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9 November 2021 Magyar Hírlap von IRÉN RAB

„Fukushima hat meine Haltung zur Kernenergie verändert.„, sagte Angela Merkel einige Monate nach der Atomkatastrophe von Fukushima. Dieser Satz war so hervorragend gelungen, dass er 2011 von der Gesellschaft für deutsche Sprache zum Satz des Jahres gewählt wurde. Von da an wurde Merkel als „Klimakanzlerin“ und ihre Regierung als „Klimaregierung“ bezeichnet. „Ich stehe mit aller Kraft und voller Überzeugung hinter unserem gemeinsamen Projekt, dem Ausstieg aus der Kernenergie.“ – fügte sie später hinzu. Die Betonung liegt auf der Gemeinsamkeit, mit welcher das Kabinett und mit ihr zusammen die Oppositionsparteien (Grüne, Sozialisten) Deutschland während des vergangenen Jahrzehnts in die aktuelle Energiepreisexplosion geführt haben.

Vielleicht wurde sogar die spätere „Willkommenskultur“- Ära durch die politischen Aktivitäten der Bundeskanzlerin in Sachen Kernenergie übertroffen. Lange davor hat sie als Umweltministerin im Jahr 1994 die Kernenergie als die sauberste Energiequelle bezeichnet. Als Bundeskanzlerin hat sie dann in der Zeit, in der die Christdemokraten gerade mit den Liberalen flirteten, das liberale Narrativ übernommen. Sie sehe keinen Grund, warum Deutschland wegen ideologische Gründe aus der sichersten Atomtechnologie der Welt aussteigen solle, ließ sie den Grünen ausrichten. Dann ordnete sie 2011 plötzlich eine Sicherheitsüberprüfung aller 17 Kernkraftwerke in Deutschland an, die sieben ältesten wurden sofort abgeschaltet und der Ausstieg aus der Kernenergie bis 2022 wurde beschlossen.

Wir müssen auf erneuerbare, umweltfreundliche Energieträger umsteigen, und zwar bis 2022!“, sagte die Kanzlerin in ihrem Klimakabinett.

Solar- und Windenergie waren damals auch schon recht teuer, aber der (selbst-)bewusste deutsche Bürger, der sich um die Zukunft der Erde sorgt, entschied sich in seinem Stromrechnungsportfolio für die erneuerbaren Energien, koste es, was es wolle! 

Immer mehr Ackerland wurde mit Solarpaneelen statt mit Getreide bepflanzt, Windräder schossen wie Pilze aus dem Boden. Das war ein großer Grundstücksboom und seltsamerweise hatten die Grünen, die die Umstellung vorantrieben, überhaupt nicht dagegen protestiert (um genau zu sein, haben sie geschwiegen), wie viel Land umgewandelt, wie viel Wald abgeholzt wurde, um Solar- oder Windenergiegerätschaften zu installieren. Selbst dies reichte nicht aus, um die Energieversorgung des Landes zu sichern;

erneuerbare Energiequellen können nur etwa die Hälfte der jährlich benötigten Energiemenge produzieren.

Die Deutschen könnten etwas mehr sparen, wie Márki-Zay – der ungarische Gesamtoppositionsministerpräsidenten-kandidat–  seinen Anhängern empfiehlt, aber sie brauchen doch Heizung, Licht, etwas zum Aufladen von Handys und Batterien der zukünftigen Millionen von Autos, die mit Strom betrieben werden.

Es ging nicht anders, einige der aus Klimagründen stillgelegten Kohleminen, wie Hambach, wurden wiedereröffnet, trotz der Proteste von Klimaaktivisten, die zunächst in die Baumkronen des Waldes gezogen sind. Mal wurden Dörfer, mal Kirchen abgerissen, weil sich zu ihrem Unglück ein Kohlefeld unter ihnen befand. Rechtlich gesehen gab es keine Probleme, da der Energieversorger diese Flächen bereits im Voraus aufgekauft hatte. Die Kirche in Immerath zum Beispiel wurde vom Bistum Aachen selbst an RWE verkauft. Außerdem hat das Unternehmen von den Behörden eine Abbaugenehmigung bis 2045 erhalten.

Mit dem Ausstieg aus der Kernenergie gewinnen Kohlekraftwerke zunehmend wieder an Bedeutung, ihr Anteil beträgt 45% bei der Stromversorgung.

Die neun bisher stillgelegten Kernkraftwerke werden durch genau neun neugebaute Kohlekraftwerke ersetzt, und die Kohle für die Stromerzeugung wird zusätzlich zur heimischen Braunkohleförderung aus dem Ausland, zum Beispiel aus Kolumbien, importiert. Gleichzeitig wurde ein gemeinsames Projekt mit anderen europäischen kohleimportierenden Konzernen zum Abbau von Kohlekraftwerken gestartet.  „Greenwashing“ also „Grünwäsche“ – anstelle von Geldwäsche –  nennen Umweltschützer diesen Vorgang, weil sie dieses Unternehmensimage von Umweltbewusstsein und Verantwortung für falsch und heuchlerisch halten.

Die Europäische Kommission hatte keine Bedenken gegen die Wiedereröffnung von Braunkohlegruben,

da dies natürlich nur eine vorübergehende Situation darstelle, bis die erneuerbaren Energiequellen die Produktion der auslaufenden Kernkraftwerke vollständig übernehmen können. Und überhaupt: Deutschland setzt sich für die Bekämpfung des Klimawandels ein, wie wir auf dem Klimagipfel in Glasgow erneut anhören konnten.

