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Das Paneuropäische Picknick und die Öffnung der Grenzen

19. August 2021 von NÓRA SZEKÉR

Am 20. Juni 1989 nahm Ottó von Habsburg auf Einladung des Ungarischen Demokratischen Forums (Magyar Demokrata Fórum, MDF) in Debrecen an einem öffentlichen Forum teil. Bei einem Bankett zum Abschluss der Feierlichkeiten sprach Ferenc Mészáros, lokaler Vorsitzender des MDF, mit Károly von Habsburg, dem Sohn von Ottó, über die Tatsache, dass trotz vieler hoffnungsvoller demokratischer Veränderungen

die Berliner Mauer immer noch stand und der Eiserne Vorhang die Länder des Sowjetblocks immer noch von Westeuropa trennte.

Ein Picknick mit einem Lagerfeuer an der tatsächlichen Grenze zwischen Ungarn und Österreich, bei dem ein Teil der Gäste iin Österreich und ein anderer Teil in Ungarn ihren Speck grillt, könne ein gutes Mittel sein, um auf die Tatsache aufmerksam zu machen, dass die beiden Länder voneinander abgetrennt sind. Die Gäste des Abends, die diese Idee hörten, „waren von der Idee amüsiert – und gingen dann zu einem anderen Thema über“- erinnert sich einer der Organisatoren des Picknicks, László Nagy. Aber Ferenc Mészáros meinte es ernst, und die Arbeit begann.

Sie nahmen Kontakt zu den Parteien des „Runden Tisches der Opposition“ in Sopron auf, die geschlossen hinter der Idee standen, ebenso wie die Pfadfinder. Imre Pozsgay (Mitglied des Politbüros der Kommunistische Partei, MSZMP) und Ottó von Habsburg wurden gebeten, als Schirmgerr zu fungieren, und sie nahmen diese Aufgabe sofort an.

Die Veranstaltung, die ursprünglich für den 20. August unter dem Titel „Picknick am Eisernen Vorhang“ geplant war, wurde schließlich am 19. August unter dem Namen „Paneuropäisches Picknick“ durchgeführt.

Ihr Emblem war eine weiße Taube, die den Stacheldraht durchbrach, und ihr Slogan lautete „Öffnen und mitnehmen“ In Anspielung auf die Dorfverwüstungen in Rumänien war auf den Flugblättern auch der Slogan „Mauerverwüstung statt Dorfverwüstung“ abgedruckt. Die Einladungen wurden in sieben Sprachen gedruckt und auch die Botschaften wurden zur Teilnahme eingeladen.

Nicht zuletzt dank der Autorität der beiden Schirmherren haben die Behörden die Organisation eher unterstützt als behindert. Auch bei der Auswahl des Veranstaltungsortes und bei der Organisation der Veranstaltung leistete der Grenzschutz bereitwillig Unterstützung. An der Stelle des ehemaligen Grenzübergangs Margitbánya wurde in Sopronpuszta ein Tor geöffnet, das eine Forststraße sperrt, damit die Gäste von beiden Seiten der Grenze während der Veranstaltung die Grenze zwischen den beiden Ländern überschreiten konnten, sofern sie über gültige Reisedokumente verfügen.

Am 19. August war der Andrang groß. Die Veranstaltung begann mit einer internationalen Pressekonferenz auf der Terrasse des Hotels Lövér, wo mehrere ausländische Filmteams das Geschehen verfolgten. Das Prestige und die Immunität des Picknicks waren durch die Namen seiner Schirmherren bereits gewährleistet, diese waren aber nicht persönlich anwesend, da ihre Teilnahme im Falle diplomatischer Komplikationen sogar zu Unannehmlichkeiten hätte führen können. „Wir haben also die ganze Sache hinter den Kulissen abgesichert. Ich habe den Leiter meines Sekretariats, den stellvertretenden Minister László Vass, gebeten, in meinem Namen an dem Picknick teilzunehmen. Präsident Ottó von Habsburg hat seine Tochter Walburga geschickt.“, erinnert sich Imre Pozsgay. So wurden die Gäste nicht von den Schirmherren, sondern von deren Stellvertretern begrüßt.

Aber es war nicht das offizielle Programm, das das Paneuropäische Picknick unvergesslich machte.

Nur wenige Minuten nach der Eröffnung um 15.00 Uhr brach eine Gruppe von 150 ostdeutschen Flüchtlingen aus dem Maisfeld aus und eilte zur Grenze.

Nach den geltenden Vorschriften hätten die Grenzschutzbeamten den massenhaften illegalen Grenzübertritt verhindern sollen. Oberstleutnant Árpád Bella, der diensthabende Grenzschutzbeamte, beschloss jedoch, nicht einmal Warnschüsse abzugeben, um eine Panik zu vermeiden.

Am Tag des Picknicks gelangten etwa 600 Ostdeutsche nach Österreich.

Damit wurde ein unumkehrbarer Prozess in Gang gesetzt, dessen Vorgeschichte im Frühjahr und Sommer 1989 und in der ostdeutschen Flüchtlingskrise im Sommer zu suchen ist.

