15. Januar 2022, Gastbeitrag von GÁBOR T. TÚRI
In Westeuropa kennen nur wenige den Namen von János Bolyai (1802-1860), aber in mathematischen Kreisen gilt er zu Recht als weltberühmt. Dies ist kein Wunder, denn er war Ungarns originellster und einflussreichster Mathematiker, der mit seinem 1831 verfassten und 1832 veröffentlichten „Appendix“ („Anhang“)
die revolutionäre neue, sogenannte „nichteuklidische“ Geometrie erschuf.
Sogar Einstein baute auf seine Arbeit auf, was verständlich ist, denn Bolyai war einer der größten Mathematiker seiner Zeit, wofür auch Einsteins Vermächtnis ein Zeugnis ist.
János Bolyai arbeitete weitgehend abgeschieden von der Welt und so verfasste er auch seine Theorie, mit der er seiner Zeit ein halbes Jahrhundert voraus war und die die Grundlage für die später von Einstein entwickelte Relativitätstheorie bildete. Bei der Arbeit an der Gravitation und der neuen Raumtheorie entdeckte er auch Zusammenhänge, die Einstein in seinem Werk von 1905 ebenfalls nutzte.
Der Nachlass von János Bolyai, der fast 15 000 Seiten an Manuskripten umfasst, wird in der ehemaligen ungarischen Stadt Marosvásárhely (heute Targu Mures) in Siebenbürgen aufbewahrt, ist aber leider weitgehend unaufgearbeitet. Bolyais Andenken in Ungarn ist das Anliegen der Bolyai-Gesellschaft.
Die Bolyai-Gesellschaft schreibt über ihn Folgendes: „Seine Forschungen über komplexe Zahlen, Zahlentheorie und algebraische Gleichungen blieben in Manuskriptform und wurden erst viel später aufgearbeitet. Mit der Schaffung der absoluten Geometrie lieferte János Bolyai nicht nur Einstein, sondern auch anderen Wissenschaftlern eine Forschungsgrundlage, und
seine Arbeit trug unter anderem zur Entwicklung der Weltraumforschung und der Astronomie bei.“
So ist es kein Zufall, dass sein Werk „Appendix“ 2009 einstimmig in die Liste des UNESCO-Welterbes aufgenommen wurde.
Aber was die Ungarn mehr interessiert – und was nur die Ungarn zu schätzen wissen – war seine Forschung über die Beziehung zwischen der ungarischen Sprache und der Mathematik. Seine Genialität war auch auf diesem Gebiet offensichtlich. Im Zuge seiner Forschungen beschäftigte er sich mit den sogenannten „Wurzelwörtern“, die in der ungarischen Sprache eine besonders wichtige Rolle spielen, und konnte in deren System mathematische Zusammenhänge entdecken.
In Anerkennung seiner mathematischen, geometrischen und linguistischen Forschungen stiftete der ungarische Staat daher die „Bolyai-Auszeichnung und Medaille„, die alle zwei Jahre als höchste ungarische Auszeichnung im Bereich der Wissenschaft verliehen wird.
In 2021 wurde sie der Forscherin Katalin Karikó zugesprochen, deren Patent die Grundlage für den weltweit ersten mRNA-Impfstoff gegen Covid-19, bei Pfizer/BioNTech, einen Impfstoff der dritten Generation, bildete.
1994 stiftete die Ungarische Akademie der Wissenschaften ihren wissenschaftlichen Preis, den „János Bolyai International Mathematics Prize“, ebenfalls in Erinnerung an János Bolyai neu. Dieser Mathematik-Preis wurde 1902 ins Leben gerufen und alle zehn Jahre verliehen. Der erste Preisträger war 1905 der Franzose Henri Poincaré und nach ihm im Jahr 1910 der Deutsche David Hilbert. Die Verleihung wurde nach dem Ersten Weltkrieg leider unterbrochen und 1994 wieder aufgenommen, nun jedoch im 5-Jahres-Rhythmus.
Ebenso werden in Ungarn jährlich die „Bolyai-Mathematikwettbewerbe“ und die „Bolyai-Muttersprachlerwettbewerbe“ zum Gedenken an János Bolyai und seinen Vater Farkas Bolyai veranstaltet.
Sein Vater, Farkas Bolyai (1775-1856) war ebenfalls ein berühmter Mathematiker, der auch mit Gauß korrespondierte. Sein wichtigstes mathematisches Werk war das „Tentamen“, das 1832/33 in zwei Bänden veröffentlicht wurde und in dessen Anhang (lateinisch: Appendix) die berühmte Arbeit seines Sohnes János erschien, welche deswegen unter dem Namen„Appendix” bekannt geworden ist.