Nicht so Polen! Die Polen nicken nicht sofort zustimmend zu den in Brüssel und auf den verschiedenen Klimagipfeln festgelegten Zielen und sagen nicht sofort ja, wir werden diesen und jenen Prozentsatz bis 2030 und 2050 erreichen. Polen hat eine kohlebasierte Energiewirtschaft, es kann und will sich nicht zur Karbonneutralität in der Zukunft verpflichten und hält an seinem eigenen geplanten Tempo fest. Darüber hinaus fordert es Garantien, dass es ausreichende EU-Unterstützung erhält, um höhere Reduktionen im Rahmen des „grünen Übergangs“ zu erreichen.

Statt Garantie haben die Polen allerdings bereits eine Geldstrafe auferlegt bekommen.

Obwohl das Bergwerk Turów in der Nähe der tschechisch-polnischen Grenze eine Betriebsgenehmigung bis 2044 besitzt, hat das EU-Gericht das Bergwerk nach einer Klage der Tschechen zur Schließung verurteilt. Polen hat das Urteil ignoriert, weil es die Stabilität der Stromversorgung des Landes gefährdet sieht und schwerwiegende wirtschaftliche Folgen fürchtet. Das alles interessiert den EuGH jedoch keinesfalls. Er hat verfügt, dass Polen eine tägliche Geldstrafe von einer halben Million Euro zahlen müsse, bis das Bergwerk geschlossen ist.

Polen vertritt jedoch den Standpunkt, dass die Entscheidungen des EU-Gerichtshofs die nationale Sicherheit der Mitgliedstaaten, zu der auch die Energiesicherheit gehört, in keiner Weise beeinträchtigen dürfen. Und sie werden nicht zahlen. Sie wollen auf zentrale EU-Anordnung auch nicht die Disziplinarkammer für gerichtliche Verstöße abschaffen, denn

die Mitgliedschaft in der EU bedeute nicht, dass sie ihre Souveränität aufgegeben hätten.

Sie sind auch nicht bereit, die zusätzliche eine Million Euro pro Tag zu zahlen, die der Gerichtshof ihnen deswegen aufgebrummt hat. Insgesamt anderthalb Millionen Euro pro Tag! Was hat die deutsche EP-Vizepräsidentin Katarina Barley vor einem Jahr noch gesagt? „Polen (und Ungarn) müssen finanziell ausgehungert werden.“

Und das Aushungern ist damit noch lange nicht vorbei. Neulich hat das Europäische Parlament – nach einer „konstruktiven“ Debatte, in der festgestellt wurde, dass

das polnische Verfassungsgericht keine rechtliche Legitimität besäße, nicht unabhängig sein soll und kein Recht hätte, die eigene, polnische Verfassung auszulegen (sic!) –

beschlossen, dass das Geld der EU-Steuerzahler nicht an Regierungen (Polen, Ungarn) gehen sollte, die die Werte der EU offenkundig, absichtlich und systematisch untergraben. Deshalb fordern sie jetzt insbesondere Maßnahmen gerade gegen Polen.

Deutschland muss nicht ausgehungert werden, es hat bereits die riesigen Euromilliarden aus dem Rettungsfonds ausgezahlt bekommen. Seine Braunkohletagebaue werden nicht geschlossen, da sie nur vorübergehend seien und weiter betrieben werden dürfen, solange sie eine Genehmigung besitzen. Es gibt keine rechtsstaatlichen Beschwerden gegen Deutschland, obwohl seine Politiker äußerst aktiv an der Ernennung deutscher Richter beteiligt sind. Und wir haben auch bereits gesehen, dass das deutsche Bundesverfassungsgericht eine Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs aufgehoben und für falsch erklärt hat. Dennoch gab es danach keine Debatte im EP, wurde nicht gesagt, dass die Deutschen die gesamte Union angreifen, und es gab keine Aussage, dass die Europäische Union eine Werte- und Rechtsgemeinschaft sei, welche von allen Mitgliedstaaten respektiert werden müsse.

Wir sprechen in solchen Fällen gewöhnlich von Doppelmoral, aber das ist noch nicht alles. Wenn wir anders über die Welt denken, wenn wir unsere nationalen Interessen vertreten, dann werden wir mit Phrasen überzogen, werden uns Lektionen erteilt und wir sollen ausgeblutet werden. Das ist nichts anderes, als eine grobe Einmischung in die Innenpolitik.

Ein Glück, dass die Union keine Armee besitzt.

Autorin, Dr. phil Irén Rab ist Kulturhistorikerin

Übersetzt von Dr. Andrea Martin

Magyarul: https://www.magyarhirlap.hu/velemeny/20211108-penzugyi-eheztetes

Ein Kommentar

  1. Prof. Dr. Wolfgang Streeck schreibt in seinem Buch „Zwischen Globalismus und Demokratie“ ganz klar, die EU ist ein Imperium mit Deutschland als Hegemonialmacht. Daher, so folgere ich jetzt, gilt für die Eliten des Hegemons der Satz: „Quod licet Jovi, non licet bovi.“

    Es mag für Ungarn und Polen ein schwacher Trost sein, aber die autochthonen Deutschen sind primär selber von den arroganten Machenschaften dieser Eliten betroffen und leiden, wie allein schon die Strompreise zeigen, selber als erste darunter – wenn auch wohl immer noch nicht genug. Sonst wäre die letzte Bundestagswahl anders ausgefallen. Die Masse der Deutschen ist durch ideologisierte Bildungsinstanzen und durch die linksgrün dominierten Mainstreammedien derart verdummt, daß sie die Zusammenhänge nicht sehen.

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