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Fußball-Legende: Ferenc Puskás

7. Juli 2022 Spiegel von ERIK EGGERS

Jahrzehnte lebte er im spanischen Exil, die Verehrung seiner ungarischen Landsleute war dennoch grenzenlos. Ferenc Puskás, Fußball-Legende und Ikone des zauberhaften Spiels, wurde vergöttert. Ein Trauma freilich blieb: Die WM-Niederlage 1954 gegen Deutschland.

Ganz Ungarn hatte sehnsüchtig auf ihn gewartet. Als Puskás 1981 wieder ein Stadion in seinem Heimatland betrat, erfüllte bei seiner Vorstellung in Budapest „ein minutenlanges, ohrenbetäubendes, Himmel und Erde erschütterndes Jubelgebrüll die Arena“. So beschrieb damals ein ergriffener Augenzeuge die Szene. Und über das Gesicht des einstigen Fußballstars, der

in den fünfziger Jahren populärer war als jeder Nobelpreisträger, Schauspieler oder Politiker seines Landes, rollten Tränen der Rührung. Die Fans, sie liebten ihn noch immer. Obwohl Puskás ein Vierteljahrhundert fort gewesen war.

Die Geschichte des Mannes, den alle wegen seiner Körpergröße von nur 1,69 Metern „Öcsi“ (kleiner Bruder) nannten, begann am 2. April 1927, als er in einem Budapester Proletarierviertel geboren wurde. „Kein Stürmer kam mit einem solch wundervollen linken Bein auf die Welt wie er“, urteilte einmal Pelé, und tatsächlich wurde Puskás‘ außergewöhnliches Talent bald erkannt. Schon mit 16 Jahren spielte er für Kispest Budapest, sein Debüt in der Nationalmannschaft gab er 18-jährig, am 20. August 1945 in Budapest gegen Österreich (5:2). Der linke Halbstürmer sollte insgesamt 84-mal für Ungarn spielen und dabei unglaubliche 83 Tore erzielen.

Zu einem Mythos machte Puskás die Zeit als Kapitän des sogenannten „Goldenen Teams“, das zu Beginn der Fünfziger als unschlagbar galt. Unter dem Trainer Gustav Sebes kassierte Ungarn auch deshalb 32 Spiele nacheinander keine Niederlage, weil sich „Major“ Puskás bei dem Armeesportklub Honvéd Budapest (dem Kispest-Nachfolger) mit seinen Kameraden unter Profibedingungen einspielen konnte. Auf dieser Basis wurde Ungarn 1952 in Helsinki gefeierter Olympiasieger.

England in Wembley gedemütigt

Vor allem aber zerstörte das Team im November 1953 den Nimbus der englischen Unbesiegbarkeit, als es – als erste Mannschaft vom Kontinent – den Lehrmeister des Fußballs auf heimischem Boden schlug.

Dieses legendäre 6:3 von Wembley war eine spielerische Offenbarung.

Schon damals galt Puskás als das Zentrum des ungarischen Kombinationsspiels, da er aufbauen, vorbereiten und vollstrecken konnte. „Das Spiel war so schön. Ich stand nach dem Abpfiff gedankenverloren auf dem Rasen und dachte, hier müsste man Puskás ein Denkmal bauen“, schwärmte György Szepesi, der berühmte ungarische Radioreporter, nach dem historischen Triumph auf der Insel.

Die Goldene Mannschaft, 1953. Puskás unten in der Mitte

Wie privilegiert und populär Puskás, Hidegkuti, Czibor, Boszik & Co. im damals kommunistischen Ungarn waren, wie frei sich sie bewegen konnten, belegt die berühmte Anekdote von der Grenzkontrolle nach dem Sieg in Wembley. „Haben Sie etwas zu melden?“, soll der Zollbeamte gefragt haben. Puskás lachte und antwortete: „Melde gehorsamst: Wir haben 6:3 gewonnen“ – während er seinen Koffer mit Schmuggelware kaum heben konnte.

Die Engländer mussten es bereuen, sich auf die Revanche eingelassen zu haben. Denn im Népstadion gingen sie im April 1954 1:7 unter – gegen den kommenden Weltmeister, wie sich nun alle Experten einig waren.

Dass es dazu in der Schweiz nicht kam, lag auch an Werner Liebrich. Denn der Mittelläufer vom 1. FC Kaiserslautern streckte Puskás im WM-Vorrundenspiel in Basel beim Stand von 1:5 (Endstand 3:8) aus vollem Lauf nieder – eine Aktion, die Beobachter eher als Attentat denn als Foul bewerteten.

Traumatisches WM-Finale 1954

„Dreimal hat Liebrich es versucht, beim dritten Mal hat er ihn getroffen“, sagte Verteidiger Jenö Buzánszky. Wegen des malträtierten Knöchels fehlte der ungarische Spielmacher im Viertelfinale gegen Brasilien (4:2) und beim Halbfinalerfolg über Uruguay (4:2 nach Verlängerung). Auch der Einsatz im Endspiel am 4. Juli 1954 gegen Deutschland war gefährdet. Puskás spielte trotzdem. Und blieb in diesen regenreichen 90 Minuten von Bern, die doch der Höhepunkt seiner Karriere sein sollten, trotz seines Tors zum 1:0 nur ein Schatten seiner selbst.

Fassungslos nahm er den 2:2-Ausgleich des krassen Außenseiters durch Helmut Rahn auf, wütend reagierte er auf das 2:3 durch denselben Stürmer sechs Minuten vor Schluss. Es hätte vieles anders laufen können in seinem späteren Leben, als er im Gegenzug, eine Kopfballvorlage Kocsis‘ aufnehmend, zum 3:3-Ausgleich einschoss. Doch der englische Schiedsrichter Bill Ling entschied auf Abseits. Auch außerhalb des Spielfelds bekamen Puskás und seine Mitspieler Probleme.

Zu den absurdesten Vorwürfen, die in Ungarn nach der Niederlage erhoben wurden, gehörte damals, dass Puskás das Endspiel an die Deutschen verkauft habe.

Als 1956 der Ungarn-Aufstand scheiterte, blieb Puskás wie viele seiner Mitstreiter, etwa Kocsis und Hidegkuti, im Westen und läutete damit den Untergang des ungarischen Fußballs ein. Zwei Jahre wurde er gesperrt. Erst 1958 unterschrieb er bei Real Madrid und feierte dort, im kongenialen Gespann mit Alfredo di Stefano, viele Erfolge. Puskás gewann dreimal den Europapokal der Landesmeister, einmal den Weltpokal, fünfmal die spanische Meisterschaft, einmal den Pokal, und er wurde, wie zuvor schon in Ungarn, auch in der spanischen Liga viermal Torschützenkönig.

Als er 1966 seine Karriere beendete, hatte er, inzwischen auch spanischer Staatsbürger, noch viermal für das Nationalteam seiner Wahlheimat gespielt. Erst

1992, als der „Eiserne Vorhang“ gefallen war, kehrte er endgültig nach Ungarn zurück.

Am 17. November 2006 um 7 Uhr ist Puskás, der berühmteste ungarische Spieler der Fußballgeschichte, nach langer Krankheit im Alter von 79 Jahren in Budapest gestorben.

Der Artikel erschien am 20.8. 2007 beim SPIEGEL: https://www.spiegel.de/geschichte/fussball-legende-ferenc-puskas-a-946727

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