Neben anderen Werken fasste Farkas Bolyai in seinem Werk „Kurzer Grundriss”, das 1851 auf Deutsch erschien, seine wichtigsten mathematischen Ideen zusammen und zog Parallelen zwischen der Arbeit seines Sohnes und der von Lobatschewski.
Der erwähnte internationale Schülerwettbewerb („Der Internationale Mathematik Teamwettbewerb Bolyai“) wird jedes Jahr für Schülerinnen und Schüler der Klassenstufen 2-12 ausgeschrieben. Diese Idee hat vor 18 Jahren an einem Gymnasium in Budapest begonnen. Heute hat der Wettbewerb allein in Ungarn mehr als 100 000 Teilnehmer.
Vor sieben Jahren wurde der Bolyai-Wettbewerb auf Deutschland ausgeweitet. Im Schuljahr 2019/2020 startete der Wettbewerb breitsin allen 16 Bundesländern. Die Zahl der Teilnehmer liegt schon über 23 000. Am 1. März 2021 haben Budapest, Wien und München bereits ihre Ausschreibungen für 2021-2022 bekannt gegeben..
Autor, Dr. Gábor T. Túri ist Arzt.
4 Kommentare
Wer den einstigen Bestseller „Gödel, Escher, Bach“ von Douglas R. Hofstadter (im amerikanischen Original erschienen 1979) aufmerksam durchgearbeitet hat, dem sind Vater und Sohn Bolyai keine Unbekannten. S. 100f. der 5. Auflage der deutschen Ausgabe wird sogar aus zwei Briefen des Vaters an den Sohn zitiert. Beide werden als Leuchttürme mathematischer Forschung und intellektueller Redlichkeit gewürdigt.
Mein Sohn 25 flog am 17. Januar nach Vancouver um dort sein Masterdiplom für Physik zu erarbeiten.
Er ist dreisprachig aufgewachsen, dominierend ist bei ihm auch wegen seiner Studium die deutsche und die englische Sprache. Die beiden Artikeln über Bolyai und die Sprache in form von einen Link habe ich ihn auf die Reise als Leselektüre mitgegeben. Gleich nach seiner Ankunft hat er sich für die interessante Artikeln bedankt. Er hat über Bolyai nur wenig gehört aber mit seinem Rechenmethoden hat er schon „schwere Kämpfe“ geliefert. Die Beziehung zwischen der ungarischen Sprache und der Mathematik fand er sehr interessant, er meinte, schade dass in den Artikel nicht viel tiefer darauf eingegangen wurde. Das “Wurzelwörtern”, die in der ungarischen Sprache eine besonders wichtige Rolle spielen, und konnte in deren System mathematische Zusammenhänge entdecken hat er äußerst interessant gefunden und er möchte viel mehr darüber erfahren. Ich habe ihn versprochen, dass ich mich bemühe um weiteres darüber zu erfahren. Er interessiert sich für Sprachen z.Z. lernt er auch Cinesisch.
Ich freue mich sehr über diesen Kommentar, denn ich habe bisher nur sehr sporadisch von den beiden Bólyai in der deutschen Fachliteratur gesehen und gelesen.
Allerdings sollte ich auch anmerken, dass ich kein Mathematiker bin, so dass ich ihre Namen vielleicht in mathematischen Fachzeitschriften gesehen haben könnte.
Auf jeden Fall sind sie mir in der populären Literatur nicht begegnet.
Nochmals vielen Dank für Ihre Kommentare!
MfG:
Dr.G.T.
Als Antwort auf Herrn Ferenc Gácsbaranyi kann ich schreiben, dass das grundlegende Thesengebäude des ungarischen „Gyökszavak“ (Wurzelwörter) im Czuczor-Fogarasi-Wörterbuch zu finden ist, das inzwischen etwas veraltet ist, aber als Grundlagenwerk gilt. (Man findet es auch im Internet)
Dennoch hat der kürzlich verstorbene Csaba Varga all dies in seinen Büchern gut umgesetzt. Wenn Ihr lieber Sohn die ungarische Sprache beherrscht, empfehle ich sein Buch „A nyelvek anyját tudtam én“ (Ich habe die Mutter der Sprachen gekannt), das einen guten Anfang und Grundwissen darstellt.
Ich danke Ihnen für Ihren Kommentar und freue mich sehr, dass das Thema Ihr Interesse geweckt hat!