Sie haben keine finanziellen Probleme und werden von den Machthabern im Hintergrund reichlich belohnt.

Neue und wieder neue Bewegungen wachsen scheinbar wie aus dem Nichts. Greenpeace setzt auf erneuerbare Energien und das spektakuläre Anprangern von Umweltzerstörung, während die jungen globalistischen Aktivisten von Greta Thunbergs Fridays for Future wegen ihrer vermeintlich bereits verschwendeten Zukunft Konfrontation mit der älteren Generation suchen. Und die Apokalypse-Gläubigen, Extinction Rebellion, machen regelrecht Panik mit dem Aussterben der Erde, der Menschheit und aller Lebewesen auf der Welt.

Jetzt haben wir einen neuen rassistisch motivierten unversöhnlichen Konflikt, wo schwarze Leben zählen. Alle Leben zählen, sage ich, aber für die Bewegung Black Lives Matter (BLM) zählen nur schwarze Leben, denn die Ursache allen Übels ist der unterdrückerische weiße Mann mit seinem unsäglichen Appetit, der weiße, christliche und heterosexuelle, um genau zu sein, dieses „erschreckende Geschöpf“.

Dank der Aktivisten und der großzügigen Sponsoren ist BLM, wie der Klimakampf, in unserer schrumpfenden Welt zu globalen Ausmaßen gewachsen. Wenn ein Schwarzer in Minnesota Opfer von Polizeigewalt wird, werden die Folgen auch in Budapest zu spüren sein, zumindest in Form eines progressiven Protestmärschchens. Aufgrund des freien Informationsflusses verbreiten sich die manipulierten Bilder und die sensibilisierende Botschaft sofort überall.

All diese Bewegungen haben eins gemein: dass sie im Geiste der marxistischen Doktrin gesellschaftliche Gruppen entlang gegensätzlicher Interessen gegeneinander aufbringen, sie in dem Glauben lassen, eine gute Sache zu vertreten, den revolutionären Eifer junger Menschen aufgrund ihrer mangelnden Lebenserfahrung ausnutzen und sie manipulieren. Sie verkünden Freiheit, schränken sie aber gleichzeitig ein, stigmatisieren und grenzen aus. Sie verbrennen Bücher und stürzen Statuen um, sie mobilisieren, wüten und zerstören, bringen Andersdenkende mit Meinungsterror zum Schweigen. Wenn nötig, schreiben sie die Geschichte nach Belieben um, alles im Dienste des Fortschritts.

Die Bewegungen werden hinter den Kulissen von einer schmalen politisch-ökonomischen Elite gesteuert. Sie ist nur an einem interessiert: wirtschaftlichen Einfluss und politische Macht für maximalen Profit zu gewinnen. Um jeden Preis. Die Ideologie ist die Sahne auf der Torte, die den irregeführten Massen als Bezahlung ins Gesicht geschmissen wird.

Es ist kein Zufall, dass „The Confrontation / Glänzende Winde“ ein fundamentales Werk ist. Die spezifischen Konflikte der Nachkriegszeit, während der kommunistischen Machtübernahme, und die Versuche diese zu lösen sind universelle Themen, die als allgemeines Modell verwendet werden können. Alles, was wir heute sehen, ist da.

Singen Sie nur nicht den Refrain des Marschliedes, denn da ergreift mich ein Schaudern.

Autorin, Dr. phil Irén Rab ist Kulturhistorikerin

Originaltext: Magyar Hírlap, deutsche Übersetzung von Dr. Gergely Muraközi


2 Kommentare

  1. „Von der Sowjetunion lernen heißt Siegen lernen“ wurde in der DDR offiziell verkündet. Mir scheint, daß die Missionare, die von der OSF in die Welt gesandt werden, sich diesen Wahlspruch zueigen gemacht haben. Die Methoden, mit denen sie vorgehen, sind offenkundig dieselben wie zur Zeit des Realsozialismus. Welch feine Dialektik: die Erzkapitalisten und die Betonköpfe des Kommunismus sind eines Geistes! Hegel und Marx würden sich bestätigt finden.

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