6. März 2023 Magyar Hírlap von IRÉN RAB
Die US-amerikanisch-deutsche Koproduktion „Im Westen nichts Neues“ ist für neun Oscars nominiert worden. Sie ist im Rennen um die Oscars in den Kategorien Bester Film, Bester internationaler Film, in den Nebenkategorien Beste Kamera, Bester Sound, Beste Maske, Beste Filmmusik, Beste visuelle Effekte, Bestes Szenenbild und Bestes adaptiertes – von der Originalgeschichte abweichendes – Drehbuch, und wir werden bald sehen, wie viele Trophäen dieser Film bei der diesjährigen Hollywood-Gala abstauben wird.
Ich glaube, im europäischen Kulturkreis bedarf es kaum einer Erklärung für diese Geschichte, welche
das Wehklagen der Generation um die Jahrhundertwende vom 19-20 Jh. ist, die in der Hölle des Ersten Weltkriegs und der Sinnlosigkeit des Krieges vernichtet wurde.
Wenn ich in Soldatenfriedhöfen spazieren gehe, schockiert mich immer wieder der Anblick der Grabsteine, auf denen die Geburtsjahre der Gefallenen verzeichnet sind. Junge Männer, meist zwischen 18 und 22 Jahren, liegen in militärischer Ordnung unter den Hügeln, die sich weit in die Ferne erstrecken.
Auch der Autor des 1928 erschienenen Romans hatte die Schrecken der Westfront erlebt, und um ihn herum fielen einer nach dem anderen seine Freunde, Klassenkameraden und Mitstreiter.
Die jungen Männer meldeten sich freiwillig zum Menschenschlachthof als sie die inspirierenden Worte hörten, weil sie glaubten, für eine gute Sache zu kämpfen, für den Ruhm ihres Landes.
Der Held des Romans ist der Schriftsteller selbst, der der Erzählung zufolge im Oktober 1918 fiel, „vorwärts fallend und am Boden liegend, als ob er schliefe“. In Wirklichkeit überlebte er die Höllenmühle und fühlte sich verpflichtet, sich gegen den Krieg, gegen jeden Krieg, gegen das sinnlose Blutvergießen auszusprechen.
Der Roman wurde innerhalb eines Jahres in sechsundzwanzig Sprachen übersetzt, und bis 1930 wurden allein in Deutschland eine Million Exemplare verkauft. Hollywood kaufte die Filmrechte sofort und der damalige Film wurde ein Welterfolg. Außer in Deutschland. Dort wurde er verboten und die auflebende nationalsozialistisches Nazi-Propaganda startete eine Hetzkampagne gegen Erich Maria Remarque (1898-1970). Sie behaupteten, er sei ein Lügner, er sei nie Soldat, nie an der Front gewesen, er sei nichts anderes, als ein feindlicher französischer Jude. Dabei war der in Osnabrück geborene Remarque ein echter Deutscher, sein ursprünglicher Name war Remark, den die antisemitischen Nazis rückwärts buchstabiert für Kramer hielten, was für sie die Herkunft des Schriftstellers verdeutlichte.
Am Tag der großen Bücherverbrennung in Berlin und anderen deutschen Städten im Mai 1933 wurde auch Remarques Roman auf den Scheiterhaufen geworfen. Junge Deutsche, Studenten und Schüler halfen mit, die europäische Kultur zu zerstören,
halfen mit, die deutsche Sprache und Literatur von „politisch missliebigen Schriftstellern“ zu säubern, wie es die Nazis ausdrückten.
Viele Analysten haben in letzter Zeit im Zusammenhang mit dem Krieg in der Ukraine auf den Ersten Weltkrieg Bezug genommen. Damals war der Krieg an der Westfront genauso festgefahren wie in der Ukraine heute. Die Front bewegte sich kaum vorwärts, und wenn doch, zogen sich die Soldaten innerhalb kurzer Zeit zurück, gruben sich auf beiden Seiten in die Schützengräben ein und griffen von dort aus an, töteten und zerstörten. Mehr verzweifelt, als tapfer. Manchmal versuchten sie durchzubrechen, mit wenig Erfolg. Die materiellen Verluste zählten nicht, sie wurden ersetzt, solange die deutsche Wirtschaft funktionierte, während die französischen Verluste von den Verbündeten der Entente ausgeglichen wurden. Auch Menschenleben zählten nicht, man setzte die damaligen chemischen Waffen, Giftgase, ein, und es gab Tausende von Toten auf beiden Seiten.