Am 2. Mai 1989 wurde auf einer internationalen Pressekonferenz bekannt gegeben, dass der Abbau des Eisernen Vorhangs an der ungarischen Grenze beginnen würde. Das Treffen zwischen den Außenministern Alois Mock und Gyula Horn am 27. Juni 1989, bei dem der Stacheldraht mit riesigen Drahtscheren durchtrennt wurde, erregte großes Medieninteresse und machte der Weltöffentlichkeit bewusst, dass der Weg in den Westen über Ungarn immer freier wurde. In der Zwischenzeit war Ungarn der Genfer Flüchtlingskonvention beigetreten, die im Gegensatz zu den sozialistischen Praktiken demokratische Regeln für die Behandlung von Flüchtlingen enthielt. Dementsprechend wurden Flüchtlinge, die vor der Ceaușescu-Diktatur flohen, nicht nach Rumänien zurückgeschickt.

Diese Nachricht veranlasste Hunderttausende von Ostdeutschen, über die österreichisch-ungarische Grenze zu versuchen, aus der DDR zu „fliehen“.

Mit Beginn der Sommerferien begann der Zustrom von DDR-Touristen ins Land, der bis Ende August auf die Hunderttausende anstieg. Ungarn wurde zu einer Transitzone, einem Aufenthaltsort, an dem Tausende von Flüchtlingen auf die Möglichkeit zur Weiterreise warteten. Die westdeutsche Botschaft in Budapest war bereits in den ersten Augusttagen voll besetzt. Auch in den umliegenden Straßen kampierten ostdeutsche Familien.

Die ungarische Regierung stand unter enormem Druck. Die Freilassung der Flüchtlinge könnte nicht nur in der DDR unter Honecker, sondern auch in den anderen orthodoxgeführten sozialistischen Staaten unvorhersehbare Reaktionen hervorrufen,

während die Masse der Flüchtlinge im Lande zu einem immer unüberschaubareren Problem wurde.

Die Geschichte des Picknicks besagt, dass es, wie Ministerpräsident Miklós Németh sich erinnert für die ungarische Regierung eine Gelegenheit war, die Reaktion des Auslands und insbesondere der DDR auf eine mögliche Öffnung der Grenze zu „testen“. Ungarn konnte nicht auf offen zugesagte Hilfe aus dem Westen zählen, vor allem nicht in einer Zeit, in der

der Gedanke an die deutsche Einheit in den meisten Ländern des Westblocks ernsthafte Bedenken hervorrief.

Die Reformpolitik der Sowjetunion war an Gorbatschow gebunden, die Stabilität der Unterstützung war selbst innerhalb der eigenen Partei unberechenbar und in den Satellitenstaaten, mit Ausnahme von Ungarn und Polen, vorhersehbar gering. Und wie Gyula Kurucz, einer der Organisatoren des Picknicks, der nichts von den Entwicklungen hinter seiner zivilen Initiative ahnte, es 20 Jahre nach den Ereignissen formulierte: „Es blieb also bei heimlichen, taktischen Manövern“.

In den Tagen nach dem Picknick blieb eine aggressive Offensive der DDR aus, aber

die Nachricht vom erfolgreichen „Durchbruch“ ermutigte viele Flüchtlinge, die Grenze illegal zu überqueren.

Diese Versuche wurden von der Grenzpolizei jdeoch mit einem härteren Durchgreifen beantwortet. Am 21. August endete der Versuch von Kurt-Werner Schultz tragisch, als er bei einem Handgemenge mit einem Grenzsoldaten vor den Augen seiner Familie getötet wurde. Am 23. August kam es zu einem weiteren Zwischenfall – der so genannten Schlacht von Sopronpuszta und Kópháza -, bei dem mehr als 100 Menschen, darunter auch Kinder, mit Grenzsoldaten zusammenstießen, die mit Schlagstöcken und Gewehren bewaffnet waren. Es war allen klar, dass die Situation nicht länger tragbar war.

Am 25. August trafen sich der ungarische und der westdeutsche Ministerpräsident zu einem Geheimtreffen im Schloss Gymnich bei Bonn. In dieser unter Ausschluss der Öffentlichkeit abgehaltenen Besprechegung

wurde vereinbart, die Grenze für DDR-Bürger zu öffnen.

Am 8. September setzte die Ungarische Volksrepublik das Abkommen mit der DDR aus dem Jahr 1969, das die Ausreise der Ostdeutschen aus Ungarn beschränkte, formell außer Kraft und öffnete damit den Weg in den Westen. Die Entscheidung wurde von der Regierung in den Abendnachrichten am 10. September bekannt gegeben. Innerhalb von neun Tagen übertraten 12.121 Ostdeutsche die Grenze nach Österreich, bis zum 20. September waren es 17.500.

Das Paneuropäische Picknick wurde nicht nur zu einem symbolischen Ereignis, das den lang erwarteten Moment des freien Grenzübertritts sinnbildlich verkörperte, sondern es beschwor auch die Ereignisse herauf, die zur Öffnung der Grenze und

zur Wiedervereinigung des geteilten Deutschlands führten.

Autorin, Dr. phil. Nóra Szekér ist Historikerin, wissenschaftliche Mitarbeiterin des RETÖRKIs

Originaltext auf Ungarisch: https://tuntetes-archivum.hu/1989.08.19

Übersetzt von Sophia Matteikat

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