Abnutzungskrieg – wie die Deutschen diese Art Kriegsführung damals nannten und heute noch über den Krieg in der Ukraine reden – ist ein langwieriger militärischer Konflikt, bei dem die gegenseitigen Verluste die potenziellen oder tatsächlichen Gewinne überwiegen.
Nach vier Jahren waren die Frontlinien die gleichen wie zu Beginn des Krieges. Es war in jeder Hinsicht ein beidseitiges Ausbluten lassen. Die Kontrahenten glaubten, dass die andere Seite am Ende sei, und weigerten sich zu merken, dass sie dabei sind, sich selbst zu zerstören.
Fünfmal waren die Herbstblätter gefallen, bevor Deutschland schließlich in dem bestimmten Waggon kapitulierte. „Vierzigtausend Tote in der letzten Woche, Deutschland wird bald leer sein, es ist vorbei! Um Gottes willen, lasst uns Frieden schließen!“ – beknieten die Politiker damals die vom Krieg profitierende Militärführung. (Heute ist es umgekehrt: Generäle versuchen vergeblich, die unfähigen, geldgierigen Politiker zu überzeugen.)
Im Großen Krieg (so nannte man den ersten Weltkrieg, bis dann der zweite ausbrach) wurden zehn Millionen Soldaten getötet und 20 Millionen verwundet. Die Zahl der zivilen Opfer wird auf weitere sieben Millionen geschätzt. Am Ende des Krieges befanden sich 25 Staaten mit etwa 1,4 Milliarden Menschen im Krieg, was etwa drei Viertel der damaligen Weltbevölkerung entsprach.
Netflix hat mit gutem Geschäftssinn die Rechte für die Verfilmung 2021 gekauft und aus der kathartischen Geschichte einen echten Netflix-Film gemacht. Mit emotionaler Wucht und blutigen Nahkämpfen zeigt er die Härte des Krieges, Schlamm, Dreck und Mord in all seiner Brutalität. Wir sehen das Grauen, aber kaum das Leiden der Seele, die menschlichen Abgründe. Der Aktionfilm, der auf die vermeintlichen Bedürfnisse des heutigen Zuschauers zugeschnitten ist, ist plötzlich sehr aktuell geworden. Als der Film im September 2022 in die Kinos kam, war das russisch-ukrainische Gemetzel bereits in vollem Gange. Der virtuelle Horror war Realität geworden.
Bei der erneuten Lektüre des Romans versuche ich zu entschlüsseln, was dieses Antikriegswerk schon vor Hitlers Machtübernahme so verfolgungswürdig machte? Weil es das wahre Gesicht des Krieges zeigt? Das Grauen der Front, die sinnlosen und nicht nachzuvollziehenden Machtinteressen, die um eigennützigen Ideologien zu dienen alles opfern: Menschen, Länder, Völker? Denn er warnt uns: Das ist Krieg, Leute, passt auf, dass ihr nicht in ihn hineingezogen werdet! Wie es Remarque sagte:
„Ich dachte immer, jeder Mensch sei gegen den Krieg. Bis ich ‚rausfand, dass es welche gibt, die dafür sind. Besonders die, die nicht hineingehen müssen“
und daher das wahre Wesen des Krieges auch nicht kennen.
Ich würde nicht nur den Film, sondern auch das zum Nachdenken anregende Buch, das viel emotionaler ist, zur Pflichtlektüre für kriegsbegeisterte Politiker und ihre Anhänger machen. Damit sie etwas über das wahre Wesen des Krieges lernen können. Denn sie wissen offensichtlich nicht, was sie riskieren.
Autorin, Dr.phil Irén Rab ist Kulturhistorikerin
Deutsche Übersetzung: Dr. Andrea Martin
MAGYARUL: https://www.magyarhirlap.hu/velemeny/20230306-keleten-es-nyugaton-a-helyzet-valtozatlan
Bild: Soldatenfriedhof Le Faubourg Pavé Verdun, Frankreich
Ein Kommentar
Sehr guter Artikel. Es wäre wirklich schön, wenn die Politiker endlich auf die Generäle hören würden, die eindringlich gegen den Krieg in der Ukraine Stellung beziehen. Der Vergleich zu dem weltberühmten Roman und dem heutigen Krieg ist so richtig. Leider haben die Menschen aus ihren Fehlern der Vergangenheit nichts gelernt.